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Insel der Freibeuter
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Текст книги "Insel der Freibeuter"


Автор книги: Alberto Vazquez-Figueroa



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»Einverstanden«, knurrte er. »Schneidet ihnen die Köpfe ab, und bereitet alles vor, damit wir bei Anbruch der Nacht an Bord der Botafumeiro gehen können.« Er machte eine weitausholende Handbewegung. »Und von weitem möchte ich sehen, wie dieser Mistkahn in der Nacht brennt.«

»Kein Problem!« erwiderte der Portugiese sofort. »Da kenne ich mich aus.«

Don Hernando Pedrárias verließ die Lagerräume und begab sich direkt in die Kapitänskajüte, nahm im alten Sessel des Schotten Platz und betrachtete durch das schmale Fenster, wie in der immer brutaler werdenden Mittagshitze allmählich jegliche Aktivität in der Stadt erlahmte.

Er sah auf seine Uhr.

Es war zwanzig vor zwölf, und er lächelte bei dem Gedanken, daß dieser 7. Juli 1692 in die Geschichte als der Tag eingehen würde, an dem Port-Royal aufgehört hatte, die sicherste Zuflucht auf Erden zu sein. Jahrhundertelang würde man sich an den Tag erinnern, an dem ein portugiesisches Schiff unter dem Befehl eines spanischen Edelmanns in die Bucht eingedrungen war, ein Piratenschiff in Brand gesteckt, die gesamte Besatzung geköpft hatte und mit einem der größten Schätze, von denen je einer geträumt hatte, verschwunden war.

Und er, Don Hernando Pedrárias Gotarredona, würde sein verlorenes Prestige wiedererlangen und mit etwas Glück sogar die begehrte Macht.

Das einzige, was ihm zu seinem vollständigen Glück fehlte, war, daß nun noch die Kinder seiner Ex-Geliebten erschienen und damit Seiner Exzellenz Don Cayetano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza das Vergnügen verschafften, sie auf dem Hauptplatz von Cumaná aufhängen zu lassen: als abschreckendes Beispiel für alle, die es wagten, sich mit der Casa de Contratación von Sevilla anzulegen.

»Alles wird sich finden«, sagte er sich. »Auch wenn ich sie heute nicht kriege, so weiß ich jetzt, wo sie sind.«

Er legte die Füße auf den Tisch und machte es sich in dem alten Sessel bequem, um genüßlich die Stadt auf der engen Landzunge zwischen Meer und Bucht zu betrachten, die in der Tropensonne schmorte.

Er bedauerte es, daß er nicht die Möglichkeit hatte, sich dieses Neue Babylon etwas näher anzusehen, in dem es angeblich mehr Gold und Edelsteine als in ganz England gab und in dem die Sünden einer einzigen Nacht alle Sünden übertrafen, die man im alten Europa in einem ganzen Jahrzehnt begehen konnte.

Gern hätte er die Schenken, Spielhöllen und Bordelle besucht, um seinen Trieben einmal freien Lauf zu lassen, ohne auf eine bigotte Provinzgesellschaft Rücksicht nehmen zu müssen, die es bestimmt nicht mit Wohlwollen gesehen hätte, daß ein Gesandter der Casa de Contratación von Sevilla sich solchen Ausschweifungen hingab.

In der ganzen Karibik sprach man von der Schönheit der Frauen aller Hautfarben und Nationalitäten, die sich unter den Portalen der großen Hauptstraße der Stadt anboten, und Don Hernando Pedrárias Gotarredona, der seit Monaten keine Frau außer der talgigen Emiliana Matamoros angerührt hatte, fragte sich, wann sich ihm wieder einmal eine solche Gelegenheit bieten würde.

»Schade!« murmelte er in sich hinein. »Wirklich schade, daß ich mir eine solche Gelegenheit entgehen lassen muß, aber wenn ich auf die Idee käme, von Bord zu gehen, wäre dieser verdammte Portugiese imstande, die Anker zu lichten und mit all dem Silber zu verschwinden. Ich an seiner Stelle würde es tun.«

Noch einmal betrachtete er die stolze, leuchtende und herausfordernde Stadt. Sie war fast beleidigend schön: Elegante, von langen Reihen hoher Kokospalmen eingerahmte Villen zeichneten sich über einem unvergleichlich türkisfarbenen Meer ab, und er mußte zugeben, daß die Leute, die Port-Royal an einer so privilegierten Stelle errichtet hatten, ganz genau gewußt hatten, was sie taten.

Plötzlich fiel sein Blick auf eine menschliche Gestalt, die am Strand entlang ging.

Sie kam ihm vor wie eine Fata Morgana, die sich nur verschwommen im dichten Dunst der Bucht abzeichnete, die so still dalag wie ein Quecksilberteich.

Der hochgeschossene junge braune Mann, dessen Gang Don Hernando sofort an Celeste erinnerte, blieb plötzlich stehen und starrte auf die Jacare, als würde dort etwas seine Aufmerksamkeit fesseln.

Don Hernando Pedrárias Gotarredona schlug das Herz bis zum Hals. Fast schien es ihm aus der Kehle zu springen.

Da war er!

Das mußte er sein!

Die Welt hielt inne, eine ohrenbetäubende Stille legte sich über ganz Jamaika, das Licht wechselte auf unerklärliche Weise, und plötzlich flogen Tausende von Möwen, die auf dem Wasser schaukelnd geschlafen hatten, krächzend auf.

Der junge Mann am Strand schaute zu ihnen hinauf und begann plötzlich wie ein verrückt gewordener Tänzer zu zittern. Zur gleichen Zeit bebte alles, was hinter seinem Rücken war, krümmte sich, als wären die massiven Gebäude nur biegsame Palmen, die ein Wirbelsturm schüttelte.

Aus dem tiefsten Schlund der Erde drangen Millionen Donnerschläge herauf, ein gewaltiger Riß tat sich auf, verschlang Paläste, Schenken, Wirtshäuser und Bordelle, um sich über ihnen wieder zu schließen, als wäre da jemandem der größte vorstellbare Zaubertrick gelungen. Von der Landzunge, auf der vorher die Stadt gestanden hatte, war nur noch eine Staubwolke zu sehen.

Entgeistert fühlte Don Hernando Pedrárias Gotarredona, wie eine riesige Hand die Jacare emporhob und über die Bucht bis zur gegenüberliegenden Küste schleuderte. Auf seinem Weg stieß der Küstensegler mit dem Bug einer riesigen Galeone zusammen und zerschellte. Ohne daß er wußte, wie ihm geschah, fand Don Hernando sich rudernd in einer brüllenden, aufgewühlten See wieder, während um ihn herum ein Dutzend Schiffe unter dem Schreckensgeheul ihrer fassungslosen Besatzungen kenterte.

Das Jüngste Gericht war vor der Zeit gekommen.

Um 11 Uhr 50 am Morgen des 7. Juli 1692 erschütterten drei mächtige Erdstöße ganz Jamaika, doch am schlimmsten traf es Port-Royal. Die Stadt verwandelte sich in einen riesigen Friedhof, in dem die alten Leichen aus den Gräbern geschleudert wurden, um in der Sonne zu trocknen, während die eben noch Lebendigen in ihren luxuriösen Betten begraben wurden.

Draußen in der Bucht klammerten sich viele Menschen an ein Stück Holz, um sich über Wasser zu halten, doch die meisten gingen mit ihren Schiffen unter oder wurden von riesigen Wellen gegen die Klippen geschleudert. Die riesige Botafumeiro zerschellte in tausend Stücke, als sie gegen einen Felsen prallte, der über eine halbe Meile landeinwärts lag.

Der Ex-Gesandte der Casa de Contratación von Sevilla kämpfte verzweifelt, um sich über Wasser zu halten, doch eine dicke Planke schoß wie ein schwerer Pfeil vom Bogen Poseidons auf ihn zu, zerschmetterte ihm den Schädel und verspritzte sein Hirn in alle Himmelsrichtungen.

Als auf Jamaika endlich wieder Friede einkehrte, war das glanzvolle, sündige Port-Royal nur noch eine bittere Erinnerung.

Die Katastrophe der verfluchten Städte Sodom und Gomorrha hatte sich Tausende von Jahren später wiederholt.

Am Nachmittag gelang es Miguel und Celeste Heredia, sich mühsam einen Weg zwischen Erdspalten, riesigen Felsen und entwurzelten Bäumen zum Ufer der Bucht zu bahnen, auf deren Landzunge vor wenigen Stunden noch Port-Royal gestanden hatte. Angesichts des schrecklichen Schauspiels sank das schockierte Mädchen klagend auf die Knie.

Auf dem wieder ruhigen Wasser der Bucht schwammen Wrackreste und verstümmelte Leichen, und es wimmelte von Haien, die der Geruch des Bluts aus dem offenen Meer hierhergelockt hatte. Sie schienen ihres üppigen Festmahls schon überdrüssig zu sein und kein Interesse mehr daran zu haben, die zahllosen menschlichen Überreste zu vertilgen, die das schreckliche Erdbeben hinterlassen hatte.

An die fröhliche schöne Stadt erinnerten nur noch Splitter, rauchende Scheiterhaufen und verstreute Steinblöcke. Wie die Haie hatten sich Aasgeier aus den entlegensten Winkeln der Insel zum Bankett versammelt.

Die wenigen Überlebenden, von denen einige so übel zugerichtet waren, daß sie sich nur noch einen möglichst schnellen Tod wünschten, waren auch nach Stunden noch wie von Sinnen. Die meisten herbeigeeilten Helfer, darunter auch die Heredias, mühten sich nach Kräften, jeden aus seinem Grab zu holen, der unter dem Schutt noch einen Laut von sich gab.

Weil die meisten Häuser der Hauptstraße von der riesigen Erdspalte verschluckt worden waren und weil die meisten Besatzungsmitglieder der Schiffe in der Bucht in jenem fatalen Augenblick schliefen, blieb niemand am Leben, der aus eigener Erfahrung hätte erzählen können, was genau geschehen war. Eine unglückliche Schwarze, die vom Erdbeben in dem Augenblick überrascht worden war, als sie Wäsche über einige Felsen zum Trocknen auslegte und die man als die wichtigste Augenzeugin der schrecklichen Tragödie ansehen konnte, war von der Größe der Katastrophe so bestürzt, daß sie von diesem Tag an kein einziges Wort mehr herausbrachte.

Nur mittels der eindrucksvollen und makabren Skizzen, die man Jahre später anfertigte, konnten sich die Historiker eine ungefähre Vorstellung davon machen, was in Port-Royal an jenem heißen Mittag im Juli 1692 geschehen war, doch unglücklicherweise ging der größte Teil dieser Zeugnisse während eines heftigen Wirbelsturms Ende des letzten Jahrhunderts verloren.

Dennoch weigerte sich Celeste Heredia Matamoros, die vor dem Grab so vieler Menschen kniete, die Tatsache zu akzeptieren, daß ihr eigener Bruder ebenfalls ein Opfer der entfesselten Naturgewalten geworden war. Zwei Tage und zwei Nächte lang suchten sie und ihr Vater nach ihm, bis sie schließlich nur noch in den Sand des Strands sinken und sich der bitteren und unabänderlichen Realität geschlagen geben konnten.

Im westlichsten Winkel der Bucht konnte man die unverwechselbaren Masten der Jacare ausmachen, die in etwa vier Meter Tiefe lag, obwohl man sich fragen mußte, wie es möglich war, daß sich nicht ein einziges Besatzungsmitglied, so unerwartet und brutal der Schiffbruch auch hatte sein mögen, retten und mühsam an die Küste hatte schwimmen können.

Die meisten Überlebenden waren Besatzungsmitglieder der in der Bucht ankernden Schiffe, daher war es verwunderlich, daß keiner der hervorragenden Schwimmer an Bord der Jacare die Kraft oder das Glück gehabt hatte, sicher das Festland zu erreichen, so tief sie auch geschlafen haben mochten.

Natürlich wußten weder Celeste noch Miguel Heredia in diesem Augenblick, welche Tragödie die Menschen, mit denen sie so lange gesegelt waren, erlitten hatten, daß keiner von ihnen mehr am Leben war und ihre verstümmelten Körper im größten Frachtraum des schnellen Küstenseglers ruhten.

Als sie schließlich wieder genügend Mut gefaßt hatten, um zu akzeptieren, daß sie unwiderruflich allein waren und ihnen nichts weiter übrigblieb, als sich eine neue Zukunft aufzubauen, die nicht um die Person Sebastians kreiste, betrachtete Miguel Heredia lange seine Tochter und fragte fast tonlos:

»Was sollen wir jetzt machen?«

Das muntere Mädchen, das jeder Schicksalsschlag nur stärker zu machen schien, deutete lediglich mit dem Kopf auf den Ort, an dem die Jacare ruhte.

»Zunächst einmal bergen wir die Silberbarren, die laut Sebastian noch da unten sein müssen.«

»Warum das denn? Er hat uns mehr Geld hinterlassen, als wir in hundert Jahren ausgeben können.«

»Ein gutes Schiff und eine gute Besatzung sind teuer«, lautete die trockene Antwort. »Sehr sehr teuer.«

»Schiff? Wozu zum Teufel brauchen wir ein Schiff?«

»Um das zu tun, was ich schon immer tun wollte.«

»Und das wäre?«

»Gegen die Casa de Contratación und gegen die Sklavenhändler zu kämpfen.«

Ihr Vater blickte sie entgeistert an, und als ob er nicht sicher sei, richtig verstanden zu haben, was sie gesagt hatte, wiederholte er:

»Gegen die Casa de Contratación und die Sklavenhändler kämpfen? Was redest du denn da für einen Unfug? Bist du verrückt geworden?«

»Ganz und gar nicht«, entgegnete das verblüffende Mädchen. »Verrückt würde ich werden, wenn ich wüßte, daß ich den Rest meines Lebens damit verbringen müßte, darauf zu warten, daß mich irgendein Glücksritter zum Altar führt.« Entschieden schüttelte sie den Kopf. »Dafür wurde ich nicht geboren. Ich wurde geboren, um etwas für die Schwächsten zu tun, und wenn mir das Schicksal die Mittel dafür gegeben hat, werde ich das auch versuchen. Das ist das Mindeste, was ich Sebastian schuldig bin. Er hat ein sehr bitteres Leben gehabt, und er ist allzu jung gestorben. Schuld daran sind Leute, die glauben, ungestraft andere mißbrauchen zu können.« Sie blickte ihrem Vater fest in die Augen und fragte schließlich: »Wirst du mir helfen?«

Miguel Heredia dachte einen langen Augenblick nach, bevor er mit den Schultern zuckte.

»Ich halte es immer noch für eine Schnapsidee«, murmelte er. »Aber wenn du es zum Gedenken an Sebastian tun willst, was bleibt mir da anderes übrig?«


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