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Insel der Freibeuter
  • Текст добавлен: 29 сентября 2016, 02:31

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Автор книги: Alberto Vazquez-Figueroa



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»Niemandem sonst?« entsetzte sich der Junge.

»Das scheint dir wenig?« lautete die ironische Antwort. »Was hilft es dir, auf hundert Männer zu vertrauen, wenn du selbst scheiterst?« Der Panamese deutete vielsagend auf das Achterkastell. »Dort schläft der Kapitän, so vom Fieber geschüttelt und von den Würmern zerfressen, daß er kaum noch eine Waffe halten kann, doch nicht einer dieser Mistkerle hat auch nur den Mumm, die Stimme zu heben.« Er grinste übers ganze Gesicht: »Du mußt lernen, zu befehlen.«

»Und wer bringt mir das bei?«

»Das lehren sie nicht einmal in Salamanca, mein Sohn. Nicht einmal dort.«

Im Morgengrauen rief der Schotte Sebastián zu sich in die Kajüte.

»Wie hast du dich entschieden?«

»Ich werde das Schiff nehmen.«

»Und die Flagge?«

»Die auch.«

»Wenn das so ist, solltest du auch meinen Namen übernehmen. Du tust mir damit einen Gefallen, und dir übrigens auch.«

»Warum das denn?« erstaunte sich der Margariteno.

»Wenn Kapitän Jacare Jack weiter in der Karibik Schiffe überfällt, wird keiner ihn mit einem reichen Mann aus Westindien in Verbindung bringen, der nach Aberdeen zurückgekehrt ist. Und wenn sie dich eines schlechten Tages erwischen, wird keiner auf die Idee kommen, daß ein bartloses Jüngelchen Jacare Jack sein könnte, der seit über zwanzig Jahren die Meere unsicher macht.«

»Ganz schön raffiniert!«

»Dieses Schiff ist für Seitenwinde wie geschaffen.«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Wind von achtern hilft allen in gleicher Weise, doch alle Winde auszunutzen gelingt nur den Schlauen.« Er sah ihn von der Seite an. »Wo bewahrst du deine Perlen auf?«

»Auf der Insel.«

»Wir können dort haltmachen, um sie zu holen, und dann läßt du mich in England von Bord. Ab dann gehört das Schiff dir.«

»In England?« entgegnete Sebastian schockiert. »Aber das liegt doch…!«

»Südlich von Schottland«, unterbrach ihn Kapitän Jack belustigt. »Nichts ist perfekt. Nicht einmal meine Heimat…« Er streckte ihm die Hand entgegen, in die Sebastian kräftig einschlug, und schloß: »Also abgemacht, aber das bleibt für den Augenblick lieber unter uns. Einigen wirst du gar nicht gefallen.«

»Und wer sind die?«

»Das mußt du selber rausfinden, und zwar lieber früher als später…«Jacare Jack nickte ihm zum Abschied zu. »Und jetzt sag Lucas, daß er Kurs auf die Insel nehmen soll, und laß mich ausruhen. Jetzt wo ich weiß, daß ich bald zu Hause sein werde, kann ich ja vielleicht etwas schlafen.«

»Habt Ihr noch ein Haus in Aberdeen?«

Traurig schüttelte der Schotte den Kopf.

»Ich bin auf der Straße aufgewachsen und mit zwölf auf mein erstes Schiff gegangen. Jedes Haus, das ich mir dort kaufe, wird mein Haus sein, doch gibt es da eines, unter dessen Portal ich manche Nacht geschlafen habe, von dem habe ich immer geträumt.« Er lächelte bitter. »Dafür brauche ich deine Perlen.«

Wieder zurück an Deck, suchte Sebastián Lucas Castafio, um ihm den Befehl des Schotten zu überbringen. Der Panamese verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln.

»Gehen wir deine Perlen holen?«

»Möglich.«

»Das heißt, daß wir bald einen neuen Kapitän kriegen.«

Der Angesprochene zuckte fast unmerklich mit den Schultern.

»Auch möglich.«

»Gratuliere, Junge!« lautete die ehrliche Antwort des Adjutanten, während er Sebastian herzlich auf die Schultern klopfte. »Und alles Glück der Welt. Du wirst es brauchen…«

Als hielte er damit einen bedeutenden Abschnitt im Leben des Schiffs für beendet, fuhr er den wachhabenden Steuermann an:

»He, du verdammter Maure! Kurs Nordost!« Und zu den zwei Männern gewandt, die auf Deck in einer Ecke Karten spielten: »Und ihr zwei, kümmert euch um das Manöver!«

»Was soll denn jetzt diese Kursänderung?« wollte einer von ihnen wissen, der sich nur unwillig aus einem Spiel reißen ließ.

»Hier befiehlt der Kapitän und kein Hurensohn… Noch Fragen?«

Es gab keine Fragen mehr, denn schließlich war es ziemlich egal, welchen Kurs sie steuerten, solange das Meer ruhig, die Winde günstig waren und sich kein Segel am Horizont zeigte.

Die meisten Schiffe brachen von einem Hafen auf und fuhren irgendwo hin, daher war dort das Leben an Bord von der Notwendigkeit bestimmt, früher oder später das Ziel zu erreichen. Die flüchtige jacare dagegen vagabundierte von einem Ort zum anderen, stets bereit, sich auf ein ahnungsloses Opfer zu stürzen oder eine schnelle Flucht zu unternehmen, wenn der Feind zu mächtig war. Das bloße Segeln war daher eine monotone Lebensweise ohne große Überraschungen.

Ein Überfall war eine Angelegenheit von Stunden, doch eine Beute konnte Wochen, ja Monate auf sich warten lassen. Daher hatte sich die Besatzung der Jacare daran gewöhnt, das schnittige Schiff als ihren heimatlichen Herd anzusehen, und die Geduld als ihre Verbündete.

Man aß, schlief, schrubbte die Decks, schwatzte oder spielte Karten, wohl wissend, daß das harte Geschäft der Piraten in erster Linie langweilige Routine bedeutete. Aufgrund der langen Mußestunden erinnerte die verwahrloste Besatzung eher an eine Bande von Vagabunden als an eine schlagkräftige Truppe von Halunken, die in der Lage war, eine ganze Flotte zu versenken.

Sebastián Heredia fing an, jeden einzelnen unter die Lupe zu nehmen, um herauszufinden, wer von ihnen auf die verlockende Idee kommen könnte, ihm ein Messer in den Rücken zu jagen, um das Kommando an sich zu reißen. Und er kam zur schmerzlichen Überzeugung, daß er nahezu die Hälfte der Mannschaft loswerden mußte, wenn er in Zukunft noch ruhig schlafen wollte.

Als die sichere Zuflucht der Grenadinen schon in Sichtweite war, weihte er den Kapitän in seine Gedanken ein. Der beschränkte sich darauf, mit beiden Händen anzudeuten, wie gleichgültig ihm das war.

»Sobald dir das Schiff gehört, kannst du machen, was du willst. Eines aber solltest du wissen: Wenn du einige von ihnen zum Teufel schickst, werden die anderen glauben, daß du vor ihnen Angst hattest, und von da an kannst du von ihnen nur noch Verrat erwarten.« Er gab ihm einen herzlichen Handschlag, als wollte er seinem Sohn die letzten Ratschläge mit auf den Weg geben, und fuhr im gleichen Ton fort: »Wer Kapitän eines Schiffs wie dieses sein will, muß gleich vom ersten Tag an klar machen, was es geschlagen hat. Wenn du das nicht schaffst, verzichtest du lieber gleich, bevor es zu spät ist.«

»Und wenn einer gegen mich rebelliert?«

»Dann hängst du ihn am Großmast auf. Dafür ist er da. Erst dann kommen die Segel.«

Das war eine seltsame Lebensanschauung, aber Sebastián Heredia mußte zugeben, daß es anders tatsächlich nicht ging, wenn er fünfzig zähnefletschende Seewölfe befehligen wollte. Wenn seine eigene Aufgabe darin bestand, sich mit Gewalt fremdes Eigentum anzueignen, dann mußte er akzeptieren, daß ein anderer versuchen würde, ihm das seine abzunehmen. In diesem Fall konnte er nur mit gleicher Münze heimzahlen: mit Gewalt.

Wenn er den schweren Weg einschlug, Anführer der Piraten zu werden, gab es nur eine Möglichkeit, Erfolg zu haben: Sie mußten ihn als ihren Besten ansehen. Als sie im Morgengrauen vor der kargen Insel Mayero Anker warfen, hatte er sich schon eine Lebensanschauung zu eigen gemacht, der er den Rest seiner Tage treu bleiben sollte: Was immer er tat, er würde es mit seinem Gewissen vereinbaren können, auch wenn es ihm nicht behagen sollte.

Er holte seine Perlen aus mehreren sicheren Verstecken und betrachtete sie noch einmal, ohne daß ihm der Abschied leid getan hätte. Sie waren sehr schön, doch war er seit seiner frühesten Jugend daran gewöhnt, sie zu bewundern. Sie konnten noch so groß sein und die Menschen sie noch so schätzen, sie waren doch nur runde Perlmuttkugeln, von denen es in den Untiefen rund um Margarita viele Tausende gab.

Nichts im Vergleich zu einem Schiff von vierzig Metern Länge und über dreißig Kanonen.

Am gleichen Nachmittag befahl Kapitän Jack seinen Männern, auf der weiten Fläche zwischen seiner Hütte und dem Meer Platz zu nehmen, er lehnte sich mühevoll gegen die Balustrade und musterte sie alle ausgiebig, bevor er begann:

»Viele Jahre lang habe ich euch befehligt, so gut ich es verstand, und ich muß zugeben, daß ihr mir gehorcht habt, so gut ihr konntet. Es waren gute Jahre, die uns reiche Schätze gebracht haben, doch für mich sind sie jetzt vorbei, ohne daß mich feindliche Kanonen in Stücke geschossen hätten.« Er lächelte etwas bitter: »Man könnte sagen, es ist der Moder unterhalb der Wasserlinie des Rumpfs, der mich durchlöchert.«

Allgemeines Murmeln war zu hören. Die Männer blickten sich bestürzt an, mußten sie doch fürchten, ihren »Arbeitsplatz« zu verlieren, doch der Schotte bedingte sich mit erhobenen Armen Ruhe aus und fuhr etwas schelmisch blinzelnd fort.

»Ruhe! Ich werde zwar gehen, aber ihr habt bereits einen neuen Kapitän.« Er deutete auf den erwartungsvollen Sebastián Heredia und bekräftigte: »Hier ist er!«

Jetzt schlug die Bestürzung der Männer in Entsetzen, ja Ungläubigkeit um, und nach langem Tuscheln und manchen feindseligen Ausrufen trat der erste Steuermann, Zafiro Burman, einige Schritte vor, um dem Mann, der bisher sein unbestrittener Befehlshaber gewesen war, offen die Stirn zu bieten.

»Er…? Und warum gerade er?«

»Weil er der einzige ist, der mir das Schiff abkaufen kann.« Er sah ihm direkt in die Augen. »Kannst du das etwa?«

»Nein!« gab der andere zu und griff sich an den riesigen Saphir, der an einer Halskette hing. »Das weißt du doch! Aber der ist doch nur ein Milchbart…«

»Na schön…« versetzte der Schotte, als ginge ihn diese Sache überhaupt nichts an. »Ich denke, das wird sich zeigen. Auf jeden Fall hat er Perlen und du nur Läuse.« Er bedeutete Sebastián, auf die Balustrade zu kommen. »Du bist dran! Ich habe das Meinige getan.«

Der Angesprochene gehorchte und stellte sich an die Seite des Kapitäns. Wie dieser musterte er ausgiebig einige Männer, die mit der Alternative nicht gerade glücklich schienen.

Schließlich schenkte er seinem Vater, der scheinbar völlig abwesend im Schatten eines Baums saß, einen langen Blick, und nachdem er sich einige Male geräuspert hatte, fing er an:

»Tatsache ist, daß ich mit meinen Perlen das Schiff kaufen kann und ihr nicht. Doch klar ist auch, daß diese Perlen mir nicht das Recht geben, daß ihr mich als Kapitän anerkennt.« Er machte eine kurze Pause, ohne sie aus den Augen zu lassen, und fuhr mit überraschender Gelassenheit fort. »Ein Befehlshaber braucht viele Dinge: Wissen, Intelligenz, Autorität und vor allem Mumm in den Knochen, um mit demjenigen fertig zu werden, der glaubt, mehr Ansprüche auf die Kapitänskajüte zu haben.« Wieder unterbrach er seine Rede, als ob die Leute danach aufmerksamer zuhören würden, und nachdem er sich vergewissert hatte, daß dies tatsächlich der Fall war, klopfte er mehrere Male mit dem Finger gegen die Brüstung: »Wenn einer von euch glaubt, daß er mehr Rechte als ich hat, die Jacare zu kommandieren, dann soll er es jetzt sagen, damit wir es austragen können. Noch sind wir alle gleich.« Sein Finger wanderte von einem zum anderen. »Wenn aber niemand vortritt, heißt das, daß ihr mich akzeptiert, und von diesem Augenblick an ist es mit der Gleichheit vorbei, und wer meine Befehle verweigert, den lasse ich aufknüpfen… Alles klar?«

Es war Lucas Castano, der ihm klugerweise zur Seite sprang und gelassen erwiderte:

»Völlig klar!«

Der Margariteno schenkte ihm ein dankbares Lächeln und beharrte im gleichen Tonfall.

»Ist jemand unter euch, der diesen Schritt machen möchte?«

Die Männer blickten sich an, darauf vertrauend, daß ein anderer vortreten würde, und als sich keiner dazu entschließen wollte, richteten sich alle Augen auf Zafiro Burman, als sollte dieser seinen Protest von vorher fortsetzen.

Doch nachdem er lange seine schwarzen Zehen angestarrt hatte, die zum Erde schaufeln getaugt hätten, schützte der erste Steuermann schließlich schulterzuckend eine Gleichgültigkeit vor, die ihm mehr als fern lag.

»Die Zeit wird es weisen…«

»Nein, Zafiro, nein!« fuhr ihm der Junge in die Parade. »Die Zeit hat da nichts zu weisen. Du selbst mußt es tun.« Er neigte sich nach vorn, als könne er ihn dadurch besser mustern. »Und zwar gleich jetzt!« sagte er mit deutlich drohendem Ton. »Akzeptierst du mich als Kapitän, oder nicht?«

Der andere schien einige Augenblicke zu überlegen, doch dann stimmte er mit einem lustlosen Kopfnicken zu.

»Einverstanden«, murmelte er. »Ich akzeptiere dich.«

»Bist du sicher?«

»Sicher.«

»Ganz sicher?«

Der Tonfall forderte eine negative Antwort geradezu heraus, als wollte man dem Gegner eine letzte Gelegenheit zum Widerruf geben, doch der Angesprochene drehte sich um und ging zu den Bäumen, während er mit rauher Stimme entgegnete:

»Ganz sicher!«

Sebastian ließ ihn gehen, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, und wandte sich dem Rest der Versammlung zu. Mit wesentlich freundlicherem Ton fuhr er fort:

»Von diesem Augenblick an bin ich Kapitän Jacare Jack, und seine Fahne gehört mir ebenso wie sein Schiff. An Bord wird sich nichts ändern, auch nicht bei der Arbeit. Und jetzt könnt ihr euch amüsieren. Morgen stechen wir in See.«

Doch am folgenden Morgen erwartete ihn eine bittere Überraschung.

Sein Vater war verschwunden, und auf seinem Strohsack fand sich nur eine ungelenk gekritzelte Nachricht: »Du brauchst mich jetzt nicht mehr. Ich kehre nach Hause zurück.«

Sebastian fand, daß diese Botschaft typisch war für seinen Vater: unverblümt und ohne Sinn, denn all die Jahre hatte der Vater den Sohn gebraucht und umgekehrt. Außerdem gab es kein Haus mehr, zu dem er zurückkehren konnte.

Er lief zur Anlegestelle, und es überraschte ihn nicht, daß eine der Schaluppen verschwunden war. Sein erster Gedanke war, die Anker zu lichten und seinem Vater in Richtung Süden zu folgen, doch bald war ihm klar, daß ihm das Schiff eigentlich erst gehörte, wenn er den Schotten wohlbehalten an der Küste des fernen Englands abgesetzt hatte.

Am gleichen Nachmittag verließen sie die Insel, um Kurs Nordost zu setzen. Für Sebastian war es der traurigste Tag seines Lebens, denn obwohl er sich damit tröstete, daß er gar nicht anders konnte, fühlte er sich in gewisser Weise schuldig, daß er es zuließ, einen kranken und erledigten Mann in sein unausweichliches Verderben ziehen zu lassen.

Was konnte der arme, früh gealterte Mann auf Margarita tun, wenn er die Insel überhaupt in seiner Nußschale erreichte?

Und wie würde er reagieren, wenn er feststellen mußte, daß er in dem Haus, in das er zurückzukehren glaubte, nichts mehr von dem vorfinden würde, was er vor Jahren zurückgelassen hatte?

Die schmerzvolle Vergangenheit, die zu vergessen er sich so oft bemüht hatte, kam Sebastián wieder ins Gedächtnis zurück, und wieder einmal mußte er sich fragen, was in all den Jahren aus seiner Mutter und seiner Schwester geworden war.

Ob sie wohl noch auf der Insel lebten?

Wahrscheinlich wohnten sie noch immer im Palast des Gesandten der verabscheuten Casa de Contratación, die schon vor geraumer Zeit einen hohen Preis auf die gesamte Besatzung des tollkühnen Schiffs ausgesetzt hatte, denn nur zu oft hatte die jacare die Casa um ihre wertvollen Waren erleichtert. Sebastián schauderte schon bei dem Gedanken, was eines Tages geschehen würde, wenn sein Vater auf den Mann traf, der ihm auf so grausame Weise seine Familie geraubt hatte, doch was würde erst passieren, wenn er auf seine Mutter traf?

Sebastián war nie ganz klar gewesen, wer der wahre Schuldige an dem Geschehenen war: der Mann, der mit seinem Geld und seiner Macht die Frau des anderen verführt hatte, oder die Frau, die sich von dieser Macht und diesem Geld hatte verführen lassen und darüber hinaus noch ein unschuldiges Wesen mit sich gerissen hatte, das noch nicht alt genug war, um selbst über sein Schicksal zu entscheiden.

Ein ums andere Mal rief er sich das Bild seines Vaters ins Gedächtnis, der wie ein Besessener Messer, Schwerter und Macheten schärfte, und er konnte nicht vergessen, wie er ins Leere blickte. Es jagte ihm Angst ein, wenn er sich vorstellte, was passieren würde, wenn dieses gequälte Wesen auf die Menschen traf, die auf so grausame und schändliche Weise seine friedliche Existenz vernichtet hatten.

Die Jacare war das schnellste Schiff, das in diesen Augenblicken auf den Meeren kreuzte, aber dennoch hatte der Junge den seltsamen Eindruck, als würde sie kaum von der Stelle kommen.

Er war an die karibische See gewohnt, auf der sich früher oder später eine ferne Küste abzeichnete oder Seevögel die Nähe des Landes ankündigten, doch die Unendlichkeit jenes dunklen und toten Ozeans mit seinen hohen Wellen und heulenden Winden setzte ihm zu. Nicht weil er Angst vor dem Meer hatte, sondern weil er sich Sorgen machte, vielleicht den Rückweg nicht mehr zu finden und für immer in einem Europa bleiben zu müssen, von dem er nur Schlimmes gehört hatte.

Hunger und Ungerechtigkeit hatten seine Großeltern dazu bewogen, in der Neuen Welt die Möglichkeiten zu suchen, die ihnen die alte Welt verweigerte. Und seit er denken konnte, hatte der Margariteno die fixe Idee, daß am anderen Ende des Ozeans nur ausgedörrte Länder lagen, deren Bewohner, gerissene Schelme, nur darauf aus waren, auf Kosten anderer zu leben.

Warum Kapitän Jack so sehr daran lag. in ein unbarmherziges Land zurückzukehren, aus dem er schon als Kind hatte fliehen müssen, um nicht Hungers zu sterben, konnte Sebastian niemals verstehen. Doch verspürte er auch nicht die geringste Neugier, den Grund dafür herauszufinden, und als an einem nebligen Morgen der Ausguck die Küste Englands ankündigte, kam er nicht einmal auf den Gedanken, einige Meilen näher heranzusegeln, um einen Blick darauf zu werfen.

»Die Segel reffen und beidrehen!« befahl er unwirsch. »Diese Nacht bringen wir den Kapitän an Land.«

Er aß mit ihm allein in der Achterkajüte. Der Schotte schien einen schweren inneren Kampf auszufechten. Natürlich hatte er den logischen Wunsch, als reicher Mann, der sich um seine Zukunft keine Sorgen zu machen brauchte, in seine Heimatstadt Aberdeen zurückzukehren, andererseits erfüllte es ihn mit tiefer Trauer, sein Schiff und seine Lebensweise aufgeben zu müssen, die ihm so viele glückliche Jahre beschert hatten.

»Das Schlimmste daran ist, daß ich mich trotz meines vielen Geldes nie wieder so frei fühlen werde wie in der Zeit, als ich ein einfacher Pirat war. Nun werde ich mich wieder zum Sklaven dieses Geldes machen, während ich mir früher den Luxus leisten konnte, es über Bord zu werfen.«

»Aber Ihr werdet ohne die dauernde Furcht leben, daß eine feindliche Flotte am Horizont auftaucht.«

»Wenn du lange Zeit auf der Jacare gesegelt bist, wirst du dich freuen, eine feindliche Flotte am Horizont zu erblicken«, lautete die gelassene Antwort. Er lächelte ein wenig, als lächelte er über seine intimsten Erinnerungen. »Du wirst Furcht verspüren, doch du wirst es auch genießen, wenn du merkst, daß du ihnen trotz ihrer Kanonen auf der Nase herumtanzen kannst, denn dieses verdammte Schiff ist wie eine Wespe, die tausend Mal ein störrisches Maultier sticht, während dieses nur blind auskeilen kann.« Er ließ sich in seinen Sitz zurückfallen, und sein Gesichtsausdruck war voller Stolz. »Einmal habe ich drei Galeonen vor San Juan versenkt, ohne daß man mir nur ein Segel zerrissen hätte.«

Der Junge nickte.

»Lucas Castano hat mir davon erzählt.«

»Er hat mutig gekämpft, und an diesem Tag habe ich ihn zu meinem Adjutanten gemacht.« Wohlwollend klopfte er ihm auf die Hand. »Vertrau ihm! Er ist der einzige an Bord, vor dem du immer sicher sein wirst.«

»Ich weiß.«

»Als ich zum ersten Mal meine Flagge hißte, war ich nicht so gut dran. Damals konnte ich noch keinem vertrauen. Und was die Fahne betrifft«, fügte er hinzu und deutete mit dem Kopf auf das Tuch, das säuberlich gefaltet auf einer breiten Kommode aus Mahagoni lag. »Hier hast du sie! Paß gut darauf auf!«

»Das werde ich. Jetzt ist sie meine.«

»Dann achte darauf, daß du sie niemals neben einem Korsaren flattern läßt«, murmelte der Schotte fast unhörbar. »Das wollen Patrioten sein, doch in Wirklichkeit sind es nur dreckige Mörder, denen es mehr Spaß macht, ein Schiff brennen und die Besatzung absaufen zu sehen, als es zu plündern, und wer so was tut, ist verrückt.« Er schnalzte mit der Zunge, als wollte er deutlich machen, wie sehr ihm das mißfiel. »Danach werden sie ausgewählt: Verrückte und Mörder, und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, verleiht man ihnen noch Adelstitel, während man uns, die wir uns bemühen, die Leute zu schonen, aufhängen läßt.« Ein ums andere Mal schüttelte er den Kopf, als könnte er es einfach nicht fassen: »Traurige Zeiten sind das, in denen die Dinge, die du raubst, mehr zählen als die Menschen, die du umbringst. Ich versteh’s einfach nicht!«

Am Abend war die Küste nur noch einen Steinwurf entfernt, und als es schon fast stockfinster war, ließ man eine kleine Schaluppe zu Wasser.

Der Schotte verabschiedete sich nach und nach von allen Männern, und als er vor Lucas Castano angelangt war, kam es zu einer rührenden Umarmung. Schließlich baute er sich vor Sebastian auf und grüßte ihn fast militärisch:

»Viel Glück, Kapitän! Das Kommando gehört Euch!«

»Viel Glück!«

Dann kletterte er die kurze Leiter hinunter, ergriff die Ruder und löste sich vom Schiff, bis die Dunkelheit der Nacht ihn einhüllte und man nur noch das rhythmische Klatschen des Wassers hörte.

Dann aber schallte aus der Ferne ein Ruf aus zitternder Kehle herüber, so laut, als käme er aus dem Totenreich.

»Adios…!! Und gute Jagd…!!!«

»Adios, Kapitän…« schallte es im Chor zurück.

Als nur noch Stille und Dunkelheit herrschten, gab Sebastián Heredia Matamoros, der frischgebackene Kapitän Jacare Jack, seinen ersten Befehl, der keinen Widerspruch duldete.

»Die Segel hoch! Kurs Südsüdwest…!«

Vor dem Golf von Biscaya und Kap Finisterre wühlten heulende Stürme das Meer auf. Für die Mannschaft, die an ein anderes Klima gewöhnt war, waren diese tobenden Unwetter eine schauerliche Erfahrung, noch mehr aber für das Schiff, das für ganz andere Breiten konstruiert worden war.

Um Mitternacht brachen die Eisenklammern, die den »falschen« Besanmast am Topp mit dem echten verbanden. Ein Marsgast fiel über Bord und verschwand. Er hatte die Taue des ins Wasser gefallenen Segels kappen wollen. Dieses hatte einen riesigen Sack gebildet, der das Schiff in Schieflage brachte. Bei jedem schweren Brecher von der anderen Seite drohte das Schiff zu kentern.

In diesen bangen Augenblicken mußte Sebastián seinen ganzen Mut zusammennehmen, um nicht die Nerven zu verlieren. Lucas Castano erwies sich wieder einmal als ein mit allen Wassern gewaschener Seemann, der mit allen Situationen fertigwurde, ohne die Ruhe zu verlieren.

Zwei Kanonen, die sich aus ihrer Verankerung gerissen hatten und drohten, ein Leck in den Rumpf zu schlagen, mußten sie ins Wasser werfen. Als sie schließlich die portugiesische Küste erreichten und das Unwetter sich legte, hatten ihnen Sturm und Wellen so übel mitgespielt, daß sie das Ruderboot eines Fischers hätten entern können.

»Jetzt ist mir klar, warum das hier die Küste des Todes heißt«, murmelte Zafiro Burman und blickte auf die hohen Wellen, die sie hinter sich gelassen hatten, als wären sie ein Gespenst, das sie immer noch einholen könnte. »Das hier ist kein Meer. Das ist eine verdammte Sauerei!«

»Als Kind habe ich mal einen Wirbelsturm erlebt«, bemerkte der neue Kapitän Jacare Jack, »und ich weiß noch, wie schrecklich der war, obwohl wir uns in die Gewölbe der Festung La Galera geflüchtet hatten. Aber ich hätte mir nicht ausmalen können, gegen so etwas auf offener See anzukämpfen.«

Drei Tage später, als sie bereits ruhig an der afrikanischen Küste entlang segelten, wurde ihnen klar, daß das Schiff angeschlagen war und unterhalb der Wasserlinie kleine Lecks aufwies, die der Zimmermann weitgehend vergeblich während der Fahrt zu reparieren versuchte.

»Wir müssen das Schiff an Land kalfatern«, befand Meister Bertrán schließlich, der jede Planke der Jacare zu kennen schien, als hätte er sie selbst geschnitzt. »In diesem Zustand schafft es die Überfahrt nicht.«

»Wieviel Zeit wirst du brauchen?« wollte der Margariteno wissen.

»Mindestens eine Woche.«

Sein neuer Kapitän wies auf die sandige Küste, die Backbord in der Ferne zu sehen war.

»Hier scheint es keinen geeigneten Ort zu geben. Und wenn wir nicht aufpassen wie die Luchse, schneiden uns die Mauren hier die Kehle durch.«

»In vier oder fünf Tagen sind wir in Sichtweite der Kanarischen Inseln«, mischte sich Lucas Castano ins Gespräch. »Auf einigen Inseln finden wir sicher einen einsamen Strand, an dem wir arbeiten können.«

»Die Kanaren gefallen mir auch nicht gerade«, urteilte Sebastián Heredia. »Wahrscheinlich wissen sie dort, daß die Casa einen Preis auf unsere Köpfe ausgesetzt hat, und die Jacare ist ein unverwechselbares Schiff.«

»Dieses Risiko müssen wir eingehen«, beharrte Meister Bertrán selbstbewußt. »Ansonsten haben wir bald sechs Strich Wasser im Kielraum.«

Damit hatte er nicht unrecht, denn obwohl die Männer im Turnus Stunde um Stunde schöpften, ging der Wasserstand nicht zurück. Das malträtierte Schiff ächzte und stöhnte während der Fahrt derart, daß man in der Stille der Nacht hätte glauben können, sein letztes Stündlein habe geschlagen.

Schließlich tauchte in der Ferne ein düsteres Kap auf, dann ein weiteres, und schließlich kamen die hohen Klippen der Nordküste von Lanzarote in Sicht, die eine Wasserstraße von nur einer Meile Breite von den seichten Stränden der kleinen Insel Graciosa trennte. Hier konnte man sehr gut ein Schiff an Land ziehen, da sich keine Menschenseele sehen ließ. Waren auf der Insel aber Soldaten stationiert, das war dem Margaritefio bewußt, stand er vor unlösbaren Problemen, wenn es galt, einen Angriff zurückzuschlagen.

Auf offener See waren seine Männer erfahrene Kämpfer und wurden mit jeder Schwierigkeit fertig, solange sie die Planken eines Schiffs unter ihren Füßen spürten. Doch hatte Sebastian keine Ahnung, wie seine Männer reagieren würden, wenn sie nicht mehr auf die Schnelligkeit und Manövrierfähigkeit der Jacare vertrauen konnten, die sie notfalls aus der Schußlinie brachte.

»Eine Woche ist viel Zeit…« dachte er sich ein ums andere Mal, während er sorgenvoll auf die Steilküste blickte. »Verdammt viel Zeit.«

Schließlich entschloß er sich, mit den fünf besten Schützen der Mannschaft an Land zu gehen, und übergab Lucas Castano das Kommando an Bord mit der strikten Anweisung, bei Anzeichen der geringsten Gefahr die Anker zu lichten.

Als es dunkel wurde, ließen sie die Schaluppe zu Wasser, steuerten die letzte Landspitze auf der Luvseite der Insel an und gingen in tiefster Finsternis an einem breiten Strand mit hohen Dünen an Land, zwischen denen sie das Boot mühelos verstecken konnten.

Im Morgengrauen sahen sie sich verblüfft an, in was für karge, von Felsen übersäte Gefilde sie geraten waren. Zahlreiche hohe Vulkankegel verliehen der Landschaft ein unwirkliches Aussehen, als wären sie auf einem anderen Planeten gelandet. Die nackte Erde hatte nichts mit den Antillen gemein, auf denen sie geboren oder zumindest aufgewachsen waren.

Kein Baum, kein Bach, ja nicht einmal eine winzige Wiese, auf der ein einfaches Maultier hätten weiden können, und die Luft war so trocken, daß man sich andauernd räuspern mußte.

»Was für ein seltsamer Ort«, murmelte hinter dem Rücken Sebastians einer, der sich offenbar ein Land ohne Wälder kaum vorstellen konnte. »Zum Fürchten!«

Dann hörten sie das vom Winde verwehte Läuten einer fernen Glocke: ein Klang, der ihnen völlig unpassend erschien auf diesem Boden, auf dem wohl nur Eidechsen leben konnten.

Unendlich vorsichtig tasteten sie sich weiter vorwärts, und bald konnten sie die drohende Silhouette eines düsteren Forts ausmachen, das an einem der schlafenden Vulkane förmlich zu kleben schien. Unterhalb der Festung breitete sich ein kleines weißes Dorf aus, dessen stolze Kirche ein Kuppeldach zeigte.

»Hier leben ja doch Menschen«, murmelte der gleiche von vorhin, als wolle er seinen eigenen Worten nicht trauen. »Wovon leben die nur, zum Teufel?«

»Wirklich ein Wunder«, erwiderte Sebastian.

Den restlichen Tag lagen sie auf der Lauer, ohne auch nur eine Menschenseele zu entdecken. Erst als die Sonne nicht mehr auf die Felsen brannte, konnten sie einen Mann ausmachen, der sehr langsam auf sie zukam und das seltsamste Tier am Zügel führte, das sie je gesehen hatten.

»Was für ein häßliches Pferd!« rief der ewige Schwätzer aus. »Und wie komisch das läuft!«

»Das ist doch kein Pferd, du Idiot!« fuhr ihn der Margariteno an. »Das muß ein Kamel sein.«

Bei Anbruch der Dunkelheit näherten sie sich den ersten Häusern und achteten über zwei Stunden lang auf alle Geräusche und Stimmen, bis sie davon überzeugt waren, daß es dort lediglich ein halbes Dutzend Männer im waffenfähigen Alter gab.

»Kehren wir zurück!« befahl Jacare Jack schließlich. »Ich glaube, bei so wenigen Menschen gehen wir kein Risiko ein.«

Sie kehrten zum Schiff zurück und setzten das Schiff an einer stillen Reede auf Sand. Nachdem sie die Kanonen an Land gebracht hatten, um jeden Angriff von der Steilküste aus zurückschlagen zu können, machten sie sich daran, das Schiff so schnell wie möglich zu reparieren und zu kalfatern.

Am dritten Tag entdeckten sie einige Ziegenhirten, die sie von den Klippen aus beobachteten. Über ihren Anblick zerbrachen sich die Piraten aber kaum den Kopf, denn die Hirten schien die Anwesenheit des mächtigen Schiffs mit seinen gut sichtbaren zwanzig Kanonen weit mehr zu beunruhigen.

Um so erstaunter waren die Piraten, als am nächsten Morgen langsam eine winzige Gestalt die glatte, wie mit dem Messer geschnittene Felswand hinabkletterte.

Sie hielten den Atem an, denn jeden Augenblick konnte dieses törichte Wesen in den Abgrund stürzen. Ihre Überraschung wurde jedoch noch größer, als sie schließlich feststellen mußten, daß da ein sehr junges und attraktives Mädchen auf diese Weise sein Leben aufs Spiel setzte.

Sebastian ging ihr entgegen, um sie wegen ihres törichten Verhaltens zur Rede zu stellen, doch das Mädchen ließ ihm gar nicht die Zeit, den Mund zu öffnen, sondern fragte in aller Unschuld:

»Fahrt ihr nach Westindien?«

»Ja«, sagte der Margariteno, dessen Verblüffung immer größer wurde. »Warum?«

Das Mädchen, denn es war kaum mehr als ein Mädchen, auch wenn es bereits weibliche Rundungen aufwies, zog aus der Tasche seines schlichten Kleids einen fleckigen Umschlag und reichte ihn Sebastian.


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