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Insel der Freibeuter
  • Текст добавлен: 29 сентября 2016, 02:31

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Автор книги: Alberto Vazquez-Figueroa



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Sein Vater nahm ihn am Unterarm und ging mit ihm einen kleinen Weg an der hohen Mauer entlang.

»Bald wirst du es wissen!« versprach er. »Doch jetzt erzähl mir von dir. Bist du immer noch Piratenkapitän?«

»Vor zwei Tagen war ich es jedenfalls noch«, lautete die humorvolle Antwort. »Aber in diesem Geschäft ist bekanntlich alles möglich.«

»Schade!« bedauerte der Vater. »Ich habe stets gehofft, daß du es doch rechtzeitig aufgeben würdest. Tritt ein! Wir sind da.«

Sie waren an einer winzigen Hütte am Waldrand angekommen, auf halber Höhe des Hügels, der das fruchtbare Tal beherrschte.

Der Margariteno warf einen langen Blick auf den armseligen, übelriechenden Verschlag, um bestürzt zu fragen:

»Hier also wohnst du?«

»Nur vorläufig. Bald werden wir aufbrechen.« Sein Vater lächelte leicht ironisch und blinzelte ihm zu. »Mit deinem Schiff, wenn sie es dir noch nicht abgenommen haben.«

Er war tatsächlich ein völlig anderer Mensch. Sogar jünger wirkte er, als hätte ihm der Aufenthalt auf der Insel die besten Jahre seines Lebens zurückgebracht.

Sebastian machte eine Geste in Richtung Herrenhaus und fragte:

»Was hast du herausgefunden?«

»Ich habe dir schon gesagt, daß du es bald wissen wirst.«

»Und warum nicht jetzt?« quengelte Jacare Jack. »Warum so geheimnisvoll?«

»Ich mag einfach jetzt noch nicht davon sprechen«, lautete die ausweichende Antwort. »Hast du Hunger?«

Er hatte einen alten Kasten geöffnet, in dem Käse und Wurst verstaut waren, und da sein Vater entschlossen schien, keine Erklärungen zu geben, begnügte sich sein immer verdutzterer Sohn damit, schweigend zu essen, bis es an der klapprigen Tür klopfte und ein Mädchen mit riesigen blauen Augen eintrat.

Sebastians Herz machte einen Hüpfer.

»Gütiger Gott…!« rief er mit zitternder Stimme. »Bist du…?«

Das Mädchen ließ ihm keine Zeit, die Worte zu beenden, sondern fiel ihm um den Hals und küßte ihm das ganze Gesicht ab, während der Vater lächelnd dabei zusah.

»Verstehst du jetzt? Das ist meine große Überraschung.«

Nach neuen Küssen, Umarmungen und langen Blicken, mit denen sich die Geschwister davon zu überzeugen schienen, daß sie sich tatsächlich nach so vielen fahren wiedergefunden hatten, entschloß sich Celeste dazu, ihrem Bruder haarklein und nicht ohne Humor zu erzählen, wie sie ihr Vater an einem Nachmittag während eines Ausritts in der Nähe des Hauses angesprochen und sie beschlossen habe, ihn in der armseligen Hütte zu verstecken, bis Sebastián auftauchen würde.

»Und wenn ich nicht gekommen wäre?« wollte Sebastián wissen.

»Wir waren sicher, daß du kommen würdest!« lautete die bestimmte Antwort des Mädchens. »Wir wußten es ebenso, wie ich niemals die Hoffnung aufgeben wollte, auch wenn ich sehr bittere Augenblicke erlebt habe.« Sie nahm das Gesicht ihres Bruders in die Hände und gab ihm einen dicken Kuß. »Wie hübsch du bist, gütiger Himmel! Du bist immer noch der hübscheste Bruder auf der ganzen Welt.«

»Und keine Schwester küßt so oft wie du.«

»Hab ja auch seit ewiger Zeit keinen mehr geküßt!« Celeste machte eine bittere Pause. »Und keiner hat mich geküßt…«

»Wie ist es dir all die Jahre ergangen?«

Das Mädchen, dessen überschäumende Lebensfreude scheinbar durch nichts zu erschüttern war, zuckte mit den Schultern, als wolle sie ihren vielen leidvollen Tagen keine Bedeutung zumessen.

»Was soll ich dir schon sagen? Am Anfang hab ich geheult wie ein Schoßhund, dann kam ich drauf, daß mir die Tränen nicht weiterhelfen würden, und beschloß, stark zu sein. Später gaben sie mir einen Hauslehrer, einen alten, sehr sympathischen Pfarrer, der mir über die schlimmsten Augenblicke hinweggeholfen hat. Als mir Hauptmann Mendana dann erzählte, daß du mit den Leuten auf der Insel Geschäfte machst, hab ich gehofft, daß du bald kommen würdest.« Sie kniff ihn fest in die Nase. »Aber dann sind Jahre vergangen!«

»Ich konnte doch nicht«, gab ihr Bruder zurück. »Wir waren auf einem Piratenschiff gefangen.«

»Ich weiß. Papa hat mir alles erzählt. Es gefällt mir nicht, daß du ihr Kapitän geworden bist. Doch da ich dich dadurch wiedergefunden habe, sei Gott dafür gedankt…Wann brechen wir auf?«

»Willst du wirklich alles aufgeben und mit uns kommen?« fragte der Margariteno erstaunt.

»Immer schon! Und lieber heute als morgen, denn Don Hernando hat sich in den Kopf gesetzt, mich zu verführen. Jeden Tag fällt es mir schwerer, ihn mir vom Leib zu halten.«

»Ich bringe ihn um«, sagte Kapitän Jacare Jack so kalt, daß es einen Augenblick lang selbst seine Schwester erstaunte. Schließlich ergriff sie seinen Arm, während sie ein ums andere Mal verächtlich den Kopf schüttelte.

»Vergiß ihn. Er verdient es nicht einmal, daß man sich seinetwegen die Hände schmutzig macht.«

»Wie kann ich ihn vergessen nach all dem Leid, das er uns angetan hat?«

Celeste Heredia schaute ihren abwesend wirkenden Vater an, der sich aus dieser heiklen Angelegenheit lieber heraushielt, und wandte sich schließlich wieder ihrem Bruder zu.

»Wir wissen alle, daß Mama die meiste Schuld trifft«, sagte sie. »Und für sie ist es schon Strafe genug, daß sie ihre Familie verloren hat, und bald ist sie auch ihr Haus und alle Privilegien los, denn ich bin sicher, daß Hernando sie schon seit einiger Zeit nicht mehr erträgt. Er hat sie nur noch nicht vor die Tür gesetzt, weil er sicher ist, daß sie mich früher oder später überreden wird, auf seine Avancen einzugehen.«

»Sei’s drum«, sagte Sebastian, »ich werde nicht mehr ruhig schlafen, wenn ich ihn am Leben lasse.«

»Ihn umzubringen nützt gar nichts, und vielleicht gehst du selber dabei drauf, und davon haben wir auch nichts«, gab ihm das kluge Mädchen zu bedenken. »Töten wollen ihn viele, und daher hat er die halbe Garnison nach Cumaná mitgenommen, denn nicht einmal dort fühlt er sich sicher.«

»Und was macht er dort?« fragte ihr Vater überrascht.

»Der Gouverneur hat ihn rufen lassen. Offensichtlich hat sich eine Gruppe entlaufener Sklaven in den Wäldern des Orinoco niedergelassen, und einige sagen, daß es seine waren.«

»Ich weiß, daß sie es waren!« stellte Sebastian klar. »Ich selbst habe sie befreit. Jetzt verstehe ich auch, warum ich in La Asuncion kaum Soldaten auf den Straßen gesehen habe.«

»Keiner wird es wagen, La Asuncion anzugreifen.«

»Nicht mal dann, wenn in den Schatzkammern der Casa ein Vermögen an Perlen liegt?«

»In diesem Jahr gibt es dort kaum Perlen«, gab ihm Celeste mit bedeutungsvollem Blick zu verstehen, was den Bruder etwas verwirrte.

»Was willst du damit sagen? Ist die Flotte vielleicht schon angekommen?«

»Bisher nicht«, lautete die lächelnde Antwort, die ein amüsantes Geheimnis zu bergen schien. »Als Hernando erfahren hat, daß ein Piratenschiff die Küste unsicher macht, habe ich ihm eingeflüstert, daß es wesentlich sicherer wäre, die besten Perlen hier im Haus zu verstecken.«

»Nicht möglich!« rief Sebastian fassungslos aus. »Hier? In diesem Haus?«

»Ganz genau! Es war nicht schwer, ihn davon zu überzeugen, daß niemand auf die Idee käme, die Perlen in einem kleinen Fäßchen zu suchen, das wiederum in einem riesigen Sherryfaß versteckt ist.« Sie lächelte schelmisch. »Und da sind sie immer noch und warten darauf, daß sie sich einer holt.«

Ihr Vater blickte sie tadelnd an:

»Denkst du vielleicht daran, sie zu stehlen?«

Die Antwort kam spontan und unverblümt, wie es Celeste stets gewesen war.

»Natürlich!« rief das Mädchen aus und schüttelte belustigt die lange, dunkle Mähne. »Seit Jahren denke ich daran, und wenn diese Perlen verschwinden, weil Hernando sie gegen alle Vorschriften der Casa aus den Schatzkammern geholt hat, wird ihn dieselbe Casa für den Rest seines Lebens in das tiefste Verlies werfen lassen. Ich kenne ihre Methoden!«

»Du liebe Zeit!« griff sich ein niedergeschlagener Miguel Heredia Ximénez an den Kopf. »Jetzt habe ich nicht nur einen Piraten zum Sohn, sondern auch noch eine Diebin zur Tochter. Wo soll das noch hinführen?«

»Ich sehe mich nicht als Diebin, Vater«, widersprach ihm seine Tochter ungerührt. »Für diese Perlen haben Hunderte geschuftet, die von diesen Schweinen der Casa nur ausgebeutet werden. Ich habe bestimmt eine sinnvollere Verwendung dafür.« Voller Inbrunst küßte sie ihren Vater auf die Wange. »Ich sehe sie als Entschädigung für die verlorenen Jahre.«

»Aber…!«

»Kein Aber!« unterbrach ihn Sebastián. »Ich bin in der Absicht gekommen, die Hauptstadt zu überfallen und mir die Perlen zu holen, denn meine Leute haben schon monatelang keine Beute mehr gesehen, aber das macht es natürlich leichter…« Er wandte sich seiner Schwester zu und fragte: »Wie viele sind es?«

»Etwas über zweitausend, aber alle prachtvoll.«

»Und hast du eine Idee, wie wir sie aus dem Haus bringen?«

»Wie sie hineingekommen sind…!« erklärte das Mädchen schulterzuckend, als wäre das die dümmste Frage der Welt. »In der Kutsche.«

»In der Kutsche des Gesandten der Casa de Contratación von Sevilla?« wiederholte ihr Vater, dessen Fassungslosigkeit weiter wuchs. »Nicht möglich!«

»So geht es am besten«, gab Celeste zurück, in ihrem typischen ungerührten Ton, der die absurdesten Dinge völlig normal erscheinen ließ. »Jeden Tag fahre ich mit der Kutsche zur Frühmesse des Franziskanerklosters. Ich kann mitnehmen, was ich will.«

»Begleitet dich denn deine Mutter nicht?«

»Früher schon, aber seit eine alte Frau sie beleidigt und bespuckt hat, nicht mehr.«

»Langsam habe ich den Eindruck, daß sie einen allzu hohen Preis für das bezahlt, was sie getan hat«, flüsterte Miguel Heredia.

Die Tochter schüttelte sanft den Kopf:

»Für sie ist er nicht zu hoch. Sie kann spät aufstehen, essen, was sie mag, teure Kleider anziehen und eine Menge Diener haben. Dafür ist ihr kein Preis zu hoch.«

»Früher war sie nie so.«

»Vielleicht ist sie immer so gewesen, hatte aber nie Gelegenheit, es zu zeigen. Nichts macht ihr mehr Spaß, als Leute herumzukommandieren, die ihr aufs Wort gehorchen.«

»Haßt du sie?«

Celeste Heredia wandte sich ihrem Bruder zu, der die Frage gestellt hatte, und schüttelte ohne Groll den Kopf.

»Eine Zeitlang habe ich sie für das gehaßt, was sie uns angetan hat und weil es mich anwiderte, daß sie sich wie eine läufige Hündin aufführte, um Hernando bei Laune zu halten, aber das ist vorbei. Heute kann ich sie nur noch bemitleiden, weil sie zusehen muß, wie ihr die Felle wegschwimmen. Ich bin sicher, daß sie mich als rettenden Strohhalm ansieht.« Sie schüttelte den Kopf, als machte es ihr Mühe, die Realität zu akzeptieren. »Ich, der ich all die Jahre ihr Alptraum war, weil ich sie allein durch meine Anwesenheit an ihr Verhalten erinnert habe, bin jetzt ihre einzige Hoffnung. Man sollte es nicht glauben!«

»Sprechen wir nicht mehr von ihr«, schloß ihr Vater das leidige Thema ab. »Das führt zu nichts, und die Erinnerung an Dinge, die wir ein für allemal vergessen sollten, verbittert uns nur.« Er ergriff die Hände der beiden. »Jetzt sind wir alle zusammen, und so soll es bleiben, mit oder ohne Perlen.«

»Mit den Perlen«, erwiderte seine Tochter. »Entweder nehme ich sie mit, oder ich esse sie auf, aber zurück lasse ich sie auf keinen Fall.«

»Einverstanden! Dann also mit den Perlen…«

»Also schön«, bemerkte Sebastián. »In diesem Fall bleibst du am besten hier, damit dich keiner in La Asuncion erkennt.« Er wandte sich seiner Schwester zu. »Samstag nacht nimmt mich das Schiff am Strand von Manzanillo auf. Der ideale Tag, um zur Messe zu gehen.«

»Das wird die schönste Messe meines Lebens«, lachte sie. »Bei Gott! Seit Jahren zerbreche ich mir den Kopf über meine Rache, aber daß sie so perfekt sein würde, hätte ich nie gedacht. Was für ein Gesicht wird er machen, wenn er entdeckt, daß sein unschuldiges Täubchen ausgeflogen ist und ihn gerupft hat statt er sie! Und wie wird er dreinschauen, wenn ihn der Gouverneur wieder nach Cumaná ruft und fragt, wo die Perlen geblieben sind!«

»Bist du sicher, daß sie ihn einsperren werden?«

»Für den Rest seines Lebens…! Und es wäre ein Wunder, wenn sie ihn nicht aufhängen. Die Casa versteht keinen Spaß, wenn es um ihre Interessen geht. Ein Gesandter kann berauben, wen er will, aber nicht sich selbst berauben lassen.« Wieder nahm sie das Gesicht des Bruders in die Hände, um ihm einen weiteren geräuschvollen Kuß aufzudrücken. »Ich bete dich an!« rief sie aus.

Eine Stunde später sagte sie ihnen, daß sie gehen müsse, ansonsten würde ihre Mutter lästige Fragen stellen. Kurz darauf verabschiedete sich auch Sebastián von seinem Vater, um ohne Hast in die Stadt zurückzukehren.

Während er dem staubigen Weg folgte, den er tags zuvor viel mutloser gegangen war, konnte er seine überschwengliche Freude darüber nicht unterdrücken, welch glückliche Wendung sein Leben in so kurzer Zeit genommen hatte. Als er am Herrenhaus vorbeiging, bedrückte ihn allerdings der Gedanke, seiner Mutter zu begegnen, doch mehr noch machte ihm seine Schwester zu schaffen.

Die Jahre der Trennung, der Luxus und der Einfluß Fremder hätten aus Celeste ein hochmütiges Mädchen machen können, das von einem armseligen, verrückt gewordenen Vater und von einem Bruder, auf dessen Kopf ein Preis ausgesetzt war, nichts mehr wissen wollte. Doch aus einem unerfindlichen Grund war sie immer noch das zärtliche, impulsive und anhängliche Mädchen, das ihn wie ein Schatten überallhin verfolgt hatte, als hätte die Zeit bei ihr keinerlei Spuren hinterlassen.

Ihre fröhliche, spontane und unbekümmerte Art hatte offensichtlich auch bei ihrem Vater ein erstaunliches Wunder bewirkt. Allein die Tatsache, sie wiedergefunden zu haben, schien den unglücklichen Miguel Heredia für alle Leiden zu entschädigen und wie eine wohltuende Seebrise die schwarzen Gedanken zu verscheuchen, die ihn an den Rand der geistigen Umnachtung getrieben hatten.

Während er über sie nachdachte, mußte Sebastian an ein altes Lied denken, das die Matrosen sangen, wenn sie auf den höchsten Mast kletterten. Es handelte von Männern, die auf See verlorengehen und bei ihrer Rückkehr in den Hafen feststellen, daß nichts sich in den Jahren der Abwesenheit geändert hat. Der Urheber dieser traurigen Ballade mußte etwas von einem Propheten gehabt haben, denn in gewisser Weise sagte er voraus, daß zwei Menschen, die sich im stürmischen Ozean ihrer Erinnerungen verloren hatten, unverhofft in einen sicheren Hafen zurückgekehrt waren, in dem sich ihre bittere Vergangenheit wie von Zauberhand in eine süße Gegenwart verwandelte.

Vielleicht deshalb fühlte der junge Kapitän Jacare fack, als er kurze Zeit darauf an der Pforte einer kleinen Einsiedelei am Eingang der Stadt vorbeiging, zum ersten Mal in seinem Leben die drängende Verpflichtung, Gott zu danken, und daher trat er, ohne zu zögern, in die abgeschiedene, stille Kapelle ein.

Das erste, was seine Aufmerksamkeit erregte, als er auf einer groben Bank Platz nahm, war ein riesiges wurmstichiges Bildnis der Jungfrau mit Kind, das ihn sofort an seine Mutter erinnerte, wenn sie Celeste stillte. Er mußte sich fragen, wie es möglich war, daß sich ein Wesen, das ihm so himmlisch und engelsgleich vorgekommen war, sich in jemanden verwandelt hatte, der in der Lage war, die eigene Tochter zu verderben, nur um weiterhin erst mittags aufstehen zu müssen und acht Diener zu haben.

In der langen Stunde auf der harten Bank dachte der Margariteno inniger über seine Gefühle nach als für den gesamten Rest seines Lebens. Er war so überglücklich, seine Schwester wiedergefunden zu haben, daß er nicht einmal seine Mutter hassen konnte.

Schließlich richtete er seinen starren Blick auf das Madonnenbild und murmelte, als hätte er in Wahrheit eine Abbildung von Emiliana Matamoros vor sich, die ihn hören könnte:

»Geh mir aus dem Sinn. Geh mir aus dem Sinn und kehr nicht wieder, weder in guter noch in schlechter Erinnerung. Ich will weder an die Mutter denken, die ich liebte, noch an die schändliche Frau, die ich verabscheue, noch an die unwürdige Alte, die du sein wirst.« Er starrte das Bild geradezu herausfordernd an. »Ich möchte nicht wissen, in welchen Häfen du dich herumtreiben wirst, um die Reste deiner Schönheit zu verhökern, während du daran denkst, daß du einen Mann und zwei Kinder hattest, die dich verehrten. Tu mir den Gefallen, geh mir für immer aus dem Sinn.«

»Kann ich dir irgendwie helfen, mein Sohn?« Er hob den Kopf und blickte einen hageren Alten an, der hinter ihm wie aus dem Nichts aufgetaucht war, und schüttelte den Kopf.

»Nein danke, Padre. Ich habe nur ein wenig gebetet.«

»Ein wenig?« versetzte der andere belustigt. »Ich habe dich schon vor geraumer Zeit eintreten sehen, und ein Junge deines Alters verbringt gewöhnlich im Haus des Herrn nicht so viel Zeit.« Wie ein Spürhund schnupperte er an Sebastians Kleidung: »Jetzt verstehe ich: Du bist ein Seemann und hast nicht viele Gelegenheiten, eine Kirche zu besuchen, stimmt’s?«

»Woher wollt Ihr wissen, daß ich ein Seemann bin?«

»Weil du nach Algen riechst. In meiner Jugend war ich Kaplan der Armada, und in dieser Zeit konnte ich am Geruch erkennen, welchen Posten einer auf dem Schiff hatte. Von den Algen abgesehen riechen die Marsgaste nach Leinen, die Zimmerleute nach Harz, die Köche nach Fisch und die Schiffsjungen nach Bilge.«

»Und die Pfarrer?«

»Die schlechten nach Wein, die guten nach Brot.« Der runzelige Alte grinste von einem Ohr zum anderen. »Wie ich diese Zeiten vermisse! Heute stinken die meisten Leute nur noch nach Mist.« Er betrachtete ihn mit neuerlicher Aufmerksamkeit. »Möchtest du beichten? Oft wird der Kopf dadurch klarer.«

»Danke, Padre«, lautete die ehrliche Antwort. »Aber ich glaube, meine Gedanken sind niemals klarer gewesen als heute, und wahrscheinlich würde ich nur die Euren verdüstern.«

Ausholend deutete der Alte auf die groben Mauern, die sie umgaben.

»Hat dir das alles geholfen?«

»Eine Menge«, gab der Margariteno zu.

»Gott sei gelobt!« rief der andere sichtlich verblüfft aus. »Der Herr möge mir verzeihen, aber ich muß ein schlechter Pfarrer sein, daß sich mein Geist um so höher erhebt, je größer die Kirche ist, in der er sich aufhält. In der Kathedrale von Burgos schwang sich meine Seele hinauf bis zum Glockenturm, doch an einem Ort wie diesem bleibt sie am Boden.«

Der verblüffte Jacare Jack musterte ihn von Kopf bis Fuß, um mit neuerlichem Interesse ungläubig zu fragen:

»Seid Ihr wirklich ein Priester?«

»Wenn auch du daran zweifelst, sind wir schon zwei«, lautete die belustigte Antwort. Doch unmittelbar darauf fuhr der gute Mann in einem anderen Ton fort: »Ja doch, mein Sohn! Ich bin schon Priester, seit ich denken kann, und es reut mich nicht. Mich hat einfach die Wehmut ergriffen, als ich dich roch. Wenn du auf einer Galeone mit neunzig Kanonen die Messe gesungen hast, kommt dir selbst die Kathedrale von Burgos lächerlich vor.«

Im ersten Tageslicht verließ die Kutsche Seiner Exzellenz Don Hernando Pedrárias das stille Herrenhaus, passierte das große Tor der hohen Mauer und fuhr auf die noch schlafende Stadt La Asuncion zu. Doch noch ehe sie den dichten Wald hinter sich gelassen hatte und auf die freien Felder des fruchtbaren Tals hinausgefahren war, sprangen plötzlich drei bewaffnete Männer zwischen den Bäumen hervor und richteten ihre schweren Pistolen auf den alten Kutscher, der beinahe vom Kutschbock gefallen wäre und sich den Hals gebrochen hätte.

Man zwang ihn, die schimmernde Uniform auszuziehen, und band ihn so fest an einen Baum, daß er sich erst Stunden später würde befreien können, und als die Räuber aufbrachen, gab ihm Celeste mit ehrlicher Zuneigung einen Kuß auf die Wange.

»Tut mir leid, Gervasio. Doch so ist es besser für alle.« Mit humorvoller Geste steckte sie ihm eine Geldbörse in die großen, schmutzigen roten Unterhosen und fügte hinzu: »Für den Ärger.«

»Wißt Ihr eigentlich, was Ihr da tut, Senorita?« fragte der Alte mit Bedauern in der Stimme. »Don Hernando wird Euch bis ans Ende der Welt verfolgen.«

»Die Welt ist sehr groß!« entgegnete sie und strich ihm liebevoll übers Haar. »Sehr groß! Macht Euch keine Sorgen. Jetzt habe ich Menschen, die mich beschützen.«

Nachdem sie ihn geknebelt hatten, setzten sie ihre Fahrt fort: Justo Figueroa in Uniform auf dem Kutschbock, Sebastián, Miguel Heredia in der Kutsche, und ihnen gegenüber nahm das lächelnde Mädchen Platz, das so aufgeregt und glücklich schien, als wolle man sie an diesem Tag in die Gesellschaft einführen.

Kurze Zeit danach zog sie eine schwere Kiste unter ihrem Sitz hervor und öffnete sie feierlich, um zu zeigen, daß sie randvoll mit schönen Perlen in allen nur denkbaren Schattierungen gefüllt war.

»Die besten des Jahres!« rief sie aus und nahm ein riesiges, fast schwarzes Exemplar in Form einer Birne zwischen die Finger. »Schau dir diese Perle an! Ein Königreich würde ich dafür hergeben.«

»Behalt sie!« forderte sie ihr Bruder auf. »Und häng sie dir um den Hals, damit sie dich an den Tag erinnert, an dem du zur Gesetzlosen geworden bist.« Er deutete auf den Wald, den sie gerade hinter sich gelassen hatten. »Dieser Gervasio hat recht«, fügte er besorgt hinzu, »die Casa läßt sich nicht ungestraft berauben.«

»Du raubst doch schon seit Jahren«, gab sie ihm zu bedenken und zog eine sympathische Grimasse, während sie die schwarze Perle in ihren Ausschnitt steckte. »Ich behalte sie!«

»Was können sie denn schon tun?« warf Miguel Heredia skeptisch ein. »Wenn sie es erfahren, sind wir schon über alle Berge.«

»Man kann nie wissen«, orakelte seine Tochter. »Bei Don Hernando kann man nie wissen. Ich hab keine Angst vor ihm, aber wir sollten auf der Hut sein.«

Als die ersten Häuser der Stadt in Sicht kamen, bog die Kutsche an der Kreuzung mit der kleinen Einsiedelei auf den Weg nach Santa Ana ab. Sie fuhren schon durch das Tal, als die Arbeiter auf den Feldern begannen, mit Steinen zu werfen und Beleidigungen auszustoßen, um sofort darauf die Flucht zu ergreifen.

Für die überwältigende Mehrheit der Margaritenos war die schwere Kutsche mit ihren anmaßenden Wappen an den Türen und dicken Brokatvorhängen das Sinnbild der Tyrannei schlechthin, und ihre schmerzliche Erfahrung lehrte sie, daß es nichts Gutes bedeutete, wenn die Karosse die Stadtgrenzen von La Asunción hinter sich ließ.

Gewöhnlich ließen sich die stolzen Rappen von Don Hernando Pedrárias Gotarredona nur selten auf dem Land sehen, und wenn doch, dann ging es meistens darum, die Steuerschraube noch fester anzuziehen.

Wenn die Dörfler die Pferde sahen, dachten sie an Hyänen, die den Gestank eines Kadavers witterten. Manche hätten Jahre ihres Lebens dafür hergegeben, die Rösser einfach abzuknallen, auch wenn sie wußten, daß die Gäule an der ganzen Misere keine Schuld traf.

Am frühen Nachmittag trabten die schwitzenden Pferde müde durch Santa Ana und schlugen schon den Weg nach Aricagua ein, denn keiner hätte es gewagt, die goldene Kalesche des Gesandten der Casa de Contratación von Sevilla aufzuhalten. In diesem Augenblick betrachtete Celeste Heredia die kostbare Tapete und murmelte:

»Ich hätte Lust, sie anzuzünden.«

Ihr Bruder blickte sie sichtlich überrascht an:

»Warte damit bis Manzanillo.«

»Erlaubst du es mir?«

»Natürlich!«

Die restliche Fahrt über sagte das Mädchen kein Wort mehr und schloß die Augen, nicht weil die anstrengende Fahrt sie ermüdet hätte, sondern weil sie sich ganz der Vorfreude hingeben wollte, bald die verhaßte Kutsche in Asche sinken zu sehen.

Für die übrigen Einwohner der Insel mochte die Kutsche ein Symbol der Tyrannei sein, für Celeste war sie darüber hinaus auch das Sinnbild der Perversion.

Zwischen den engen, flammend rot ausgeschlagenen Wänden der Kutsche hatte Celeste, die sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal als Frau fühlte, zum ersten Mal die verstohlenen Blicke des feurigen Liebhabers ihrer Mutter wahrgenommen. Hier hatte Don Hernando Pedrárias, den Blicken der Außenwelt entzogen, mit seinen schleichenden und hinterhältigen sexuellen Nachstellungen begonnen.


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