Текст книги "Packeis"
Автор книги: Clive Cussler
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Триллеры
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Kovacs betrachtete das Gesicht des Mannes. Er konnte Anfang zwanzig sein, sah allerdings älter aus. Er besaß den länglichen Kopf und das markante Profil, das auf Propagandaplakaten als arisches Ideal gepriesen wurde.
Kovacs erschauerte, als er sich daran erinnerte, wie kaltblütig der russische Soldat ausgeschaltet worden war. Die letzten Tage waren ein verschwommener Ablauf von Ereignissen gewesen. Der hochgewachsene Mann war während eines Schneesturms im Labor aufgetaucht und hatte ein Dokument vorgelegt, das ihm die Macht verlieh, Kovacs zu befreien. Er hatte sich als Karl vorgestellt und Kovacs angewiesen, seine Siebensachen zu packen. Dann folgten die Irrsinnsfahrt durch die eisige Landschaft und die knappe Flucht vor den russischen Patrouillen. Und nun dieses armselige Schiff.
Die Mahlzeit hatte Kovacs müde gemacht. Seine Augenlider sanken herab, und er fiel in einen tiefen Schlaf.
Während der Professor schlief, durchstreifte ein Trupp Militärpolizei die Gustloffauf der Suche nach Deserteuren. Das Schiff wurde für die Abfahrt ausklariert, und ein Hafenlotse kam an Bord. Gegen ein Uhr mittags machten die Matrosen die Vertäuung los. Vier Schlepper kamen längsseits und begannen, das Schiff vom Kai wegzuziehen.
Eine Flotte kleiner Boote, vorwiegend mit Frauen und Kindern beladen, versperrte den Weg. Das Schiff stoppte und nahm die Flüchtlinge an Bord. Die Gustloffbeförderte normalerweise 1465 Passagiere, die von einer Mannschaft von vierhundert Personen betreut wurden. Jetzt, zu Beginn dieser Reise, befanden sich an Bord des ehemals so eleganten Linienschiffs achttausend Passagiere.
Das Schiff lief hinaus auf die offene See und warf am Spätnachmittag Anker, um sich mit einem anderen Linienschiff, der Hansa,zu treffen und auf ihren Geleitschutz zu warten. Die Hansahatte jedoch einen Maschinenschaden und erschien nicht am Treffpunkt. Das Oberkommando der Marine machte sich Sorgen, dass der Gustloffimoffenen Wasser Gefahr drohte, und gab den Befehl, dass das Schiff alleine die Reise beginnen solle.
Das Linienschiff pflügte durch die von Gischt gekrönten Wellen der Ostsee und musste sich ständig gegen einen steifen Nordwestwind stemmen. Hagelschauer prasselten gegen die Fenster der Kommandobrücke, wo Korvettenkapitän Zahn vor Wut schäumte, während er auf die beiden sogenannten Geleitschiffe hinabblickte, die man zum Schutz des Linienschiffs abgestellt hatte.
Das Schiff war für Gegenden mit milderem Klima gebaut worden, aber mit ein wenig Glück käme es auch mit schlechteren Witterungsbedingungen zurecht. Wogegen es sich jedoch nicht behaupten konnte, war Dummheit.Das Marinekommando hatte für das Linienschiff eine gefährliche Situation geschaffen, indem es ein altes Torpedoboot namens Löweund die T19, ein abgetakeltes Torpedobergungsschiff, als Geleitschutz ausgewählt hatte. Zahn dachte, dass die Lage sich wohl kaum verschlimmern konnte, als die T19 per Funk meldete, dass sie leckgeschlagen sei und zur Basis zurückkehre.
Zahn gesellte sich zu Kapitän Petersen und den anderen auf der Kommandobrücke versammelten Schiffsoffizieren.
»In Anbetracht des mangelnden Geleitschutzes empfehle ich einen Zickzackkurs bei hoher Geschwindigkeit«, sagte er.
Petersen quittierte diesen Vorschlag mit einem spöttischen Kommentar. »Unmöglich. Die Wilhelm Gustloffist ein Vierundzwanzigtausend-Tonnen-Linienschiff. Wir können wohl kaum hin und her lavieren wie ein betrunkener Seemann.«
»Dann müssen wir U-Boote, die sich uns nähern, mit unserer überlegenen Geschwindigkeit abhängen. Wir können dann mit sechzehn Knoten den direkten Kurs nehmen.«
»Ich kenne dieses Schiff. Selbst ohne den Schaden am Schraubengehäuse ist es völlig undenkbar, dass wir ein Tempo von sechzehn Knoten erreichen geschweige auf Dauer halten, ohne dass uns irgendwann die Maschinen um die Ohren fliegen«, widersprach Petersen.
Zahn konnte sehen, wie die Adern an Petersens Hals anschwollen. Er starrte durch das Brückenfenster auf das alte Torpedoboot, das die Vorhut bildete. »In diesem Fall«, sagte er mit Grabesstimme, »möge Gott uns allen beistehen.«
»Professor, wachen Sie auf.« Die Stimme klang scharf, drängend.
Kovacs schlug die Augen auf und sah, wie Karl sich über ihn beugte. Er setzte sich auf und massierte seine Wangen, als ob er damit den Schlaf aus seinem Kopf vertreiben könnte.
»Was ist los?«
»Ich habe mich mit einigen Leuten unterhalten. Mein Gott, was für ein Schlamassel! Wir haben zwei Kapitäne, die sich ständig streiten. Es gibt nicht genug Rettungsboote. Und dann schaffen es die Maschinen des Schiffs kaum, eine zügige Geschwindigkeit zu erreichen. Das dämliche Marinekommando hat uns als Geleitschutz ein altes Torpedoboot zugeteilt, das aussieht, als sei es aus dem letzten Krieg übrig geblieben. Und dann haben die verdammten Idioten auch nicht die Navigationslichter eingeschaltet.«
Kovacs sah einen völlig neuen Ausdruck von Angst in den steinernen Gesichtszügen.
»Wie lange habe ich geschlafen?«
»Es ist Nacht. Wir sind auf offener See.« Karl reichte Kovacs eine dunkelblaue Schwimmweste und schlüpfte selbst in eine zweite.
»Was tun wir jetzt?«
»Bleiben Sie hier. Ich will mich mal erkundigen, wie es mit den Rettungsbooten aussieht.« Er gab Kovacs eine Packung Zigaretten. »Bedienen Sie sich.«
»Ich rauche nicht.«
Karl blieb in der offenen Tür stehen. »Vielleicht sollten Sie jetzt damit anfangen.« Dann war er verschwunden.
Kovacs schüttelte eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an. Er hatte vor Jahren, als er heiratete, das Rauchen aufgegeben. Er musste husten, als der Rauch seine Lungen füllte, und war kurzzeitig benommen von dem starken Tabak, doch er entsann sich gleichzeitig mit lustvollem Vergnügen dieses harmlosen Lasters seiner Studentenzeit.
Er rauchte die Zigarette auf, überlegte, ob er sich gleich eine zweite anzünden sollte, verzichtete jedoch darauf. Er hatte seit Tagen nicht mehr gebadet, und sein Körper juckte an einem Dutzend Stellen. Er wusch sein Gesicht über dem Waschbecken und trocknete die Hände an einem fadenscheinigen Handtuch ab, als es an der Tür klopfte.
»Professor Kovacs?«, fragte eine gedämpfte Stimme.
»Ja.«
Die Tür öffnete sich, und dem Professor stockte der Atem. Vor ihm stand die hässlichste Frau, die er je gesehen hatte. Sie war über eins achtzig groß, und ihre breiten Schultern drohten die Nähte eines schwarzen Persianermantels zu sprengen. Ihr breiter Mund war mit grellrotem Lippenstift geschminkt, und mit derart roten Lippen sah sie aus wie ein Zirkusclown.
»Verzeihen Sie meine äußere Erscheinung«, sagte sie mit unverkennbar männlicher Stimme. »Es ist nicht leicht, an Bord dieses Schiffs zu gelangen. Ich musste mich dieser lächerlichen Verkleidung und erheblicher Schmiergelder bedienen.«
»Wer sind Sie?«
»Das ist nicht wichtig. Wichtig ist IhrName. Sie sind Dr. Lazio Kovacs, das berühmte deutsch-ungarische Elektrogenie.«
Kovacs wurde wachsam. »Ich bin Lazio Kovacs. Und ich bin Ungar.«
»Hervorragend! Sie sind der Autor eines Aufsatzes über Elektromagnetismus, der die gesamte naturwissenschaftliche Szene aufhorchen ließ.«
Kovacs’ Antennen zitterten. Der Aufsatz, der in einer obskuren wissenschaftlichen Fachzeitschrift erschienen war, hatte die Deutschen auf ihn aufmerksam gemacht, die daraufhin ihn und seine Familie entführt hatten. Er sagte nichts.
»Macht nichts«, meinte der Mann freundlich, wobei sein Clownslächeln sogar noch breiter wurde. »Ich sehe, dass ich den richtigen Mann vor mir habe.« Er griff in seinen Pelzmantel und holte eine Pistole hervor. »Es tut mir Leid, dass ich so ungehobelt bin, Dr. Kovacs, aber ich fürchte, ich muss Sie töten.«
» Töten?Mich? Warum? Ich kenne Sie noch nicht einmal!«
»Aber ichkenne Sie. Oder genauer, meine Vorgesetzten beim NKGB kennen Sie. Sobald die Streitkräfte unserer glorreichen Roten Armee die Grenze überschritten hatten, schickten wir ein Sonderkommando los, um Sie zu holen, aber Sie hatten das Labor bereits verlassen.«
»Sie sind Russe?«
»Ja, natürlich. Wir hätten es liebend gerne gesehen, wenn Sie zu uns gekommen wären und für uns gearbeitet hätten. Wenn wir Sie hätten abfangen können, ehe Sie das Schiff bestiegen, würden Sie die sowjetische Gastfreundschaft genießen. Aber jetzt kriege ich Sie nicht mehr von diesem Schiff herunter, und wir können nicht zulassen, dass Sie und Ihre Arbeit wieder in deutsche Hände fallen. Nein, nein. Das wäre nicht gut.« Das Lächeln verflüchtigte sich.
Kovacs war viel zu verblüfft, um zu reagieren, selbst als die Pistole hochkam und die Mündung auf sein Herz zielte.
Marinesko konnte sein Glück kaum fassen. Er hatte auf dem Kommandoturm des S-13 gestanden und standhaft dem eisigen Wind und der Gischt getrotzt, die ihm ins Gesicht peitschte, als der dichte Schneefall nachließ und er die riesige Silhouette eines Ozeandampfers erblickte. Der Dampfer schien von einem kleineren Schiff begleitet zu werden.
Das Unterseeboot lief an der Wasseroberfläche durch schwere Seen. Seine Mannschaft befand sich auf Gefechtsstation, seit Lichter von Schiffen gesichtet worden waren, die sich von der Küste wegbewegten. Der Kapitän hatte Befehl gegeben, den Auftrieb des U-Boots zu verringern, damit es tiefer im Wasser lag und einer Radarortung entging.
Aus der Überlegung heraus, dass die Schiffe niemals einen Angriff von der Küste aus erwarten würden, befahl er seiner Mannschaft, das Boot hinter den Konvoi zu manövrieren und auf einen Kurs parallel zum Ozeandampfer und seinem Begleitschiff zu gehen. Zwei Stunden später lenkte Marinesko das S-13 auf sein Ziel zu. Während das U-Boot sich der Backbordseite des Dampfers näherte, gab er den Befehl zum Feuern.
In schneller Folge verließen drei Torpedos ihre Bugrohre und jagten dem ungeschützten Rumpf des Ozeandampfers entgegen.
Die Tür öffnete sich, und Karl betrat die Kabine. Er hatte draußen gewartet und dem Gemurmel männlicher Stimmen gelauscht. Er war verwirrt, als er eine Frau mit dem Rücken zu ihm vor sich stehen sah. Er blickte zu Kovacs, der immer noch das Handtuch festhielt, und las die Angst im Gesicht des Professors.
Der Russe spürte den Schwall kalter Luft durch die offene Tür. Er wirbelte herum und schoss, ohne zu zielen. Karl war eine Millisekunde schneller als er. Er hatte längst den Kopf gesenkt und rammte ihn dem Russen in den Leib.
Der Stoß hätte dem Schützen eigentlich die Rippen brechen müssen, doch der dicke Pelzmantel und das steife Korsett, das er trug, wirkten wie eine gepolsterte Panzerung. Der Kopfstoß trieb ihm lediglich die Luft aus den Lungen. Er krachte rückwärts auf die Koje und landete auf der Seite. Seine Perücke rutschte vom Kopf, und darunter kamen schwarze Haare zum Vorschein. Er konnte einen zweiten Schuss abfeuern, der Karls rechten Schultermuskel am Halsansatz streifte.
Karl stürzte sich auf den Schützen und streckte die linke Hand nach seiner Kehle aus. Blut aus seiner Wunde besudelte sie beide. Der Russe holte mit dem Fuß aus und trat Karl gegen die Brust. Er wurde zurückgeschleudert, stolperte und stürzte rücklings zu Boden.
Kovacs fischte sich die Suppenschüssel aus dem Waschbecken und zielte damit auf das Gesicht des Schützen. Die Schüssel prallte, ohne eine sichtbare Wirkung zu hinterlassen, von der Wange des Mannes ab. Er lachte. »Um Sie kümmere ich mich als Nächstes.« Er zielte mit der Pistole auf Karl.
Va-room!
Eine gedämpfte Explosion brachte die Wände zum Vibrieren. Der Fußboden kippte in scharfem Winkel nach Steuerbord. Kovacs wurde auf die Knie geworfen. Da er an die hochhackigen Stiefel an seinen Füßen nicht gewöhnt war, verlor der Russe das Gleichgewicht. Er fiel mit seinem gesamten Gewicht auf Karl, der die Hand des Mannes packte, sie an seinen Mund zog und seine Zähne in Knorpel und Muskeln grub. Die Pistole landete polternd auf dem Fußboden.
Va-room! Va-room!
Das Schiff erschauderte unter zwei weiteren Explosionen. Der Russe versuchte aufzustehen, verlor jedoch abermals das Gleichgewicht, als das Schiff sich diesmal nach Backbord neigte. Fast hätte er es geschafft, sicheren Stand zu finden. Karl trat ihm gegen den Fußknöchel. Der Russe stieß einen undamenhaften Schrei aus und krachte auf den Boden. Sein Kopf landete neben dem stählernen Rahmen der Koje.
Karl stemmte sich gegen die Waschbeckenrohre und rammte seinen genagelten Stiefel gegen die Kehle des Mannes und zerquetschte seinen Kehlkopf. Der Mann wehrte mit wild rudernden Armen Karls Bein ab, seine Augen quollen hervor, sein Gesicht färbte sich dunkelrot, dann violett, und dann starb er.
Karl richtete sich schwankend auf.
»Wir müssen schnellstens raus hier«, sagte er. »Das Schiff wurde von Torpedos getroffen.«
Er zog Kovacs aus der Kabine und in den Korridor, wo Chaos ausgebrochen war. Der Gang war vollgepfropft mit in Panik geratenen Passagieren. Ihre Schreie und Rufe hallten von den Wänden wider. Das schrille Klingeln der Alarmglocken steigerte den allgemeinen Lärm. Die Notbeleuchtung brannte, doch dichte Rauchschwaden von den Explosionen erschwerten die Sicht.
Der Hauptkorridor war mit einem Gewimmel entsetzter Passagiere hoffnungslos verstopft. Viele waren einfach stehen geblieben und würgten krampfhaft, nachdem sie den beißenden Qualm eingeatmet hatten.
Die Menschenmenge versuchte, sich der Wasserflut, die die Treppen herunterstürzte, entgegenzuwerfen. Karl öffnete eine neutrale Stahltür, zerrte Kovacs in einen dunklen Raum und schloss die Tür hinter sich. Der Professor spürte, wie seine Hand auf eine Leitersprosse gelegt wurde.
»Klettern Sie«, befahl Karl.
Kovacs gehorchte blindlings und stieg aufwärts, bis sein Kopf gegen eine Luke stieß. Karl rief ihm von unten zu, die Luke zu öffnen und weiterzuklettern. Sie nahmen eine zweite Leiter in Angriff. Kovacs stieß eine weitere Luke auf. Eisige Luft und vom Wind gepeitschte Schneeflocken malträtierten sein Gesicht. Er zwängte sich durch die Lukenöffnung und half dann Karl heraus.
Kovacs schaute sich verwirrt um. »Wo sind wir?«
»Auf dem Schiffsdeck. Hier entlang.«
Auf dem eisigen, schräg geneigten Deck war es gespenstisch still, verglichen mit dem Horror in der dritten Klasse. Bei den wenigen Leuten, die sie sahen, handelte es sich um die privilegierten Passagiere, deren Kabinen sich auf dem Schiffsdeck befanden. Einige drängten sich um eine mit einem Motor ausgestattete Pinasse, ein stabiles Boot, mit dem gewöhnlich Ausflüge in die norwegischen Fjorde unternommen wurden. Angehörige der Schiffsbesatzung bearbeiteten mit Äxten und Hämmern die dicke Eisschicht auf den Davits.
Als die Haken der Davits endlich freigelegt waren, schwangen die Besatzungsmitglieder sich an Bord und stießen dabei Frauen, von denen einige schwanger waren, beiseite. Kinder und verwundete Soldaten hatten keine Chance. Karl zog seine Pistole und feuerte einen Warnschuss in die Luft. Die Matrosen hielten inne, doch nur für eine Sekunde, ehe sie ihren Kampf um einen Platz im Rettungsboot fortsetzten. Karl feuerte einen weiteren Schuss ab und tötete den ersten Matrosen, der es geschafft hatte, ins Boot zu klettern. Die anderen rannten um ihr Leben.
Karl hob eine Frau und ihr Baby ins Boot, dann reichte er dem Professor eine Hand, ehe er selbst das Boot bestieg. Er ließ einige Matrosen einsteigen, damit sie den Toten hinauswerfen und das Boot zu Wasser lassen konnten. Die Haken der Halteleinen wurden gelöst und der Motor gestartet.
Das schwer beladene Boot schlingerte, während es langsam durch die See stampfte und auf die fernen Lichter eines Frachters zuhielt, der in ihre Richtung unterwegs war. Karl befahl, das Rettungsboot zu stoppen, um Menschen aufzunehmen, die im Wasser trieben. Schon bald war das Boot gefährlich überladen. Einer der Matrosen protestierte.
»Im Boot ist kein Platz mehr!«, brüllte er.
Karl schoss ihm zwischen die Augen. »Jetzt ist wieder Platz«, sagte er und befahl den anderen Matrosen, ihren toten Kameraden über Bord zu werfen. Zufrieden, dass er dieses kurze Aufbranden einer Meuterei unter Kontrolle gebracht hatte, drängte er sich neben Kovacs.
»Geht es Ihnen gut, Professor?«
»Den Umständen entsprechend.« Er starrte Karl verwundert an. »Sie sind ein erstaunlicher Mensch.«
»Ich gebe mir Mühe. Man darf seinen Feinden niemals verraten, was sie von einem zu erwarten haben.«
»Ich meine nicht dies. Ich habe gesehen, wie Sie den Frauen und den Verwundeten geholfen haben. Dieses Baby haben Sie im Arm gehalten, als wäre es Ihr eigenes gewesen.«
»Die Dinge sind nicht immer so, wie sie zu sein scheinen, mein Freund.« Er griff in seinen Mantel und holte ein Paket hervor, das in eine wasserdichte Gummihülle verpackt war.
»Nehmen Sie diese Papiere an sich. Sie sind nicht mehr Lazio Kovacs, sondern ein Reichsdeutscher, der in Ungarn gelebt hat. Sie haben nur einen leichten Akzent und müssten damit jederzeit durchkommen. Ich will, dass Sie in der Menge verschwinden. Werden Sie einer von ihnen, ein Flüchtling. Sehen Sie zu, dass Sie sich irgendwie zu den englischen und den amerikanischen Linien durchschlagen.«
»Wer sind Sie?«
»Ein Freund.«
»Warum soll ich das glauben?«
»Wie ich schon sagte, die Dinge sind nicht immer so, wie sie zu sein scheinen. Ich gehöre zu einer Gruppe, die schon lange vor den Russen den Kampf gegen die Nazibestien aufgenommen hat.«
Die Augen des Professors weiteten sich. »Der Kreisauer Kreis?« Er hatte gerüchteweise von dieser geheimen Widerstandsgruppe gehört.
Karl legte einen Finger auf die Lippen. »Wir sind noch immer in Feindesland«, sagte er mit leiser Stimme.
Kovacs umklammerte Karls Arm. »Können Sie auch meine Familie in Sicherheit bringen?«
»Ich fürchte, dazu ist es zu spät. Ihre Familie gibt es nicht mehr.«
»Aber die Briefe …«
»Sie waren raffinierte Fälschungen, damit Sie nicht den Mut verlieren und Ihre Arbeit aufgeben.«
Kovacs starrte mit einem Ausdruck hilfloser Verzweiflung in die Nacht.
Karl packte den Professor bei den Revers seines Mantels und flüsterte ihm ins Ohr: »Sie müssen Ihre Arbeit zu Ihrem eigenen Nutzen und zum Wohle der Menschheit vergessen. Wir können nicht das Risiko eingehen, dass sie in falsche Hände fällt.«
Der Professor nickte stumpf. Das Boot stieß gegen den Rumpf des Frachters. Eine Leiter wurde herabgelassen. Karl befahl den widerstrebenden Matrosen, das Boot zu wenden und weitere Überlebende aus dem Wasser zu fischen. Vom Deck des Frachters aus verfolgte Kovacs, wie das Boot sich entfernte. Karl winkte ihm noch einmal zu, und das Boot verschwand hinter einem wallenden Vorhang dicker Schneeflocken.
In der Ferne sah Kovacs die Lichter des Passagierdampfers, der sich auf die Backbordseite gelegt hatte, so dass der Schornstein parallel zur Wasseroberfläche stand. Der Kessel explodierte, als das Schiff etwa eine Stunde, nachdem es von den Torpedos getroffen worden war, unterging. In dieser kurzen Zeit verloren auf der Wilhelm Gustlofffünfmal mehr Menschen ihr Leben als auf der Titanic.
1
Atlantischer Ozean Gegenwart
Niemand nahm denjenigen, die die Southern Bellezum ersten Mal zu Gesicht bekamen, übel, wenn sie sich fragten, ob die Person, die dem riesigen Frachtdampfer seinen Namen gegeben hatte, über einen besonders verschrobenen Humor verfügte oder nur unter starker Kurzsichtigkeit litt. Trotz eines eleganten Namens, der an mit den Wimpern klimpernde, vorbürgerkriegstypische Weiblichkeit denken ließ, war die Belle,offen gesagt, eine stählerne Monstrosität mit nichts, das auch nur entfernt an weibliche Schönheit erinnerte.
Die Southern Bellegehörte zu einer neuen Generation schneller, seetüchtiger Schiffe, die nach Jahren, in denen die Vereinigten Staaten anderen Schiffe bauenden Nationen hinterhergehinkt waren, in amerikanischen Werften vom Stapel liefen. Sie war in San Diego entworfen und in Biloxi gebaut worden. Mit zweihundertdreißig Metern war sie länger als zwei Fußballfelder und bot genügend Raum, um fünfzehnhundert Container aufzunehmen.
Der wuchtige Kasten wurde von einem hoch aufragenden Aufbau auf seinem Achterdeck aus gesteuert. Das über dreißig Meter breite Deckhaus, das einem Apartmenthaus glich, enthielt die Quartiere und Messehallen für Mannschaft und Offiziere, ein Hospital und Behandlungszimmer, Frachtbüros und Konferenzsäle.
Mit ihren leuchtenden Reihen sechsundzwanzig Zoll großer berührungssensitiver Monitorschirme erinnerte die Brücke der Bellean einen Spielsaal in Las Vegas. Das geräumige Operationszentrum reflektierte die neue Ära im Schiffsbau. In jedem Bereich der integrierten Systeme und Funktionen wurden Computer eingesetzt.
Aber alte Gewohnheiten sterben nur langsam aus. Der Kapitän des Schiffs, Pierre »Pete« Beaumont, blickte durch ein Fernglas und traute immer noch seinen Augen mehr als den raffinierten elektronischen Spielereien, die ihm zur Verfügung standen.
Von seinem Aussichtsplatz auf der Brücke hatte Beaumont einen ungehinderten Blick auf das schrecklich schöne Panorama des atlantischen Unwetters, das um sein Schiff herum tobte. Heftige Winde mit Orkanstärke peitschten Wellen auf, die so hoch waren wie Häuser. Die Brecher ergossen sich über den Bug und überspülten die an Deck festgezurrten Container bis fast zur Mitte des Schiffs.
Das extreme Ausmaß von elementarer Gewalt, die um das Schiff herum wütete, hätte kleinere Schiffe verzweifelt Schutz suchen lassen und ihren Kapitänen schwitzende Hände beschert. Aber Beaumont war so ruhig, als schipperte er in einer Gondel durch den Canal Grande.
Der freundliche Südstaatler liebte Stürme. Er ergötzte sich an dem Geben und Nehmen zwischen seinem Schiff und den Elementen. Anzusehen, wie die Bellein einer atemberaubenden Demonstration von Kraft durch die Wellen pflügte, war für ihn schon fast ein sinnliches Vergnügen.
Beaumont war der erste und einzige Kapitän des Schiffs. Er hatte zugesehen, wie es gebaut wurde, und kannte jede Niete und jede Schraube auf dem Schiff. Es war für den regelmäßigen Verkehr zwischen Europa und Amerika konstruiert worden, eine Route, die es durch einige der wildesten und unangenehmsten Ozeanregionen der Erde führte. Er vertraute darauf, dass der Sturm innerhalb der Skala der Naturgewalten rangierte, denen zu widerstehen das Schiff gebaut worden war.
Das Schiff hatte in New Orleans seine Ladung aus synthetischem Gummi, Faserstoffen, Kunststoffgranulat und Maschinenteilen übernommen und war dann um Florida herum bis zu einem Punkt an der Atlantikküste gedampft, wo es auf seinen schnurgeraden Kurs nach Rotterdam einschwenkte.
Der Wetterbericht hatte mit seiner Vorhersage genau ins Schwarze getroffen. Wind mit Sturmstärke war angekündigt worden, der sich zu einem atlantischen Orkan entwickeln sollte. Das Unwetter erwischte das Schiff etwa dreihundert Kilometer vom Festland entfernt. Beaumont war kein bisschen beunruhigt, auch als der Sturm noch an Stärke zunahm. Das Schiff hatte schon viel schlimmeres Wetter ohne Probleme überstanden.
Er suchte den Ozean ab, als er plötzlich erstarrte und fast in sein Fernglas hineinkroch. Er ließ das Fernglas sinken, setzte es wieder an die Augen und murmelte etwas. Er wandte sich an seinen Ersten Offizier.
»Schauen Sie sich mal diesen Teil des Ozeans an. Etwa bei zwei Uhr. Sagen Sie mir, ob Ihnen etwas Ungewöhnliches auffällt.«
Der Offizier war Bobby Joe Butler, ein talentierter junger Mann, der aus Natchez stammte. Butler machte kein Geheimnis aus seinem Wunsch, eines Tages ein Schiff wie die Bellezu führen. Vielleicht sogar die Belleselbst. Indem er der Aufforderung des Kapitäns nachkam, betrachtete Butler den Ozean bei dreißig Grad Steuerbord.
Er sah nur graues, aufgewühltes Wasser, das sich bis zum nebelverhangenen Horizont erstreckte. Dann, etwa zwei Kilometer vom Schiff entfernt, gewahrte er eine weiße Linie aus Schaum, mindestens doppelt so hoch wie der Seegang dahinter. Noch während er rätselte, was es mit dieser Erscheinung auf sich haben könnte, wuchs die Wasserwand erschreckend schnell in die Höhe, als ob sie ihre Energie aus den Wellen ringsum gewann.
»Das sieht aus wie ein ziemlich großer Brecher, der da auf uns zurollt«, sagte Butler in seinem schleppenden Mississippiakzent.
»Was schätzen Sie, wie hoch?«
Der jüngere Mann blickte durch das Fernglas. »Die durchschnittliche Wellenhöhe beträgt etwa zehn Meter. Diese dort scheint doppelt so hoch zu sein. Donnerwetter! Haben Sie schon mal etwas so Mächtiges gesehen?«
»Noch nie«, antwortete der Kapitän. »In meinem ganzen Leben nicht.«
Der Kapitän wusste, dass sein Schiff mit der Welle fertig würde, wenn die Bellemit dem Bug hineintauchte, um ihr die Wucht einer Breitseite zu nehmen. Der Kapitän befahl dem Steuermann, den Autopiloten darauf zu programmieren, den Bug direkt auf die Welle auszurichten und vorerst diesen Kurs zu halten. Dann ergriff er das Mikrofon und betätigte einen Schalter auf dem Armaturenbrett, der die Brücke mit allen auf dem Schiff verteilten Lautsprechern verband.
»Alle Mann Achtung! Hier spricht der Kapitän. Eine Monsterwelle wird gleich aufs Schiff treffen. Jeder sucht sich einen sicheren Ort, möglichst weit entfernt von losen, eventuell herumfliegenden Gegenständen, und wartet ab. Der Aufprall wird heftig. Ich wiederhole. Der Aufprall wird heftig.«
Als Vorsichtsmaßnahme befahl er dem Funker, einen SOS-Ruf abzusetzen. Das Schiff konnte immer noch eine Entwarnung senden, falls der Hilferuf sich als unnötig erweisen sollte.
Die grüne, mit weißen Schaumflocken gekrönte Welle war noch etwa einen Kilometer vom Schiff entfernt. »Sehen Sie sich das an«, sagte Butler. Der Himmel wurde von einer Serie greller Lichterscheinungen erhellt. »Blitze?«
»Schon möglich«, erwiderte der Kapitän. »Viel mehr Sorgen macht mir allerdings dieser verdammte Brecher!«
Das Profil der Welle war mit nichts zu vergleichen, was der Kapitän je in seinem Leben gesehen hatte. Im Gegensatz zu den meisten Wellen, die von der oberen Kante schräg abfallen, war diese von oben bis unten völlig glatt und gerade wie eine sich vorwärtsschiebende Wand.
Der Kapitän hatte den seltsamen Eindruck einer außerkörperlichen Wahrnehmung. Ein Teil von ihm betrachtete die heranrollende Welle auf eine desinteressierte, eher wissenschaftliche Art und Weise, fasziniert von ihrer Höhe und ihrer geballten Energie, während der andere Teil, über die ungeheure, drohende Wucht staunend, hilflos dastand.
»Sie wächst sogar noch«, murmelte Butler mit einem Ausdruck unverhohlener kindlicher Ehrfurcht.
Der Kapitän nickte. Er schätzte die Höhe der Welle mittlerweile auf gut dreißig Meter, fast dreimal so hoch wie zu dem Zeitpunkt, als er sie entdeckt hatte. Sein Gesicht war aschfahl. Sein solides, unerschütterliches Selbstvertrauen bekam deutliche Risse. Ein Schiff mit den Ausmaßen der Bellekonnte nicht auf der Stelle wenden, und sie lag immer noch ziemlich schräg zu der Welle, als sie sich aufzubäumen schien wie ein lebendiges Wesen.
Er erwartete den Aufprall der Welle und war völlig unvorbereitet, als sich vor ihm im Ozean ein Abgrund öffnete, der groß genug war, um sein Schiff zu verschlingen.
Der Kapitän starrte fassungslos in die Grube, die vor seinen Augen erschienen war. Das ist das Ende der Welt, dachte er.
Das Schiff kippte in den gigantischen Trog, glitt an seiner Innenwand hinab und bohrte den Bug in den Ozean. Der Kapitän stürzte nach vorne gegen die vorderen Schotts.
Anstatt frontal zuzuschlagen, kippte die Welle von oben auf das Schiff und begrub es unter Tausenden Tonnen Wasser.
Die Fenster des Steuerhauses implodierten unter dem Druck, und der gesamte Atlantische Ozean schien sich in die Brücke zu ergießen. Die Wassermassen erwischten den Kapitän und die anderen Männer auf der Brücke mit der Gewalt von hundert Feuerwehrschläuchen. Die Brücke verwandelte sich in ein Gewirr von Armen und Beinen. Bücher, Schreibstifte und Sitzpolster wurden herumgewirbelt.
Ein Teil des Wassers strömte durch die Fenster hinaus, und der Kapitän kämpfte sich zurück zum Steuerstand. Sämtliche Kontrollmonitore waren tot. Radar, Kreiselkompasse und Funkanlage des Schiffs waren ausgefallen. Aber was viel schlimmer war, auch die Energiezufuhr war unterbrochen. Alle Instrumente waren durch Kurzschluss lahmgelegt. Die Steuerelektronik war nutzlos.
Der Kapitän ging zum Fenster, um das Ausmaß der Schäden zu begutachten. Der Bug war zerstört, und das Schiff hatte Schlagseite. Er vermutete, dass der Rumpf ein Leck aufwies. Die Rettungsboote auf dem Vorderdeck waren aus den Davits gerissen worden. Das Schiff schlingerte wie ein betrunkenes Flusspferd.
Die Riesenwelle schien das Meer aufgewühlt zu haben wie ein Demagoge, der den Straßenmob zur Raserei aufstachelt. Brecher rollten über das Vorderdeck. Weitaus gefährlicher war, dass das Schiff, da seine Maschinen stillstanden, in eine schlimmstmögliche Position quer zu den auflaufenden schweren Seen trieb.
Nachdem es die Welle überstanden hatte, lag das Schiff wie ein waidwundes Tier auf der Seite, bereit, den Gnadenschuss zu erhalten oder, wie es im bildhaften Jargon der Seefahrt hieß, »abzusaufen«.
Der Kapitän bemühte sich, seinen Optimismus zu behalten. Die Southern Bellekonnte überleben, auch wenn einige ihrer Sektionen überflutet waren. Jemand hatte sicherlich den SOS-Ruf gehört. Wenn nötig, konnte das Schiff tagelang treiben, bis Hilfe eintraf.
»Käpt’n!« Der Erste Offizier unterbrach seine Gedanken.
Butler blickte durch das geborstene Fenster. Seine Augen starrten ungläubig auf einen fernen Punkt. Der Blick des Kapitäns folgte Butlers ausgestrecktem Finger, und er begann zu zittern, als er von Angst übermannt wurde.
In weniger als vierhundert Metern Entfernung entstand eine weitere horizontal verlaufende Schaumkrone.
Das erste Flugzeug traf zwei Stunden später ein. Es kreiste über dem Meer und erhielt bald Gesellschaft in Gestalt anderer Flugzeuge. Dann näherten sich die ersten Hilfsschiffe, die ihre jeweiligen Routen verlassen hatten. Die Schiffe hielten Abstände von fünf Kilometern zueinander und durchkämmten das Meer wie ein Suchtrupp, der in einem Wald nach einem verlaufenen Kind Ausschau hält. Selbst nach tagelanger Suche fanden sie nichts.
Die Southern Belle,eins der modernsten und leistungsfähigsten Frachtschiffe, die je konstruiert und gebaut wurden, war ganz einfach spurlos verschwunden.