Текст книги "Packeis"
Автор книги: Clive Cussler
Жанр:
Триллеры
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31
Austin blickte in die gähnende Caldera, während der Paraglider wie ein Kondor durch eine Lücke im Kraterrand rauschte. Der Weg, dem sie den Hang des Vulkans hinauf gefolgt waren, verlief durch den Einschnitt und senkte sich bis zur Mitte der Caldera ab, wo er vor einer nicht allzu hohen Klippe endete. Auf der gegenüberliegenden Seite des Kraters stürzte der Rand fast senkrecht zu einem Gesteinsfeld auf dem Grund der Schüssel ab. Eine nahezu kreisrunde Grünfläche war zwischen dem unteren Ende des Abhangs und dem Irrgarten aus geschwärzten Felsklötzen eingeklemmt.
Austin lenkte den Paraglider in einer gemütlichen Spirale in den Krater hinein und hielt dann Ausschau nach einem geeigneten Landeplatz.
»Was ist das denn da unten?« Zavala deutete auf den Fuß des Abhangs, wo der Weg endete. »Sieht aus wie eine Herde Kühe.«
Austin blinzelte durch die Gläser seiner Schutzbrille. »Viel zu pelzig für Kühe. Vielleicht sind es Yaks.«
»Nach allem, was wir durchgemacht haben, gibt’s noch nicht mal anständige Rindersteaks.«
Austin krümmte sich innerlich bei diesem Kalauer, aber seine Qualen waren nicht von langer Dauer. Zavala lenkte seine Aufmerksamkeit auf einen anderen Bereich der Grünfläche.
»Mich laust der Affe«, sagte Austin. » Menschen!«
Die Gruppe stand am Rand des Gesteinsfeldes. Während der Paraglider in den Sinkflug ging, beobachtete Austin, wie jemand eine andere Person zu Boden schlug. Eine dritte Gestalt wollte dem Gefallenen zu Hilfe eilen, wurde jedoch zurückgerissen. Der Paraglider war mittlerweile weit genug gesunken, so dass Austin hellblonde Haare erkennen konnte.
»Ich glaube, wir haben Karla Janos soeben gefunden«, sagte Austin.
Grishas Lippen waren zu einem Grinsen verzogen, das seine schlechten Zähne entblößte. Er sagte etwas auf Russisch, und seine mordlustigen Komplizen tauchten hinter den Felsen auf, hinter denen sie sich versteckt hatten.
Schroeder versuchte sofort, die Situation einzuschätzen. Während er und Karla auf einem Zickzack-Kurs die Stadt durchquert hatten, konnten Grisha und seine Männer auf dem Hauptboulevard geblieben sein und diesen Weg nach draußen durch Zufall gefunden haben.
Grisha gab seinen Gefangenen ein Zeichen, dass sie auf dem Weg zurückgehen sollten, auf dem sie hergekommen waren. Als die Russen und ihre Gefangenen das Felslabyrinth verließen, erblickte Grisha die Wollhaarmammuts.
»Was sind das denn?«, fragte er. »Schafe?«
»Nein«, erwiderte Schroeder. »Schmetterlinge.«
Er war auf Grishas brutale Reaktion nicht vorbereitet. Der Russe mochte es gar nicht, vor seinen Männern lächerlich gemacht zu werden. Er stieß ein raubtierhaftes Knurren aus, hob sein Gewehr wie einen Knüppel und schlug Schroeder den Lauf ins Gesicht. Während Schroeder zusammenbrach, war das Letzte, was er hörte, Karlas Schrei.
Zavala hatte das Drama unter ihnen genau verfolgt. »Es sieht so aus, als sei sie in schlechter Gesellschaft. Wie willst du die Sache angehen? Habicht auf Maus oder OK Corral?«
Zavala wollte von Austin wissen, ob sie sich möglichst unbemerkt anschleichen oder mit rauchenden Colts am Ort des Geschehens erscheinen sollten.
»Wie wäre es mit Butch Cassidy and the Sundance Kid?«
»Das ist mal was Neues, aber mir soll alles recht sein.«
»Dann reich mir deine Kanone und übernimm die Steuerung. Wir kommen von hinten. So scheint ihnen die Sonne in die Augen.«
»Wyatt Earp hätte einen dieser Apparate gegen die Clantons gut gebrauchen können.«
»Soweit ich mich erinnere, ist er auch ohne ganz gut zurechtgekommen.«
Zavala angelte die Heckler &Koch aus seinem Halfter, gab sie an Austin weiter und legte die Hände auf die Steuerung. Sie kamen schnell herunter. Austin nahm dabei mit einer Waffe in jeder Hand eine Pose wie ein Revolverheld ein.
Grisha hatte einen Arm um Karlas Hals gelegt und seine Hand in ihren Haaren vergraben. Seine andere Hand drückte auf ihr Gesicht, so dass sie kaum atmen konnte. Mit einer einzigen Drehung hätte er ihr das Genick brechen können. Er war wütend genug, sie zu töten, aber seine Habgier war stärker als sein Hang zur Gewalt. Sie war lebendig mehr wert als tot.
Das bedeutete aber nicht, dass er und seine Männer sich mit dieser schönen jungen Frau nicht noch ein wenig vergnügen könnten. Er nahm die Hand von ihrem Gesicht und zog den Reißverschluss ihrer Jacke auf. Enttäuscht über die verschiedenen Schichten warmer Kleidung darunter fluchte er und stieß sie zu Boden. Einer seiner Männer rief ihn.
Grisha bemerkte einen Schatten, der über den Erdboden huschte, und blickte hoch.
Sein Mund klappte vor Staunen auf.
Ein Mann mit zwei Köpfen stürzte sich vom Himmel herab auf ihn.
Als die Entfernung bis auf siebzig Meter geschrumpft war, begann Austin, aus beiden Pistolen zu feuern. Dabei zielte er zur Seite, damit er Karla nicht traf. Ihre Entführer rannten um ihr Leben.
Da Karla nun nicht mehr im Weg war, konnte Austin seine fliehenden Ziele anvisieren, allerdings war es nicht einfach, einen gezielten Schuss anzubringen, während er sich noch in der Luft befand. Zavala brüllte Austin zu, er solle sich schon mal auf die Landung vorbereiten. Daraufhin verstaute dieser eine Pistole in einem Halfter, die andere schob er sich in den Hosenbund.
Sie versuchten, auf den Füßen zu landen, aber sie waren zu schnell hereingekommen. Sie prallten auf dem Erdboden auf und rutschten ein Stück auf Händen und Knien. Glücklicherweise federte die Vegetation den Aufprall ab. Schnell befreiten sie sich von dem Motor. Während Zavala die Leine zum Segel einrollte, ging Austin hinüber zu der blonden Frau, die neben einem älteren Mann kniete.
»Miss Janos?«, fragte Austin.
Sie schaute Austin mit ihren ausdrucksvollen grauen Augen an. »Wer sind Sie?«
»Kurt Austin. Mein Freund Joe und ich suchen schon länger nach Ihnen. Sind Sie okay?«
»Ja, ich schon«, antwortete sie. »Mein Onkel braucht Hilfe.«
Austin holte den Erste-Hilfe-Kasten aus seinem Rucksack. Der Mann war immer noch bei Bewusstsein. Er lag auf dem Rücken und hatte die Augen geöffnet. Er konnte zwischen fünfundsechzig und fünfundsiebzig Jahre alt sein, aber es war schwer zu entscheiden, weil sein markantes Gesicht mit Blut bedeckt war, das aus Verletzungen der Stirn und der Wangen sickerte.
Austin kniete sich neben ihn, säuberte die Wunden und trug eine antiseptische Salbe auf das rohe Fleisch auf. Seine Behandlung musste ziemlich schmerzhaft sein, doch der Mann zuckte kein einziges Mal. Seine eisblauen Augen verfolgten jede Bewegung Austins.
Austin hatte seine Erste-Hilfe-Aktion kaum richtig begonnen, als der Mann sich rührte. »Das reicht. Helfen Sie mir auf.« Mit Austins Unterstützung kämpfte Schroeder sich auf die Füße. Er war hochgewachsen und um einiges größer als Austin mit seinen eins fünfundachtzig.
Karla legte einen Arm um die Taille ihres Onkels. »Geht es dir gut?«
»Ich bin ein zähes altes Krokodil«, sagte er. »Du bist es, um die ich mir Sorgen mache.«
»Ich bin okay, dank dieser beiden Männer.«
Austin bemerkte das enge Band, das offensichtlich zwischen dem alten Mann und der jungen Frau bestand. Er stellte sich und Zavala vor.
»Mein Name ist Schroeder«, revanchierte der Mann sich. »Vielen Dank für Ihre Hilfe. Wie haben Sie uns gefunden?«
»Wir haben mit einer Frau namens Maria Arbatov gesprochen.«
» Maria.Wie geht es ihr?«, wollte Karla wissen.
»Sie wird wieder auf die Beine kommen, aber ihr Mann und zwei andere Männer wurden ermordet. Ich nehme an, es waren Ihre wissenschaftlichen Kollegen. Da war noch ein anderer Mann, den wir nicht identifizieren konnten.«
Karla blickte zu Schroeder, der das Rätsel aufklärte. »Er hat Karla angegriffen. Ich musste ihn aufhalten.« Er blickte hinüber zu dem Gesteinsfeld. »Dies ist ein gefährlicher Ort. Sie kommen sicher zurück. Außerdem besitzen sie Maschinenpistolen, und wir sind hier draußen völlig ungeschützt.«
»Dies hier ist Ihr Terrain«, sagte Austin. »Wo können wir Deckung finden?«
Schroeder deutete auf den Fuß des Abhangs, der sich vom Rand der Caldera herabschwang.
»Da unten in der Stadt.«
Austin fragte sich, ob der Mann aufgrund seiner Verletzungen plötzlich ins Delirium gefallen war.
»Sagten Sie ›Stadt‹?« Er sah lediglich die niedrigen Felsterrassen am Fuß des Berghangs.
»Das ist richtig«, bestätigte Karla. »Oh nein, die Zwerge sind verschwunden. Die Schüsse müssen sie vertrieben haben.«
Jetzt war Zavala an der Reihe, sich zu fragen, ob er richtig gehört hatte. »Zwerge?«
»Ja«, bekräftigte Karla. »Kleine Wollhaarmammuts.«
Austin und Zavala wechselten vielsagende Blicke.
»Genug geredet. Wir müssen aufbrechen«, sagte Schroeder.
Sich an Karlas Arm festhaltend, humpelte er zum Rand der Schüssel. Austin und Zavala bildeten die Nachhut. Schroeders Drängen, endlich loszugehen, erwies sich als guter Rat. Die Gruppe hatte den Rand der Grünfläche fast erreicht, als Grisha und seine Männer plötzlich aus ihrer Deckung hinter den Felsen hervorbrachen und zu schießen begannen.
Erdfontänen wurden hinter der Gruppe im Gras hochgeschleudert.
Es würde nur wenige Sekunden dauern, bis Grisha und seine Männer sich auf die richtige Entfernung eingeschossen hätten. Austin trieb die anderen zu größerer Eile an. Er machte kehrt, warf sich auf den Boden und zielte mit seinem Bowen-Revolver auf den nächsten Russen.
Er feuerte zwei Schüsse ab, die jedoch zu kurz waren. Grisha und seine Männer gingen kein Risiko ein. Als Austin feuerte, hörten sie sofort auf zu schießen und gingen ebenfalls bäuchlings auf Tauchstation.
Austin wandte sich um und sah, dass die anderen die Felsrampe beinahe erreicht hatten. Er sprang hoch und rannte hinter ihnen her. Grishas Männer begannen augenblicklich, wieder zu schießen. Die Kugeln schlugen dicht hinter seinen Fersen ein, während er sich zusammen mit den anderen in eine Öffnung in der Felswand warf.
Karla schüttelte ihre Taschenlampe, und die Batterien hatten sich entweder erholt oder noch ein wenig Strom, denn die Birne leuchtete matt auf. Sie suchten sich ihren Weg zwischen dem Geröll und den Dunghaufen. Als die Taschenlampe schließlich endgültig streikte, waren sie in den Bereich vorgedrungen, wo zwischen dem Schutt vereinzelte Gebäude stehen geblieben waren, und sie konnten von dort das Leuchten der unterirdischen Stadt erkennen. Diesem Licht strebten sie entgegen wie Motten einer Flamme und standen schon bald am Rand der unterirdischen Metropole.
Austin starrte die schimmernden Straßen und Gebäude entgeistert an.
»Was ist das denn, etwa das Land Oz?«, fragte er.
Karla lachte. »Das ist eine unterirdische Stadt, die aus irgendeinem Licht aussendenden Mineral erbaut wurde«, erklärte sie. »Wir wissen nicht, wer sie erbaut hat, aber dies sind nur die Außenbezirke. Sie ist sehr weitläufig.«
Schroeder unterbrach Karlas Redefluss und sagte, sie könnten sich später noch ausgiebig unterhalten. Dann führte er sie durch das Straßenlabyrinth, bis sie wieder auf dem Platz standen, wo sie zuerst auf die Mammuts gestoßen waren.
Die Zwergmammuts waren auf den Platz zurückgekehrt und drängten sich um die Pyramide. Sie schienen unruhig zu sein und schnaubten gelegentlich, während sie umhertrotteten.
Karla bemerkte, wie Austin nach seiner Pistole griff. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Es ist schon okay. Sie tun Ihnen nichts. Offenbar wurden sie durch den Lärm aufgeschreckt.«
Austin hatte während seiner Missionen, die ihn um die ganze Welt und in die Tiefen der Ozeane geführt hatten, schon viel Seltsames gesehen. Aber nichts war mit diesen Lebewesen zu vergleichen, die auf diesem unterirdischen Platz herumstanden. Sie glichen von den Schwanzspitzen bis hin zu den gekrümmten Stoßzähnen jenen urzeitlichen Riesen, die er schon als Kind in Bilderbüchern bewundert hatte.
Zavala war ähnlich beeindruckt. »Ich dachte, diese Wesen seien längst ausgestorben.«
»Sie sind ausgestorben«, sagte Karla. »Das heißt, sie warenes. Diese Tiere sind die Nachkommen der großen Mammuts, die einst auf dieser Insel gelebt haben.«
»Karla«, brachte Schroeder sich in Erinnerung. »Wir sollten lieber beraten, wie wir uns vor diesen Mördern in Sicherheit bringen können.«
»Er hat Recht«, pflichtete Austin ihm bei. »Gibt es von hier aus noch einen anderen Weg nach draußen?«
»Ja, aber er ist lang und gefährlich«, sagte Karla.
»Ich schaffe ihn nicht, aber es gibt keinen Grund, weshalb ihr es nicht versuchen solltet«, sagte Schroeder. »Wenn mir jemand eine Waffe leiht, dann kann ich sie hier aufhalten, während du mit unseren neuen Freunden durch die Höhle flüchtest.«
Austin grinste. »Netter Versuch, Onkel Karl. Aber Märtyrer sind seit dem Mittelalter völlig aus der Mode. Wir bleiben zusammen.«
»Ich fange gerade an, diesen Ort zu mögen«, sagte Joe. »Warm. Romantische Beleuchtung. Ein einzigartiger, hm, Geruch in der Luft.«
Schroeder lächelte. Er hatte keine Ahnung, wer diese Männer waren, aber er war für Karla froh, dass er sie an seiner Seite hatte. »Wenn Sie unbedingt irgendwelchen Unsinn vorhaben, sollten wir lieber unsere Vorbereitungen treffen.«
Auf Austins Vorschlag hin bezog Zavala an der Stelle, wo die Straße in den Platz mündete, Posten, um Wache zu halten.
Austin wandte sich an Schroeder. »Irgendwelche Ideen?«
»Es hat keinen Sinn wegzulaufen. Wir können entsprechende Positionen einnehmen, so dass wir sie in einem Kreuzfeuer erwischen.«
Austin war froh, dass Schroeder sich für die Offensive entschieden hatte. Die Stadt lieferte ein schützendes Netz mit Dutzenden von Verstecken, doch er wusste, ebenso wie Schroeder, dass das ständige In-Bewegung-bleiben am Ende seinen Tribut fordern würde.
»Ich weiß nicht, wie heftig ich schießen soll«, sagte Austin. »Wir haben zwar Reservemunition mitgebracht, aber wir haben nicht mit einer Wiederholung der Schlacht am Little Bighorn gerechnet.«
»Sie brauchen nur zu warten, bis uns die Munition ausgeht, und dann können sie uns nacheinander abknallen. Zu schade, dass ich meine Handgranate schon verbraucht habe.«
Austin warf Schroeder einen skeptischen Seitenblick zu. Der alte Mann sah nicht aus wie jemand, der mit einer Granate in der Hosentasche herumläuft. Austin wurde wieder mal daran erinnert, dass die äußere Erscheinung eines Menschen irreführend sein konnte. Schroeder war alt genug für Medicare, aber er redete, als gehörte er zu einem Sondereinsatzkommando.
Zavala kam von seinem Wachtposten herüber. »Showtime, Leute. Unsere Freunde kommen die Straße herunter.«
Austin schaute sich schnell auf dem Platz um. »Ich habe eine völlig verrückte Idee«, sagte er. Er skizzierte in knappen Worten seinen Plan.
»Das könnte funktionieren«, sagte Schroeder mit erregter Stimme. »Ja, es könnte klappen.«
»Das sollte es auch lieber«, sagte Austin.
»Gibt es denn keine andere Möglichkeit?«, fragte Karla. »Es sind so schöne Kreaturen.«
»Ich fürchte nein. Aber wenn wir alles richtig machen, wird ihnen nicht passieren.«
Karla seufzte, doch sie wusste, dass sie kaum eine andere Wahl hatten. Auf Austins Anweisung hin verteilten Karla und die anderen sich am Rand des Platzes und ließen die der Straße zugewandte Seite offen. Dann warteten sie.
Die Mammuts hatten die Köpfe gehoben, als sie sahen, wie die Menschen sich bewegten, und wurden nun noch nervöser beim Klang der rauen Stimmen Grishas und seiner Männer.
Die Elfenbeinjäger gaben sich keine Mühe, leise zu sein. Entweder hofften sie, auf diese Art und Weise ihrer Beute Angst zu machen, oder sie waren ganz einfach dumm. Aber was immer der Grund war, ihr Eintreffen ließ die Mammuts deutlich unruhiger werden.
Die Herde machte Anstalten, den Platz zu verlassen, blieb dann jedoch abrupt stehen, als sie die Menschen am Rand des Platzes bemerkte. Die Tiere in der ersten Reihe machten kehrt und kollidierten mit den anderen in der Herde. Das Schnauben und Pfeifen wurde lauter.
An der Straßenmündung entstand eine Bewegung. Grisha schob den Kopf um die Ecke. Der Anblick und der Geruch eines weiteren unangenehmen zweibeinigen Wesens erschreckte die Tiere in seiner nächsten Nähe. In ihrem Bestreben zu flüchten, rempelten sie die anderen Mammuts an.
Ermutigt durch den Mangel an Gegenwehr trat Grisha aus seinem Versteck, gefolgt von den anderen Gaunern. Sie blieben am Rand des Platzes stehen, gebannt vom Anblick der Tiere, die sie vorher nur aus großer Entfernung hatten sehen können.
Die Herde erreichte einen gefährlichen Grad von Unruhe. In diesem Moment setzte Austin die Kettenreaktion in Gang. Er schoss in die Luft. Zavala folgte seinem Beispiel. Schroeder und Karla stimmten lautes Geschrei an und klatschten in die Hände. In einem winzigen Moment wurde die Herde von einer Gruppe unsicherer, unruhiger harmloser Tiere in eine ausgewachsene Stampede verwandelt. Ängstlich trompetend drängte sich die Masse schwerer Leiber und spitzer Stoßzähne in die einzige mögliche Fluchtrichtung, nämlich die enge Straße, die sie aus der Höhle hinaus und in Sicherheit führen würde.
Unglücklicherweise standen Grisha und seine Männer zwischen der rasenden Herde Mammuts und deren ersehnter Freiheit.
Die Russen hoben ihre Maschinenpistolen, um auf die rasenden Tiere zu feuern, doch die Herde hatte sie fast erreicht. Sie machten kehrt und rannten los. Doch sie kamen nur wenige Schritte weit, ehe sie niedergewalzt und von Tonnen wütenden Mammutfleischs zertrampelt wurden. Grisha war an den anderen vorbeigerannt, wobei seine Augen hektisch nach einer Fluchtmöglichkeit suchten, doch er rutschte aus, stolperte und geriet unter die Pelzlawine.
Austin und die anderen gingen kein Risiko ein, dass die Herde vielleicht doch noch umkehrte. Sie machten weiterhin so viel Lärm, wie sie konnten.
Nach ein paar Sekunden war alles vorbei.
Der Platz war leer. Das Donnern der galoppierenden Herde verhallte in der Ferne. Austin und Zavala gingen wachsam die Straße entlang. Zavala betrachtete die blutigen Kleiderhaufen, die früher mal Menschen gewesen waren. Sie fanden eine Taschenlampe, die die wilde Flucht der Mammutherde heil überstanden hatte. Austin rief Schroeder und Karla zu, dass sie sich ungefährdet aus ihrer Deckung herauswagen könnten.
»Sie sehen nicht mehr aus wie Menschen«, stellte Karla fest, während sie an den zerfleischten Körpern vorbeigingen.
Austin erinnerte sich an die toten Wissenschaftler, die er im Canyon gesehen hatte. »Wer hat denn behauptet, dass jemals etwas Menschliches an ihnen war?«
Schroeder lachte verhalten.
»Ich habe vor langer Zeit gelernt, dass alles, wenn es richtig eingesetzt wird, als Waffe benutzt werden kann«, sagte er. »Aber in dem Lehrbuch stand nichts über kleine, flauschige Elefanten.«
Austin fragte sich, auf welches Buch Schroeder sich bezog und welche Schule er besucht hatte. Er verwarf diesen Gedanken jedoch. Noch hatten sie nicht alle Schwierigkeiten überwunden. Sie setzten ihren Weg durch die teilweise zerstörte Stadt und die Schutthalden fort. Sonnenstrahlen, die durch vereinzelte Felsspalten drangen, verliehen ihnen neue Energie. Sie suchten den Paraglider und mussten feststellen, dass Grisha und seine Männer den Motor zerstört und das Segel zerschnitten hatten.
Mithilfe der Aluminiumrohre bastelten sie für Schroeder eine behelfsmäßige Beinschiene. Sie erklommen die niedrige Felsrampe am Ende des Abhangs und folgten dem Weg zum Rand der Caldera. Die Serpentinen milderten zwar die Steilheit des Weges, machten ihn dafür jedoch um einiges länger. Gelegentlich hielten sie an, damit Schroeder sich ausruhen konnte, aber er begnügte sich jedes Mal mit nur wenigen Minuten Rast, ehe er die anderen zum Weitergehen drängte.
Stunden später standen sie am Rand und blickten hinunter auf die andere Seite des Vulkans. Nebel verhüllte den größten Teil der Insel. Nach einem letzten staunenden Blick in die Caldera machten sie sich an den Abstieg über die Außenseite des Vulkans. Das Gelände war unwegsam, und der Weg abwärts entpuppte sich als mindestens genauso schwierig wie der Aufstieg. Der Weg war nicht mehr als ein schmaler Bergpfad, der mit Steinen übersät war, die das Gehen selbst unter normalen Bedingungen schon zu einer Qual gemacht hätten.
Nachdem sie etwa zwei Drittel des Abstiegs hinter sich hatten, stellten sie fest, dass sie nicht alleine waren. Gestalten, klein wie Ameisen, kamen den Weg herauf. Austins Gruppe setzte den Marsch fort. Sie waren entdeckt worden, daher hatte es keinen Sinn, sich zu verstecken, aber sie hielten ihre Waffen bereit. Austin zählte sechs Leute in der unbekannten Gruppe. Als sie sich fast bis auf Rufweite genähert hatte, winkte der Mann, der die Gruppe anführte. Wenige Sekunden später waren sie nahe genug, so dass Austin Petrows grinsendes Gesicht erkennen konnte.
Der Russe wurde von Mitgliedern seiner Spezialtruppe begleitet, darunter auch Veronika und ihr Mann. Petrow überwand die letzten Meter des Weges im Laufschritt.
Er strahlte. »Hallo, Austin«, keuchte er. »Wie ich sehe, sind Sie und Joe auch noch hervorragende Bergsteiger. Sie verblüffen mich immer wieder aufs Neue.« Er wandte sich an Karla. »Und das muss Mademoiselle Janos sein. Es ist mir eine besondere Freude, Sie kennen zu lernen. Diesen Gentleman kenne ich noch nicht«, sagte er dann zu Schroeder.
»Ich bin nur ein alter Mann, der eigentlich zu Hause in seinem Schaukelstuhl sitzen sollte«, erwiderte Schroeder mit einem müden Lächeln.
»Wie haben Sie uns gefunden?«, fragte Austin.
»Wir haben mit dem Kapitän des Eisbrechers gesprochen. Er sagte, Sie seien mit irgendeinem Fluggerät gestartet, um den Vulkan zu untersuchen.«
»Wir hatten einen Paraglider.«
»Ich erinnere mich. Die beiden großen Koffer, die Sie bei sich hatten.«
Austin nickte. »Sie haben den ganzen Spaß versäumt.«
»Im Gegenteil«, widersprach Petrow fröhlich. »Wir hatten eine Menge Spaß. Wir trafen auf eine Gruppe bewaffneter Männer in einem Boot. Sie bereiteten uns einen heißen Empfang, aber unsere Erwiderung fiel ein wenig heißer aus. Der Überlebende meinte, sie seien losgeschickt worden, um irgendwelchen Männern zu helfen, die bereits hier seien.« Er blickte über Austins Schulter, als erwartete er, jemanden zu sehen, der ihm folgte.
»Diese Männer sind nicht mehr bei uns«, sagte Schroeder.
»Richtig«, bestätigte Austin. »Sie wurden von einer Herde Wollhaarmammuts zertrampelt.«
»Zwergmammuts«, korrigierte Zavala.
Petrow schüttelte den Kopf. »Ich studiere die amerikanische Kultur seit Jahren, aber ich werde Ihren seltsamen Humor wohl niemals verstehen.«
»Das ist schon in Ordnung«, sagte Austin. »Selbst wir verstehen ihn nicht immer. Meinen Sie, Sie könnten uns beim restlichen Abstieg behilflich sein?«
»Natürlich«, sagte Petrow und grinste wieder. Er griff in seinen Rucksack und zauberte eine Flasche Wodka hervor.
»Aber zuerst genehmigen wir uns einen anständigen Drink.«