Текст книги "Die weisse Massai"
Автор книги: Corinne Hofmann
Жанр:
Биографии и мемуары
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Mein Herz klopft bis zum Hals, als ich die Tür öffne und über die Schwelle trete.
Der Mann hinter dem Schreibtisch schaut auf, und ich erkenne ihn sogleich. Noch bevor ich etwas sagen kann, kommt er strahlend mit ausgestreckten Händen auf mich zu und sagt: „Hel o, how are you after such a long time?
Wo ist der Massai-Mann? Ich habe ihn nicht mehr gesehen.“ Bei diesen zwei Sätzen wird mir warm ums Herz, und ich erkläre nach dem ersten Hallo, es hätte mit dem Paß nicht geklappt und deshalb käme ich das Geld wieder abholen.
Immer noch wage ich nicht, daran zu glauben, doch der Inder verschwindet hinter einem Vorhang, während ich einen kurzen Blick auf Jutta werfe. Sie zuckt nur die Achseln. Schon kommt er zurück und hält in beiden Händen bündelweise Geldscheine. Vor Glück könnte ich heulen. Ich wußte es, ich wußte, daß Lketinga nicht hinter meinem Geld her war. In dem Moment, als ich das viele Geld an mich nehme, fühle ich eine ungeahnte Stärke in mir wachsen. Mein Vertrauen ist zurückgekehrt. Das ganze Geschwätz und die Gerüchte kann ich abschütteln. "Wir gehen auf die Straße, nachdem ich den Inder für seine Ehrlichkeit belohnt habe.
Dann sagt Jutta endlich: „Corinne, diesen Massai mußt du wirklich finden. Nun glaube ich dir die ganze Geschichte und vermute auch, daß andere ihre Finger im Spiel haben.“
Glücklich falle ich ihr um den Hals. „Komm“, sage ich, „ich lade dich ein, wir gehen essen wie die Touristen!“
Während des Essens planen wir unser weiteres Vorgehen. Jutta schlägt vor, in etwa einer Woche zum Samburu-District zu starten. Es sei ein langer Weg bis Maralal, dem District-Dorf, wo sie Ausschau halten will nach einem Massai, den sie vielleicht von der Küste her kennt. Dem wird sie die Fotos von Lketinga zeigen, und mit etwas Glück werden wir seinen Aufenthaltsort ausfindig machen. „Dort kennt praktisch jeder jeden.“ Meine Hoffnung steigt von Minute zu Minute. Wohnen könnten wir bei ihren Freunden, denen sie dort helfe, ein Haus zu bauen. Mit allem, was sie mir vorschlägt, bin ich einverstanden, wenn nur endlich etwas passiert und ich nicht länger untätig abwarten muß.
Die Woche mit Jutta gestaltet sich vergnüglich. Ich helfe ihr, Termine für diverse Portraits zu bekommen, und sie malt. Es klappt gut, und wir lernen angenehme Leute kennen. Die Abende verbringen wir meistens in der Bush-Baby-Bar, da Jutta anscheinend Nachholbedarf an Musik und Unterhaltung hat. Trotzdem muß sie aufpassen, daß sie das verdiente Geld nicht gleich wieder ausgibt, denn sonst sind wir in einem Monat noch hier.
Endlich packen wir unsere Sachen. Etwa die Hälfte der Kleider nehme ich in der Reisetasche mit, den Rest lasse ich im Häuschen bei Priscilla. Sie ist nicht glücklich über mein Weggehen und meint, es sei fast unmöglich, einen Massai-Krieger zu finden. „Sie ziehen ständig von Ort zu Ort. Sie haben kein Zuhause, solange sie nicht verheiratet sind, und höchstens seine Mutter weiß viel eicht, wo er ist.“ Aber ich lasse mich nicht mehr abbringen von meinem Plan. Ich bin sicher, das einzig Richtige zu tun.
Zuerst fahren wir mit dem Bus nach Nairobi. Diesmal stört mich die achtstündige Busfahrt überhaupt nicht. Ich bin gespannt auf die Gegend, aus der mein Massai stammt, und mit jeder Stunde kommen wir dem Ziel näher. In Nairobi hat Jutta wieder einiges zu erledigen, und so hängen wir drei Tage im Igbol-Lodging, einem Tramper-Hotel, herum. Aus al er Welt kommen die Tramper hierher und unterscheiden sich sehr von den Mombasa-Touristen. Überhaupt ist Nairobi völlig anders. Alles ist hektischer, und man sieht viele verstümmelte Menschen und Bettler.
Da wir mitten in der „Szene“ unser Lodging haben, sehe ich auch, wie die Prostitution blüht. Am Abend lockt eine Bar neben der anderen mit Suaheli-Musik. Fast jede Frau in den Lokalen verkauft sich, sei es für einige Biere oder für Geld. Hauptkunden in dieser Gegend sind Einheimische. Es ist laut und doch irgendwie faszinierend. Wir zwei weißen Frauen fallen sehr auf, und al e fünf Minuten fragt jemand, ob wir einen
„boyfriend“ suchen. Zum Glück kann uns Jutta in Suaheli energisch verteidigen.
Nachts geht sie in Nairobi nur mit einem Rungu, dem Schlagstock der Massai, auf die Straße, weil es sonst zu gefährlich ist.
Am dritten Tag flehe ich Jutta an, endlich weiterzureisen. Sie wil igt ein, und wir besteigen mittags den nächsten Bus in Richtung Nyahururu. Dieser Bus ist noch viel verlotterter als der in Mombasa, der ja auch nicht gerade ein Luxusliner war. Jutta lacht nur: „Wart ab, bis wir den nächsten nehmen, da wirst du dich wundern! Dieser hier ist okay.“ Wir sitzen eine Stunde im Bus, bis er voll bepackt und restlos ausgebucht ist, denn vorher wird nicht gestartet. Wieder liegen sechs Stunden Fahrt, immer leicht bergauf, vor uns. Ab und zu hält der Bus, einige Menschen steigen aus und andere zu. Natürlich hat jeder Berge von Hausrat dabei, der ab– oder aufgeladen wird.
Endlich sind wir am heutigen Ziel: Nyahururu. Wir schleppen uns zum nächsten Lodging und mieten ein Zimmer. Wir essen noch und gehen schlafen, da ich nicht mehr sitzen kann. Ich bin froh, endlich meine Knochen ausstrecken zu können, und schlafe sofort ein. Am Morgen um sechs Uhr müssen wir aufstehen, denn um sieben Uhr fährt der einzige Bus nach Maralal. Als wir hinkommen, ist er schon fast voll. Im Bus sehe ich einige Massai-Krieger und fühle mich nicht mehr so fremd. Aber wir werden sehr genau gemustert, denn auf allen Fahrten sind wir die einzigen Weißen.
Der Bus ist wirklich eine Katastrophe. Überall springen die Federn aus den Sitzen oder quillt der dreckige Schaumstoff heraus, einige Fensterscheiben fehlen. Zudem herrscht ein ziemliches Chaos. Man muß über diverse Schachteln steigen, in denen Hühner deponiert sind. Andererseits ist es der erste Bus, in dem gute Stimmung herrscht. Es wird viel geredet und gelacht. Jutta springt noch einmal hinaus und holt an einem der zahlreichen Verkaufsstände etwas zu trinken. Sie kommt zurück und reicht mir eine Colaflasche. „Hier, nimm sie und genieße sie sparsam, du wirst sehr durstig werden. Diese letzte Strecke ist staubig, denn wir fahren auf Naturstraßen.
Bis Maralal gibt es nur noch Busch und Einöde.“ Der Bus fährt los, und nach etwa zehn Minuten verlassen wir die geteerte Straße und holpern nun über einen roten, löchrigen Weg.
Augenblicklich ist das Gefährt in eine Staubwolke gehüllt. Wer eine Scheibe im Fenster hat, schließt sie, die anderen ziehen sich Tücher oder Mützen über. Ich huste und kneife die Augen zusammen. Jetzt weiß ich, warum nur noch die hinteren Plätze frei waren. Der Bus fährt langsam, und trotzdem muß ich mich ständig festhalten, damit ich nicht vorrutsche, da er durch die riesigen Schlaglöcher hin– und herschaukelt. „He, Jutta, wie lange geht das so?“ Sie lacht: „Wenn wir keine Panne haben, etwa vier bis fünf Stunden, obwohl es nur 120 Kilometer sind.“ Ich bin entsetzt, und nur der Gedanke an Lketinga läßt mich diese Strecke als halbwegs romantisch erleben.
Ab und zu sehen wir in einiger Entfernung Manyattas, dann wieder lange nichts außer Einöde, roter Erde und hin und wieder einem Baum. Manchmal tauchen Kinder mit einigen Ziegen und Kühen auf und winken dem Bus zu. Sie sind mit ihrer Herde unterwegs auf Nahrungssuche.
Nach etwa anderthalb Stunden hält der Bus zum erstenmal. Links und rechts der Straße stehen einige Bretterbuden. Auch zwei kleinere Läden erspähe ich, die Bananen, Tomaten und andere Kleinigkeiten feilbieten. Kinder und Frauen stürzen an die Scheiben und versuchen, in der kurzen Pause etwas zu verkaufen. Einige der Fahrgäste decken sich mit Nahrung ein, und schon schaukelt der Bus weiter.
Ausgestiegen ist niemand, dafür sind drei weitere geschmückte Krieger hinzugekommen. Jeder trägt zwei lange Speere. Als ich die drei mustere, bin ich mir sicher, daß ich Lketinga bald finden werde. „Beim nächsten Halt sind wir in Maralal“, sagt Jutta müde. Ich bin ebenfalls erschöpft von der ewigen Rumpelei auf der grauenhaften Straße. Bis jetzt hätten wir Glück gehabt, denn wir hatten weder einen Platten noch einen Motorschaden, das wäre sonst nichts Außergewöhnliches, und außerdem sei die Straße trocken. Bei Regen sei die rote Erde nur noch Schlamm, erzählt Jutta.
Nach weiteren eineinhalb Stunden sind wir endlich in Maralal. Der Bus fährt hupend ein und dreht zuerst eine Runde durch das Dorf, das nur eine Straße hat, bevor er am Eingang des Dorfes parkt. Sofort ist er von Dutzenden von Neugierigen umlagert. Wir steigen auf die staubige Straße und sind selbst von Kopf bis Fuß gepudert. Um den Bus drängen sich Menschen jeden Alters, und ein richtiger Tumult entsteht. Wir warten auf unsere Reisetaschen, die unter diversen Kisten, Matratzen und Körben liegen. Beim Anblick dieses Dörfchens und seiner Bewohner ergreift mich die Abenteuerlust.
Etwa fünfzig Meter neben der Haltestelle befindet sich ein kleiner Markt. Überall hängen farbige Tücher, die in der Luft flattern. Berge von Kleidern und Schuhen liegen auf Plastikbahnen. Davor sitzen fast nur Frauen und versuchen, etwas zu verkaufen.
Endlich erhalten wir unsere Taschen. Jutta schlägt vor, zuerst einmal Tee zu trinken und etwas zu essen, bevor wir zu ihrem Häuschen marschieren, das etwa eine Stunde Fußweg entfernt liegt. Hunderte von Augenpaaren folgen uns zum Lodging. Jutta wird von der Inhaberin, einer Kikuyu-Frau, begrüßt. Man kennt Jutta, da sie seit drei Monaten an einem Hausbau in der Nähe beteiligt ist und außerdem als Weiße in dieser Umgebung nicht zu übersehen ist.
Das Teehaus ähnelt dem in Ukunda. Wir sitzen am Tisch und bekommen Essen, natürlich Fleisch mit Sauce und Chapattis, die Fladenbrote, und unseren Tee. Etwas weiter hinten sitzt eine Gruppe Massai-Krieger. „Jutta“, frage ich, „kennst du viel eicht einen von denen, die schauen ständig zu uns herüber!“ „Hier wirst du immer angeschaut“, meint Jutta gelassen. „Wir fangen erst morgen mit der Suche nach deinem Massai an, denn heute müssen wir noch eine ziemliche Strecke bergauf gehen!“
Nach dem Essen, das für meine Verhältnisse fast nichts kostet, brechen wir auf.
Bei brütender Hitze laufen wir eine staubige, stetig ansteigende Straße entlang.
Schon nach einem Kilometer kommt mir meine Reisetasche unendlich schwer vor.
Jutta beruhigt mich: „Warte, wir nehmen eine Abkürzung zu einer Touristen-Lodge!
Vielleicht haben, wir Glück, und es ist jemand mit einem Auto da.“
Auf einem schmalen Pfad raschelt es plötzlich neben uns im Dickicht, und Jutta ruft: „Corinne, bleib stehen! Fal s es Büffel sind, mach keine Bewegung!“
Erschrocken versuche ich, das Wort „Büffel“ in meinen Gedanken zu einem Bild zu formen. Wir stehen bewegungslos da, als ich etwa fünfzehn Meter neben mir etwas Helles mit dunklen Streifen erkenne. Jutta bemerkt es ebenfalls und lacht befreit auf:
„Ach, nur Zebras!“ Von uns aufgeschreckt galoppieren sie davon. Ich schaue Jutta fragend an: „Büffel hast du gesagt, sind die denn so nahe beim Dorf?“ „Wart's ab!“
meint sie. „Wenn wir bei der Lodge sind, sehen wir am Wasserloch mit etwas Glück Büffel, Zebras, Affen oder Gnus.“ „Ist es für Leute, die diesen Weg gehen, nicht gefährlich?“ frage ich verwundert. „Doch, aber normalerweise gehen diesen Weg nur bewaffnete Samburu-Krieger. Die Frauen werden meistens bewacht. Die anderen Leute nehmen die offene Straße, da ist es weniger riskant. Aber dieser Weg ist nur halb so lang!“
Mir wird erst wohler, als wir die Lodge erreichen. Es ist wirklich eine schöne Lodge, nicht so pompös wie die, die ich mit Marco in Massai-Mara besucht hatte. Diese hier ist bescheiden, paßt aber gut in die Gegend. Vergleicht man sie mit dem Einheimischen-Lodging in Maralal, so erscheint sie wie eine Fata Morgana. Wir treten ein. Alles wirkt wie ausgestorben. Wir setzen uns auf die Veranda, und tatsächlich sehen wir in hundert Meter Entfernung am Wasserloch zahlreiche Zebras.
Etwas weiter rechts tummelt sich eine große Gruppe von Pavianweibchen mit ihren Jungen. Vereinzelt erkenne ich unter ihnen auch riesige Männchen. Alle wollen an das Wasser.
Endlich schlendert ein Kellner herbei und fragt nach unseren Wünschen. Jutta plaudert mit ihm auf Suaheli und bestel t zwei Cola. Während wir darauf warten, erzählt sie vergnügt: „Der Chef der Lodge kommt in ungefähr einer Stunde. Er besitzt einen Landrover und wird uns bestimmt nach oben fahren, jetzt können wir gemütlich warten.“ Jede von uns hängt ihren Gedanken nach. Ich studiere die umliegenden Hügel und gäbe viel darum zu wissen, auf oder hinter welchem sich wohl Lketinga befindet. Ob er fühlt, daß ich in seiner Nähe bin?
Wir warten fast zwei Stunden, bis der Manager endlich auftaucht. Er ist ein angenehmer, eher einfacher Mensch ohne Allüren und tiefschwarz. Er bittet uns einzusteigen, und wir erreichen nach fünfzehn Minuten Schüttelfahrt unser Ziel.
Nachdem wir uns bedankt haben, zeigt mir Jutta stolz, wo sie arbeitet. Das Haus ist ein langer Kasten aus Beton, unterteilt in einzelne Räume, von denen zwei annähernd fertig sind. In einem davon wohnen wir. Im Zimmer befinden sich nur ein Bett und ein Stuhl. Fenster gibt es nicht, deshalb muß die Türe tagsüber offen bleiben, wenn man etwas sehen wil. Ich wundere mich, wie Jutta sich in diesem düsteren Raum wohl fühlen kann. Wir zünden eine Kerze an, damit wir in der einbrechenden Dunkelheit noch etwas sehen können. Zu zweit liegen wir im Bett und machen es uns gemütlich, so gut es geht. Vor Erschöpfung schlafe ich bald ein.
Schon am frühen Morgen sind wir wach, da einige Leute lärmend mit der Arbeit beginnen. Wir wol en uns erst einmal an einem Waschbecken mit kaltem Wasser gründlich reinigen, was in der Morgenkühle einiges an Überwindung kostet. Aber schließlich will ich hübsch sein, wenn ich meinem Massai endlich gegenüberstehe.
Aufgedreht und voller Tatendrang möchte ich nach Maralal und mir das Städtchen näher anschauen. Bei so vielen Massai-Kriegern, die ich bei unserer Ankunft gesehen habe, muß es doch einen geben, den Jutta von früher kennt. Mit meiner Euphorie habe ich Jutta angesteckt, und nach dem üblichen Tee ziehen wir los. Ab und zu überholen wir Frauen oder junge Mädchen, die ebenfalls in diese Richtung gehen, um ihre Milch, die sie in Kalebassen tragen, im Ort zu verkaufen.
„Jetzt brauchen wir viel Geduld und Glück“, sagt Jutta. „Vor al em müssen wir etliche Runden drehen, damit wir gesehen werden oder ich jemanden wiedererkenne.“ Das Städtchen ist schnel umrundet. Die einzige Straße verläuft in einer Art Rechteck. Links und rechts von ihr gibt es einen Laden nach dem anderen.
Alle sind, mit wenigen Ausnahmen, halb leer und bieten fast dasselbe an. Zwischen den Geschäften befinden sich ab und zu Lodgings, in denen man im vorderen Raum ißt oder etwas trinkt. Hinten liegen die Übernachtungsräume, einer nach dem anderen, wie in einem Kaninchenstall. Danach folgt die Toilette, die sich immer als Plumpsklo entpuppt. Mit etwas Glück findet sich eine Dusche mit spärlichem Wasserstrahl. Das auffallendste Gebäude ist die Commercial Bank. Sie ist komplett aus Beton und frisch angestrichen. In der Nähe der Bushaltestelle gibt es eine Zapfsäule für Benzin. Autos habe ich allerdings bis jetzt nur drei gesehen, zwei Landrover und einen Pick-up.
Die erste Runde durch das Dorf machen wir recht gemütlich, und ich schaue mir jedes Geschäft an. Der eine oder andere Ladenbesitzer versucht, uns in Englisch anzusprechen. Hinter uns befindet sich immer eine Traube von Kindern, die aufgeregt sprechen oder lachen. Das einzige Wort, das ich verstehe, ist: „Mzungu, Mzungu“, „Weiße, Weiße“.
Wir machen uns gegen sechzehn Uhr auf den Heimweg. Mein Hochgefühl ist geschwunden, obwohl mein Verstand sagt, daß ich Lketinga nicht gleich am ersten Tag finden kann. Auch Jutta beruhigt mich: „Morgen sind wieder ganz andere Menschen im Dorf. Jeden Tag kommen neue, nur die wenigsten wohnen hier, und die sind nicht interessant für uns. Morgen wissen einige Leute mehr, daß zwei weiße Frauen hier sind, denn diese Nachricht bringen diejenigen von heute in den Busch zurück.“ Eine echte Chance sieht Jutta erst nach etwa drei oder vier Tagen.
Die Tage verstreichen, und ich empfinde all das Neue in Maralal nicht mehr besonders aufregend, denn ich kenne bald jeden Winkel in diesem Nest. Jutta hat mit meinen Fotos von Lketinga einige Krieger angesprochen, aber mehr als argwöhnisches Grinsen haben wir nicht geerntet. Nun ist eine Woche vorbei, und es ist immer noch nichts geschehen, außer daß wir uns langsam blöd vorkommen, immer dasselbe zu tun. Jutta erklärt mir, sie komme noch einmal mit und dann solle ich es selber mit den Fotos probieren. In dieser Nacht bete ich, daß es morgen klappen möge, denn ich wil nicht glauben, daß der weite Weg umsonst war.
Als wir die dritte Runde drehen, kommt ein Mann auf uns zu und spricht Jutta an.
An den großen Löchern im Ohrläppchen erkenne ich, daß es sich um einen ehemaligen Samburu-Krieger handelt. Zwischen den beiden entsteht ein lebhafter Wortwechsel, und ich stelle erfreut fest, daß Jutta ihn kennt. Der Mann heißt Tom, und Jutta zeigt ihm die Fotos von Lketinga. Er schaut sie an und sagt langsam: „Yes, I know him.“
Jetzt bin ich wie elektrisiert. Da die beiden nur Suaheli sprechen, verstehe ich fast gar nichts. Immer wieder frage ich: „Was ist, Jutta, was weiß er über Lketinga?“ Wir gehen in ein Restaurant, und Jutta übersetzt. Ja, er kenne ihn, nicht sehr gut, aber er wisse, daß dieser Mann zu Hause bei seiner Mutter lebe und täglich mit den Kühen unterwegs sei. „Wo ist sein Zuhause?“ frage ich gespannt. Es ist recht weit, erzählt er, etwa sieben Stunden Fußmarsch für einen geübten Mann. Man müsse einen dichten Wald durchqueren, der sehr gefährlich sei, da es dort Elefanten und Büffel gebe. Es sei nicht sicher, ob die Mutter immer noch am selben Ort, in Barsaloi, wohne, denn manchmal, je nach Wasservorkommen, zögen die Menschen mit ihren Tieren weiter.
Bei diesen Nachrichten, die mir Lketinga unerreichbar erscheinen lassen, bin ich völlig verstört: „Jutta, frag ihn, ob es irgendeine Möglichkeit gibt, ihn zu informieren, ich bin auch bereit Geld zu bezahlen.“ Tom denkt nach und meint, er könne übermorgen nacht losgehen mit einem Brief von mir. Vorher müsse er aber seine erst kürzlich geheiratete Frau informieren, sie sei noch völlig fremd hier. Wir vereinbaren einen Geldbetrag, von dem er jetzt die Hälfte bekommt und später, sofern er mit einer Nachricht zurückkehrt, den Rest. Ich diktiere Jutta einen Brief, den sie in Suaheli schreibt. In vier Tagen sollen wir wieder in Maralal sein, sagt der Samburu, denn fal s er Lketinga finde und er mitgehen wolle, seien sie irgendwann im Laufe des Tages hier.
Es sind vier lange Tage, und jeden Abend schicke ich meine Stoßgebete zum Himmel. Am letzten Tag bin ich völlig am Ende mit meinen Nerven. Auf der einen Seite bin ich sehr gespannt, auf der anderen ist mir bewußt, daß ich, wenn es nicht klappt, wieder nach Mombasa reisen und meine große Liebe vergessen muß. Meine Tasche nehme ich bereits mit, weil ich nicht mehr in Juttas Haus, sondern in Maralal übernachten will. Ob mit oder ohne Lketinga, auf jeden Fal verlasse ich morgen dieses Dorf.
Jutta und ich drehen wieder unsere Runden. Nach etwa drei Stunden trennen wir uns, und jede läuft in die entgegengesetzte Richtung, damit wir gesehen werden.
Ununterbrochen bete ich, daß er kommen möge. Auf einer der Runden treffe ich Jutta nicht wie üblich auf halber Strecke. Ich schaue mich um und sehe kein weißes Gesicht. Trotzdem schlendere ich weiter, als plötzlich ein kleiner Junge gerannt kommt und keucht: „Mzungu, Mzungu, come, come!“
Er fuchtelt mit den Armen und zupft mich am Rock. Im ersten Moment denke ich, Jutta sei etwas passiert. Der Junge zieht mich in Richtung des ersten Lodgings, wo ich meine Reisetasche deponiert habe. Er spricht in Suaheli auf mich ein. Vor dem Lodging deutet er hinter das Gebäude.
Glücklich in Maralal
Mit klopfendem Herzen gehe ich in die gewünschte Richtung und schaue um die Ecke. Dort steht er! Mein Massai steht einfach da und lacht mich an, neben ihm Tom.
Ich bin sprachlos. Immer noch lachend streckt er seine Arme nach mir aus und sagt:
„He, Corinne, no kiss for me?“
Erst jetzt erwache ich aus meiner Starre und stürze auf ihn zu. Wir umarmen uns, und für mich bleibt die Welt stehen. Er hält mich etwas von sich ab, blickt mich strahlend an und meint: „No problem, Corinne.“
Bei diesen vertrauten Worten könnte ich heulen vor Freude.
Nun hüstelt Jutta hinter mir und freut sich mit uns: „So, jetzt habt ihr euch wiedergefunden! Ich habe ihn vorhin erkannt und hierher gebracht, damit ihr euch wenigstens begrüßen könnt, ohne daß ganz Maralal dabei ist.“ Herzlich bedanke ich mich bei Tom und schlage vor, daß wir erst einmal Tee trinken und die zwei danach in aller Ruhe Fleisch, soviel sie wol en, auf meine Rechnung essen sol en. Wir gehen in mein gemietetes Zimmer, setzen uns aufs Bett und warten auf das Fleischmenü.
Jutta hat mit Lketinga gesprochen und erklärt, daß er ruhig mit uns essen könne, weil wir keine Samburu-Frauen seien. Darauf unterhält er sich mit dem anderen und wil igt dann ein. Nun ist er also da. Unentwegt muß ich ihn ansehen, und auch er mustert mich mit seinen schönen Augen. Warum er nicht nach Mombasa gekommen sei, möchte ich wissen. Tatsächlich hat er keinen Brief von mir erhalten. Er habe zweimal wegen des Passes nachgefragt, doch der Beamte habe ihn nur ausgelacht und schikaniert. Dann seien die anderen Krieger ihm gegenüber komisch geworden und wollten ihn nicht mehr mittanzen lassen. Da er ohne Tanzen kein Geld mehr verdienen konnte, sah er keinen Grund, länger an der Küste zu bleiben. So sei er nach etwa einem Monat nach Hause gefahren. Er habe nicht mehr geglaubt, daß ich zurückkomme. Einmal habe er mit mir aus dem Africa-Sea-Lodge-Hotel telefonieren wollen, aber niemand habe ihm geholfen, und der Manager habe gesagt, das Telefon sei nur für Touristen.
Einerseits bin ich gerührt, als ich erfahre, was er al es versucht hat, andererseits bekomme ich eine richtige Wut auf seine sogenannten „Freunde“, die ihm nur geschadet statt geholfen haben. Als ich ihm erzähle, daß ich in Kenia bleiben und nicht mehr in die Schweiz zurück wil, sagt er: „It's okay. You stay now with me!“
Glücklich versuchen wir, uns zu unterhalten, als Jutta und der Bote uns verlassen.
Lketinga bedauert, wir könnten nicht zu ihm nach Hause, da Trockenzeit sei und Hungersnot herrsche. Außer etwas Milch gebe es nichts zu essen, und ein Haus sei auch nicht vorhanden. Ich erkläre ihm, mir sei alles recht, wenn wir nur endlich Zusammensein können. So schlägt er vor, zuerst nach Mombasa zu fahren. Sein Zuhause und seine Mutter könne ich später kennenlernen, aber seinen kleinen Bruder James, der in Maralal die Schule besucht, wil er mir unbedingt vorstellen. Er ist der einzige aus der Familie, der zur Schule geht. Ihm könne er sagen, daß er mit mir in Mombasa sei, und wenn James in den Schulferien nach Hause zur Mutter gehe, könne er sie informieren. Die Schule liegt etwa einen Kilometer außerhalb des Dorfes. In der Schule geht es streng zu. Auf dem Schulhof sind Mädchen und Knaben getrennt. Alle sind gleich angezogen, die Mädchen in einfachen, blauen Kleidern, die Knaben in blauen Hosen und hellem Hemd. Etwas abseits warte ich, während Lketinga langsam auf die Jungen zugeht. Bald starren alle auf ihn, dann auf mich. Er spricht mit ihnen, und einer läuft los und kommt mit einem anderen zurück.
Dieser geht auf Lketinga zu und begrüßt ihn respektvoll. Nach einer kurzen Unterhaltung kommen beide zu mir. James streckt mir seine Hand entgegen und begrüßt mich freundlich. Ich schätze ihn auf etwa sechzehn Jahre. Er spricht sehr gut Englisch und bedauert, daß er nicht ins Dorf mitkommen kann, denn jetzt sei nur eine kurze Pause, und abends gebe es keinen Ausgang, lediglich an den Samstagen etwa zwei Stunden. Der Headmaster sei sehr streng. Schon läutet die Glocke, und in Windeseile sind alle wieder verschwunden, auch James.
Wir gehen ins Dorf zurück, und ich hätte nichts dagegen, wenn wir uns ins Lodgingzimmer verziehen würden. Aber Lketinga wendet lachend ein: „Hier ist Maralal, nicht Mombasa.“ Anscheinend gehen Mann und Frau nicht zusammen ins Zimmer, bevor es dunkel ist, und selbst dann noch möglichst unauffällig. Nicht, daß ich mich so sehr nach Sex sehne, ich weiß ja, wie er abläuft, aber etwas Nähe nach all den Monaten könnte ich gut vertragen.
Wir schlendern durch Maralal, wobei ich etwas Abstand halte, da sich dies anscheinend gehört. Ab und zu spricht er mit einigen Kriegern oder Mädchen.
Während mich die Mädchen, alle sehr jung und schön geschmückt, nur schnell mit einem neugierigen Blick streifen und dann verlegen kichern, starren mich die Krieger länger an. Es wird geredet, wohl meistens über mich. Mir ist das etwas unangenehm, da ich nicht deuten kann, was hier abläuft. Ich kann es kaum erwarten, daß es endlich Abend wird.
Auf dem Markt kauft Lketinga sich ein Plastikbeutelchen mit rotem Farbpulver. Er zeigt dabei auf seine Haare und seine Kriegsbemalung. An einem anderen Stand verkauft jemand grüne Stengelchen mit Blättern daran. Sie sind zusammengebunden zu Bündeln von etwa zwanzig Zentimetern Länge. Hier herrscht richtiges Gezänk zwischen fünf oder sechs Männern, die das Zeug begutachten.
Auch Lketinga steuert auf diesen Stand zu. Schon nimmt der Verkäufer Zeitungspapier und wickelt zwei Bündel ein. Lketinga zahlt einen stattlichen Preis dafür und läßt das Paket schnel unter seinem Kanga verschwinden. Auf dem Weg zum Lodging kauft er mindestens zehn Kaugummis. Erst im Zimmer frage ich nach diesem Kraut. Er strahlt mich an: „Miraa, it's very good. You eat this, no sleeping!“
Er packt alles aus, nimmt den Kaugummi in den Mund und entfernt die Blätter von den Stielen. Mit den Zähnen schält er die Rinde von den Stengeln und kaut sie zusammen mit dem Kaugummi. Fasziniert sehe ich ihm zu, wie elegant er das wiederholt mit seinen schönen, schlanken Händen. Auch ich probiere davon, spucke es aber gleich wieder aus, es schmeckt mir viel zu bitter. Ich lege mich aufs Bett, betrachte ihn, halte seine Hand und bin glücklich. Die ganze Welt könnte ich umarmen. Ich bin am Ziel. Ihn, meine große Liebe, habe ich wiedergefunden.
Morgen früh fahren wir nach Mombasa, und ein herrliches Leben wird beginnen.
Ich muß eingeschlafen sein. Als ich wieder erwache, sitzt Lketinga immer noch da und kaut und kaut. Auf dem Boden sieht es mittlerweile wüst aus. Überal liegen Blätter, abgeschälte Stengel und ausgespuckte grüne, zerkaute Klumpen. Er schaut mich mit leicht starrem Blick an und streicht mir über den Kopf: „No problem, Corinne, you tired, you sleep. Tomorrow Safari.“ „And you“, frage ich, „you not tired?“
Nein, erwidert er, vor einer so großen Reise könne er nicht schlafen, deshalb esse er Miraa.
Wie er das sagt, vermute ich, daß dieses Miraa so etwas wie „Mut antrinken“ sein muß, denn Alkohol darf ein Krieger nicht trinken. Ich verstehe, daß er Mut braucht, weil er nicht weiß, was auf uns zukommt und seine Erfahrungen in Mombasa nicht die besten waren. Hier ist seine Welt, und Mombasa ist zwar Kenia, aber eben nicht sein Stammesgebiet. Ich werde ihm schon helfen, denke ich und schlafe wieder ein.
Am nächsten Morgen müssen wir früh los, um im einzigen Bus, der nach Nyahururu fährt, noch Platz zu bekommen. Da Lketinga nicht geschlafen hat, ist dies kein Problem. Ich staune, wie fit er ist und wie spontan er ohne jegliches Gepäck, nur mit seinem Schmuck und Hüfttuch bekleidet, seinen Schlagstock in der Hand, eine so weite Reise antreten kann.
Die erste Etappe liegt vor uns. Lketinga hat das restliche Kraut verstaut und kaut nur noch auf demselben Klumpen herum. Er ist schweigsam. Überhaupt herrscht nicht die gleiche Lebhaftigkeit im Bus wie damals, als Jutta und ich hierher fuhren.
Wieder schaukelt der Bus durch tausend Schlaglöcher. Lketinga hat seinen zweiten Kanga über den Kopf gezogen, nur die Augen stechen noch hervor. So sind seine schönen Haare vor Staub geschützt. Ich halte mir ein Taschentuch vor Nase und Mund, damit ich einigermaßen atmen kann. Etwa auf halber Strecke stößt mich Lketinga an und zeigt auf einen grauen, langen Hügel. Erst beim genauen Hinsehen erkenne ich, daß dies Hunderte von Elefanten sind. Dieses Bild ist gigantisch. Soweit das Auge reicht, ziehen diese Kolosse gemütlich dahin, zwischen ihnen erkennt man Elefantenkinder. Im Bus herrscht wildes Geschnatter. Alle schauen dem Elefantenzug nach. Wie ich erfahre, sieht man so etwas nur ganz selten.
Endlich ist das erste Ziel erreicht, um die Mittagszeit sind wir in Nyaharuru. Wir gehen Chai trinken und essen einen Brotfladen. Eine halbe Stunde später fährt schon der nächste Bus nach Nairobi, wo wir gegen Abend eintreffen. Ich schlage Lketinga vor, hier zu übernachten und am Morgen den Bus nach Mombasa zu nehmen. Er wil nicht in Nairobi bleiben, die Lodgings seien viel zu teuer. Da ich ja alles finanziere, finde ich es rührend und versichere ihm, daß dies kein Problem sei.
Er meint jedoch, Nairobi sei gefährlich und es gebe viel Polizei. Obwohl wir seit sieben Uhr morgens unentwegt im Bus sitzen, will er die längste Strecke ohne Unterbrechung weiterfahren. Doch weil ich merke, wie unselbständig er sich in Nairobi bewegt, willige ich ein.
Wir gehen kurz etwas trinken und essen. Ich bin froh, daß er nun wenigstens mit mir ißt, obwohl er seinen Kanga tief ins Gesicht zieht, damit man ihn nicht erkennt.
Der Busbahnhof ist nicht weit entfernt, und wir gehen die wenigen hundert Meter zu Fuß. Hier in Nairobi schauen sogar die Einheimischen komisch hinter Lketinga her, teils belustigt, teils ehrfürchtig. Er paßt nicht in diese hektische, moderne Stadt. Als mir das bewußt wird, bin ich froh, daß es mit dem Paß nicht geklappt hat.
Endlich haben wir einen der begehrten Nachtbusse bekommen und warten auf die Weiterfahrt. Lketinga holt wieder Miraa hervor und kaut. Ich versuche mich zu entspannen, weil mein ganzer Körper schmerzt. Nur meinem Herzen geht es gut.
Nach vier Stunden, in denen ich mehr oder weniger gedöst habe, hält der Bus in Voi.
Die meisten, auch ich, steigen aus, um ihre Notdurft zu verrichten. Doch als ich das verschissene WC–Loch erspähe, warte ich lieber weitere vier Stunden. Mit zwei Flaschen Cola besteige ich den Bus. Nach einer halben Stunde geht die Reise weiter. Diesmal kann ich nicht mehr einschlafen. Wir rasen auf der schnurgeraden Strecke durch die Nacht. Ab und zu begegnen wir einem Bus, der in die andere Richtung fährt. Autos sieht man nahezu keine.







