Текст книги "Insel der Freibeuter"
Автор книги: Alberto Vazquez-Figueroa
Жанр:
Морские приключения
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Die Jacare war ein wahrhaft hinterlistiges Schiff.
Obwohl sie 40 Meter lang, sieben Meter breit und mit insgesamt 32 mächtigen Kanonen bestückt war, sah sie aus zwei Meilen Entfernung, besonders wenn man sie direkt voraus erspähte, wie ein harmloser Küstensegler aus.
Keine Frage, daß man viel Mühe darauf verwendet hatte, diesen optischen Eindruck zu erzielen. Die tiefe Reling und der kaum über die Wasseroberfläche ragende, blau gestrichene Rumpf sorgten dafür, daß die wahre Größe des Schiffs, besonders bei aufgewühlter See, fast unmöglich einzuschätzen war.
Wahrscheinlich entscheidend war jedoch, daß die Jacare nicht mit der großen quadratischen Takelage spanischer Galeonen fuhr, sondern mit dreieckigen »lateinischen« Segeln. Außerdem segelte das Schiff gewöhnlich mit drei auf die Hälfte ihrer Länge gekappten Masten, so daß es keinem im Traum eingefallen wäre, ein Schiff mit so sparsamer Takelage und so kurzen Masten könnte irgendeine Angriffsgefahr darstellen.
Wenn es darauf ankam, konnte die Besatzung der Jacare jedoch die obere Hälfte der Masten, die mit Metallklammern an den Stümpfen befestigt waren, in Windeseile auf die Vertiefung an der Spitze setzen und die Takelage des Schiffs wie durch Zauberhand verdoppeln.
Dann stürzte sich das pfeilschnelle Schiff im Handumdrehen auf seine ahnungslose Beute und führte ihr gleichzeitig die Reichweite seiner eindrucksvollen Kanonen vor.
Der Name Jacare, der in der Sprache der karibischen Ureinwohner »Kaiman« bedeutete, war somit mehr als gerechtfertigt, denn das seltsame Schiff, das eigentlich aussah wie ein maurischer Küstensegler, glich in Wahrheit einem verstohlenen Krokodil, das in einer Flußschleife zu dösen schien und nur die Augen und die Schnauzenspitze zeigte, doch urplötzlich einen Satz machen und mit seinem schrecklichen Rachen das nichtsahnende Opfer in den Tod reißen konnte.
Der Kapitän, Waffenmeister und Eigentümer des Schiffs hörte auf den Namen Jacare Jack und war in vielerlei Hinsicht das getreue Abbild seiner Schöpfung. Mit seiner untersetzten Statur und seinem kahlen Schädel erinnerte er eher an einen gutbürgerlichen Notar, einen trägen Lehrer oder gar an einen gutem Essen zugetanen Mönch als an einen berüchtigten Piraten, der, wie es hieß, über zwanzig Galeonen versenkt hatte und dessen glänzenden Schädel alle Gouverneure der Karibik nur zu gerne an der Rah aufgeknüpft hätten.
Wer ihn kannte, wußte oder hatte es gar am eigenen Leib verspürt, daß sich hinter der unschuldigen Fassade des friedlich wirkenden Mannes ein brutaler Seeräuber verbarg, der den Säbel nicht zog, ohne ihn blutbefleckt wieder in die Scheide zu stecken.
Nicht umsonst hatte Jacare Jack an Raubzügen und Expeditionen des gerissenen Henry Morgan, des eleganten Chevalier de Grammont und sogar des geheimnisumwitterten und gehaßten Mombars teilgenommen, letzterer einer der sadistischsten und skrupellosesten Freibeuter, die je die schwarze Totenkopfflagge gehißt hatten.
Doch wie jeder gute »Seewolf« respektierte Jacare Jack die Gesetze der gefürchteten Bruderschaft der Küste peinlich genau, und so befahl er seinem Steuermann sofort, den Kurs zu ändern, als an einem nebligen Morgen der Ausguck im Mastkorb einen Schiffbrüchigen meldete.
Eigentlich waren es zwei Schiffbrüchige, die da an Bord kamen, und der Pirat war im ersten Augenblick ziemlich überrascht, daß der kaum den Kinderschuhen entwachsene Knabe am Steuerrad der elenden Schaluppe trotz seiner verzweifelten Situation mutig und gefaßt schien, während der baumstarke Mann, der auf dem Vorderdeck geschlafen hatte, kaum einen zusammenhängenden Satz herausbrachte.
»Wer seid ihr, woher kommt ihr, wohin wollt ihr?« lautete seine erste Frage.
»Ich heiße Sebastián Heredia, und das ist mein Vater«, erwiderte der aufgeweckte Junge wie aus der Pistole geschossen. »Wir kommen von Margarita und wollen nach Puerto Rico.«
»Puerto Rico?« ließ der Pirat in schallendem Gelächter vernehmen. »Na du gefällst mir! Bei deinem Kurs landest du geradewegs in Guinea, in Afrika.«
»Wir wurden von einem Unwetter überrascht«, verteidigte sich der Junge. »Noch nie habe ich so viele Blitze gesehen.«
»Und einer ist deinem Vater wohl ins Hirn gefahren.« Der Pirat tippte sich leicht an die Stirn. »Ist er vielleicht ein bißchen…?«
»Das ist eine lange Geschichte«, lautete die bittere Antwort.
Amüsiert musterte Jacare Jack den furchtlosen Jungen und wandte sich dann seinem Stellvertreter Lucas Castano zu, einem bärbeißigen Panamesen, der, wie es so seine Art war, bis dahin noch kein Sterbenswörtchen gesagt hatte, und fuhr schließlich gelassen fort.
»Ich hör mir gern Geschichten an, hab den ganzen Tag nichts zu tun und möchte wissen, ob ich euch an Bord behalten oder ins Meer werfen soll.« Er grinste von einem Ohr zum anderen. »Also schieß los.«
An diesem Morgen erzählte Sebastián Heredia Matamoros Kapitän Jacare Jack den Teil der Geschichte, den er erzählen wollte, und was er eigentlich nicht erzählen wollte, zog ihm der Pirat Stück für Stück aus der Nase, bis eine Glocke vom Achterdeck die Besatzung zum Mittagessen rief und der Pirat seine riesige Pfeife, die man aus dem Hüftknochen eines englischen Admirals geschnitzt hatte, am Mast ausklopfte.
»Eine scheußliche und traurige Geschichte«, nickte er überzeugt. »Wirklich eine riesige Schweinerei. Man kann halt wirklich niemandem trauen, nicht einmal der eigenen Mutter. Ihr könnt bleiben«, fügte er hinzu. »Du wirst dem Koch zur Hand gehen, und wenn es deinem Vater wieder besser geht, kann er auf Deck aushelfen.«
So wurde der gerade zwölf Jahre alte Sebastian Heredia zum Küchengehilfen und Schiffsjungen eines Piratenschiffes. Außerdem fiel ihm die täglich mühseliger werdende Aufgabe zu, sich um einen armen Teufel zu kümmern, der mit seiner elenden Lage nicht fertig wurde und allmählich verdorrte wie ein Stockfisch, den man zum Trocknen aufgehängt hatte.
Tatsächlich verbrachte Miguel Heredia Ximénez die Stunden und Tage damit, völlig abwesend und auf seine Aufgabe konzentriert auf dem Schiffsdeck zu hocken und, an die Bugwand gelehnt, Messer, Säbel, Äxte und Dolche zu schleifen. Von seinen Händen und Armen abgesehen schien er Tausende von Meilen entfernt, im Geiste war er in Margarita geblieben, unfähig zu begreifen, was ihm eigentlich zugestoßen war.
Hätte der Tod seine ganze Familie hinweggerafft, hätte sich Miguel Heredia vielleicht mit seinem Schicksal abfinden können, denn mit einem noch so frühen Tod mußte ein Mann seiner Zeit immer rechnen. Doch daß die Frau, der er sein ganzes Leben gewidmet hatte, ihn so eiskalt verraten würde, das war ein brutaler und unerwarteter Schlag, den er nicht verarbeiten, sondern nur verdrängen und vielleicht irgendwann vergessen konnte.
Auf die Planken des Decks hatte er den Namen »Celeste« eingeschnitzt, und wenn er ihn betrachtete, wurden ihm die Augen feucht, und der Junge fand kein Mittel, seinen Vater zu trösten.
Wäre Sebastián allein gewesen, er hätte über die tägliche Arbeit seinen Schmerz vergessen können, doch immer wenn er seinen Vater ansah, der stundenlang Schwerter schliff, bis sie so scharf waren wie Rasiermesser, mußte er wieder an die glücklichen Zeiten seiner Familie denken.
In der Zwischenzeit »vagabundierte« die Jacare, mit spärlicher Takelage und halblangen Masten, ohne Kurs und Ziel, durch die ruhigen Gewässer der Karibik und lauerte wie ein Krokodil auf eine Beute, die so unvorsichtig war, den Weg des Schiffs zu kreuzen.
Niemand an Bord ließ sich jemals auch nur das geringste Anzeichen von Ungeduld anmerken. Der erfahrene Kapitän hatte also seine Besatzung gut ausgewählt. Viele Stunden mußten die müßigen Piraten beim Würfelspiel totschlagen.
Wenn das Meer ruhig war, holte man in den heißen Mittagsstunden die Segel ein und ließ das Schiff beidrehen, damit die Mannschaft ein erfrischendes Bad im Meer nehmen konnte. Bei einem dieser entspannenden Augenblicke kündigte der Ausguck im Mastkorb ein Schiff aus Osten an.
Obwohl die Neuankömmlinge wußten, daß sie in gefährlichen Gewässern segelten, brauchten sie eine geschlagene Stunde, bis sie bemerkten, daß auf ihrem Kurs ein Schiff mit niedriger Reling im Wasser trieb. Als sie es schließlich ausmachten, änderten sie lediglich ihren Kurs um drei Grad Süd, um einer unangenehmen Überraschung aus dem Weg zu gehen.
Kapitän Jack musterte die Neuankömmlinge mit seinem schweren Fernglas, während Sebastián das Herz bis zum Hals schlug.
Sein Vater zeigte nicht die geringste Regung.
Auch wenn es alle Segel gesetzt hatte, zog das schwere Frachtschiff, das lediglich mit sechs Kanonen mittleren Kalibers bestückt war, im Schneckentempo an der enttäuschten Meute halbnackter Piraten vorbei. Als der Junge schließlich wissen wollte, warum man nach fast zwei Wochen erfolglosen Wartens eine solche Beute verschmäht hatte, ließ sich der stets schweigsame Lucas Castano zu einer ersten säuerlichen Bemerkung herab.
»Die guten Schiffe kommen nicht, sie fahren.«
»Fahren? Wohin?«
»Nach Spanien. Die Schiffe, die fahren, haben Gold, Silber, Perlen und Smaragde an Bord. Die Schiffe, die kommen, haben nur Schweine, Kühe, Piken und Schaufeln geladen. Der Kahn hier ist nur vom Kurs abgekommen.«
Als hätte er seinen Wortschatz für diese Woche bereits verbraucht, drehte er sich um und verschwand in Richtung Achterdeck. Regungslos blieb der Junge stehen und schaute zu, wie ein Märchenschiff, von dessen phantastischer Ladung die Leute von Margarita fast nur träumen konnten, langsam am Horizont verschwand.
Sebastián wartete über zwei Stunden, bis der schwitzende Kapitän seine lange Siesta beendet hatte. Dann kam er unter dem Vorwand, ihm etwas Zitronensaft anbieten zu wollen, direkt zu Sache.
»Für die Ladung dieses Potts würde man auf Margarita über tausend gute Perlen bekommen.«
Der kahle Dickwanst betrachtete ihn aus den Augenwinkeln.
»Was willst du damit andeuten?«
»Daß ich es absurd finde, auf eine Beute zu warten, die vielleicht erst in Monaten auftaucht, während hier gerade ein Vermögen davonsegelt.«
»Hältst du mich für einen Trottel?« erregte sich der andere. »Ich greife nur Schiffe an, die nach Europa fahren. Es sei denn, es handelt sich um eine Galeone, auf der vielleicht ein Adeliger mitfährt, der ein gutes Lösegeld einbringt.« Er zeigte auf den Horizont hinaus. »Aber für die gesamte Besatzung dieses Seelenverkäufers kriegst du keine hundert Dublonen.«
»Ich rede nicht von der Besatzung, sondern von der Ladung«, beharrte der unerschütterliche Junge. »Eine gute Machete kostet in Juan Griego mindestens zwei Perlen, und dieses Schiff muß Dutzende davon geladen haben.«
»Kann schon sein«, knurrte sein Gegenüber. »Aber soll ich vielleicht am Strand von Juan Griego landen und ausrufen: >Macheten! Macheten zu verkaufen! Gute Macheten aus Toledo! <« Als hielte er ein so unsinniges Gespräch damit für beendet, zog er an seiner Pfeife: »Daß ich nicht lache!«
»Aber nein!« räumte der Junge todernst ein. »Natürlich geht das nicht. Hauptmann Mendana würde Euch mit seinen Kanonen in Stücke schießen. Ihr könnt aber sehr wohl außer Reichweite seiner Kanonen vor Anker gehen und die Nachricht verbreiten. Die Fischer werden Euch wie Mücken umschwärmen, und in drei Tagen habt Ihr alles bis zum letzten Nagel in Perlen von dieser Größe eingetauscht.«
Jetzt war es Sebastian, der sich umdrehte, um sich zu seinem Vater zu setzen. Doch dabei ließ er den Schotten nicht aus den Augen, der offenbar schwer an den Worten des Jungen zu kauen hatte.
Als der Horizont nur noch eine rötliche Linie war, hinter der das Schiff verschwunden war, schwang Kapitän Jacare Jack seinen riesigen Hintern aus der Hängematte, setzte sich auf die Reling des Achterkastells und ließ eine mächtige Stimme erschallen, die nur bei Befehlen zum Einsatz kam.
»Die Masten hoch! Alle Segel setzen! Steuer hart Backbord! Wir machen Jagd auf diese Idioten!«
»Auf einen rostigen Pott?« wunderte sich der Steuermann.
»Von wegen Pott, du Schwachkopf!« lautete die Antwort. »Auf tausend Perlen!«
Für den jungen Sebastian Heredia war es ein unvergeßliches Schauspiel, wie sich die bis dahin apathische Besatzung der Jacare plötzlich auf die Taue und Segel stürzte. Jeder wußte offensichtlich genau, was er zu tun hatte, und stellte sich dabei so geschickt an, daß zehn Minuten später der schneidige Bug des Schiffes wie die Rückenflosse eines verrückt gewordenen Delphins durch die Wogen glitt.
Die Jacare legte sich so steil nach Steuerbord, daß beinahe Wasser auf Deck strömte, und während sich der größte Teil der Mannschaft an die Backbordreling klammerte, um ein Gegengewicht zu schaffen, glitt das elegante Schiff wie eine riesige Möwe mit blauem Bauch und weißen Schwingen über das Meer hinweg, als hätte sie einen an der Wasseroberfläche schwimmenden Fisch entdeckt.
Die Nacht brach herein, ohne daß sie ihre Beute entdeckt hätten. Um das Schiff wieder in eine stabile Lage zu bringen, nahm man etwas Fahrt zurück. Drei Stunden später meldete der Ausguck einen Lichtschein direkt voraus. Der Kapitän ließ daraufhin alle Lichter löschen und befahl absolute Ruhe. Man beschränkte sich darauf, dem Lichtschein des Seelenverkäufers zu folgen, ohne daß dieser etwas von der Anwesenheit des Piratenschiffs ahnte.
Bei Morgengrauen hatte sich die Jacare bis auf eine halbe Seemeile an das Achterdeck des Schiffs herangeschlichen. Nunmehr ließ Kapitän Jacare Jack seine Kriegsflagge hissen und einen Warnschuß abfeuern.
Als der Kapitän der Nueva Esperanza die 32 riesigen Kanonen und die schwarze Flagge erblickte, traf er eine kluge Entscheidung: die Segel zu streichen und an Ort und Stelle zu verharren. Man mußte kein genialer Seestratege sein, um einzusehen, daß es reinen Selbstmord bedeutet hätte, sich auf eine Schlacht einzulassen.
Nach den ungeschriebenen Gesetzen des Meeres mußte ein Pirat einen Feind schonen, der sich ihm bedingungslos ergeben hatte, und wer immer in der Karibik segelte, wußte, daß die Flagge mit dem Krokodil, das einen Totenkopf im Rachen hatte, einem schottischen Kapitän gehörte, der diese Gesetze stets respektiert hatte.
Die Piraten hißten nämlich nicht, wie allgemein irrtümlich angenommen wird, alle die gleiche schwarze Fahne mit Totenkopf und gekreuzten Knochen. Diese gehörte eigentlich nur einem stelzbeinigen Iren namens Edward England, mit dem Beinamen »Kapitän ohne Schiff«, einem armen Teufel, der so gutmütig war, daß ihn seine blutrünstigen Begleiter schließlich an einem einsamen Strand von Madagaskar aussetzten. Dort starb er Jahre später, weil er nicht mit den barbarischen Verbrechen fertigwurde, die seine alte Mannschaft unter seiner geliebten Flagge beging.
Wenn die Kapitäne ein Schiff ausrüsteten und auf Kaperfahrt gingen, dachten sie lange über ein unverwechselbares Wappen nach, denn davon konnte Erfolg oder Scheitern abhängen. Für die Besatzung eines Schiffes, die eine Piratenflagge am Horizont erblickte, machte es nämlich einen enormen Unterschied, ob es sich dabei um den Totenkopf mit drei Lilien handelte, die den allseits respektierten französischen Chevalier de Grammont ankündigte, oder um das zuprostende Skelett des grausamen L’Olonnois oder gar um den unverzierten Totenkopf des teuflischen Mombars.
Bei Jacare Jack oder dem Chevalier de Grammont konnte man es riskieren, die Segel zu streichen und die Waffen zu strecken, bei Mombars oder L’Olonnois gab es nur Reißaus oder Kampf, und wenn das nicht half, konnte man sich nur noch mit einem Stein um den Hals ins Meer stürzen, um den bestialischen Foltern zu entgehen, an denen sich diese unbeschreiblichen Sadisten zu ergötzen pflegten.
Kein Wunder also, daß der Kapitän der Nueva Esperanza, kaum hatte ihn der Warnschuß geweckt und er die Flagge mit dem Kaiman im Nebel ausgemacht, beidrehen ließ und seinen Männern befahl, sich mit den Händen an der Reling aufzustellen, damit niemand auch nur im geringsten an seinen friedlichen Absichten zweifeln konnte.
Als erster schwang sich der Panamese Lucas Castano an Bord des alten übelriechenden Potts und erwies dem phlegmatischen Kapitän aus Kantabrien seine Reverenz, der den Überfall lediglich als kurze und unvorhergesehene Fahrtunterbrechung zu sehen schien. Ausgiebig untersuchte der Pirat den Frachtraum, bevor er auf die Jacare zurückkehrte und dabei über die Nutzlosigkeit der unsinnigen Anstrengung grollte.
»Abfall!« knurrte er.
»Was für Abfall?« wollte der Kapitän wissen.
»Werkzeug!« lautete die ungeduldige Antwort eines Mannes, der jedes Wort wie einen Schatz hütete. »Piken, Schaufeln, Fässer, Haken, Säcke, Macheten… Nur Plunder!«
Der Schotte wandte sich zu Sebastián Heredia, der ihm fast über die Schultern schaute, und befahl ihm mit drohender Stimme: »Geh an Bord, schau dich um, und wenn du glaubst, daß du deine Perlen dafür kriegst, machen wir weiter.« Er zeigte mit dem Finger auf ihn. »Wenn du aber feststellst, daß du sie nicht kriegst, dann fahren wir weiter, und du kommst mit zwanzig Peitschenhieben davon, weil ich wegen dir Zeit verloren habe. Alles klar?«
»Völlig klar«, schluckte der Junge.
»Na dann ist’s ja gut. Aber spitz die Ohren, zum Teufel: Wenn du mich diesen Quatsch weitermachen läßt und ich am Schluß keine tausend Perlen auf meinem Tisch sehe, dann macht das fünfzig Peitschenhiebe.« Er grinste wie über einen amüsanten Witz. »Und das kannst du mir glauben, ich kenne nur einen einzigen Mann, der fünfzig Peitschenhiebe von Lucas Castano überlebt hat: ein riesiger Schwarzer, und der hat eine dickere Haut als ein Haifisch.«
»Einverstanden, aber unter einer Bedingung…!« schoß der Junge zurück.
»Aha, da haben wir’s schon! Und die lautet?«
»Daß alles, was über die tausend geht, mir gehört.«
Der Schotte fuhr sich mit der Hand über die Glatze, wischte sich mit dem abgewetzten Ärmel seiner roten Jacke den Schweiß ab und starrte den schmutzigen Jungen an, als könnte er es nicht fassen, ein so unverschämtes und furchtloses Geschöpf vor sich zu haben. Schließlich haute er ihm lachend auf die Schulter.
»Halbe-halbe! Alles über tausend teilen wir halbe-halbe. Und jetzt hau ab!«
Sebastián Heredia schwang sich auf die Nueva Esperanza, machte eine zeremonielle Verbeugung vor dem Kantabrier, als wolle er um Erlaubnis bitten, dessen Schiff von Grund auf untersuchen zu dürfen, und verschwand in den Laderäumen, um herauszufinden, wie viele Perlen man ihm in Juan Griego für so viele Waren geben würde. Fast eine Stunde verbrachte er unter Deck, doch schließlich tauchte sein zerzauster Kopf wieder an Deck auf und rief überschwenglich aus:
»Mehr als genug, Kapitän! Mehr als genug!«
»Bist du sicher?« wollte dieser wissen.
»Ganz sicher!«
»Also gut!« gab Jacare Jack zu. »Du weißt, was du riskierst.« Er wandte sich seinem Stellvertreter zu, dem die ganze Angelegenheit offensichtlich als reine Zeitverschwendung und außerdem eines echten Piraten unwürdig erschien, und fügte hinzu: »Befiehl dem Kapitän, seine Kanonen ins Meer zu werfen. Überraschungen mag ich nicht. Und dann soll er Kurs auf Margarita setzen. Wir werden ihm folgen.«
Lucas Castano stieß einen Fluch aus, mit dem er gewöhnlich kundtat, daß er nicht einverstanden war, doch gehorchte er wie immer unverzüglich, denn kaum war der Nachmittag angebrochen, waren sie schon auf dem Weg. Vorher holten sie allerdings noch ein halbes Dutzend Schinken, zwanzig Sack Korn und zehn Fässer Wein aus Carinena an Bord.
»Denkt daran«, gab Sebastián Heredia seinem Kapitän zu verstehen: »Das alles ist wenigstens dreißig Perlen wert.«
Vier Tage später ging die Nueva Esperanza in der Bucht von Juan Griego vor Anker, allerdings außer Reichweite der Kanonen von La Galera. Gleichzeitig ging die Jacare zwischen Punta Tunar und Cabo Negro auf Streife. Dabei hatte sie kaum Segel gesetzt, fuhr jedoch mit ganzer Masthöhe. Beim geringsten Anzeichen von Gefahr hätte sie also in Windeseile alle Segel hissen können.
Bald versammelten sich die Leute aus dem Dorf am Strand. Schließlich bedeutete das unerwartete Ereignis eine willkommene Abwechslung in ihrem monotonen Alltag. Die Spannung erreichte ihren Höhepunkt, als der alte Pott eine Schaluppe zu Wasser ließ und der allen wohlbekannte Sebastián Heredia Matamoros an Land ging, die Anwesenden umarmte und zur Festung lief, von wo aus ihn ein düster blickender Hauptmann Mendana mit einem starken Fernglas beobachtete.
»Zum Teufel, darf man wissen, was du hier treibst?« lautete logischerweise die erste Frage des Offiziers, als der keuchende Junge sein Ziel erreicht hatte. »Ich habe dir doch verboten, auf die Insel zurückzukehren.«
»Meinem Vater habt Ihr es verboten, nicht mir«, entgegnete der furchtlose Junge. »Und der hat nicht die geringste Absicht, auch nur einen Fuß auf Margarita zu setzen.«
»Wo ist er denn?«
Sebastian deutete auf das elegante Schiff in der Bucht.
»An Bord«, sagte er.
»An Bord der Jacare?« wunderte sich sein Gegenüber. »Wie gibt’s denn so was?«
»Sie haben uns aufgenommen, als wir kurz davor waren, unterzugehen.«
In aller Kürze erzählte der aufgeweckte Junge, was ihm zugestoßen war, seitdem er die Insel verlassen hatte, und schloß mit einem für seine Jugend unangemessenen Ernst.
»Aus diesem Grund bin ich zunächst zu Euch gekommen. Ich wollte nichts unternehmen, was Euch schaden könnte. Dafür verdanke ich Euch zuviel.«
»Gar nichts verdankst du mir«, beeilte sich der Offizier zu antworten. »Und was das Schaden betrifft: Was soll ich schon machen, wenn ein Schiff außer Reichweite meiner Kanonen vor der Küste ankert.« Mit süffisantem Lächeln fuhr er fort: »Natürlich kann ich eine Nachricht nach La Asunción schicken, und die können wiederum aus Cumaná ein Kriegsschiff anfordern, das es mit der Jacare aufnehmen kann.«
»Und wann käme das?« wollte Sebastian wissen.
»Im günstigsten Fall in zwei Wochen, oder auch gar nicht. Sehr wahrscheinlich gar nicht.«
»Sind denn gar keine Kriegsschiffe in der Nähe?«
»Nicht daß ich wüßte«, lautete die Antwort. »Allerdings habe ich genügend Soldaten hier, um die Insel gegen eine Handvoll Piraten zu verteidigen.« Der grobschlächtige Hauptmann nahm auf einer der Kanonen Platz, legte sein schweres Fernglas zur Seite und fuhr dem mutigen Jungen liebevoll durchs zerzauste Haar: »Mit Piraten habe ich nichts am Hut, aber die Beamten der Casa kann ich wahrscheinlich noch weniger ausstehen. Immerhin riskieren die Piraten, daß man sie aufhängt, während diese Schweine tausendmal mehr rauben, und das unter dem Schutz der Justiz.« Er zog ihn heftig an den Ohren. »Wenn die Piraten also die Casa berauben und die Waren zu einem anständigen Preis an die armen Leute losschlagen, dann von mir aus. Ich werde keinen Fuß ins Wasser setzen, um sie aufzuhalten, solange keiner von ihnen an Land geht.«
Der Junge streckte ihm die Hand entgegen, als wolle er einen Pakt besiegeln.
»Gilt das Abkommen?« wollte er wissen.
Eine heftige Kopfnuß war die Antwort, worauf sich der Junge klagend die schmerzende Beule rieb.
»Was für ein Abkommen?« bellte der verdutzte Offizier. »Seit wann schließt ein Hauptmann des Königs ein Abkommen mit einem Knirps? Das wär ja noch schöner!«
»Regt Euch doch nicht auf!«
»Wenn du unverschämt wirst, dann werde ich wohl noch wütend werden dürfen. Und jetzt scher dich zum Teufel und denk dran, daß du zwei Meilen Abstand zur Küste hältst.«
Sebastián nickte und ging die Steintreppe zum Strand hinunter. Doch schon auf der ersten Stufe drehte er sich um und fragte in einem ganz anderen Ton:
»Wißt Ihr etwas von meiner Schwester?«
»Nur daß sie im Haus dieses Hurensohns lebt.« Hauptmann Mendana hielt kurz inne, bevor er mit leicht ironischem Lächeln fortfuhr: »Aber mach dir keine Sorgen. Ich hab dir schon gesagt, daß deine Mutter dafür sorgt, daß es ihr an nichts fehlt.«
»Und ich habe Euch gesagt, daß sie nicht mehr meine Mutter ist«, lautete die trockene Antwort. »Meine Mutter ist gestorben.«
Unter den aufmerksamen Augen des Offiziers setzte er seinen Rückweg fort, kletterte in ein am Strand liegendes Boot und bat mit erhobenen Händen um Ruhe.
»Auf diesem Schiff gibt es alles, was ihr nur brauchen könnt. Und ab morgen früh wird das alles für ein Zehntel des Preises verkauft, den die Casa von euch verlangt. Doch denkt dran, wir nehmen nur Perlen an.«
Der Handel galt.
Für den pfiffigen Sebastián Heredia war es das erste große Geschäft seines Lebens. Sogar die Taue, Fässer und Segel der Nueva Esperanza schlug er los, und beinahe hätte er sogar noch den Anker verhökert, denn jeden Morgen strömten die Einheimischen aus allen Dörfern der Insel herbei, um zu Schleuderpreisen alles zu erwerben, was sie stets gebraucht und nie erhalten hatten.
In tiefer Nacht fuhren die Perlenfischer mit der ganzen Familie aufs Meer hinaus. Kaum dämmerte der Morgen, da tauchten sie schon ein ums andere Mal in die Tiefen hinab, während Frauen und Kinder mit flinken Händen die Austern knackten, um nach runden und schimmernden Perlen zu suchen.
Immer wenn sie eine gute Handvoll zusammen hatten, hißten sie die Segel und nahmen Kurs auf Juan Griego, um an Bord der Nueva Esperanza ihren Handel abzuschließen.
Als schließlich kein Nagel mehr übrig war, verließ Sebastián Heredia den alten Pott, der in der Bucht noch lange auf neue Segel warten würde, kehrte an Bord der Jacare zurück und legte vor dem lächelnden Kapitän zwei mittelgroße Säcke nieder.
»Im einen Sack ist das, was ich versprochen habe. Und im anderen der Überschuß. Die Hälfte davon gehört mir!«
»Was Jacare Jack verspricht, hält er auch«, lautete die Antwort. »Nimm dir, was dir zusteht.«
Als der Junge seinen Anteil entnommen hatte, ließ der Kapitän den Rest unter der Mannschaft verteilen, und zwar so, wie es die traditionellen Regeln der Bruderschaft der Küste vorschrieben. Danach kam dem Kapitän als Ausrüster des Schiffes ein Drittel der Beute zu, seinem Stellvertreter ein Zehntel. Was übrig blieb, wurde nach Rang und Dauer der Zugehörigkeit an die einzelnen Besatzungsmitglieder verteilt, wobei man einen Teil für Krankheiten und unvorhergesehene Notfälle beiseite legte.
In dieser Nacht veranstaltete die Besatzung ein enormes Saufgelage und prostete unzählige Male dem Jungen zu, der ihr ohne jegliches Blutvergießen zu so unerwartetem Reichtum verholfen hatte. Am nächsten Tag ließ der bereits nüchterne Kapitän Jacare Jack das Schiff in See stechen, winkte Lucas Castano zu sich und gab dem erstaunten Panamesen zu verstehen:
»Ich denke, wir sollten uns so viele Schiffe wie möglich holen, bevor sich herumspricht, daß es wesentlich lukrativer und ungefährlicher ist, Schiffe anzugreifen, die aus Europa kommen, anstatt dorthin zu fahren.«
»Ihr wollt doch nicht etwa das Ganze wiederholen?« entrüstete sich sein Stellvertreter.
»Warum denn nicht?« lautete die logische Antwort. »Wir sollten unsere Glückssträhne nutzen, solange sie andauert.«
»Das ist eines Piraten unwürdig, der etwas auf sich hält«, gab Lucas Castano zu bedenken.
»Hör mal zu, du Schwachkopf!« entgegnete sein Kapitän in aller Seelenruhe. »Ein Pirat hat nur eine Sorge: reich zu werden, bevor man ihn aufhängt. Und auf diese Weise klappt das doch wunderbar, also halt am besten den Schnabel wie bisher, und du wirst alt werden.«
Lucas Castano beherzigte den Rat, und so änderte die Jacare als erstes Schiff auf hoher See die in der Karibik herrschende Piratenstrategie. Statt zwischen der Insel Tortuga und den Bahamas den riesigen Galeonen aufzulauern, die gegen Ende des Sommers mit ihren Schätzen auf der Nordroute nach Spanien zurückkehrten, kreuzte die Jacare in den Gewässern von Barbados und Grenada, um die schwerfälligen Frachtschiffe zu überfallen, die sich ohne Begleitschutz der spanischen Flotte, die einmal jährlich von Sevilla nach Westindien fuhr, auf den Weg in die Neue Welt machten.
Die schwerfälligen spanischen Galeonen setzten fast ausschließlich quadratische Segel. Mit Rückenwind segelte man damit zwar wunderbar, Seitenwinde konnte man dagegen kaum ausnutzen. Daher gab es für die Steuermänner schon seit einem Jahrhundert nur zwei Atlantikrouten. Auf dem Weg in die Neue Welt nutzte man die Passatwinde, die im Oktober oder November zu blasen begannen. Mit diesem Rückenwind dauerte die Überfahrt von den Kanarischen Inseln nach Barbados nur einen guten Monat. Für die Rückkehr nach Europa nutzte man wiederum die Westwinde, die im Hochsommer wehten und die Schiffe von den Bahamas zu den Azoren und von dort an die spanische Küste trieben.
Aus diesem schlichten Grund entwickelte sich zwischen Sevilla, dem einzigen spanischen Hafen mit königlichem Patent, und einem riesigen Kontinent, von dessen wahren Grenzen man nur vage Vorstellungen hatte, ein unaufhörlicher Fluß an Menschen und Waren.
Die englischen, französischen und holländischen Korsaren hatten von ihren jeweiligen Kronen den ausdrücklichen Auftrag, dafür zu sorgen, daß Spanien durch Gold, Perlen, Diamanten und Smaragde aus seinen unendlich reichen Kolonien nicht noch mächtiger wurde. Also gab es für sie nur eins: die reichen Schätze auf ihrem Weg nach Spanien abzufangen, auch wenn man dafür besagte Galeonen auf den Grund des Meeres schicken mußte. Kein Wunder, daß die Korsaren spektakuläre Siege vermelden konnten. Schließlich hatten sie es ja nicht nötig, einen Feind gefangenzunehmen oder ihn in einer fairen Schlacht zu besiegen. Sie konnten sich darauf beschränken, schwer manövrierfähige Transportschiffe mit den modernsten Kriegstechniken zu zerstören.
Manchmal, wenn die Situation günstig und ohne großes Risiko schien, bemächtigten sich die Korsaren auch ihrer Beute. Damit handelten sie allerdings entschieden gegen den Auftrag ihrer Souveräne, die den Korsaren die berühmten Kaperbriefe ausgestellt hatten. Ein Korsar hatte demnach im Prinzip keine Wahl: Er konnte eine ganze Flotte versenken, ohne daß er daraus irgendeinen Nutzen hätte ziehen dürfen. Er war also in Wahrheit nichts weiter als eine Art »Staatsterrorist« seiner Zeit, der lediglich rein politischen Zwecken diente.
Die echten Seeräuber waren aus diesem Grund auf die Korsaren nicht gut zu sprechen. Wahllos so immense Reichtümer zu zerstören, von denen so viele hätten profitieren können, sahen die Piraten als idiotische Verschwendung und als Sicherheitsrisiko. Gold, Silber und Edelsteine ruhten nutzlos auf dem Meeresgrund, während die zahllosen Todesopfer, welche die barbarischen Attacken forderten, nur dazu dienten, daß die spanischen Behörden neue Kriegsschiffe schickten. Und die machten keinen Unterschied zwischen »ehrbaren Seeräubern« und barbarischen Korsaren.