Текст книги "Packeis"
Автор книги: Clive Cussler
Жанр:
Триллеры
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19
Die Trouts landeten am Spätnachmittag in Albuquerque und fuhren anschließend nach Santa Fé, wo sie übernachteten. Früh am nächsten Morgen stiegen sie in ihren Mietwagen und machten sich auf den Weg nach Los Alamos, das auf einer natürlichen Zitadelle oberhalb der drei Mesas lag, die sich an das Panaretos Plateau anschlossen.
Während der fünfundsechzig Kilometer langen Fahrt bemerkte Trout bei seiner Frau eine deutliche Veränderung. Hatte sie sich anfangs noch begeistert über die Landschaft gezeigt, durch die sie fuhren, und den Wunsch geäußert, sich unterwegs ein indianisches Pueblo anzusehen, war sie nun ungewöhnlich schweigsam.
»Einen Penny für deine Gedanken«, sagte er. »Natürlich unter Berücksichtigung der Inflationsrate.«
»Wenn ich diese friedliche Landschaft sehe, muss ich an die Arbeit denken, die hier im Rahmen des Manhattan Projects geleistet wurde, und an die schrecklichen Kräfte, die dadurch entfesselt wurden.«
»Jemand hatte es tun müssen. Sei bloß froh, dass wir die Ersten waren.«
»Das weiß ich, aber es bedrückt mich immer noch, wenn ich mir vorstelle, dass wir noch immer nicht gelernt haben, wie wir den Geist unter Kontrolle halten, den wir aus der Flasche befreit haben.«
»Kopf hoch. Atomkraft könnte verglichen mit Strudeln und Riesenwellen am Ende ein alter Hut sein.«
Gamay schickte ihm einen säuerlichen Blick. »Vielen Dank für deinen liebevollen Aufmunterungsversuch.«
Seit den Tagen, als Robert Oppenheimer und sein Team von Genies dahintergekommen waren, wie man die Kraft des Atoms in einen stählernen, mit einem Steuerschwanz versehenen Zylinder einsperrt, hatte Los Alamos sich erheblich verändert. Es war eine betriebsame, im Südwesten der USA gelegene Stadt mit Einkaufszentren, Schulen, Parks, Sinfonieorchester und Theater, hatte es aber nie geschafft, sich von seiner düsteren Vergangenheit zu befreien. Vielleicht hatte die Stadt es auch gar nicht gewollt. Obgleich das Los Alamos National Laboratory sich heutzutage mit zahlreichen friedlichen wissenschaftlichen Projekten befasst, ist der Geist des Manhattan Project dort immer noch greifbar.
Laborgebäude, in denen über den Umgang mit Kernwaffen geforscht wird, sind noch immer für die Öffentlichkeit unzugänglich, was man als Hinweis darauf verstehen kann, dass die Stadt noch immer eine enge Verbindung mit dem Atomkrieg pflegt. Touristen, die dem Museum des Labors einen Besuch abstatten, können Nachbildungen des »Fat Man« und des »Little Boy«, der ersten Atombomben, berühren, die verschiedenen Typen von Atomsprengköpfen betrachten und sich mit den lebensgroßen Statuen von Robert Oppenheimer und General Groves, den Zwillingssternen der streng geheimen Allianz von Militär und Wissenschaft, die die Bomben schuf, die auf Hiroshima und Nagasaki geworfen wurden, fotografieren lassen.
Die Trouts machten in der Forschungsbibliothek des Labors Halt und unterhielten sich mit einer wissenschaftlichen Assistentin, mit der sie sich zuvor telefonisch verabredet hatten. Sie hatte einen Schnellhefter mit Informationen über Lazio Kovacs vorbereitet, doch das meiste war rein biographischer Natur und enthielt nicht mehr, als sie bereits über den Wissenschaftler wussten. Kovacs, so schien es, war lediglich eine Fußnote. Ebenso wie Tesla, über den erheblich mehr bekannt war, habe Kovacs sich zu einer Kultfigur entwickelt, erklärte die Assistentin, und seine Theorien gehörten eher in den Bereich von Science-Fiction, als dass man sie wissenschaftlich ernst nehmen könne.
»Vielleicht erfahren wir bei der Kovacs Society mehr«, sagte Gamay.
Die Assistentin sah die Trouts ausdruckslos an, dann brach sie in schallendes Gelächter aus.
»Was ist los?«, fragte Gamay.
Die Frau errötete und sagte: »Es tut mir leid. Es ist nur – nun ja, Sie werden sehen.«
Sie lachte noch immer, während sie sie zur Tür geleitete.
Ihr Kontakt bei der Kovacs Society war ein überschwänglich klingender Mann namens Ed Frobisher. Als sie Frobisher anriefen, erklärte er, er sei gerade unterwegs und mache einige Besorgungen, und schlug dann vor, dass sie sich in einem Reste-Laden für Militaria, der den vieldeutigen Namen Black Hole trug, treffen sollten.
Der Laden befand sich am Stadtrand neben einem barackenähnlichen Gebäude mit einem Schild davor, das es als das OMEGA PEACE INSTITUTE, FIRST CHURCH OF TECHNOLOGY identifizierte. Die Kirche und der Black-Hole-Laden gehörten einem Ortsansässigen namens Ed Grothus, der Unmengen von Laborgeräten aufgekauft hatte, die noch aus der Zeit des Manhattan Project stammten. Er nannte das Ganze »nuklearen Abfall« und bot seine Waren verrückten Gelehrten, Künstlern und Sammlern an.
Der Hof um den Laden herum war ein einziges Durcheinander aus leeren Bombenhülsen, Geschütztürmen, Büromöbeln und elektronischen Apparaten. In dem großen Lagerhaus gab es zahllose Regalgänge, die vollgestopft waren mit ausgemusterten elektronischen Geräten wie Geigerzählern, Oszilloskopen und gedruckten Schaltkreisen. Die Trouts erkundigten sich beim Kassierer, ob er Frobisher kenne. Er geleitete sie zu einem Gang, in dem ein Mann leise Selbstgespräche führte, während er einen Stapel Kontrolltafeln inspizierte.
»Sehen Sie sich dieses Zeug mal an«, sagte Frobisher, nachdem sie sich miteinander bekannt gemacht hatten.
»Diese Tafel hat wahrscheinlich in den fünfziger Jahren den Monatslohn eines durchschnittlichen Steuerzahlers gekostet. Jetzt ist es Schrott, außer für ein paar Technikfreaks wie mich.«
Frobisher war ein über eins achtzig großer Mann mit einem mächtigen Brustkorb, der in einen Bauch überging, der sich wiederum über seinen breiten Uniformgürtel wölbte. Er trug ein gelb kariertes Hemd, das allein schon die Augen des Betrachters beleidigt hätte, wären da nicht auch noch die roten Hosenträger gewesen, die Mühe hatten, die Hose unter dem Gewicht des Bauchs hochzuhalten, mit denen es farblich kollidierte. Die Hosenbeine verschwanden in kniehohen Anglerstiefeln aus Kautschuk, obgleich der Tag heiß und wüstentrocken war. Seine kräftigen weißen Haare waren gelockt und hingen stellenweise über die rechteckigen Gläser einer Hornbrille.
Frobisher bezahlte die Kontrolltafel und ging ihnen voraus aus dem Laden zu einem staubigen und verbeulten Chrysler K-Car. Er meinte, die Trouts sollten ihn ruhig »Froby« nennen, und schlug ihnen vor, ihm zu seinem Haus zu folgen, wo die Kovacs Society ihren Sitz hatte. Während die Autos die Stadt verließen, wandte Gamay sich an Paul, der hinterm Lenkrad saß.
»Erinnert dich unser neuer Freund Froby an jemanden?«
Trout nickte. »An einen großen und lauten Captain Kangaroo.«
»Kurt ist uns nach dem hier einiges schuldig«, seufzte Gamay. »Lieber würde ich mich noch mal in einen Strudel ziehen lassen.«
Die Straße stieg an und schlängelte sich durch die Berge oberhalb der Stadt. Die Anzahl und Dichte der Häuser nahm stetig ab. Die Limousine vor ihnen bog schließlich in eine kurze Schottereinfahrt ein, hüpfte dabei wie ein Gummiball auf ihren ausgeleierten Stoßdämpfern und parkte dann vor einem aus Lehmziegeln erbauten Puppenhaus. Der Hof war gefüllt mit elektronischem Schrott und wirkte wie die verkleinerte Version des Black Hole.
Während sie zwischen Stapeln verrosteter Raketenhüllen und Maschinengehäuse zum Haus gingen, machte Froby eine ausholende Armbewegung.
»Das Labor veranstaltet jeden Monat eine Versteigerung, um seinen Kram loszuwerden. Ich glaube, ich brauche nicht zu betonen, dass ich bei jeder Gelegenheit dabei bin«, sagte er.
»Ich denke, das ist nicht nötig«, erwiderte Gamay mit einem nachsichtigen Lächeln.
Sie betraten das Haus, das im Gegensatz zu der zusammengewürfelten Schrottlandschaft erstaunlich aufgeräumt war. Frobisher geleitete sie in ein kleines Wohnzimmer, das mit Allerweltsbüromöbeln aus Chrom und Leder eingerichtet war. Ein Stahlschreibtisch und zwei stählerne Aktenschränke standen an einer Wand.
»Alles in diesem Haus stammt aus dem Labor«, prahlte Frobisher. Er bemerkte, wie Trouts Blick an dem Warnschild mit der Aufschrift RADIOACTIVE an der Wand hängen blieb, und grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Keine Sorge. Es verdeckt bloß ein Loch in der Tapete. Als Präsident der Kovacs Society heiße ich Sie in der Weltzentrale willkommen. Ich darf Ihnen unseren Gründer vorstellen.« Er deutete auf eine alte Fotografie, die neben dem Schild an der Wand hing. Sie zeigte das fein geschnittene Gesicht eines Mannes in den Vierzigern mit dunklem Haar und ausdrucksvollen Augen.
»Wie viele Mitglieder hat die Gesellschaft?«, fragte Gamay.
» Eins.Es steht vor Ihnen. Wie Sie sehen, handelt es sich um eine ausgesprochen exklusive Organisation.«
»Das ist mir aufgefallen«, erwiderte Gamay mit einem freundlichen Lächeln.
Trout schickte seiner Frau einen Blick, der ausdrückte, dass er bei nächster Gelegenheit die Flucht ergreifen würde. Sie betrachtete eingehend die deckenhohen Bücherregale, die einen großen Teil der Wandfläche einnahmen. Ihr weiblicher Blick für Kleinigkeiten hatte wahrgenommen, was Trout bisher entgangen war: Den Titeln der Bücher nach zu urteilen behandelten sie hochkomplizierte technische und geheimnisvolle Themen. Wenn Frobisher auch nur einen winzigen Teil seines Lesestoffs verstand, musste er ein hochintelligenter Mensch sein.
»Bitte nehmen Sie Platz«, forderte Frobisher sie auf. Er ließ sich in den Schreibtischsessel fallen und drehte ihn herum, damit er seine Gäste ansah.
Trout setzte sich neben Gamay. Er hatte bereits entschieden, dass der beste Weg, die Unterhaltung zu beenden, darin bestand, sie schnellstens zu beginnen. »Vielen Dank, dass Sie Zeit für uns hatten«, sagte er als Einleitung zu einer Verabschiedung.
»Es ist mir ein ausgesprochenes Vergnügen«, erwiderte Froby strahlend. »Um ehrlich zu sein, ich stoße heutzutage auf nicht allzu viel Interesse an der Kovacs Society. Dies ist ein ganz besonderer Anlass für mich. Woher kommen Sie?«
»Aus Washington«, antwortete Trout.
Frobys babyblaue Augen leuchteten auf. »Das ist ja noch viel toller!Sie müssen sich unbedingt in mein Gästebuch eintragen. Und jetzt verraten Sie mir mal, wie es kommt, dass Sie sich für Lazio Kovacs interessieren.«
»Wir sind beide Wissenschaftler bei der National Underwater and Marine Agency«, sagte Gamay. »Einer unserer Kollegen bei der NUMA erzählte uns von Kovacs’ Arbeit und deutete an, dass es hier in Los Alamos eine Gesellschaft gebe, die über das vollständigste Archiv über dieses Thema verfüge. In der Bibliothek des National Laboratory ist nur sehr wenig über Kovacs zu finden.«
»Die Bande dort hält ihn für einen Scharlatan«, sagte Frobisher abfällig.
»Den Eindruck hatten wir auch«, bestätigte Gamay.
»Ich will Ihnen ein wenig über die Gesellschaft erzählen. Früher arbeitete ich als Physiker am National Laboratory. Mit einigen meiner Kollegen spielte ich regelmäßig Karten, und ständig kamen Nikola Teslas Arbeiten zur Sprache. Einige meinten, Kovacs würde von Teslas extravagantem Auftreten in den Schatten gestellt und verdiene viel mehr Beachtung für seine Entdeckungen, als wir ihm bisher geschenkt hatten. Wir gaben daraufhin unserer Pokerrunde den Namen Kovacs Society.«
»Ihre Gesellschaft wurde nach einer Pokerrunde benannt?«
»Ja. Wir dachten auch daran, sie Poker Flats zu nennen. Aber einige unserer Mitglieder waren verheiratet und der Meinung, dass ein Debattierclub eine gute Tarnung sei, um ihre Ehefrauen zu täuschen.«
»Heißt das, Sie haben sich niemals über die Kovacs-Theoreme unterhalten?«, wollte Gamay wissen.
»Doch, natürlich haben wir das getan. Wir waren schlechte Pokerspieler, aber gute Wissenschaftler.« Er griff nach oben in ein Regal über seinem Schreibtisch, holte zwei Broschüren herunter und reichte sie den Trouts. »Wir haben diese Hefte mit dem ursprünglichen Artikel gedruckt, in dem Kovacs seine revolutionären Ideen darstellte und erklärte. Es handelt sich um das aufs Wesentliche komprimierte Protokoll einer Konferenz über seine Arbeiten, die vor etwa zwanzig Jahren hier abgehalten wurde. In der Hauptsache ging es darum, Kovacs schlechtzumachen. Wir verkaufen die Broschüren für $4,95 das Stück. Wir haben auch Biographien, die ein wenig teurer sind, um die Druckkosten zu decken.«
Paul und Gamay schlugen eins der Exemplare auf. Der eng gedruckte Text war ungarisch und mit langen, unverständlichen mathematischen Gleichungen durchsetzt. Trout sandte seiner Frau ein Grinsen, mit dem er ausdrücken wollte: »Das war’s dann« und machte dabei Anstalten, sich zu erheben und zur Tür zu gehen. Gamay, die seine Ungeduld deutlich spürte, legte eine Hand auf seinen Arm.
»Die Bücher in den Regalen sind vorwiegend technische Fachliteratur, und Sie waren als Physiker im Labor tätig, daher legen wir großen Wert auf Ihre Meinung. Ich hoffe, Sie missverstehen das Ganze nicht, aber Sie müssen wissen, dass es wegen Kovacs und seinen Theorien heftige Kontroversen gegeben hat. War Kovacs im Grunde nicht mehr als ein brillanter Scharlatan? Oder hatte er etwas?«
»Er hatte ganz eindeutig etwas.«
»Aber er hat es niemals experimentell bewiesen und sich geweigert, Einzelheiten seiner Entdeckungen zu veröffentlichen.«
»Das lag daran, dass er wusste, dass die Informationen einfach zu gefährlich waren.«
Gamay lächelte. »Pardon, aber das klingt, als wollten Sie lediglich sein Versagen entschuldigen.«
»Ganz und gar nicht. Er hatte große Hochachtung vor der Menschheit.«
Trout ahnte, dass Gamay einen Plan verfolgte, und spielte mit.
»Wenn ihm die Menschheit so sehr am Herzen lag, weshalb hat er dann für die Nazis gearbeitet?«, fragte Trout.
»Er musstefür die Nazis arbeiten. Sie haben ihm gedroht, seine Familie zu vernichten.«
»Soweit ich weiß, ist genau das auch geschehen«, sagte Gamay. »Es ist eine Schande, finden Sie nicht? Die Frau und die Kinder des Mannes sind deswegen gestorben.« Sie schlug mit der Broschüre auf ihr Knie. »Für eine unsinnige Theorie über tödliche niederfrequente elektromagnetische Wellen.«
Frobishers blasse Wangen nahmen die Farbe eines gekochten Hummers an. Nach einem kurzen Augenblick löste der düstere Ausdruck auf seinem Gesicht sich zu einem breiten Grinsen auf.
»Das war ein sehr geschickter Versuch, mich zu ködern.«
Er sah seine beiden Besucher prüfend an. »Und jetzt verraten Sie mir bitte, wer Sie wirklich sind.«
Gamay schaute zu Paul, der unmerklich nickte.
»Wir gehören zum Spezialteam für Sondereinsätze der NUMA«, antwortete sie. »Wollen Sie irgendwelche Ausweise sehen?«
»Ich glaube Ihnen. Was haben zwei Vertreter der größten Meeresforschungsorganisation der Welt ausgerechnet in Los Alamos, weit weg von Atlantik und Pazifik, zu suchen?«
»Wir glauben, dass der Schlüssel zur Lösung des Rätsels um einige ungewöhnliche ozeanische Störungen hier in New Mexico gefunden werden kann.«
Er runzelte die Stirn. »Welche Art von Störungen?«
»Strudel und Riesenwellen, die groß genug sind, um ganze Schiffe versinken zu lassen.«
»Entschuldigen Sie, aber ich weiß noch immer nicht, wovon Sie reden.«
»Einer unserer NUMA-Wissenschaftler, den wir zu Rate gezogen haben, äußerte die Vermutung, dass die Störungen von Unregelmäßigkeiten und Veränderungen im elektromagnetischen Wellensystem der Erde ausgelöst worden sein könnten. Er brachte die Kovacs-Theoreme ins Gespräch.«
»Nur weiter«, sagte Frobisher.
Einander abwechselnd berichteten sie von den Meeresstörungen und der Spekulation, dass sie von Menschen ausgelöst worden waren.
»Lieber Himmel«, flüsterte Frobisher mit heiserer Stimme. »Es passiert tatsächlich.«
»Was passiert?«, fragte Paul Trout.
»NUMA oder nicht, auf jeden Fall sind Sie in etwas hineingestolpert, das größer und folgenschwerer ist, als man sich vorstellen kann.«
»Das tun wir sehr oft«, sagte Trout. »Es steht in unserer NUMA-internen Arbeitsplatzbeschreibung.«
Frobisher starrte Paul Trout und Gamay an.
Ihre gelassenen Mienen holten ihn auf die Erde zurück, und er bekam sich wieder in den Griff. Er ging in die Küche und kam mit drei eisgekühlten Flaschen Bier zurück, die er verteilte.
»Wir haben Ihnen erzählt, wer wir sind«, sagte Gamay mit ihrem entwaffnenden Lächeln. »Jetzt wäre es vielleicht an der Zeit, dass Sie mal ein wenig über sich herauslassen.«
»Klar, warum nicht.« Er leerte seine Flasche Bier zur Hälfte und wischte sich den Mund ab. »Lassen Sie mich einen kleinen historischen Ausflug machen. Die meisten haben schon von dem Brief gehört, den Albert Einstein an Präsident Roosevelt geschrieben hat.«
Trout nickte. »Einstein meinte, dass angesichts der Möglichkeit, eine kontrollierte Kettenreaktion in Gang zu setzen, der Bau einer Atombombe möglich sei. Er empfahl, dass die Vereinigten Staaten eine solche Bombe entwickeln sollten, ehe die Deutschen es in Angriff nähmen.«
»Das ist richtig«, sagte Frobisher. »Der Präsident beauftragte ein Komitee, sich mit der Angelegenheit zu befassen, und das Ergebnis waren die Forschungen hier in Los Alamos. Nur wenigen ist bekannt, dass Einstein gegen Ende des Krieges einen zweiten Brief schrieb, der jedoch nie veröffentlicht wurde. Darin warnte er vor den Gefahren eines elektromagnetischen Krieges auf der Grundlage der Theoreme. Aber im Gegensatz zu Kovacs, der von vielen als Scharlatan verlacht wurde, hatte Einsteins Meinung Gewicht. Truman bekleidete damals das Präsidentenamt. Er berief ein Komitee ein, das sich Einsteins Vorschläge ansehen sollte, und heraus kam ein Forschungsprojekt ähnlich dem Manhattan Project.«
»Wir haben gehört, dass die Russen auf dem gleichen Gebiet forschten«, sagte Gamay.
»Das ist richtig. Mitte der sechziger Jahre waren wir genauso weit wie die Russen.«
»Wie weit wurde die Forschung getrieben?«
»Sehr weit. Sie konzentrierten sich mehr auf das Festland als auf den Himmel und lösten einige Erdbeben aus. Nach dem großen Erdbeben in Alaska revanchierte sich unser Land. Wir sorgten für einige Überschwemmungen und Dürreperioden in Russland. Aber das war alles nur Kleinkram.«
»Überschwemmungen und Erdbeben würde ich nicht gerade als Kleinkram bezeichnen«, sagte Gamay.
»Das waren sozusagen nur Aufwärmaktionen. Wissenschaftler beider Länder entdeckten etwa zur gleichen Zeit, dass sie im Zuge gemeinsamer Anstrengungen wesentliche Veränderungen des elektromagnetischen Felds der Erde herbeiführen konnten. Daraufhin fand eine geheime Konferenz beider Länder auf einer einsamen Insel im Beringmeer statt. Wissenschaftler und Regierungsvertreter nahmen daran teil. Beide Länder wurden mit Indizien konfrontiert, die die ernsten Folgen weiterer Experimente auf Grundlage der Kovacs-Theoreme aufzeigten.«
»Woher wissen Sie das alles, wenn es so geheim war?«, fragte Gamay.
»Das ist einfach. Ich habe daran teilgenommen. Wir kamen überein, sämtliche Forschung in dieser Richtung einzustellen und uns mit harmloseren Dingen wie zum Beispiel nuklearer Kriegführung zu befassen.«
»Es ist schwer zu glauben, dass es noch etwas Schlimmeres gibt als einen nuklearen Holocaust«, sagte Gamay stirnrunzelnd.
»Glauben Sie es ruhig.« Frobisher beugte sich auf seinem Stuhl vor und senkte so gewohnheitsmäßig die Stimme, als ob er glaubte, dass der Raum abgehört wurde. »Das Geheimnis zu bewahren wurde als derart wichtig angesehen, dass in jedem Land entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen wurden. Jeder, der zu viel über Kovacs und seine Arbeiten wusste oder zu neugierige Fragen stellte, wurde sofort gestoppt oder, wenn nötig, eliminiert.«
»Dann wurde die Kovacs Society gar nicht als Tarnung für eine Pokerrunde gegründet?«, fragte Trout.
Frobisher lächelte. »Die Geschichte lässt gewöhnlich das Interesse der Leute schlagartig erlahmen. Nein, die Kovacs Society war ein Teil der Tarnung. Man ging davon aus, dass sie die erste Adresse für jeden wäre, der sich für seine Arbeit interessiert. Wenn Sie vor ein paar Jahren hier erschienen wären und zu unbequeme Fragen gestellt hätten, wäre meine erste Reaktion ein Telefonanruf gewesen, und Sie wären verschwunden. Sie können froh sein, dass die ganze Einrichtung vor ein paar Jahren aufgelöst wurde.«
»Was ist geschehen?«, wollte Trout wissen.
»Es kam zu Budgetkürzungen«, antwortete Frobisher grinsend. »Eine allgemeine Vergesslichkeit setzte ein. Die wenigen Personen, die über die Übereinkunft Bescheid wussten, starben und nahmen ihr Geheimnis mit ins Grab. Niemand war mehr da, der sich um Budgetfragen kümmerte, also wurde es gestrichen. Im Laufe der Zeit verloren Kovacs und seine Arbeiten an Bedeutung. Genauso wie Nikola Tesla wurde Kovacs zu einer Kultfigur für Verschwörungsgläubige, nur war er nicht so bekannt. Die meisten Leute, die hier vorbeikommen, sind ausgemachte Spinner, wie zum Beispiel einer, der sich eine Spinne auf seine Glatze hat tätowieren lassen. Diejenigen, die sich ein wenig ernsthafter mit dieser Geschichte beschäftigen, werden gewöhnlich durch meine Froby-Nummer abgelenkt.«
»Die Nummer ist nicht schlecht«, meinte Gamay anerkennend.
»Vielen Dank. Ich fing schon an, selbst daran zu glauben. Ich war sozusagen der einsame Torwächter, der die Leute abwimmelte, wenn sie zu neugierig wurden.«
»Sie haben von weltweiten Folgen aufgrund der elektromagnetischen Manipulation gesprochen«, kam Trout wieder auf ihr ursprüngliches Anliegen zurück.
Frobisher nickte. »Was jedem der Beteiligten große Sorgen bereitete, war die Möglichkeit, dass die elektromagnetische Manipulation eine Verschiebung der Pole auslösen könnte.«
»Und ist so etwas möglich?«, fragte Gamay.
»Oh ja. Ich will es Ihnen erklären. Das elektromagnetische Feld der Erde wird durch die Rotation der äußeren Kruste um den festen Teil des Erdkerns erzeugt. Wissenschaftler der Leipziger Universität entwickelten ein Modell, das die Erde als riesigen Dynamo erscheinen lässt. Die Schwermetalle und die flüssige Magma des im Kern angesiedelten Elektromagneten stellen die Kupplung dar. Die leichteren Metalle in der Kruste sind sozusagen die Spulenwindungen. Die Planetenpole werden durch die elektromagnetische Spannung bestimmt. Die magnetischen Pole sind die Folge der Strudel und Wirbel im flüssigen Kern. Die Magnetpole neigen zum Wandern. Navigatoren berücksichtigen diesen Effekt stets bei ihren Berechnungen. Wenn ein Pol schwächer wird, könnte es zu einer Umkehr von magnetischem Süd– und Nordpol kommen.«
»Was wäre die Folge dieser Polumkehr?«, fragte Gamay.
»Es käme zu empfindlichen Störungen, die durchaus Katastrophencharakter annehmen können. Energiesysteme würden ausfallen. Satelliten wären plötzlich nutzlos. Kompasse würden durchdrehen. In der Ozonschicht könnten große Löcher entstehen, die wiederum gesundheitliche Probleme aufgrund ungefilterter Sonnenstrahlung zur Folge hätten. Man könnte das Polarlicht viel weiter im Süden beobachten. Vögel und andere Tiere würden bei ihren Wanderungen in die Irre geleitet.«
»Das wären wirklich heftige Störungen«, gab Gamay zu.
»Ja, aber all das wäre harmlos im Vergleich mit den Auswirkungen einer geologischenPolverschiebung.«
Als Tiefseegeologe wusste Trout genau, was Frobisher meinte. »Worauf Sie offensichtlich abzielen, ist eine tatsächliche Bewegung der Kruste über dem Erdkern und nicht so sehr eine Veränderung des elektromagnetischen Feldes der Erde.«
»Genau. Der feste Teil der Erde schwimmt auf dem flüssigen Teil. Es gibt Hinweise, dass so etwas schon früher vorkam, ausgelöst durch ein natürliches Ereignis wie zum Beispiel einen vorbeiziehenden Kometen.«
»Ich bin Tiefseegeologe«, sagte Trout. »Ein Komet ist die eine Sache. Ich habe jedoch Schwierigkeiten, mir vorzustellen, dass von Menschen vorgenommene Maßnahmen wesentliche physikalische Veränderungen auslösen können.«
»Deshalb waren Kovacs’ Untersuchungen ja so wichtig.«
»Inwiefern?«
Frobisher erhob sich und ging in dem kleinen Raum einige Male auf und ab, um seine Gedanken zu ordnen, dann blieb er stehen und vollführte mit seinem Zeigefinger eine Kreisbewegung.
»Da ist noch ein völlig anderer Aspekt. Das gesamte Universum wird vom Elektromagnetismus gesteuert. Die Erde ist aufgeladen wie ein riesiger Elektromagnet. Veränderungen des Feldes können eine Verschiebung der Polarität auslösen, wie wir soeben festgestellt haben. Es gibt jedoch noch einen weiteren Effekt, auf den Kovacs während seiner Forschungen gestoßen ist. Materie oszilliert zwischen den Zuständen Materie und Energie.«
Trout nickte verstehend. »Wenn ich Sie richtig interpretiere, kann mittels einer Veränderung des elektromagnetischen Feldes der Erde die Position von Materie auf der Erdoberfläche ebenfalls verändert werden.«
»Das könnte eine Erklärung für die ozeanischen Störungen sein«, warf Gamay ein.
Frobisher schnippte mit den Fingern und grinste triumphierend. »Damit haben Sie sich beide eine dicke Zigarre verdient.«
»Was würde bei einer Festlandverschiebung passieren?«, fragte Gamay.
Frobishers Lächeln verflog. »Die Ruhekräfte würden auf die Materieverschiebung reagieren. Die Wassermassen der Weltmeere und der Seen würden in eine andere Richtung gerissen, gegen die Küsten branden und heftige Überschwemmungen auslösen. Sämtliche elektrischen Anlagen würden versagen. Es käme zu heftigsten Hurrikans und Tornados. Die Erdkruste würde aufbrechen. Erdbeben, Vulkanausbrüche und riesige Lavaströme wären die Folge. Es käme zu drastischen und lange andauernden Klimaveränderungen. Vermehrte Sonnenstrahlung, die das Magnetfeld der Erde durchdringt, würde bei Millionen von Menschen die Strahlenkrankheit auslösen und zum Tod führen.«
»Es käme also zu einer weltweiten Katastrophe ungeahnten Ausmaßes«, sagte Gamay.
»Nein.«
Frobisher schüttelte den Kopf, und seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Ich rede von nichts anderem als dem Ende jedweder lebenden Materie – im Grunde vom Weltuntergang.«
Während der Rückfahrt nach Albuquerque, von wo aus sie nach Hause fliegen würden, war Paul Trout derjenige, der sich in Schweigen hüllte.
»Einen Penny für deine Gedanken«, sagte Gamay. »Natürlich unter Berücksichtigung der Inflationsrate.«
Trout schien aus einer Trance aufzuwachen. »Ich dachte gerade an Roswell in New Mexico, wo angeblich das UFO abgestürzt sein soll.«
»Vielleicht können wir ein andermal hinfahren. Nach dem Vortrag deines Freundes Frobisher summt mir der Kopf von Verschwörungstheorien.«
»Was hältst du von ihm?«
»Entweder ist er ein fröhlicher Exzentriker, oder er ist beängstigend normal.«
»Das ist auch meine Meinung, was mich letztlich auf Roswell gebracht hat. Einige UFO-Freaks berichten, dass der Präsident nach dem Vorfall einer Gruppe hochrangiger Wissenschaftler und Regierungsvertreter den Auftrag gab, die Angelegenheit zu untersuchen und zu vertuschen. Die Gruppe erhielt die Bezeichnung MJ12.«
»Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Meinst du, dass es zu dem, was wir gehört haben, allzu enge Parallelen gibt?«
»Vielleicht, aber es besteht eine Möglichkeit, die Richtigkeit seiner Aussagen zu bestätigen.«
»Und welche?«
Eine schlichte Broschüre lag auf der Mittelkonsole zwischen den beiden Vordersitzen. Frobisher hatte sie ihnen mit dem Hinweis überreicht, dass Kovacs dieses einzige Exemplar der mathematischen Grundlagen seiner umstrittenen Theoreme hatte drucken lassen. Die vergilbten Seiten waren randvoll mit mathematischen Gleichungen gefüllt. Trout ergriff die Broschüre und sagte: »Lazio Kovacs konnte seine Theoreme nicht testen. Wir hingegen können es.«