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Insel der Freibeuter
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Автор книги: Alberto Vazquez-Figueroa



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Doch nun ging es viel vergnügter zu: Man lachte und sang, flanierte am Strand, tändelte im Rhythmus der Trommeln, Gitarren und Rasseln, denn Cartagena de Indias war nicht nur eine hektische, sondern vor allem auch eine sinnliche Stadt, die wie keine andere zur Fleischeslust verführte.

Jede Gasse war eine eigene Welt, jeder kleine Platz ein Universum und jede Haustür eine Aufforderung zum Abenteuer.

Frohgemut und voller Begeisterung stürzte sich Sebastian in diese verrückte Welt der koketten Abenteuer, eine fröhliche, rumselige Welt der Lieder. Ein wenig erstaunt war er schon, daß es da eine Stadt gab, die Piraten, Korsaren, Freibeuter und feindliche Truppen zu ignorieren schien, die vor ihrer Haustüre lauerten. Jeden Augenblick konnte Gewalt und Tod, Blut und Feuer, Verbrechen und Plünderung über die fröhliche Nacht hereinbrechen, denn zu Lande und zu Wasser gab es wohl keinen Räuber, der nicht davon träumte, sich die riesigen Schätze zu holen, die in den tiefsten Gewölben der Festung San Felipe schlummerten.

Jeden Abend riegelte man mit einer dicken und schweren Kette die Einfahrt der Bucht ab. Kein Schiff kam dann mehr durch, und ein halbes Dutzend schneller Schaluppen patrouillierte auf offener See, um beim Anblick eines feindlichen Schiffs sofort Alarm zu schlagen. Doch wußte man auch, daß besagte Feinde gelegentlich die Stadt lieber umgingen, um die Einwohner Cartagenas mit einem Angriff von der Landseite zu überraschen.

Trotzdem vertrauten die Cartagener felsenfest auf die überaus erprobte Uneinnehmbarkeit von Fort San Felipe, dessen mächtige Tore sich schlössen, wenn die Sonne den Horizont berührte, und dessen hohen Mauern sich ab diesem Zeitpunkt unter Androhung der Todesstrafe niemand mehr nähern durfte.

»In San Felipe schießt man zuerst und ruft dann >Halt<«, hieß es, und obwohl manch unschuldiger Trunkenbold im Kugelhagel der aufmerksamen Wachposten sein Leben ausgehaucht hatte, waren sich doch alle einig, einen so vernünftigen Brauch niemals abzuschaffen.

San Felipe schützte sie, und jeder Einwohner der Stadt hatte die Verpflichtung, San Felipe zu schützen und zu respektieren.

Doch unten, an den Stränden, in den Gassen und auf den Plätzen genügte eine gute Stimme, Rhythmus im Blut oder eine Flasche Rum, um an einem der unzähligen Feste teilzunehmen, mit denen man an jeder Ecke die heiße Nacht durchfeierte.

Achtundvierzig wunderbare Stunden lang vergaß Sebastián Heredia Matamoros vollständig, daß er nur ein Pirat war, auf dessen Kopf ein Preis stand, und ein Junge, der darüber unglücklich war, daß ihn seine Mutter auf die schändlichste Art verraten hatte. Achtundvierzig Stunden lang genoß er das neue Gefühl, ein »normaler« Mann zu sein, ohne bittere Vergangenheit, schwierige Gegenwart und unsichere Zukunft.

Achtundvierzig Stunden lang war er ein Fischer, der seinen Gewinn großzügig teilte, die Sänger mit Rum bewirtete und den freizügigen Frauen bunte Tücher verehrte.

Trotzdem ging ihm in diesen achtundvierzig Stunden die aufregende Frau mit den Augen aus Eis und dem strohblonden Haar so gut wie nicht aus dem Kopf.

Matte Schäfchenwolken trieben am roten Abendhimmel dahin, als Sebastian erneut den Weg zur Pforte einschlug, die in den Innenhof führte, wo die Papageien bereits im schattigen Garten vor sich hindösten. Dort empfing ihn Raquel Toledo in einem langen schwarzen Kleid mit tiefem Ausschnitt, das auf den ersten Blick nicht so recht zu ihrer Persönlichkeit und ihrer sozialen Stellung passen wollte.

»Ich habe deinen Fall studiert«, war das erste, was ihm die Hausherrin eröffnete. »Und ich bin zu dem Schluß gelangt, daß ich keine endgültige Diagnose stellen kann, ohne den Kranken selbst untersucht zu haben.«

»Und wie soll das gehen?«

»Das ist dein Problem, nicht meines«, entgegnete sie streng. »Du wirst einsehen, daß ich keine Lust habe, an Bord eines Piratenschiffs zu gehen, doch bin ich bereit, mich mit deinem >Kapitän< an einem Ort zu treffen, der für uns beide keine Gefahren birgt.«

»Und Euer Bruder?«

»Der kann noch wochenlang ausbleiben. Und er wird dir das gleiche sagen.« Sie läutete ein Glöckchen, worauf eine schwarze Dienerin an der Tür erschien. »Jetzt kannst du das Abendessen auftragen«, befahl sie trocken.

Sebastian stand ohne Zweifel das unvergeßlichste Abendessen seines Lebens bevor. Ein Dutzend schläfriger Papageien, die gelegentlich ein tiefes Krächzen hören ließen, schaute dabei zu. Man speiste im Schein der Kerzen, unter schattigen Bäumen. Papayas und Mangos verströmten einen intensiven Duft, und Sebastian sog das aufregende Parfüm der Frau ein, die plötzlich aus allen Poren ihres Körpers Sinnlichkeit ausstrahlte.

Die scheinbar so kalte, stolze und zurückhaltende Raquel Toledo erwies sich als die unersättlichste und leidenschaftlichste Geliebte. Sebastian, der an die schamlosen Prostituierten der Insel gewöhnt war, die schnell zur Sache kamen, war mehr als überrascht, was man in einer langen Nacht mit einer Frau anstellen konnte, die so ungemein erfahren war wie diese konvertierte Jüdin.

Sie lehrte ihn in Stunden, was ihm die abgebrühtesten Dirnen nicht in Jahren hatten beibringen können, denn was Raquel Toledo mit absoluter Selbstverständlichkeit unter raffinierter Fleischeslust verstand, ging weit über das hinaus, was man von irgendeiner anderen Frau ihrer Zeit erwarten konnte.

Eine Überraschung jagte die andere, und der zeitweilig eingeschüchterte Junge wechselte, beinahe ohne es zu merken, von der aktiven in die passive Rolle, denn seine geschickte Lehrerin nahm bald die Zügel in die Hand und führte ihn auf bis dahin unbekannte und dabei so angenehme Wege, daß er schließlich bei Anbruch des Tages erschöpft zusammensank. Er konnte es kaum fassen, daß man in einer einzigen Nacht so viele und so wundersame Heldentaten in der Liebeskunst vollbringen konnte.

Am folgenden Nachmittag ging er wieder an Bord der kleinen Schaluppe und setzte Kurs auf die fernen Islas del Rosario. Noch immer hatte er den Eindruck, bis zum Überdruß von einer Frau benutzt worden zu sein, für die Männer lediglich Objekte für den täglichen Gebrauch zu sein schienen.

»Ich weiß nicht, warum zum Teufel die nur Angst hat, an Bord eines Piratenschiffs zu gehen«, sagte er sich. »Die einzigen, die sich dabei wirklich einer Gefahr aussetzen, sind die Piraten. Ich glaube, die könnte es mit der ganzen Besatzung aufnehmen, ohne daß dabei auch nur ihre Haare unordentlich würden.«

Vier Meilen vom Archipel entfernt kreuzte die Jacare seinen Weg, und kaum hatte Sebastian das Deck betreten, lief er in die Kajüte des Kapitäns, um ihm zu erzählen, was vorgefallen war. Die verwirrenden Ereignisse der letzten Nacht erwähnte er dabei natürlich nicht.

»Kann man ihr vertrauen?« wollte der Schotte als erstes wissen. »Soweit ich weiß, sind momentan fünftausend Dublonen auf meinen Kopf ausgesetzt.«

»Ich habe den Eindruck, daß sie ihren eigenen höher schätzt. Und sie ist wohl intelligent genug, um zu begreifen, daß wir sie beim geringsten Anzeichen von Verrat in Stücke schießen.«

»Wie ist sie?«

»Außergewöhnlich.«

»Was soll das heißen?«

»Daß sie anders ist als alle anderen Frauen, die ich je kennengelernt habe…« Sebastián machte eine kleine Pause. »Und alle Männer.«

»Sie ist Jüdin.«

»Zum Christentum übergetreten. Und das tut eigentlich nicht viel zur Sache.« Der Junge stieß einen tiefen Seufzer aus, um es endlich zuzugeben: »Ehrlich gesagt, weiß ich noch immer nicht, was ich von ihr halten soll. An ihrer Seite fühle ich mich winzig.«

»Winzig?« wiederholte der Schotte ungläubig. »Da denke ich, einen Mann aus dir gemacht zu haben, und du kommst mir mit so was. Wovon redest du, zum Teufel?«

»Von Raquel Toledo, Kapitän…«Sebastián senkte die Stimme, als fürchtete er, jemand anderer könnte ihn hören, und fügte fast wispernd hinzu: »Sie hat mich besessen.«

Der Glatzkopf musterte ihn entgeistert.

»Sie hat dich besessen?« entgegnete er im gleichen, fast unhörbaren Ton, während er mit geballter Faust eine unzweideutige Handbewegung machte. »Willst du sagen, daß sie dich vergewaltigt hat? Richtig vergewaltigt?«

»Nein, Kapitän! Seid doch nicht so roh! Doch nicht so was«, protestierte der andere. »Wie sollte mich eine Frau vergewaltigen?«

»Was weiß ich denn? Vielleicht war sie ja ein verkleideter Sodomit.« Er zuckte mit den Schultern. »Soll ja schon vorgekommen sein!«

»Kein Sodomit!« ereiferte sich der Junge. »Eine Frau. Die weiblichste Frau der Welt.«

»Also weiter? Sprich dich aus!«

Zähneknirschend erzählte der Junge, der nicht wußte, ob er sich verlegen, schuldig oder stolz fühlen sollte, alle Einzelheiten seiner fast unglaublichen erotischen Abenteuer der vergangenen Nacht. Der grobschlächtige und blutrünstige Pirat hörte mit offenem Mund zu und vergaß wenigstens für einen längeren Augenblick seine Qualen, die ihm die Wunden und die Würmer bereiteten.

»Ich kann’s nicht glauben!« wiederholte er ein ums andere Mal. »Das hat sie wirklich gemacht? Meine Güte! Also noch mal, sie hat dich gebadet, ans Bett gefesselt und dann mit der Zunge… Verdammt, und mich fressen die Würmer auf. Wenn sie so was schon mit einem Schiffsjungen treibt, was zum Teufel macht sie dann erst mit einem Kapitän?« Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Die muß ich kennenlernen«, schloß er. »Ich kann nicht sterben, bevor ich nicht jemanden getroffen habe, der solche Dinge tut.«

»Und wie stellen wir das an?«

»Laß mich nachdenken.«

Am folgenden Tag ließ Kapitän Jack Sebastian schon im Morgengrauen rufen, gab ihm einige sehr präzise Befehle und schärfte ihm ein, diese wortwörtlich auszuführen. Kurze Zeit später verabschiedete sich der Junge erneut von seinem Vater und ging mit seiner Schaluppe zum zweiten Mal auf Kurs Cartagena.

Schon in Sichtweite der Hafenfestungen mußte er eine gute Stunde lang beidrehen, weil eine sanfte Brise von Land her wehte und in diesem Augenblick drei riesige Galeonen, die von einem schnellen Kriegsschiff mit über 70 Geschützen begleitet wurden, in den Hafen einfuhren.

Mit so schwerfälligen Schiffen, die quadratische Segel gesetzt hatten, war es wahrlich keine leichte Aufgabe, bei Gegenwind die tiefste Stelle in der Bucht anzusteuern. Der Margariteno mußte zugeben, daß Kapitäne und Besatzungen ihr Handwerk verstanden, denn eine nach der anderen defilierten die Galeonen an den Festungen San Fernando und San Jose vorbei, die zu ihrer Ankunft Salut schossen.

Sebastian folgte ihnen in die Bucht und fragte sich, ob die Galeonen wohl Gold aus Mexiko oder Silber aus Peru geladen hatten, oder ob sie Quecksilber aus Almaden an Bord hatten, das für die Bergwerke von Potosi bestimmt war.

Dann steuerte er auf den Fischerhafen zu, und als es dunkel wurde, ergriff er mit zitternder Hand den schweren Türklopfer in Form eines Wasserspeiers und hämmerte damit an die dicke Pforte des Hauses mit den Papageien.

Raquel Toledo empfing ihn in einem feinen blütenweißen Kleid, und nach einem üppigen und köstlichen Abendessen, das wieder im Garten serviert wurde, fiel sie wiederum wie eine Spinne über ihr schutzloses und hypnotisiertes Opfer her und praktizierte an ihm alle möglichen Zaubereien, als wären die Kenntnisse dieser himmlischen Frau in den kompliziertesten Formen der Liebeskunst ohne Grenzen.

»Wo hast du das alles gelernt?« wollte Sebastián in einer jener kurzen Pausen wissen, die sie ihm zugestand.

»Aus Büchern.«

»Aus Büchern?« versetzte der arme Junge ungläubig. »Ich hätte nie gedacht, daß es Bücher gibt, in denen so etwas steht.«

»Doch, die gibt es sehr wohl. In allen Ländern und in allen Sprachen«, entgegnete sie belustigt. »Doch die galante Literatur des Orients über die Kunst der Liebe ist die beste und lehrreichste«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Und die einzige, die niemals aus der Mode kommt. Zeiten, Kulturen und Könige wechseln sich ab, aber die Methode, wie ich es schaffe, daß >er< auf mein Streicheln reagiert und mich stundenlang glücklich macht, die ändert sich nie.«

»Und hast du viele solche Bücher?«

»Ganze Regale voll.«

Auf diese Weise verbrachten sie die ganze Nacht, den folgenden Tag und die folgende Nacht. Als erneut der Morgen graute, gingen Sebastian und Raquel, die jetzt das einfache Kleid einer Bäuerin trug, zum Hafen hinunter und bestiegen die Schaluppe. Als sie die Hafenausfahrt erreichten, wurde gerade die Kette eingezogen, damit die ersten Schiffe die Bucht verlassen konnten.

Unmittelbar darauf nahmen sie Kurs nach Süden und fuhren ohne Eile in Richtung der Islas del Rosario, getrieben von der gleichen Landbrise, die auch zwei Tage zuvor geweht hatte.

Drei Stunden später versicherte sich der Margariteno, daß kein Segel am Horizont zu sehen war, ging Backbord und steuerte direkt auf die große Insel Barú zu. Zwanzig Meter vor einem winzigen Strand mit Palmen und Mangroven ging er schließlich vor Anker.

Kurz darauf tauchte Kapitän Jack aus dem Dickicht auf und winkte fröhlich mit der Hand.

»Keine Gefahr!« rief er.

Als der Bug der Schaluppe auf Sand stieß, zog Raquel Toledo aus einer schweren Tasche, die sie bei sich hatte, eine riesige Pistole, und während sie auf den Kapitän zielte, bedeutete sie Sebastian mit überraschender Kälte:

»Sobald ich einen Fuß an Land setze, stichst du wieder in See, und denk dran, wenn sich irgend jemand nähert, schieß ich den Kopf deines geliebten Kapitäns in Stücke. Alles klar?«

Da Sebastian bereits nichts mehr überraschen konnte, was diese verwirrende Frau tat oder sagte, beließ er es bei einem leichten Nicken. Die Frau sprang aus dem Boot und näherte sich mit Pistole in der einen und Tasche in der anderen Hand dem wartenden Schotten.

Als die Jüdin ihn erreicht hatte, befahl sie ihm lakonisch:

»Entkleidet Euch!«

»Ich soll mich ausziehen?« gab sich ihr Gegenüber schockiert. »Hier?«

»Die Affen werden sich nicht erschrecken. Und ich auch nicht«, lautete die barsche Antwort. »So verlieren wir keine Zeit.«

Mit einer Frau, die offenbar das Befehlen noch mehr gewohnt war als der Kapitän der Jacare selbst, war das Diskutieren völlig zwecklos, daher zögerte er nur einige Sekunden, bevor er gehorchte, und kurze Zeit darauf stand er am Strand, wie Gott ihn erschaffen hatte.

Ohne die Waffe einzustecken, ging Raquel um ihn herum und studierte aufs Genaueste jede einzelne Wunde.

Schließlich holte sie aus ihrer riesigen Tasche ein scharfes Stilett, öffnete eine der Wunden und füllte Eiter und Würmer in ein kleines Metallkästchen.

»Ihr könnt Euch wieder ankleiden«, bedeutete sie ihm, während sie im Schatten einer Palme Platz nahm und die wimmelnden ekligen Tierchen aus der Nähe betrachtete.

Wenig später hockte sich ein übellauniger Kapitän Jack mit gesenktem Kopf neben die Jüdin.

»Was haltet Ihr davon?« wollte er wissen.

»Daß Ihr Glück habt, überhaupt noch am Leben zu sein. Aber wenn Ihr weiter in diesen Breiten verweilt, wird Euch dieses Glück bald verlassen.« Sie blickte auf und sah ihm ins Gesicht.

»Meiner Meinung nach gibt es nur ein Heilmittel: ein kaltes Klima. In dieser feuchten Hitze, bei diesen Insekten, ist nichts zu machen.«

»Seid Ihr sicher?«

»Absolut! Die Infektion ist bereits zu weit fortgeschritten, um ganz sicherzugehen, doch ist das zweifellos der beste Rat, den ich Euch geben kann. Ich habe Euch eine Salbe mitgebracht, die Eure Schmerzen lindern wird, doch gegen die Würmer müßte ich Euch ein Gift verabreichen, das Euch schließlich umbringen würde.«

»Verlangt Ihr von mir, daß ich alles aufgebe?«

»Ich verlange überhaupt nichts von Euch«, gab Raquel Toledo mit jenem Nachdruck und Gleichmut zurück, die sie so unnahbar erscheinen ließen. »Ich gebe Euch lediglich einen Rat, der auf vielen Jahren Erfahrung beruht. Wenn Ihr in Westindien bleibt, werdet Ihr keine zwei Monate mehr leben, das dürft Ihr mir glauben. Alles andere ist Eure Sache.«

Lange Zeit betrachtete der Kapitän geradezu mit besessener Aufmerksamkeit die riesige Wunde, die sich fast über seinen gesamten linken Unterarm ausbreitete, und schließlich erhob er sich und lehnte sich gegen den Stamm einer Palme.

»Ihr habt Euch als sehr mutige Frau erwiesen«, murmelte er schließlich. »Nicht nur, daß Ihr es gewagt habt, hierherzukommen, sondern auch, daß Ihr die Dinge so unverblümt beim Namen nennt, obwohl Ihr wißt, daß Ihr es mit einem Piratenkapitän zu tun habt.«

»Könige, Piraten oder Bettler, wenn sie krank werden, sind sie nur noch Patienten, und als solche behandle ich sie alle gleich.« Sie lächelte, und es war ein warmes, mitfühlendes und in gewisser Weise beruhigendes Lächeln. »Ich möchte Euch keine falschen Hoffnungen machen. Doch ich bin davon überzeugt, wenn Ihr nach Europa zurückkehrt, habt Ihr gute Aussichten, alt zu werden.«

»Was haltet Ihr von Schottland?«

»Ich bin nie dort gewesen, doch scheint mir das ein sehr geeigneter Ort zu sein.«

Kapitän Jack löste einen schweren Beutel aus seinem Gürtel und setzte ihn vor ihr ab.

»Das ist der Lohn für Euren Mut. Die Perlen sind für die Konsultation.« Er ging zum Wasser hinunter, gab Sebastián einen Wink, näher zu kommen, und als dieser ihn ohne weiteres verstehen konnte, bedeutete er ihm: »Bring die Senora nach Hause, und genieße die nächsten zwei Nächte, so gut du kannst. Nur zwei Nächte!«

Der Junge grinste von einem Ohr zum anderen.

»Länger halt ich es auch nicht aus.«

Wenige Tage, nachdem Sebastian an Bord zurückgekehrt war, ließ Kapitän Jack ihn erneut in seine Kajüte rufen, und kaum waren sie allein, kam er ohne Umschweife zur Sache:

»Wie viele Perlen hast du?«

»Ich habe keine Ahnung«, gab der verblüffte Junge in aller Ehrlichkeit zu.

»Aber ich. Mit deinem Anteil an der Beute und dem, was du mir abgeluchst hast, müßten dir wenigstens fünfhundert geblieben sein. Stimmt’s?«

Der Margariteno überlegte eine Weile, zögerte kurz und nickte leicht.

»Kann sein.«

Kapitän Jack musterte ihn lange, als wolle er noch einmal über etwas nachdenken, worüber er sich schon lange den Kopf zerbrochen hatte. Die folgenden Worte schienen ihm unendlich schwerzufallen.

»Für diesen Preis verkaufe ich dir das Schiff.«

»Die Jacare…?« fragte Sebastian Heredia verdattert.

»Die Jacare, mit Besatzung und Fahne«, lautete die entschlossene Antwort. »Ich kenne dich gut und bin überzeugt, daß du sie in meinem Sinne führen und nicht entehren wirst.« Er machte eine Pause, um zähneknirschend einen Schmerzenslaut zu unterdrücken, und lächelte schließlich gequält. »In diesen Zeiten ist es nicht leicht, sich einen Namen zu machen, auch als Pirat nicht, daher rate ich dir, wenn du das Schiff haben willst, auch meinen Namen und meine Flagge zu übernehmen. Das wird dir Probleme ersparen.«

»Ich habe mir niemals vorgestellt, mein ganzes Leben lang Pirat zu bleiben. Eigentlich wollte ich Lehrer werden.«

»Was du lehren könntest, paßt in das Loch dieses Zahns«, gab der Schotte mit grausamer Ironie zurück. »Außerdem heißt es in diesem Metier: >Einmal Pirat, immer Pirat<. Das kann man nicht wie ein altes Paar Stiefel hinter sich lassen.«

»Warum wollt Ihr dann Schluß machen?«

»Weil mir keine Wahl bleibt. Gut, ich habe zwar schon gesagt, daß du dich besser zur Ruhe setzt, bevor sie dir den Hals langziehen, doch ein Jahr unter eigener Flagge ist besser als zehn unter der des Königs…« Der Glatzkopf stieß einen tiefen Seufzer der Resignation aus. »Es wird mir abgehen, dieses Leben. Doch seit einiger Zeit ist es kein Leben mehr, und die Jüdin hat sicher recht, daß nur ein kühles Klima diese widerlichen Biester umbringt.« Er spuckte aus und fuhr beinahe aggressiv fort: »Was hältst du von meinem Vorschlag?«

»Ich muß darüber nachdenken.«

»Du hast zwei Tage.«

Sebastian war froh, nach dem Gestank eines lebendigen Toten in der Kabine wieder frische Morgenluft atmen zu können. Er ließ sich auf dem Achterkastell nieder, unweit der Stelle, an der sein Kapitän Platz zu nehmen pflegte, als wollte er sich ein Bild davon machen, was es bedeutete, Kapitän eines Schiffs zu sein und Befehle zu geben, denen keiner widersprach.

Ein großartiges Angebot, ohne Zweifel. Was waren schon die Perlen, die lediglich einen Frauenhals schmücken konnten, gegen die Jacare, gegen das kühnste und stolzeste Schiff der Weltmeere?

Er frage sich, ob er es befehligen konnte.

Das Schiff, bestimmt.

Die Besatzung, wahrscheinlich nicht.

Immerhin waren es Piraten.

Alte blutrünstige Piraten, die einen Befehlshaber nötig hatten, der sie, falls sie nicht spurten, auch zu den Haien schicken konnte. Der Junge zweifelte, ob er jemals zu so einem Befehl fähig sein würde.

Er ließ die Augen über Deck wandern und musterte die vertrauten Gesichter unter einem ganz neuen Blickwinkel, als wollte er herausfinden, wem er einen Verrat zutrauen mußte, und schließlich kam er zu einem beunruhigenden Schluß: Fast die Hälfte dieser zerlumpten Halunkenschar würde nicht mit der Wimper zucken, ihn zu gegebener Stunde an einen riesigen Anker zu binden.

»Woran denkst du?«

Er drehte sich zu Lucas Castano um, der ihn offensichtlich schon längere Zeit an die Reling gelehnt beobachtet hatte. Sebastian kannte den Panamesen gut genug, um sich klar zu sein, daß Lucas genau wußte, worum sich der Junge Sorgen machte. Daher deutete er lediglich auf die Kapitänskajüte und fragte:

»Hat er es dir gesagt?«

»Ich hab’s ihm vorgeschlagen.«

»Eigentlich solltest du seinen Posten übernehmen, wenn er aufhört.«

»Das meiste Geld habe ich in Huren und Rum investiert«, versetzte der andere und schnalzte mit der Zunge, als wolle er sich über sich selbst lustig machen. »Den Rest habe ich verschleudert.«

»Ich sehe mich nicht als Piratenkapitän.«

»Wenn du schon ein Seeräuber bist, dann lieber Kapitän als Schiffsjunge«, lautete die nicht unlogische Antwort. »Und zweifellos bist du der Schlaueste an Bord.«

»Wirst du mein Adjutant sein?«

Jetzt deutete Lucas Castano auf die Kajüte von Jacare Jack und entgegnete:

»Zwölf Jahre lang bin ich der seine gewesen, und ihn umzubringen wäre mir nicht viel schwerer gefallen als dich.«

»Verstehe.«

»Also überleg’s dir gut.«

Er entfernte sich, ohne dem Gespräch viel Bedeutung beimessen zu wollen und überließ Sebastian seinen unendlichen Zweifeln.

Natürlich war die Chance verlockend, Kapitän eines großartigen Schiffs zu werden, doch wußte er auch, daß sein Leben damit eine neue Wendung nahm. Stets hatte er seinen Aufenthalt auf der jacare als unvermeidliche Episode seiner Jugendzeit betrachtet, an der ihn keinerlei Schuld traf. Äußere Umstände, für die er nichts konnte, hatten ihn dazu gezwungen, sich dieser Bande Seewölfe anzuschließen, doch von heute auf morgen Schiff, Fahne und Ruhm des gefürchteten Kapitäns Jacare Jack zu »erben«, würde ihm ein unauslöschliches Mal aufdrücken. Von nun an würde es keinen Ort mehr geben, ob zu Lande oder zu Wasser, wo man ihn nicht als sicheren Kandidaten für den Galgen ansehen würde.

Er betrachtete seinen abwesenden Vater, dessen Geist in fernen Meeren segeln mochte, und es tat ihm weh, ihn bei der wichtigsten Entscheidung seines Lebens nicht um Rat fragen zu können.

Wenn er das Angebot des Schotten annahm, das war ihm völlig klar, war er dazu verurteilt, den Rest seines Lebens an Bord eines Schiffs zu verbringen. Die Jacare wäre zwar sein Königreich, doch nur ein winziges in der Unendlichkeit der Ozeane.

Seine Grenzen würden für immer von der Reling des Schiffs bestimmt und das Land – alle Länder! – würde ihm ein feindlicher Ort sein, wo er sich niemals mehr sicher fühlen würde.

Für die meisten Seeleute, so sehr sie ihre Lebensweise auch lieben mochten, bedeutete das Land einen Ort der Rückkehr, oft auch einen ersehnten Hafen, in dem man im Notfall Zuflucht fand. Doch ein Pirat mußte stets mit der Angst leben, daß ihn an keinem Ort ein freundlicher Empfang erwartete und kein Hafen ihm während eines tobenden Sturms Schutz gewährte.

Ohne zu wissen warum, mußte er plötzlich an das unbeschreibliche Vergnügen denken, das ihn jedesmal erfüllte, wenn das Schiff seines Vaters Cabo Negro passierte und er in der Ferne die kleine Celeste und das alte Haus am Fuß der Festung La Galera erblickte. Im Haus erwarteten ihn Mutter und Schwester, und am Strand seine Freunde.

Jeder Tag, an dem er die Landzunge umrundet hatte, war für ihn ein wunderbares Schauspiel, doch heute konnte er noch so viele Landzungen umsegeln, da gab es nichts, was sich auch nur im entferntesten mit seinem verlorenen Heim und seinem geliebten Strand vergleichen ließ, an dem er so oft gespielt hatte.

Kapitän eines Schiffs zu werden, über dem die schwarze Flagge flatterte, bedeutete gleichzeitig, auf die Möglichkeit zu verzichten, eines Tages ein Haus oder einen Strand wie aus seiner Kindheit zu finden und endgültig sein vergangenes Leben abzuschreiben. Kein Entschluß also, der einem Jungen im Alter Sebastians leichtfallen konnte, auch wenn er in den schwierigen Jahren an Bord viele Erfahrungen hatte sammeln können.

Doch die Versuchung war schon riesengroß.

Vor allem dann, wenn er zusah, wie der Bug der Jacare geschmeidig durch das Wasser glitt und das Schiff über dem Wasser dahinschwebte wie ein riesiger Albatros, der genau wußte, daß ihm in diesem Meer von einem Horizont zum anderen nichts Böses drohte.

Wer träumte nicht davon, ein Schiff zu besitzen, mit dem man die äußersten Regionen der Welt erreichen konnte, ohne Grenzen außer denen der eigenen Person, ohne Gesetze außer denen, die man selbst diktierte? So wog Sebastian die folgenden vierzig Stunden wie besessen das Für und Wider seiner Tage ab, die so anders verlaufen würden als bisher.

Zu guter Letzt kam er zu dem Schluß, daß er zu keiner

Entscheidung gelangen konnte, ohne nicht vorher seinen Vater um Rat gefragt zu haben, obwohl er wußte, daß dieser wie schon seit Jahren wahrscheinlich jegliche Verantwortung von sich weisen würde.

»Ein schönes Schiff«, murmelte Miguel Heredia Ximénez, nachdem er mit ungewohntem Interesse den Ausführungen seines Sohnes zugehört hatte. »Und jeder, der etwas wirklich Schönes besitzt, lebt mit der Angst, daß man es ihm entreißt. Wenn du deine Perlen an verschiedenen Orten aufbewahrst, kann sie dir niemand alle rauben, doch ein Schiff kann man nicht teilen.« Er schüttelte den Kopf. »Ein Schiff ist wie eine Frau: Man kann es dir nehmen.«

»Ich werde es zu verteidigen wissen.«

»Bist du bereit, dafür zu töten?«

»Ich weiß nicht.«

»Dann finde es heraus, bevor du eine Entscheidung triffst, denn du kannst sicher sein, daß eine Menge Leute sehr wohl bereit sein werden zu töten, um es dir zu rauben.« Er sah ihm in die Augen. »Glaubst du, es lohnt sich?«

»Hängt vom Toten ab.«

»Einen ehrenwerten Mann reut der Tod eines Mistkerls mehr als einen Mistkerl der Tod eines Unschuldigen.«

Diese Lehre seines Vaters blieb Sebastian am tiefsten und für alle Zeiten im Gedächtnis haften. In diesem schlichten Satz lag die Quintessenz seiner Werte und seiner Weltanschauung.

Wie die überwältigende Mehrheit der Menschen mit reinem Gewissen wog Miguel Heredia Gut und Böse ganz anders ab, als es sein Sohn jetzt tun mußte. Was ihn in erster Linie beunruhigte, war die Tatsache, daß die Kriterien, die sein Sohn für seine Entscheidung anwenden mußte, nichts mit den Moralvorstellungen zu tun hatten, die er ihm von Kindheit an einzuimpfen versucht hatte.

Es war ihm aber klar, daß er auf das Schicksal des Jungen ebenso jeglichen Einfluß verloren hatte wie auf sein eigenes. Daher beließ er es dabei, den abgenutzten Wetzstein wieder in die Hand zu nehmen, um seine passive Beschäftigung wieder aufzunehmen, und murmelte gleichzeitig:

»Einen armen Irren um Rat zu fragen kommt aufs gleiche hinaus, wie einen armen Teufel um Almosen zu bitten: Das einzige, was du erreichst, ist seine Demütigung.«

Daß ein Mensch sich selbst als armen Irren bezeichnete, war eigentlich sehr seltsam, doch hatten die vergangenen fahre, die er mit stumpfsinnigem Messerschleifen zugebracht hatte, Miguel Heredia – der im Grunde niemals verrückt gewesen war zur bitteren Schlußfolgerung veranlaßt, daß er tatsächlich geisteskrank war, und offensichtlich hatte er keine Scheu, das offen zuzugeben.

Kurz bevor in dieser Nacht ein roter Halbmond am Horizont erschien, nahm Lucas Castano neben dem Jungen aus Margarita am Vordersteven des Schiffs Platz und wollte wissen:

»Und nun?«

Sebastián musterte ihn eisern, um seinerseits zu fragen:

»Wem kann ich vertrauen?«

»Dir selbst.«


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