Текст книги "Packeis"
Автор книги: Clive Cussler
Жанр:
Триллеры
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8
Die mächtige Grube, die sich im Meer geöffnet hatte, war nur für einen kurzen Moment zu erkennen, ehe sie hinter einem hochwachsenden Wall aus Schaum verschwand. Gischtflocken lösten sich vom Kamm des Schaumwalls. Ein intensiver Salzgeruch lag plötzlich in der Luft, als ob das Zodiac-Schlauchboot sich inmitten eines riesigen Fischschwarms befand.
Das NOAA-Schiff nahm Kurs auf das Schlauchboot. Leute drängten sich an der Reling. Sie deuteten und winkten heftig. Das Boot war kurz davor, sich aus der hartnäckigen Strömung zu befreien, als sich eine schwere See über den stumpfen Bug ergoss und sie an Fahrt verloren. Trout biss die Zähne zusammen. Er drehte den Gashebel so weit auf wie möglich und lenkte den Bug von dem drohenden Kessel weg. Der Motor lief auf Hochtouren, und es hörte sich an, als würden jeden Moment die Ventile reißen. Ein Ruck nach dem anderen durchlief das Boot, als würde es mit Elektroschocks traktiert. Das Zodiac schaffte ein oder zwei Meter, ehe es wieder von dem kraftvollen Sog erfasst wurde, den der riesige Strudel erzeugte.
Ein Rumpeln stieg aus den Tiefen des Meeres auf, ein Geräusch so überwältigend, dass es sogar das verzweifelte Röhren des auf Hochtouren laufenden Motors übertönte. Die Luft vibrierte, als ob Hunderte von Orgeln gleichzeitig ihren tiefsten Ton spielten. Dicker, milchiger Nebel quoll aus dem Trichter im Wasser. Noch unwirklicher wurde die Szenerie durch das Lasergewitter am Himmel. Die bislang silbernen tanzenden Lichtblitze hatten die Farbe gewechselt und leuchteten jetzt blau und purpurrot.
Das Boot wurde in eine sich verengende Spirale gerissen, während es in den Schaumgürtel hineingezogen wurde. Es war unmöglich, sich daraus zu befreien. Das Zodiac wurde auf den wogenden Kamm aufschäumenden Wassers gehoben, mittlerweile etwa zwei Meter hoch, wo es mit derartiger Wucht hin und her geworfen wurde, dass Gamay beinahe ins Meer geschleudert wurde.
Trout ließ das Ruder los und hechtete hinter Gamay her. Seine kräftigen Finger bekamen den Stoff ihrer Wetterjacke zu fassen, und er zog sie zurück ins Boot. Es war zu gefährlich, stehen zu bleiben. Daher ließen sie sich auf die Knie nieder und hielten sich an der Sicherheitsleine fest, die an einem der aufblasbaren Rumpfwülste befestigt war.
Das Zodiac war den schäumenden Fluten hilflos ausgeliefert. Als reichte das Schaukeln und Schwanken noch nicht aus, begann das Boot, sich wie ein betrunkener Balletttänzer zu drehen.
Wie ein Spielball der Naturgewalten tanzte das Boot auf dem Wellenkamm. Auf der einen Seite befand sich das offene Meer. Auf der anderen Seite klaffte ein riesiger rotierender Trichter, dessen schwarze Wände im Winkel von fünfundvierzig Grad abfielen. Die Innenwand des Strudels sah aus, als wäre sie hart wie Glas.
Das Boot balancierte mühsam auf der Krone der schäumenden Wand und glitt dann hinab in den gigantischen wirbelnden Trichter aus schwarzem Wasser. Die heftige Strömung, die die Innenwand des Strudels vorwärtspeitschte, war stärker als die Schwerkraft. Das Absinken des Bootes endete ungefähr sieben Meter unterhalb der Gischtkrone. Von der Zentrifugalkraft erfasst wie eine Kugel in einem Roulettekessel, begann das Boot, mit der Innenwand des Trichters zu kreisen.
Das Zodiac nahm eine Schieflage von fünfundvierzig Grad ein, wobei sein flacher Boden sich der schrägen Wasserwand anpasste und die Backbordseite tiefer lag als die Steuerbordseite. Der Bug zeigte nach vorne, als ob das Boot aus eigener Kraft seinem Rundkurs folgte.
Die Trouts verdrehten ihre Körper, so dass sie ihre Stiefel unter dem tieferen Randwulst verkeilen konnten. Sie blickten hinunter in den Strudel. Er hatte mittlerweile einen Durchmesser von mindestens anderthalb Kilometern. Die Trichterwand fiel steil ab, und der Grund war unter den dichten, wallenden Nebelschwaden verborgen, die von dem brodelnden Wasser aufstiegen. Licht, das durch den Nebel drang, hatte für die Entstehung eines Regenbogens gesorgt, der sich über dem Mahlstrom spannte, als ob die Natur diese Demonstration brutaler Kraft mit einem Akzent zarter Schönheit mildern wollte.
Ohne einen statischen Bezugspunkt war es unmöglich festzustellen, wie schnell sie sich bewegten oder wie oft das Zodiac die Kreisbahn durchlaufen hatte. Aber nach mehreren Minuten schien der Rand des Trichters weiter in die Höhe gewachsen zu sein. Es war erschreckend offensichtlich, dass das Boot weiter absank, während es vorwärtsgewirbelt wurde.
Um sich wieder zu orientieren, schaute Gamay zu dem kreisrunden Himmelsausschnitt hinauf. Sie bemerkte eine Bewegung am Rand des Strudels und deutete mit ihrer freien Hand nach oben.
Trout wischte sich das Wasser aus den Augen. »Oh mein Gott«, stieß er hervor. »Das ist die Franklin.«
Das Schiff befand sich auf der Kante des Wirbels, wobei sein Heck in die Luft ragte. Nach einem kurzen Moment war das Schiff nicht mehr zu sehen. Sekunden später tauchte es wieder auf, nur um kurz darauf wieder zu verschwinden.
Die Trouts vergaßen ihre unglückliche Lage. Dem seltsamen Verhalten des Schiffs nach zu urteilen, war es offensichtlich, dass die Franklinvon der wirbelnden Strömung erfasst worden war, die der Strudel erzeugte, und in den Trichter gezogen wurde.
Das Schiff rutschte in einem tödlichen Tauziehen vor und zurück, während die Schrauben aus dem Wasser auftauchten und das Schiff seinen Antrieb verlor. Es kippte dann nach hinten, die Schrauben fanden Widerstand, und das Schiff stieg hoch und schob sich in einer Sägebewegung über den Trichterrand, ein Vorgang, der sich mehrere Minuten lang wiederholte. Dann wurde es in seiner ganzen Länge über die Kante in den Kessel gezogen. Sein Bug war höher als das Heck. Es hing dort wie angeklebt.
»Los, Baby, du schaffst es …!«, brüllte Trout.
Gamay schickte ihm einen kurzen Blick, lächelte sogar über diese ungewöhnliche Demonstration aktiver Anteilnahme, ehe auch sie in die Anfeuerungsrufe einstimmte.
Das glatte Wasser hinter dem Schiff brodelte, als kochte es auf stärkster Flamme. Die Maschinen entfalteten ihre volle Kraft. Die Schrauben fraßen sich in die steile Innenwand des Trichters, das Schiff schob sich mühsam zum Rand hinauf, sackte zurück, schoss ein kurzes Stück hoch, wurde mit Gischt überschüttet, machte dann einen regelrechten Satz, der es schließlich über die Kante trug.
Diesmal verschwand das Schiff vollends. Die Trouts jubelten, doch ihre Freude wurde durch ihr eigenes Gefühl der Einsamkeit und Ohnmacht gegenüber den unaufhaltsamen Mächten der Natur gedämpft.
»Hast du irgendeine Idee, wie wir hier herauskommen sollen?«, rief Gamay.
»Vielleicht verläuft der Strudel sich von selbst.«
Gamay blickte nach unten. Während der paar Minuten, in denen sie den Kampf des Schiffs verfolgt hatten, war das Boot mindestens sieben weitere Meter abgesunken.
»Das glaube ich nicht.«
Das Wasser hatte seine Tintenfarbe verloren, und die glatten schwarzen Innenflächen des Trichters zeigten jetzt eine bräunliche Tönung, die dem Schlamm zu verdanken war, der vom Meeresgrund hochgespült wurde. Hunderte von toten und verendenden Fischen wirbelten auf einer riesigen Kreisbahn herum wie Konfetti in einem heftigen Sturm. Die feuchte Luft war durchsetzt mit dem Geruch von Salzwasser, Fischen und Meeresschlamm.
»Sieh doch den ganzen Abfall«, sagte Paul. »Er steigt vom Grund hoch.«
Trümmer wurden vom Meeresgrund auf ähnliche Art und Weise hochgesogen, wie ein Tornado Gegenstände erfasst und sie durch die Luft schleudert. Zu sehen waren zersplitterte Holzkisten, Sperrholztrümmer, Lukendeckel, Teile von Ventilatoren, sogar ein beschädigtes Rettungsboot. Vieles von dem Material sank gleich wieder zurück in den Wirbel, wo es genauso ausgespien und zerstört wurde, als befände es sich am Ende der Niagarafälle.
Gamay bemerkte, dass einige Stücke, und zwar vorwiegend kleine, zum Rand aufstiegen. »Wie wäre es, wenn wir ins Wasser springen würden?«, fragte sie. »Vielleicht sind wir leicht genug, genauso wie dieses Zeug nach oben zu steigen.«
»Darauf können wir uns nicht verlassen. Höchstwahrscheinlich werden wir tiefer in den Strudel gezogen, um ganz unten zu Hackfleisch verarbeitet zu werden. Vergiss nicht die wichtigste Regel aller Seefahrer: Bleibe stets bei deinem Boot – wenn irgend möglich.«
»Das ist vielleicht keine so gute Idee. Wir sind nämlich weiter gesunken.«
Es stimmte. Das Boot war tiefer in den Strudel gerutscht.
Ein zylindrisches Objekt wanderte langsam an der Innenwand des Strudels aufwärts. Dann folgten weitere.
»Was ist das?«, fragte Trout.
Gamay wischte sich die Gischt aus den Augen und schaute genauer hin. Dabei peilte sie einen Punkt etwa sieben Meter in Richtung des Bugs und etwas unterhalb des Bootes an. Ehe sie auf Meeresbiologie umgestiegen war, hatte sie als Unterwasserarchäologin gearbeitet. Daher erkannte sie sofort die spitz zulaufenden keramischen Gefäße mit ihrer graugrünen Oberfläche.
»Das sind Amphoren«, stellte sie fest. »Und sie wandern tatsächlich nach oben.«
Trout las die Gedanken seiner Frau. »Wir haben nur die Chance, es zu versuchen.«
»Unser Gewicht könnte sich auf den Auftrieb auswirken, aber wir haben nur eine einzige Chance.«
»Haben wir eine Wahl?«
Die drei antiken Weingefäße waren aufreizend nahe. Trout kroch zur Lenksäule und betätigte den Starterknopf. Der Motor sprang an. Das Boot bewegte sich in seiner grotesken Schieflage vorwärts, und er musste seine Neigung, seitlich auszubrechen, durch behutsame Lenkbewegungen kompensieren. Er wollte das Zodiac über die Amphoren bugsieren, um ihnen den Weg abzuschneiden.
Die erste Amphore begann, am Bug vorbeizutreiben. Noch eine Sekunde, und sie wäre außer Reichweite. Trout gab Gas, und das Boot erreichte eine Position oberhalb des Tongefäßes.
»Mach dich bereit!«, brüllte Trout. Der Sprung musste zeitlich und räumlich genau bemessen sein. »Das Ding ist sicherlich glitschig und wird sich drehen. Also sieh zu, dass du seine Henkel erwischst und dich mit Armen und Beinen daran festklammerst.«
Gamay nickte und kletterte in den Bug. »Was ist mit dir?«, fragte sie.
»Ich schnappe mir die nächste.«
»Es wird schwierig, das Boot in Position zu halten.« Sie wusste, dass ohne jemanden, der das Boot lenkte, Trouts Sprung um einiges gefährlicher wäre.
»Ich überleg mir was.«
»Den Teufel wirst du. Ich riskiere es nicht.«
Verdammt, war die Frau stur. »Das ist deine einzige Möglichkeit. Jemand muss sich zu Hause ums Tapezieren kümmern. Bitte!«
Gamay sah ihn beschwörend an, dann schüttelte sie den Kopf und kroch auf den Bugwulst. Sie zog die Beine an und machte sich bereit zum Sprung.
Sie wandte sich um und funkelte ihn wütend an. »Sag endlich, was du willst!«
Trout hatte etwas gesehen, das Gamay entgangen war. Die glatte Wasserwand des Strudels war über ihnen frei von jeglichem Müll. Die Wrackteile, die von dem Strudel aufgewirbelt worden waren, schienen eine unsichtbare Barriere erreicht zu haben, die sie auf ihrem Weg nach oben offenbar nicht überwinden konnten. Die Trümmer rutschten wieder genauso schnell in den Wirbel zurück, wie sie darin aufgestiegen waren.
»Sieh doch«, rief er, »das Treibgut wird wieder nach unten gezogen.«
In Sekundenschnelle erkannte Gamay, dass er Recht hatte. Die Amphore befand sich mit ihnen auf gleicher Höhe und stieg nicht weiter. Trout streckte die Hände aus und zog seine Frau zurück ins Boot. Sie hielten sich an den Sicherheitsleinen fest und konnten nicht mehr tun, als hilflos zuzuschauen, wie ihr Boot unaufhaltsam tiefer in den Abgrund glitt.
9
Das halbwegs runde Gebilde auf dem Computerbildschirm erinnerte Austin an die Membrane, das Zytoplasma und den Kern einer bösartigen Zelle.
Er wandte sich zu Adler um. »Mit was genau haben wir es hier zu tun, Professor?«
Der Wissenschaftler kratzte sich seinen zottigen Kopf.
»Fragen Sie mich was Leichteres, Kurt. Diese Erscheinung wächst stetig und bewegt sich mit dreißig Knoten im Kreis. Etwas annähernd Ähnliches, was Größe und Geschwindigkeit betrifft, habe ich noch nie gesehen.«
»Ich auch nicht«, sagte Austin. »Ich bin schon auf heftige Strudel gestoßen, die mir richtig Angst eingejagt haben. Aber sie waren vergleichsweise klein und kurzlebig. Dies hier scheint jedoch der Fantasie Edgar Allan Poes oder Jules Vernes entsprungen zu sein.«
»Die Wirbel in Ein Sturz in den Mahlstromund Zwanzigtausend Meilen unter dem Meersind größtenteils literarische Erfindungen. Poe und Verne wurden dabei vom Moskstraumen-Mahlstrom in der Nähe der Lofoten inspiriert. Der griechische Historiker Pytheas schrieb vor mehr als zweitausend Jahren darüber, er verschlinge ganze Schiffe und spucke sie wieder aus. Der schwedische Bischof Olaus Magnus berichtete um 1500, dass der Strudel stärker sei als die Charybdis in der Odysseeund dass der Mahlstrom Schiffe auf den Grund der See schleudere und Wale in sich hineinsauge.«
»Das alles ist doch reine Fiktion. Wie sieht die Realität aus?«
»Weitaus weniger beängstigend. Der norwegische Strudel wurde wissenschaftlich untersucht, und er kommt mit seinen Daten dem mächtigen Wirbel aus der Literatur in keiner Weise nahe. Drei andere bedeutende Strudel, der Corryvreckan in Schottland, der Saltstraumen ebenfalls vor Norwegen und der Naruto bei Japan sind weniger stark.« Er schüttelte den Kopf. »Schon seltsam, einem Strudel auf offenem Meer zu begegnen.«
»Warum?«
»Strudel oder Wirbel kommen gewöhnlich in engen Meeresarmen oder Durchlässen vor, wo man Wassermassen beobachten kann, die sich auffällig schnell bewegen. Durch das Zusammenwirken von Gezeiten und Strömungen sowie der jeweiligen Beschaffenheit des Meeresbodens können Störungen entstehen, die bis zur Wasseroberfläche hinaufreichen.«
Das Bild auf dem Schirm zeigte, wie die Entfernung zwischen dem Wirbel und der Benjamin Franklinstetig schrumpfte. »Könnte dieses Gebilde dem Schiff gefährlich werden?«
»Nicht, wenn man sich auf frühere wissenschaftliche Erkenntnisse stützen kann. Der Old-Sow-Strudel vor der Küste von New Brunswick ist in etwa genauso stark wie der Moskstraumen, der sich mit einer Geschwindigkeit von etwa achtundzwanzig Kilometern in der Stunde bewegt. Er ist der größte ozeanische Wirbel auf der westlichen Halbkugel. Die Turbulenzen in der Nähe des Strudels können kleinen Booten gefährlich werden, jedoch werden größere Schiffe dadurch nicht beeinträchtigt.« Er hielt inne und blickte sichtlich fasziniert auf den Bildschirm. » Verdammt!«
»Was ist los?«
Er starrte auf das Gebilde auf dem Schirm. »Anfangs war ich mir nicht ganz sicher. Aber dieses Ding wächst rasend schnell. In den letzten Minuten hat es seine Größe fast verdoppelt.«
Austin hatte genug gesehen.
»Ich möchte, dass Sie mir einen Gefallen tun, Professor«, sagte er und verlieh seiner Stimme einen möglichst ruhigen, gelassenen Klang. »Begeben Sie sich umgehend in die Beobachtungszentrale. Bitten Sie Joe, sofort das ROV einzuholen und so bald wie möglich auf die Kommandobrücke zu kommen. Sagen Sie ihm, es sei dringend.«
Adler warf einen letzten Blick auf den Bildschirm und entfernte sich dann eilig. Während der Professor seinen Auftrag ausführte, stieg Austin zur Kommandobrücke hinauf.
Tony Cabral, der Kapitän der Throckmorton,war ein freundlicher Mann Ende fünfzig. Sein von der Sonne gebräuntes Gesicht wurde von einer markanten Nase beherrscht, er hatte einen Schnurrbart mit nach oben gezwirbelten Enden, und sein Mund war gewöhnlich zu einem knorrigen Grinsen verzogen, das ihn wie einen freundlichen Piraten aussehen ließ. Im Augenblick war seine Miene jedoch todernst und zeigte plötzlich einen Ausdruck höchster Überraschung, als er Austin erblickte.
»Hey, Kurt, ich wollte Sie gerade suchen lassen.«
»Wir haben ein Problem«, sagte Austin.
»Sie wissen von dem SOS-Ruf, den wir aufgefangen haben?«
»Das höre ich zum ersten Mal. Was ist los?«
»Wir haben vor ein paar Minuten ein Mayday von einem NOAA-Schiff empfangen.«
Damit bestätigten sich Austins schlimmste Befürchtungen. »Wie ist ihre augenblickliche Lage?«
Cabral runzelte die Stirn. »Der größte Teil der Botschaft war verzerrt. Es gab jede Menge Hintergrundgeräusche. Wir haben den Ruf aufgenommen. Vielleicht ergibt er für Sie einen Sinn.«
Er betätigte einen Schalter auf der Funkkonsole. Die Brücke füllte sich mit einer Kakophonie, die klang wie ein Redewettstreit in einem Irrenhaus. Wilde Rufe ertönten, jedoch waren die Worte nicht zu verstehen bis auf eine heisere männliche Stimme, die den Tumult übertönte.
» Mayday!« ,sagte die Stimme. »Hier ist das NOAA-Schiff Benjamin Franklin. Mayday.Bitte antworten Sie, wer immer uns hört.«
Eine andere Stimme, noch verzerrter, war im Hintergrund zu hören, wie sie brüllte: » Leistung!Verdammt, mehr Leistung …«
Dann ließ sich ein kurzer Satz vernehmen. Er war nur am Rande zu hören, jedoch reichte er aus, um den Lauschenden das nackte Grauen zu vermitteln.
» Verdammt!Wir stürzen rein!«
Cabrals auf Tonband aufgenommene Antwort folgte. Er beantwortete den SOS-Ruf so gut es ging.
»Hier ist das NUMA-Schiff Throckmorton.Wie ist Ihre Lage? Melden Sie sich. Wie ist Ihre Lage?«
Seine Worte wurden von einem dumpfen, brodelnden Getöse verschluckt, das klang wie ein Sturm, der durch eine Höhle blies. Dann verstummte das Funkgerät. Die Stille, die nun folgte, war noch viel schlimmer als jeglicher Lärm.
Austin versetzte sich in Gedanken auf die Kommandobrücke der Franklin.Offensichtlich hatte dort das totale Chaos geherrscht. Die Stimme, die um Hilfe rief, gehörte wahrscheinlich dem Kapitän. Oder, was näher lag, er war derjenige, der vom Maschinenraum mehr Leistung verlangte.
Das unheimliche dumpfe Getöse war mit nichts zu vergleichen, dem Austin in seinem bisherigen Leben begegnet war. Ihm wurde bewusst, dass die Haare in seinem Nacken sich aufgerichtet hatten und stramm standen wie Soldaten bei einer Parade. Er schaute sich auf der Kommandobrücke um. Den Gesichtern des Kapitäns und der übrigen Besatzung nach zu urteilen, war er mit seinen Überlegungen nicht alleine.
»Wie lautet die Position der Franklin?« ,wollte Austin wissen.
Kapitän Cabral ging zu dem bläulich leuchtenden Radarschirm.
»Das ist auch so eine verrückte Sache. Als wir sie mit dem Radar orteten, waren sie gut dreißig Kilometer weit entfernt. Sie waren nach Südwesten unterwegs. Und dann verschwanden sie plötzlich vom Schirm.«
Austin verfolgte, wie der Suchstrahl des Radars ein paarmal über den Schirm wanderte. Von dem Schiff war nichts zu sehen außer ein paar vereinzelten Signalen, wo der Radarstrahl die Wellenkämme berührte. »Wie lange brauchen wir bis zu der Stelle?«
»Weniger als eine Stunde. Wir müssen jedoch vorher das ROV reinholen.«
»Darum kümmert Joe sich bereits. Mittlerweile müsste das Vehikel wieder an Bord sein.«
Cabral gab Befehl, den Kurs zu ändern und mit voller Kraft die Benjamin Franklinanzusteuern. Die Throckmortonlichtete den Anker, und ihr hoher Bug schnitt mit zunehmender Geschwindigkeit durch die Wellen, als Zavala zusammen mit Professor Adler auf der Kommandobrücke erschien.
»Der Professor hat mir von dem Strudel berichtet«, sagte Zavala. »Gibt es irgendwelche Nachrichten von der Franklin?«
»Sie haben ein SOS gesendet, doch dann wurde die Funkverbindung unterbrochen. Und wir haben sie auf dem Radar verloren.«
Cabral hatte den kurzen Dialog mitgehört. »Was war das gerade mit einem Strudel, Kurt?«
»Der Professor und ich haben uns ein paar Satellitenbilder angesehen und in der Nähe der letzten bekannten Position der Franklin eine riesige kreisrunde Störung im Wasser ausgemacht. Durchmesser etwa drei bis vier Kilometer.«
»Ist die NOAA zur Zeit nicht gerade damit beschäftigt, ozeanische Wellenerscheinungen, sogenannte Eddies, zu untersuchen?«
»Dies ist keine langsame Welle. Die Erscheinung, mit der wir es hier zu tun haben, ist wahrscheinlich einige Hundert Meter tief und rotiert mit mehr als dreißig Knoten.«
»Das meinen Sie nicht ernst.«
»Sogar todernst, fürchte ich.«
Austin bat den Professor zu beschreiben, was sie gesehen hatten. Adler setzte den Kapitän über die Einzelheiten ins Bild, als sie durch den Funker unterbrochen wurden.
»Wir haben sie wieder auf dem Radar«, meldete er.
»Käpt’n«, meinte der Funker nur Sekunden später. »Ich kriege gerade einen Ruf von der Franklinherein.«
Cabral ergriff das Mikrofon. »Hier spricht Kapitän Cabral vom NUMA-Schiff Throckmorton.Wir haben Ihren Notruf aufgefangen. Wie ist Ihr derzeitiger Status?«
»Hier ist der Kapitän der Franklin.Im Augenblick sind wir außer Gefahr, aber das Schiff wurde beinahe von einem riesigen Loch im Meer verschluckt. Das war das verdammteste Ding, das ich je gesehen habe.«
»Wurde jemand verletzt?«
»Einige Beulen und Blutergüsse, aber damit kommen wir zurecht.«
Austin lieh sich das Mikrofon aus. »Hier spricht Kurt Austin. An Bord Ihres Schiffs sind zwei Freunde von mir. Können Sie mir mitteilen, wie es Paul und Gamay Trout geht?«
Stille trat ein, und zuerst schien es, als sei die Sprechfunkverbindung unterbrochen. Dann war wieder die Stimme zu hören. »Ich bedauere sehr, was ich Ihnen mitteilen muss. Sie führten eine Planktonuntersuchung mit dem Zodiac-Schlauchboot durch, als der Strudel sie mitriss. Wir haben versucht, ihnen zu Hilfe zu kommen, wobei wir jedoch selbst in Schwierigkeiten gerieten.«
»Haben Sie sie tatsächlich in dem Strudel gesehen?«
»Wir hatten alle Hände voll zu tun, und die Sicht ist sogar jetzt noch gleich null.«
»Wie weit sind Sie im Augenblick von dem Wasserwirbel entfernt?«
»Ungefähr anderthalb Kilometer. Wir wagen uns nicht näher heran. Die Strömungen in der weiteren Umgebung dieser Erscheinung sind immer noch ziemlich stark. Was sollen wir Ihrer Meinung nach tun?«
»Bleiben Sie so nahe wie möglich an dem Strudel dran. Wir kommen rüber, um uns die Sache anzusehen.«
»Wird gemacht. Viel Glück.«
»Danke«, sagte Austin und drehte sich zu Cabral um.
»Pete, ich brauche den Schiffshelikopter. Wie schnell kann er startbereit sein?«
Cabral kannte Austins Ruf bei der NUMA. Er wusste, dass dieser selbstsichere Mann mit den rammbockähnlichen Schultern und den hellblonden Haaren trotz seines unbeschwerten Lächelns und seines lässigen Auftretens fähig war, wirklich jedes noch so unlösbar erscheinende Problem anzupacken und aus der Welt zu schaffen. Cabral war ein erfahrener Seemann, aber die Situation, die sich hier entwickelte, überstieg seine Fähigkeiten. Er würde zusehen, dass er sein Schiff seetüchtig erhielt, und Austin sich mit dem Rest herumschlagen lassen.
»Er ist aufgetankt und einsatzbereit. Ich sage der Mannschaft Bescheid, dass sie draußen auf Sie warten.« Er griff nach dem Mikrofon für die schiffsinterne Sprechanlage.
Austin empfahl, dass das NUMA-Schiff seinen augenblicklichen Kurs sowie seine Geschwindigkeit beibehalten solle. Dann eilten er und Zavala hinunter zum Hubschrauberplatz auf dem Hauptdeck und machten unterwegs noch einen kleinen Umweg, um einige Gegenstände aus dem Geräteraum des Schiffs mitzunehmen. Unterdessen hatte die Deckmannschaft den Motor des leichten McDonnell-Douglas-Hubschraubers warm laufen lassen. Die beiden Männer stiegen in das Cockpit und schnallten sich an. Die Rotoren peitschten die Luft, und der Helikopter hob vom Deck ab und ging dicht über der Meeresoberfläche auf Kurs.
Austin suchte das Meer mithilfe eines Feldstechers ab. Nach einigen Minuten Flug entdeckte er die Antenne und schließlich den Deckaufbau des NOAA-Schiffs. Es befand sich in nächster Nähe eines Kreises dunklen Meerwassers, neben dem das Schiff sich winzig klein ausnahm. Der Strudel schien sein Wachstum eingestellt zu haben, jedoch musste Austin den Mut der Besatzung der Franklinbewundern, dass sie ihre Position in nächster Nähe des Mahlstroms beibehielt.
Zavala ließ den Helikopter gut fünfzig Meter höher steigen und folgte einem schnurgeraden Kurs genau auf den Wirbel zu. Während sie sich dem Naturschauspiel näherten, sagte er: »Es sieht aus wie die Caldera eines Vulkans.«
Austin nickte. Es gab in der Tat einige vulkanische Ähnlichkeiten, die sich hauptsächlich auf die Trichterform des Lochs und den Dunst bezogen, der daraus aufstieg. Diese dampfähnliche Substanz war die Ursache des Nebels, der einen großen Teils des Ozeans bedeckte.
Die glänzende schwarze Innenseite des Trichters, die er durch gelegentliche Lücken in der Dunstschicht erkennen konnte, war weitaus glatter als das Innere jedes Vulkantrichters, in den er jemals hatte hineinblicken können. Nichts von dem Bild, das der Satellit übertragen hatte, konnte auch nur annähernd die Schrecklichkeit des ozeanischen Phänomens vermitteln. Der Wirbel sah aus wie eine riesige, eiternde Stichwunde im Meer.
»Was schätzt du, wie groß dieses Schlagloch ist?«, fragte Austin.
»Viel zu groß!« Zavala kniff die Augen zusammen. »Aber um genau zu sein, würde ich meinen, dass es einen Durchmesser von etwa drei Kilometern hat.«
»Das würde ich auch sagen.« Austin nickte. »Und der Steilheit der Innenseite nach zu urteilen, könnte der Trichter bis auf den Meeresboden hinabreichen. Das ist jedoch bei den Dunstschwaden nicht eindeutig festzustellen. Können wir noch näher heran?«
Zavala führte entsprechende Flugmanöver aus, bis sie direkt über dem Wirbel schwebten. Von dieser Aussichtsposition aus erschien der Kreis wie ein riesiges mit Dampf gefülltes Waffelhörnchen. Der Helikopter verharrte in knapp hundert Metern Höhe über dem Strudel, aber sie schafften es noch immer nicht, tiefer hineinzublicken.
»Was nun?«, fragte Zavala.
»Wir könnten hineintauchen, aber am Ende kommen wir nicht mehr raus.«
»Was soll passieren?«
»Ich überlasse dir die Entscheidung. So wie das Ding da unten aussieht, könnte es für unsere Freunde längst zu spät sein. Durchaus möglich, dass du dein Leben für nichts und wieder nichts riskierst.«
Ein Grinsen huschte über Zavalas dunkles Gesicht. »Wie ich schon sagte, wie lautet deine Entscheidung?«
Austin hätte sich über jede andere Antwort gewundert. Niemals hätte einer von ihnen die Freunde im Stich gelassen. Er deutete mit dem Daumen abwärts. Zavala nickte und drückte das Höhensteuer behutsam nach vorne. Der Helikopter begann mit dem Abstieg in das schwarze Zentrum des Mahlstroms.