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Packeis
  • Текст добавлен: 12 октября 2016, 05:46

Текст книги "Packeis"


Автор книги: Clive Cussler


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Триллеры


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2

Seattle, Washington

Der pfeilschlanke Kajak flog über die saphirblaue Oberfläche des Puget Sound, als wäre er von einer Bogensehne abgeschossen worden. Der breitschultrige Mann in dem engen Sitz schien mit dem Holzboot zu einer Einheit verwachsen zu sein. Er tauchte die Schaufeln seines Paddels mit lockeren, fließenden Bewegungen ins Wasser und konzentrierte die Kraft seiner muskulösen Arme in präzis abgezirkelte Züge, die den Kajak mit gleichmäßigem Tempo vorwärtstrieben.

Schweiß glänzte auf den markanten, sonnenverbrannten Gesichtszügen des Bootsfahrers. Seine durchdringenden, hellblauen Augen, die an die Farbe von Korallen unter Wasser erinnerten, erfassten die weite Fläche der Meerenge, die nebelverhangenen San Juan Islands und, in der Ferne, die schneebedeckten Olympic Mountains. Kurt Austin pumpte die salzige Luft in seine Lungen und verzog die Lippen zu einem breiten Grinsen. Es tat gut, zu Hause zu sein.

Austins Pflichten als Direktor des Spezialteams für Sonderaufgaben bei der National Underwater and Marine Agency führten ihn ständig an die abgelegensten Orte der Welt. Verliebt ins Meer und alles, was damit zu tun hat, hatte er sich jedoch in den Gewässern um Seattle, wo er geboren war. Der Puget Sound war ihm so vertraut wie ein alter Jugendschwarm. Er war auf der Meerenge gesegelt, seit er laufen konnte, und an einem Rennen hatte er das erste Mal im Alter von zehn Jahren teilgenommen. Seine große Liebe gehörte Rennbooten. Er besaß vier davon: einen Acht-Tonnen-Katamaran, der Geschwindigkeiten von über hundertsechzig Kilometern in der Stunde schaffte, ein kleineres Außenbord-Hydroplane, ein Zwanzig-Fuß-Segelboot und ein Rennskiff, mit dem er am liebsten frühmorgens auf dem Potomac ruderte.

Der letzte Zuwachs seiner Flotte war ein maßgefertigter Guillemot-Kajak. Er hatte ihn während einer früheren Reise nach Seattle gekauft. Ihm gefielen die Holzkonstruktion und die elegante Form des schlanken Rumpfs, der sich an einem auf den Aleuten gebräuchlichen Bootstyp orientierte. Wie all seine Boote war es schnell und schön zugleich.

Austin war so sehr damit beschäftigt, die vertraute Umgebung und ihre typischen Gerüche in sich aufzunehmen, dass er fast vergaß, dass er nicht alleine war. Er blickte über die Schulter. Eine Flottille von fünfzig Kajaks folgte mit deutlichem Abstand seiner perlenschnurähnlichen Kiellinie. Die schweren, doppelsitzigen Glasfiberkajaks trugen jeweils einen Erwachsenen – meistens ein Elternteil – und ein Kind. Sie waren sicher und schwerfällig und keine Konkurrenz für Austins Rennpferd. Er nahm seine türkisfarbene NUMA-Baseballmütze ab, die einen Wust vorzeitig ergrauter, fast platinweißer Haare enthüllte, und schwenkte sie über dem Kopf hin und her, um seine Verfolger anzutreiben.

Austin hatte keinen Moment gezögert, als sein Vater, der reiche Inhaber einer internationalen, in Seattle ansässigen Bergungsfirma, ihn gebeten hatte, das alljährliche Wohltätigkeits-Kajakrennen anzuführen, das er sponserte, um Spenden einzusammeln. Austin hatte sechs Jahre lang für Austin Marine Salvage gearbeitet, ehe er in eine nur wenig bekannte Abteilung der CIA hineingelockt worden war, die sich auf Unterwasserspionage spezialisiert hatte. Nachdem der Kalte Krieg beendet war, hatte die CIA die Spionageabteilung geschlossen, und Austin wurde von James Sandecker engagiert, der die NUMA leitete, ehe er Vizepräsident der Vereinigten Staaten wurde.

Austin tauchte sein Paddel ins Wasser und steuerte den Kajak auf zwei Boote zu, die knapp fünfhundert Meter voraus mit einem Abstand von dreißig Metern zueinander vor Anker lagen. In den Booten befanden sich Rennfunktionäre und Presseleute. Zwischen den beiden Booten spannte sich ein breites, rot-weiß gestreiftes Plastikbanner mit der Aufschrift FINISH. Jenseits der Ziellinie lag eine aus einem Lastkahn und einem Fährschiff zusammengekoppelte Insel im Wasser. Am Ende des Rennens würden die Kajaks auf den Lastkahn gezogen, und die Rennteilnehmer würden auf dem Fährschiff zu Mittag essen. Austins Vater beobachtete das Rennen von einem achtundvierzig Fuß langen Powerboot aus, auf dessen schneeweißem Rumpf die Aufschrift White Lightningsowohl Name wie auch Programm war.

Austin erhöhte seine Schlagzahl und bereitete seinen Endspurt vor, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Er schaute nach rechts und gewahrte eine große gebogene Flosse, die durch die Wellen schnitt und auf ihn zukam. Gleichzeitig tauchten plötzlich mindestens zwanzig weitere Flossen dahinter aus dem Wasser auf.

Der Puget Sound bot mehreren Herden Orcas, die sich von Lachsen ernährten, ausreichend Lebensraum. Sie waren zu örtlichen Maskottchen aufgestiegen und stellten mittlerweile einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor dar, indem sie Touristen aus aller Welt anlockten. Sie kamen in Scharen nach Seattle, um mit Booten hinauszufahren und die Wale zu beobachten oder um an Kajaktouren teilzunehmen. Die Mörderwale kamen dicht an die Kajaks heran und veranstalteten oft eine große Show, erhoben sich halb aus dem Wasser oder vollführten spektakuläre Sprünge. In der Regel schwammen die Orcas anschließend harmlos vorbei, oft nur wenige Schritte von den Booten entfernt, ohne sie anzugreifen.

Als die erste Flosse nur noch knapp zwanzig Meter weit entfernt war, stellte der Orca sich auf seine Schwanzflosse. Er ragte fast mit seiner vollständigen Größe von acht Metern Länge aus dem Wasser. Austin ließ das Paddel ruhen, um das Schauspiel zu verfolgen. Er hatte dieses Manöver schon des Öfteren beobachten können, aber es war immer wieder ein atemberaubender Anblick. Der Wal, der sich für ihn interessierte, war ein großer Bulle, wahrscheinlich der Chef der Herde, und wog mindestens sieben Tonnen. Wasser perlte glitzernd an seinem glatten, schwarz-weißen Körper herab.

Der Wal ließ sich ins Wasser zurückfallen, und seine Flosse setzte sich wieder in Richtung Kurt Austin in Bewegung. Aufgrund früherer Erfahrungen rechnete er damit, dass der Wal im letzten Moment unter dem Kajak durchtauchen würde. Aber als er nur noch wenige Meter weit weg war, richtete der Wal sich abermals auf und öffnete sein Maul. Die Reihen rasiermesserscharfer Zähne im rosigen Maul befanden sich in Reichweite. Ungläubig starrte Austin in den Walschlund. Es war, als hätte sich ein von allen geliebter Zirkusclown plötzlich in ein Monstrum verwandelt. Die Kiefer begannen sich zu schließen. Geistesgegenwärtig rammte Austin das hölzerne Paddel in das Maul des Meeressäugers. Ein lautes Knacken ertönte, als die Zähne das Paddel zermalmten.

Der massige Körper des Wals kippte nach vorne auf den Vorderteil des fünfunddreißig Pfund schweren Kajaks und verwandelte es in einen Splitterregen. Austin landete im kalten Wasser. Er versank sekundenlang, dann stieg er zur Oberfläche hinauf, getragen von seiner Schwimmweste. Er spuckte einen Mund voll Meerwasser aus und drehte sich um. Zu seiner Erleichterung entfernte sich die Rückenflosse von ihm.

Die Walherde befand sich zwischen Austin und einer nahen Insel. Anstatt diese Richtung einzuschlagen, schwamm er weiter hinaus in die Bucht. Nach ein paar Zügen hielt er inne und wälzte sich auf den Rücken. Die Gänsehaut, die seinen Rücken überspannte, rührte nicht alleine vom kalten Wasser her.

Eine Phalanx von Rückenflossen machte Jagd auf ihn. Er streifte seine Wasserschuhe ab und schlängelte sich aus seiner Schwimmweste, die ihn nur behinderte. Er wusste, dass diese Aktion eigentlich sinnlos war. Auch ohne Schwimmweste hätte er sich einen Außenbordmotor auf den Rücken schnallen müssen, um einem Orca zu entkommen. Mörderwale schafften Geschwindigkeiten von bis zu fünfundvierzig Kilometern in der Stunde.

Austin hatte sich seinen menschlichen Gegnern stets mit eisiger Ruhe und Gelassenheit gestellt, aber dies hier war etwas anderes. Er wurde von einem urzeitlichen Grauen gepackt, das schon seine steinzeitlichen Vorfahren durchlebt haben mussten, nämlich von der Angst, aufgefressen zu werden. Während sich die Wale näherten, konnte er deutlich das leise wässrige Gurgeln hören, das sie erzeugten, als sie Luft durch ihre Blaslöcher ausstießen.

Schuuhhf-schuuhhf.

In dem Augenblick, als er damit rechnete, dass scharfe Zähne sich in sein Fleisch bohren würden, wurde der Chor nasser Atemgeräusche vom Dröhnen starker Motoren zugedeckt. Mit vom Wasser halb geblendeten Augen erkannte er Sonnenreflexe auf einem Bootsrumpf. Hände streckten sich ihm entgegen, um seine Arme zu packen. Seine Knie prallten schmerzhaft gegen den harten Kunststoffrumpf des Bootes, und er rutschte schlaff wie ein Fisch am Haken auf das Deck.

Ein Mann beugte sich über ihn. »Sind Sie okay?«

Austin füllte seine Lungen gierig mit frischer Luft und bedankte sich dann bei dem unbekannten Samariter für seine Hilfe.

»Was ist passiert?«, wollte der Mann wissen.

»Ich wurde von einem Wal angegriffen.«

»Das ist unmöglich«, erwiderte der Mann. »Sie sind doch wie große, zutrauliche Hunde.«

»Sagen Sie das mal den Walen.«

Austin kämpfte sich auf die Füße. Er befand sich auf einem perfekt ausgestatteten Powerboot von etwa zehn Metern Länge. Der Mann, der ihn aus dem Wasser gezogen hatte, hatte einen glatt rasierten Schädel, auf dessen Haut eine Spinne tätowiert war. Seine Augen versteckten sich hinter den verspiegelten blauen Gläsern einer Sonnenbrille, und bekleidet war er mit einer schwarzen Jeans und einer ebenfalls schwarzen Lederjacke.

Hinter dem Mann war auf dem Deck ein etwa zwei Meter hohes, nach oben spitz zulaufendes Gerüst aus Stahlstäben verankert. Dicke Stromkabel schlängelten sich wie Lianen von der Konstruktion in alle Richtungen weg. Austin betrachtete das seltsame Gebilde sekundenlang, doch weit mehr interessierte ihn, was im Wasser vor sich ging.

Die Orcaherde, die ihn gejagt hatte wie ein Rudel hungriger Seewölfe, wendete sich von dem Boot ab und steuerte nun auf die anderen Kajakfahrer zu. Ein paar Leute hatten wohl gesehen, wie Austin gekentert und im Wasser gelandet war, aber sie hatten sich nicht nahe genug befunden, um Zeugen der Attacke zu sein. Nun, da Austin nicht mehr die Vorhut bildete, waren die anderen Rennteilnehmer verwirrt. Einige paddelten langsam weiter. Die meisten hatten jedoch die Paddel sinken lassen und im Wasser angehalten, wo sie nun trieben wie Gummienten in einer Badewanne.

Die Orcas kamen den verwirrten Rennpaddlern schnell näher. Weit beängstigender jedoch war, dass weitere Walherden in nächster Umgebung der Kajakflottille auftauchten und sich zum Angriff formierten. Die Rennteilnehmer ahnten noch nichts von der Gefahr, die sich ihnen mit gefletschten Zahnreihen näherte. Viele von ihnen kannten die Meerenge von zahlreichen Kajakausflügen und wussten, dass die Orcas harmlos waren.

Austin schob sich hinter das Lenkrad des Bootes. »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen«, sagte er, während er den Gashebel nach vorne schob.

Die Erwiderung des Mannes ging im Aufheulen der beiden Außenbordmotoren unter. Schnell hob das Boot sich aus dem Wasser und glitt darüber hinweg. Austin zielte mit dem Bug auf die schmale Lücke zwischen den Kajakfahrern und den heranjagenden Rückenflossen. Er hoffte, dass der Lärm der Motoren und das Klatschen des auf die Wellen schlagenden Rumpfs die Orcas verscheuchen würde. Sein Herz blieb fast stehen, als die Walherde sich in zwei Gruppen teilte, die um ihn herumschwammen und weiter auf ihre Beute zusteuerten. Er wusste, dass Orcas miteinander kommunizierten, um ihre Attacken zu koordinieren. Innerhalb weniger Sekunden traf die Herde die Kajakflotte wie ein Torpedofächer. Sie rammten die leichten Boote mit ihren mächtigen Leibern. Mehrere Kajaks kippten einfach um, und ihre Insassen stürzten ins Wasser.

Austin drosselte das Tempo des Bootes und lenkte es zwischen die in den Wellen tanzenden Köpfe von Kindern und ihren Eltern und die messerscharfen Orcaflossen. Die White Lightningbefand sich in nächster Nähe einiger gekenterter Kajaks, doch die Situation war viel zu chaotisch, als dass sie wesentliche Hilfe hätte leisten können. Austin sah, wie eine der größten Flossen sich einen Mann aussuchte, der im Wasser trieb und seine Tochter im Arm hielt. Austin würde mit dem Boot andere Paddler erwischen, wenn er versuchte, den beiden zu Hilfe zu kommen. Er wandte sich an seinen Retter.

»Haben Sie ein Harpunengewehr an Bord?«

Der kahlköpfige Mann fingerte hektisch an einem Instrumentenkasten herum, der durch ein Kabel mit dem Gerüst verbunden war. Er schaute von dem Kasten hoch und schüttelte den Kopf.

»Es ist okay«, sagte er. »Sehen Sie!« Er deutete nach vorne auf das Durcheinander gekenterter Kajaks.

Die große Rückenflosse war zur Ruhe gekommen. Sie verhielt an Ort und Stelle, wackelte verspielt im Wasser, nur wenige Schwimmzüge von dem Mann und seiner Tochter entfernt. Dann entfernte sie sich allmählich von den geborstenen Kajaks und ihren unglücklichen Insassen.

Die anderen Flossen folgten. Die übrigen Herden, die sich angriffslustig den Schiffbrüchigen genähert hatten, brachen ebenfalls ihren Angriff ab und strebten gemütlich ins offene Wasser hinaus. Der große Bulle vollführte einen hohen, ausgelassenen Sprung. Schon nach wenigen Minuten war von den Orcas nichts mehr zu sehen.

Ein Junge war von seinem Vater getrennt worden. Er schien seine Schwimmweste nicht richtig übergestreift zu haben, denn sein Kopf geriet unter Wasser. Austin beugte sich über den Bootsrand und stieß sich von der Bordwand ab. In einem eleganten Bogen tauchte er ins Wasser und kraulte auf den Jungen zu. Er erreichte ihn, kurz bevor sein Kopf ganz unter der Wasseroberfläche verschwand.

Während er den Kopf des Jungen über Wasser hielt, behielt Austin wassertretend seine Position bei. Er brauchte nur wenige Sekunden zu warten. Die White Lightninghatte ihre sich selbst aufblasenden Rettungsinseln zu Wasser gelassen, und Paddler wurden aus dem Meer gefischt. Austin reichte den Jungen seinen Rettern und vollführte im Wasser eine Drehung. Der kahlköpfige Mann und sein Boot waren verschwunden.

Kurt Austin senior war ein älteres Spiegelbild seines Sohnes. Seine breiten Schultern hingen leicht herab, aber sie sahen noch immer aus, als seien sie fähig, sich mit roher Gewalt den kürzesten Weg durch eine Mauer zu bahnen. Sein immer noch volles, platinsilbernes Haar war kürzer geschnitten als das seines Sohnes, der sich häufiger an Orten aufhielt, an denen weit und breit kein Friseur zu finden war.

Obgleich schon Mitte siebzig, hatte eine strenge Routine aus Krafttraining und ausgewogener und maßvoller Ernährung ihn schlank und fit erhalten. Er konnte noch immer Arbeitstage überstehen, die so manchen, der nur halb so alt war wie er, an den Rand der Erschöpfung gebracht hätten. Sein Gesicht war von der Sonne und vom Meer kräftig gebräunt, und seine bronzene Haut war mit einem feinen Netzwerk von Falten und Fältchen durchzogen. Seine korallenblauen Augen konnten mit löwenhafter Wildheit blitzen, aber wie die seines Sohnes schauten sie gewöhnlich mit einem Ausdruck leichten Amüsements auf die Welt ringsum.

Die beiden Austins saßen im Hauptsalon der White Lightningin üppigen Polstersesseln und hatten jeder ein mindestens halb volles Glas Jack Daniel’s in der Hand. Kurt hatte sich von seinem Vater einen maßgeschneiderten Trainingsanzug ausgeborgt. Das Wasser des Puget Sound war wie eine mit Eiswürfeln gefüllte Badewanne gewesen, und der Alkohol, der durch Kurt Juniors Kehle rann, ersetzte die Kälte in seinen äußeren Extremitäten durch angenehme Wärme.

Der Salon war in Leder und Messing eingerichtet und mit Polo– und Pferderennkunstdrucken dekoriert. Kurt fühlte sich, als ob er sich in einem jener exklusiven englischen Herrenclubs aufhielt, wo ein Mitglied in seinem Polstersessel sterben und tagelang nicht gefunden werden konnte. Sein rüstiger, unternehmungslustiger Vater war nicht gerade der Typ englischer Gentleman, und Kurt vermutete, dass die im Salon geschaffene Atmosphäre die Kanten abschleifen sollte, die er sich bei seinem Kampf um die Spitzenposition in einem konkurrenzkampfträchtigen Gewerbe geholt hatte.

Der alte Herr füllte ihre Gläser auf und bot Kurt eine kubanische Cohiba-Lanceros-Zigarre an, die dankend abgelehnt wurde. Austin senior zündete seine an und stieß eine rosige Qualmwolke aus, die seinen Kopf einhüllte.

In Kurts Gedanken herrschte noch immer ein großes Durcheinander. Er revidierte seine Entscheidung hinsichtlich der Zigarre. Während er das männliche Ritual des Anzündens absolvierte, ordnete er seine Gedanken. Er trank einen weiteren Schluck aus seinem Glas und schilderte dann sein Erlebnis.

»Verrückt!«, fasste Austin senior die Summe seiner verschiedenen Reaktionen zusammen. »Verdammt, diese Wale haben noch niemandem ein Leid zugefügt. Das weißt du selbst. Schließlich bist du seit deiner Kindheit ständig auf dem Wasser. Hast du jemals von so etwas auch nur gehört?«

»Nein.« Kurt schüttelte den Kopf. »Orcas scheinen die Nähe von Menschen regelrecht zu suchen, was mir schon immer ein Rätsel war.«

Austin senior quittierte diese Aussage mit einem kurzen Lachen. »Das ist kein Rätsel. Sie sind schlau, und sie wissen, dass wir mindestens ebenso gefährliche Raubtiere sind wie sie selbst.«

»Der einzige Unterschied ist, dass sie meistens nur töten, wenn sie Hunger haben und Nahrung brauchen.«

»Das ist richtig«, sagte Austin senior. Er wollte Whiskey nachschenken, doch Kurt winkte ab. Er hatte keinen Ehrgeiz, mit seinem Vater mitzuhalten.

»Du kennst doch so gut wie jeden in Seattle. Ist dir schon mal ein glatzköpfiger Typ mit einer Spinnentätowierung auf dem Schädel begegnet? Er dürfte in den Dreißigern sein. Bekleidet war er mit schwarzen Lederklamotten wie ein Hell’s Angel.«

»Der Einzige, auf den diese Beschreibung zutrifft, ist Spiderman Barrett.«

»Ich hatte keine Ahnung, dass du auch ein Comicfreak bist, Pop.«

Austins Gesicht verzog sich zu einem faltigen Grinsen.

»Barrett ist ein Computerexperte, der ganz dick im Geschäft ist. Eine Art Westentaschen-Bill-Gates. Er ist nur drei Milliarden Dollar schwer. Er wohnt in einem großen Haus mit Blick auf den Puget Sound.«

»Er hat mein tiefstes Mitgefühl. Kennst du ihn persönlich?«

»Nur vom Sehen. Er war eine Größe in der örtlichen Nachtclubszene. Dann verschwand er von der Bildfläche.«

»Was ist mit seinem Kopfschmuck?«

»Soweit ich gehört habe, soll er als Kind ein großer Spiderman-Fan gewesen sein. Er schnitt sich die Haare ab, ließ sich die Tätowierung machen und hat die Haare wieder wachsen lassen. Als er älter wurde und ihm die Haare ausfielen, erschien die Tätowierung, woraufhin er sich den Kopf rasiert hat. Verdammt, mit dem Geld, das Barrett zur Verfügung hat, könnte er sich die gesammelten Sonntagscomics auf die Pelle tätowieren, ohne dass jemand auch nur mit der Wimper zuckt.«

»Ob exzentrisch oder nicht, auf jeden Fall hat er mich davor gerettet, als Walköder zu enden. Ich würde mich gerne bei ihm bedanken und mich dafür entschuldigen, dass ich so einfach das Kommando über sein Boot übernommen habe.«

Austin junior wollte seinem Vater schon von der Stahlkonstruktion auf Barretts Boot erzählen, als ein Matrose im Salon erschien und meldete: »Jemand von Fish and Wildlife ist hier.«

Kurz darauf betrat eine zierliche, junge, dunkelhaarige Frau in der grünen Uniform des U. S. Fish and Wildlife Service den Salon. Sie war Mitte zwanzig, obgleich ihr strenges dunkles Brillengestell und ihr ernster Ausdruck sie viel reifer aussehen ließen. Sie stellte sich als Sheila Rowland vor und sagte, sie hätte an Kurt junior einige Fragen zu seiner Wal-Begegnung der seltsamen Art.

»Entschuldigen Sie, dass ich so einfach bei Ihnen hereinplatze«, begann sie, »aber wir haben jeglichen Kajakbetrieb auf dem Puget Sound verboten, bis wir diesem Vorfall auf den Grund gegangen sind. Das Beobachten der Wale ist in dieser Region ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, daher hat diese Untersuchung absoluten Vorrang. Die Souvenirhändler und Bootsvermieter schreien bereits Zeter und Mordio wegen des Verbots, aber wir dürfen kein Risiko eingehen.«

Austin Senior forderte sie auf, Platz zu nehmen, und Kurt erzählte seine Geschichte zum zweiten Mal.

»Das ist höchst seltsam«, stellte Sheila Rowland kopfschüttelnd fest, nachdem er geendet hatte. »Ich habe noch nie gehört, dass Orcas gezielt einen Menschen angreifen.«

»Was ist denn mit den gelegentlichen Attacken in Seewasseraquarien?«, fragte Kurt.

»In diesen Fällen handelt es sich um Wale, die in Gefangenschaft gehalten werden und ständig irgendwelche Kunststücke vorführen müssen. Sie werden aggressiv, weil sie eingesperrt und gelegentlich überfordert sind, und lassen manchmal ihre Wut ganz spontan an ihren Trainern aus. Es hat auch in freier Wildbahn Fälle gegeben, in denen ein Orca sich ein Surfbrett geschnappt hat, weil er es für eine Robbe gehalten hat. Doch sobald sie ihren Irrtum bemerkten, haben sie die Surfer ausgespien.«

»Ich vermute, dass dem Wal, mit dem ich aneinandergeraten bin, mein Gesicht nicht gefallen hat«, sagte Kurt mit seinem typischen trockenen Humor.

Sheila Rowland lächelte und dachte bei sich, dass Kurt Austin mit seinem gebräunten Gesicht und seinen durchdringenden hellblauen Augen einer der attraktivsten Männer war, denen sie je begegnet war. »Das glaube ich nicht. Wenn ein Orca Ihr Gesicht nicht leiden könnte, dann hätten Sie keins mehr. Ich habe mal beobachtet, wie ein Orca einen fünfhundert Pfund schweren Seelöwen herumgeschleudert hat wie eine Lumpenpuppe. Ich werde mich mal erkundigen, ob es irgendwelche Videoaufnahmen von dem Vorfall gibt.«

»Das dürfte kein Problem sein angesichts der vielen Kameras, die das Rennen verfolgt haben«, sagte Kurt. »Gibt es Ihrer Meinung nach irgendetwas, das die Wale gereizt und ihre Aggressivität ausgelöst haben könnte?«

Sie schüttelte den Kopf. »Orcas haben ungemein empfindliche Sinnesorgane. Wenn irgendetwas in ihrer Umgebung aus dem Lot gerät, könnte es sein, dass sie diese Störung mit einer Attacke gegen das nächstliegende Objekt kompensieren.«

»Ähnlich wie die Wale in den Seewasseraquarien?«

»Schon möglich. Ich werde mich mal mit einigen Cetologen unterhalten und mich erkundigen, was sie dazu meinen.«

Sie erhob sich und bedankte sich bei den beiden Männern für ihr Entgegenkommen. Nachdem sie von Bord gegangen war, wollte Austin senior eine weitere Runde ausschenken, aber Kurt deckte eine Hand über sein Glas.

»Ich weiß, was du vorhast, du alter Fuchs. Du versuchst, mich zu shanghaien und auf eins deiner Bergungsschiffe zu entführen.«

Kurt Senior hatte niemals einen Hehl aus seinem Wunsch gemacht, seinen Sohn von der NUMA wegzulocken und ihn in den Familienbetrieb zurückzuholen. Kurt juniors Entscheidung, bei der NUMA zu bleiben, anstatt die Leitung der Firma zu übernehmen, war zwischen den beiden Männern lange ein Streitpunkt gewesen. Im Laufe der Jahre hatten sie gelernt, diese Angelegenheit eher humorvoll zu behandeln.

»Du entwickelst dich allmählich zu einem Weichei«, stellte der ältere Austin mit einem Ausdruck gespielter Abscheu fest. »Wenn du ehrlich bist, musst du zugeben, dass die NUMA nicht allzu viel Aufregendes zu bieten hat.«

»Ich habe es dir doch schon des Öfteren erklärt, Pops. Es geht mir nicht um Spannung und Abenteuer.«

»Ja, ich weiß. Es geht dir um deine Pflicht gegenüber deinem Vaterland und so weiter. Das Schlimmste ist, dass ich es Sandecker jetzt, wo er Vizepräsident ist, gar nicht mehr übel nehme, dich in Washington festzuhalten. Wie sehen denn deine weiteren Pläne aus?«

»Ich werde noch ein paar Tage hierbleiben. Ich muss mir einen neuen Kajak bestellen. Und was ist mit dir?«

»Ich habe einen dicken Auftrag an Land gezogen und soll vor Hanes in Alaska ein abgesoffenes Fischerboot heben. Möchtest du mich nicht begleiten? Ich könnte dich gut gebrauchen.«

»Vielen Dank, aber ich bin sicher, du kommst mit dem Projekt alleine zurecht.«

»Nimm mir nicht übel, dass ich es wieder mal versucht habe. Aber okay, erledigt, dann lass dich wenigstens von mir zum Dinner einladen.«

Kurt Austin arbeitete sich im Lieblingssteakhaus seines Vaters soeben durch einen beachtlichen Klotz Rindfleisch, als er spürte, wie sein Mobiltelefon vibrierte. Er entschuldigte sich und nahm den Anruf im Foyer an. Vom winzigen Display des Videophones aus sah Kurt Austin ein dunkelhäutiger Mann mit kräftigem schwarzem Haar an, das er glatt zurückgekämmt trug. Joe Zavala gehörte zu Austins Spezialteam für Sonderaufträge und war von Sandecker direkt nach seiner Abschlussprüfung am New York Maritime College rekrutiert worden. Er war ein hervorragender Marineingenieur, dessen Sachkenntnis in der Konstruktion von Unterseebooten sich bei der NUMA ungehindert austoben konnte.

»Freut mich, dich immer noch in einem Stück anzutreffen«, sagte Zavala. »Die Orca-Attacke während deines Kajakrennens war die Sensationsmeldung in sämtlichen Nachrichtensendungen. Bist du okay?«

»Mir geht’s gut. Man könnte sogar sagen, ich fühle mich wie ein Fisch im Wasser.«

Zavala verzog die Lippen zum Anflug eines Lächelns.

»Mein Leben ist ja so langweilig. Wer anders als Kurt Austin schafft es schon, ein Wohltätigkeits-Kajakrennen in einen Kampf auf Leben und Tod mit einer Herde durchdrehender Mörderwale zu verwandeln?«

»Als ich dich das letzte Mal sah, hast du höchst intensiv an der Erfüllung deines Lebenstraums gearbeitet, nämlich jede verfügbare Frau in Washington auf dein Lager zu ziehen. Ich würde das nicht gerade langweilig nennen.«

Der stets gesellige Zavala war bei vielen der unverheirateten Frauen in Washington äußerst beliebt, und sie fühlten sich von seinem Charme, seinen gefühlvoll blickenden dunkelbraunen Augen und seinem südländisch guten Aussehen unwiderstehlich angezogen.

»Ich gebe zu, dass das Leben recht interessant werden kann, wenn ich einer alten Flamme begegne, während ich gerade mit einer neuen Flamme ausgehe, aber das ist nichts im Vergleich mit deinem Rennen. Was ist passiert?«

»Ich esse gerade mit meinem Vater zu Abend, daher kann ich dir erst in ein paar Tagen Bericht erstatten, wenn ich zurückkomme.«

»Es sieht so aus, als wärest du schon eher in Washington. Wir haben Befehl erhalten, noch heute Norfolk zu verlassen. Kennst du Joe Adler?«

»Der Name klingt irgendwie vertraut. Ist er nicht der Wellenspezialist bei Scripps?«

»Er ist einer der fähigsten Fachleute für Ozeanwellen der Welt. Wir helfen ihm, die Southern Bellezu finden.«

»Ich kann mich erinnern, etwas über die Bellegelesen zu haben. Sie ist doch dieses riesige Containerschiff, das im vergangenen März untergegangen ist.«

»Richtig. Rudi hat mich angerufen. Adler möchte dich bei dem Projekt dabeihaben. Offensichtlich hat er einigen Einfluss, denn Rudi hat ihm sofort seine Bitte erfüllt.« Rudi Gunn trug die Verantwortung für die vielfältigen Operationen der NUMA.

»Das ist merkwürdig. Ich habe Adler nie persönlich kennen gelernt. Bist du sicher, dass er sich nicht geirrt hat? Es gibt bei der NUMA mindestens ein Dutzend Leute, die schon an Schiffssuchen teilgenommen haben. Warum ich?«

»Rudi sagte, er habe keinen Schimmer. Aber Adler hat international den besten Ruf, daher ist er seiner Bitte nachgekommen, ihm kompetente Hilfe zu schicken.«

»Interessant. Die Belleging irgendwo vor der Mitte der Atlantikküste unter. Wie weit ist das Suchgebiet von der Position entfernt, wo die Trouts zur Zeit arbeiten?« Paul und Gamay Trout, die anderen Mitglieder des Spezialteams für Sonderaufgaben, steckten mitten in einem Meeresforschungsprojekt.

»Nahe genug, so dass wir fast hinrudern und eine Party veranstalten können«, sagte Zavala. »Ich habe schon eine Flasche Tequila eingepackt.«

»Während du einen Catering-Service ausfindig machst und ihn auffahren lässt, was die Tische tragen können, ändere ich meine Flugreservierungen und gebe dir Bescheid, wann ich heimkomme.«

»Ich erwarte dich am Flughafen. Wir haben bereits eine Maschine gechartert, die uns nach Norfolk bringt.«

Sie besprachen noch ein paar Einzelheiten und legten dann auf. Kurt ließ sich die Bitte Adlers durch den Kopf gehen, dann kehrte er an seinen Tisch zurück, um seinen Vater davon in Kenntnis zu setzen, dass er am nächsten Morgen abreisen würde. Wenn Austin senior über die Änderung der Pläne seines Sohnes enttäuscht war, so ließ er sich nichts anmerken. Er bedankte sich bei Kurt, dass er anlässlich des Kajakrennens nach Seattle gekommen war, und sie versprachen einander, sich möglichst bald wieder zu treffen, wenn sie beide mehr Zeit hätten.

Kurt erwischte am nächsten Tag eine frühe Maschine, die von Seattle aus startete. Während das Flugzeug sich in die Lüfte schwang und auf östlichen Kurs ging, dachte er über die gedämpfte Reaktion seines Vaters nach, als er ihm erklärt hatte, dass seine Pläne sich geändert hätten. Er fragte sich, ob Austin senior tatsächlich aufrichtig wünschte, dass er in den Familienbetrieb einstieg. Das würde nämlich heißen, dass der alte Mann zugab, dass er daran dächte, sich zur Ruhe zu setzen. Beide Männer neigten dazu, abweichende Auffassungen zu haben und diese um jeden Preis durchsetzen zu wollen, und es wäre dann, als würden zwei Steuerleute ein Ruderboot lenken.

Auf jeden Fall irrte sein Vater sich, was Kurts große Begeisterung für seine Arbeit bei der NUMA betraf. Es war nicht das Abenteuer, das ihn der Agentur für Meeresforschung treu bleiben ließ. Jede Gelegenheit für einen Adrenalinstoß bedeutete viele Stunden, in denen Berichte geschrieben, Papierkrieg bewältigt und Konferenzen abgehalten werden mussten. Dem versuchte er aus dem Weg zu gehen, indem er stets so lange wie möglich vor Ort blieb. Der Sirenengesang, der ihn immer wieder zurücklockte, war das unergründliche Rätsel namens Ozean.

Rätsel wie die seltsame Begegnung mit den Mörderwalen. Er musste immer wieder an den Vorfall mit den Orcas denken. Und er dachte auch über den Mann mit der seltsamen Tätowierung und über den Sinn und Zweck der elektrischen Vorrichtung auf Barretts Boot nach. Nach ein paar Minuten schob er seine momentan noch fruchtlosen Überlegungen beiseite, nahm sich einen Notizblock und einen Kugelschreiber und begann, einen neuen Kajak zu konstruieren.


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