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Insel der Freibeuter
  • Текст добавлен: 29 сентября 2016, 02:31

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Автор книги: Alberto Vazquez-Figueroa



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Aus einem merkwürdigen Grund, den Celeste niemals nachvollziehen konnte, schien die stickige intime Atmosphäre im Inneren der Kutsche und deren ständiges Rattern den Gesandten der Casa de Contratación besonders zu erregen. Fast unmerklich wurde aus anzüglichen Blicken kaum verhohlenes Herumscharwenzeln, um schließlich in ein widerwärtiges erotisches Spiel auszuarten, in dem es nicht so sehr darum ging, das Mädchen körperlich zu besitzen, sondern vielmehr um das morbide Vergnügen, es sittlich zu verderben.

Don Hernando Pedrárias Gotarredona wußte nämlich nur zu gut, daß die Heilige Inquisition, die einzige Autorität, die er wirklich fürchtete, ihn trotz seines hohen Rangs mit extremer Strenge richten würde, falls er auf die unselige Idee käme, ein minderjähriges Mündel zu mißbrauchen. Daher hatte er sich für einen Umweg entschieden: Er wollte sie so sehr erregen, daß sie ihm an dem Tag, an dem er sie dafür reif ansah, mit gleicher Leichtigkeit in die Arme fallen würde wie einst ihre Mutter.

»Woran denkst du, wenn du deine Mutter mitten in der Nacht schreien hörst?« hatte er sie an einem schwülen Mittag belästigt, an dem sie gemeinsam nach Porlamar fuhren. »Bist du nicht neugierig?«

»In der Nacht schlafe ich«, hatte die trockene Antwort des charakterfesten Mädchens gelautet.

»Nicht doch!« hatte Don Hernando spöttisch geantwortet. »Ich weiß, daß du nicht schläfst. Ich weiß, daß du lauschst, und ich kann mir vorstellen, daß du dann, wenn du sie hörst, dich da zu streicheln beginnst, wo du es am liebsten hast.« Er blickte ihr direkt in die Augen und senkte die Stimme: »Gefällt dir das?«

Er erhielt nur einen stummen Blick voller Verachtung, worauf er ein gezwungenes Lachen hören ließ.

»Ach komm! Spiel nicht die Unschuldige! Ich weiß doch, daß sich die Mädchen deines Alters gern allein vergnügen, aber ich garantiere dir, es macht dir noch viel mehr Spaß, wenn dir einer dabei zusieht.«

Celeste blieb weiterhin stumm. Nachdem Hernando eine Weile aus dem Fenster gesehen hatte, fuhr er fort:

»Du mußt dich deshalb nicht schämen, denn wenn dich eines Tages ein Mann streichelt, wirst du es um so mehr genießen.« Er blickte ihr anzüglich zwischen die Oberschenkel. »Warum zeigst du mir nicht, wie du es machst?« säuselte er. »Na komm, heb den Rock!«

»Du bist ein Schwein«, gab Celeste knapp zurück.

Don Hernando Pedrárias neigte sich ein wenig vor und verpaßte ihr eine sanfte Ohrfeige.

»Das ist ja die Höhe!« heuchelte er den Beleidigten. »Wie redest du denn mit mir, wo ich doch nur Verständnis aufbringen will. Ich werde dich nicht anrühren. Ich möchte nur, daß du so tust, als wärst du allein.«

Als einzige Antwort zeigte das kecke Mädchen ein spöttisches Lächeln und ließ einen lauten Furz hören.

»Das mache ich, wenn ich allein bin.«

»Unverschämte Närrin!« tobte ihr Gegenüber. »Ohne mich würdest du schon seit Jahren bettelnd durch die Straßen ziehen, und wahrscheinlich würdest du inzwischen schon deinen Körper verkaufen wie alle aus deiner Sippschaft. Wegen mir lebst du in einem Palast, hast Kleider, Diener und sogar einen Lehrer, der dir alles beigebracht hat, was du weißt, und so bezahlst du dafür.«

»Meine Mutter hat schon für mich bezahlt«, kam es trocken zurück.

»Was sie heute bezahlt, ist nicht mehr viel wert. Deshalb wirst du entweder bald dein Verhalten oder deine Lebensweise ändern, denn ich bin es inzwischen leid, Schmarotzer durchzufüttern.« Er deutete aus dem Fenster. »Und ich garantiere dir, das Leben da draußen ist kein Zuckerschlecken.«

Nach dieser unangenehmen Szene wurde Don Hernandos Druck immer stärker und widerwärtiger, so daß Celeste sich gezwungen sah, nicht mehr mit ihm in eine Kutsche zu steigen, nicht einmal für die kurze Fahrt zum nahen Franziskanerkloster in La Asuncion.

Im Haus selbst hielt sich Don Hernando Pedrárias mit seinen Avancen zurück. Vielleicht war Emilianas Anwesenheit daran schuld, vielleicht aber auch die Furcht vor den Bemerkungen einiger Diener, die alle seine Worte und Gesten mit Argusaugen zu verfolgen schienen. Das Mädchen war jedoch davon überzeugt, daß ihre eigene Mutter ihm den Weg ebnen würde.

In einer Nacht schließlich, in der Emiliana Matamoros offenbar vergeblich versucht hatte, den Mann zu erregen, wegen dem sie ihren Gatten verlassen hatte, weckte sie ihre Tochter auf und eröffnete ihr ein Geheimnis, das im ganzen Haus, ja auf der ganzen Insel bereits die Spatzen von den Dächern pfiffen.

»Das muß aufhören, Tochter«, murmelte sie verzweifelt. »Entweder sorgst du dafür, daß Don Hernando dich heiratet, oder wir tauschen die Schlafzimmer, ansonsten sehe ich uns beide auf der Straße.« Sie betrachtete sich im riesigen Spiegel der Kommode: fett, verschwitzt, mit zerzaustem Haar und verlaufener dicker Schminke, und schüttelte den Kopf, als wolle sie sich ihre unausweichliche Niederlage eingestehen. »Ich bin schon zu alt, um weiterzukämpfen!« sagte sie mit rauher Stimme. »Jetzt bist du dran.«

»Ich hab mir dieses Leben nicht ausgesucht«, gab Celeste ungerührt zurück. »Du weißt, daß ich lieber in Juan Griego geblieben wäre.«

»Du weißt ja nicht, was du sagst!« tadelte sie ihre Mutter mit sichtbarer Bitterkeit. »Du hast ja keine Ahnung, was Armut bedeutet. Den ganzen Tag putzte und knackte ich Austern, bis ich Blasen an den Händen hatte, ich roch nach Fisch und hatte nur ein einziges Kleid, das ich in der Nacht waschen mußte, damit ich am Morgen etwas Sauberes zum Anziehen hatte. Und oft war es bis dahin noch nicht einmal trocken.«

»Das kann nicht viel schlimmer sein, als den Sabber eines Schweins zu ertragen«, widersprach ihre Tochter, ohne die Ruhe zu verlieren. »Er behandelt dich wie Abfall, der nur fürs Bett gut ist, und offensichtlich taugst du nicht einmal dafür.«

»Früher schon«, lautete die resignierte Antwort der Mutter. »Es gab Zeiten, da betete Hernando mich an…«

»Oh ja! Ich weiß noch gut, wie er deine Brüste küßte und schallend lachte, wenn er dir unter den Rock faßte, auch wenn Leute dabei zusahen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber das ist lange her.«

»Männer sind nun mal so.«

»Papa nicht.«

»Woher willst du das wissen?« heuchelte die zerzauste dicke Frau Empörung. »Vielleicht damals nicht, aber er hätte so werden können.« Sie beugte sich über ihre Tochter, um fast wütend zu murmeln: »Nütze deine Jugend aus und mach nicht den gleichen Fehler wie ich, einen Hungerleider zu heiraten. Wenn du klug bist, wirst du alles bekommen, was du willst. Ich weiß, wie man Hernando zufriedenstellt.«

»Das ist offensichtlich«, versetzte das Mädchen mit sichtlicher Ironie. »Du weißt, was du tun mußt, aber mich bittest du, mit ihm zu schlafen, damit er uns nicht hinauswirft.« Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Und was, wenn er mich irgendwann auch satt hat? Glaubst du, er wird dann mehr Mitleid haben?«

»Er wird uns nicht vor die Tür setzen, wenn du schwanger bist. Es war ein Fehler von mir, ihm keinen Sohn zu schenken. Allmählich wird er alt und weiß, daß er Nachwuchs braucht, um das zu bewahren, was er angesammelt hat.«

»Jetzt hör mir mal zu!« entgegnete das aufgeweckte Mädchen ungewöhnlich ernst. »Bevor ich vom Liebhaber meiner Mutter ein Kind bekomme, gehe ich lieber in ein Bordell von Porlamar. Das Schlimmste, was mir dort passieren kann, ist, daß mich ein Seemann oder ein Soldat schwängert, aber niemals so ein Mistkerl.«

Trotz ihrer kategorischen Antwort wußte Celeste Heredia, daß in dieser Nacht das letzte Wort in dieser leidigen Angelegenheit noch nicht gesprochen war. Weder ihre Mutter noch Don Hernando Pedrárias würden sich mit ihrer Entscheidung zufriedengeben. Beide wußten nur zu gut, was sie wollten: Emiliana wollte weiterhin die »Senora« in einem luxuriösen Palast mit einem Dutzend Diener spielen, und er wollte der erste Mann sein, der sich mit einem aufregenden Geschöpf vergnügte, das unter seinen Augen zur Frau herangewachsen und inzwischen »reif« war.

In dieser Zeit konnte das Mädchen nur auf die eigene Entschlossenheit zählen, dem Verlangen der beiden auf keinem Fall nachzugeben. Doch jetzt saß Celeste auf dem Platz, den Don Hernando Pedrárias eingenommen hatte, als er von ihr verlangt hatte, in seiner Gegenwart zu masturbieren. Sie mußte lächeln, wenn sie daran dachte, was für ein Gesicht der Gesandte der Casa de Contratación von Sevilla machen würde, wenn er entdecken würde, daß von seiner geliebten Kutsche nur noch ein Haufen Asche übrig war.

Sie schlug die Augen auf, um sich zu vergewissern, ob ihr Vater und ihr Bruder noch da waren, und als Miguel Heredia Ximénez ihren lächelnden Gesichtsausdruck sah, mußte er überrascht fragen:

»Warum grinst du wie die Katze, die einen Vogel gefressen hat?«

»Weil ich ihn wirklich verspeist habe und noch nie so glücklich war wie jetzt. Wohin werden wir fahren?«

»Wohin der Wind uns führt«, gab ihr Bruder zurück.

»Der Ort gefällt mir. Da war ich noch nie. Ist er schön?«

»Der schönste, den es gibt.«

»Woher weißt du das?«

»Weil ich schon hundert Mal dort war«, antwortete Sebastián. »Er ist das Ziel eines jeden Piraten, der etwas auf sich hält: Du segelst, wohin der Wind dich bläst, drehst um, und das Ganze beginnt von neuem.«

»Du bist verrückt, aber das gefällt mir!« rief sie aus, während sie aus ihrer großen Reisetasche ein dickes, in dunkles Leder gebundenes Buch zog. »Wenn wir schon von Verrückten reden, hast du das gelesen?«

Sebastián nahm das Buch in die Hand und betrachtete es erstaunt:

»Don Quijote de la Mancha. Nein, das kenne ich nicht. Wovon handelt es?«

»Von einem anderen Verrückten, aber der zieht durch die ganze Welt, verwechselt Windmühlen mit Riesen und versucht das Leben anderer Leute in Ordnung zu bringen, obwohl das seinige es viel nötiger hätte. In Spanien soll das ein Riesenerfolg sein.«

»Die Geschichte eines Irren ein Erfolg?« erstaunte sich ihr Vater, und nachdem Celeste mit dem Kopf genickt hatte, fügte er belustigt hinzu: »Wenn das so ist, dann werde ich meine eigene niederschreiben.«

»Du bist nicht verrückt«, tadelte ihn Celeste.

»Frag deinen Bruder!« Er wandte sich Sebastián zu. »War ich verrückt oder nicht?«

Der Angesprochene klopfte ihm liebevoll auf die Knie:

»Ein langes Leiden kann einen an den Rand des Wahnsinns treiben, aber selbst wenn es so war, es ist vorbei.«

»Das will ich hoffen…«

Inzwischen war es Nacht geworden, der Weg wurde immer schmaler, je weiter sie sich von der Hauptstadt entfernten. Nachdem sie den Weg, der hinunter in das entvölkerte Fischernest Aricagua führte, verlassen hatten, mußte Sebastian eine Fackel entzünden und die völlig erschöpften Pferde am Zügel führen.

Dreimal hätten sie sich fast verirrt, doch auf einem beschwerlichen Saumpfad erreichten sie schließlich eine kleine Bucht. Der junge Kapitän Jacare Jack wandte sich seinem Vater zu, der angestrengt durch die Dunkelheit spähte:

»Jetzt fehlt nur noch, daß sie mich verraten haben.«

»Wer könnte das fertiggebracht haben?«

»Außer Lucas Castano jeder«, lautete die bestimmte Antwort. »Dieses Schiff ist sehr begehrt.«

Er ging auf Celeste zu, die ihre Röcke angehoben hatte, um ihre Füße in die sanften Wellen zu tauchen, und fragte:

»Hast du denn gar keine Angst, auf einem Piratenschiff zu segeln?«

»Mit dir als Kapitän? Überhaupt nicht!«

»Mir ist schon bange dabei«, gestand ihr Bruder ein. »Noch weiß ich nicht so recht, wie diese wilde Bande darauf reagieren wird, wenn sie erfährt, daß ein Mädchen an Bord ist.«

»Mach dir keine Sorgen!« beruhigte sie ihn. »Ich war noch keine zwölf, da konnte ich mir schon Hernando Pedrárias vom Leib halten. Jetzt nehme ich es mit jedem auf. Ich werde dir keine Probleme machen.«

»Das bezweifle ich.«

Ähnlich äußerte sich Lucas Castano, als er zwei Stunden später an Land ging, wo sich ihm ein seltsames Bild bot: eine goldene Kutsche, zwei erschöpfte Pferde, drei Männer, die ihm freudestrahlend eine Kiste voller Perlen zeigten, und ein schönes munteres Mädchen, das aussah, als wolle es zu einem Picknick auf dem Lande.

»Aber was fällt dir denn ein?« bot der Bestürzte erstmals seinem Kapitän die Stirn. »Noch nie waren Frauen an Bord der Jacare! Die bringen Unheil.«‘

»Das ist nicht irgendeine Frau«, gab ihm Jacare Jack zu bedenken. »Es handelt sich um meine Schwester.«

»Alle Frauen sind die Schwestern von einem Kerl, deshalb bringen sie nicht weniger Unheil. Wo willst du sie denn absetzen?«

»Daran habe ich noch nicht gedacht.«

»Das solltest du aber, denn das werden die Männer als erstes wissen wollen«, ermahnte ihn der Panamese. »Viele an Bord sind abergläubisch. Und jetzt sollten wir uns aus dem Staub machen, denn hier sind wir in Gefahr.«

Als sie ins Boot stiegen, ergriff Celeste eine Fackel und deutete mit dem Kopf auf die Kutsche, deren Räder das Meer umspülte.

»Denk an dein Versprechen!« wandte sie sich an ihren Bruder.

»Wenn’s dir Spaß macht…«

»Du weißt ja nicht wie…!«

Bedächtig ging sie auf die Kutsche zu und setzte sie in Brand, bis die Flammen heftig loderten.

Anschließend kletterte sie in das Boot, machte es sich auf dem Achtersteven bequem und betrachtete den riesigen Scheiterhaufen, dessen Flammenschein sich in der stillen Bucht spiegelte. Die Rappen, die sich wieder etwas erholt hatten, galoppierten hin und her, während sie erschreckt oder vielleicht auch glücklich darüber wieherten, daß sie diesen schweren Sarg, an den sie viele Jahre lang gespannt waren, nie wieder über die staubigen und steinigen Wege würden ziehen müssen.

Als die Schaluppe schließlich an der Jacare anlegte, war von der verhaßten Kutsche nichts weiter übrig als ein Haufen rauchender Asche.

Don Cayetano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza musterte mit strengem Blick den Mann, der am anderen Ende der riesigen Mahagonitafel Platz genommen hatte, und nach einer kalkulierten Pause begann er mit tadelnder Stimme zu sprechen:

»In den Sümpfen des Orinoco-Deltas wimmelt es im Augenblick von über fünfhundert entlaufenen Sklaven, die, wenn ich richtig informiert bin, Euch gehören. Jetzt fügen sie unseren Truppen unzählige Verluste zu.« Er räusperte sich und nahm eine Prise Schnupftabak aus einem schweren goldenen Kästchen. »Und Ihr wißt sehr gut, daß die strengen Vorschriften es den Mitgliedern der Casa ausdrücklich verbieten, mit Sklaven zu handeln…«Er machte eine neuerliche Pause. »Oder wußtet Ihr es vielleicht nicht?«

»Es war mir bekannt.«

»Dann dürfte Euch auch klar sein, daß dieser schwere Verstoß allein genügt hätte, Eure brillante Karriere zu ruinieren.« Seine Exzellenz Don Cayetano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza stieß einen tiefen Seufzer aus, als könne er das, was er nun hinzufügen mußte, gar nicht fassen, und eigentlich konnte er es wirklich nicht. »Doch als wäre dies alles noch nicht genug, kommt Ihr heute zu mir, um zu beichten, daß man Euch über zweitausend Perlen bester Qualität gestohlen hat, die Ihr in Eurer Dummheit in Eurem eigenen Haus aufbewahrt habt. Das erscheint mir nun wirklich unerhört.«

»Ich schwöre Euch, daß ich sie dort sicherer glaubte.«

»Ihr seht ja, wie sicher sie dort waren, wo Ihr es auch noch Eurer Geliebten erzählt habt.«

»Emiliana wußte nichts davon.«

»Ihre Tochter offensichtlich schon, was um so schändlicher ist, da diese Tatsache eine in jeder Hinsicht verabscheuungswürdige Beziehung zwischen einem reifen Mann und einem Kind nahelegt.«

»Celeste ist kein Kind mehr«, protestierte der andere. »Seit Ihr sie das letzte Mal gesehen habt…«

»Sagt lieber nichts, Don Hernando!« rief sein Gegenüber empört aus. »Sagt lieber nichts! Was Ihr getan habt, ist unverzeihlich. Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste: Das Schlimmste ist, daß Ihr den guten Namen der Casa de Contratación in den Schmutz gezogen habt. Gütiger Gott!« Don Caye-tano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza warf einen langen Blick auf das riesige Bildnis von Monsignore Rodrigo de Fonseca, der über das strenge Gemach wachte. »Was würde unser Gründer sagen, wenn er sähe, wie tief wir gesunken sind…? Und was wird man in Sevilla sagen, wenn die Flotte dort eintrifft und man feststellt, daß keine einzige Perle dabei ist, die auch nur eine elende Dublone wert ist?«

Schweigen war die Antwort, denn Don Hernando Pedrárias Gotarredona wußte auf keine einzige Frage eine Antwort und war so beschämt und niedergeschlagen, daß er fast in Tränen auszubrechen schien.

»Viele Irrtümer haben wir im Laufe der Jahre begangen!« fuhr schließlich Seine Exzellenz fort. »Leider viele, auch wenn ich felsenfest daran glaube, daß die meisten ohne böse Absicht geschahen. Aber daß einer unserer Beamten nicht nur des Sklavenhandels und der Verführung Minderjähriger anzuklagen, sondern darüber hinaus auch noch ein unfähiger Einfaltspinsel ist, das ist die Höhe. O Herr!« rief er aus und hob die Augen gen Himmel. »Ein Glück, daß Euer Vater, den ich so bewundert habe, das nicht mehr miterleben muß.«

»Ich bin hier, um für meine Taten Rede und Antwort zu stehen und öffentlich die Verantwortung dafür zu übernehmen, Exzellenz«, murmelte Don Hernando Pedrárias schließlich fast tonlos. »Was noch kann ich tun?«

»Verantwortung?« wiederholte sein Vorgesetzter mit knirschenden Zähnen und rang um Fassung. »Was hilft es mir, daß Ihr öffentlich Verantwortung übernehmt? Damit gießt Ihr nur mehr Öl ins Feuer und macht den Skandal noch größer, ohne daß wir unser Ansehen zurückerhalten, geschweige denn unsere Perlen.«

Der hochgewachsene, hagere, ja asketisch wirkende Mann, der geradewegs einem Gemälde El Grecos entstiegen zu sein schien, erhob sich, ging zum Fenster und blickte lange Zeit auf den ruhigen, dunklen Fluß hinaus, der nicht weit von hier in die kristallklare Karibische See mündete.

Schließlich und ohne sich zu dem Mann umzudrehen, der unentwegt auf seine Stiefelspitzen starrte, wies er mit einer leichten Kopfbewegung auf die massive Festung, die sich in der Ferne abzeichnete.

»Meine Pflicht wäre es, Euch für den Rest Eures Lebens in den tiefsten Kerker der Festung San Antonio werfen zu lassen, und ich gestehe, daß dies mein sehnlichster Wunsch ist, weil Ihr in mir nur Abscheu und Widerwillen erweckt.« Er blickte aus dem Fenster, bis ein schwerer Pelikan, der sich kopfüber ins Wasser gestürzt hatte, mit einem dicken Fisch im Schnabel wieder auftauchte und auf drollige Weise den Hals hin und her schüttelte, um den Fisch hinunterzuwürgen, ohne ihn dabei zu verlieren, und schließlich fügte er im gleichen Tonfall hinzu: »Dennoch ist es meine Pflicht, die Interessen der Casa vor alle anderen Überlegungen zu stellen. Im Augenblick verlangen es die Interessen der Casa, daß alle Welt erfährt, daß dieser Kapitän Jacare Jack und seine gesamte Besatzung schnell und streng bestraft worden sind. Aus diesem Grund werde ich Euch eine Gnadenfrist gewähren.«

Er kehrte zu seinem Sessel zurück und richtete seine bohrenden grauen Augen drohend auf den rötlichen schütteren Bart des wieder Hoffnung schöpfenden Don Hernando Pedrárias:

»Kehrt zurück nach Margarita. Versetzt alle Eure Habe und rüstet auf eigene Kosten ein Schiff aus, mit dem Ihr diese Elenden bis ans Ende der Welt verfolgen könnt. Wenn Ihr binnen Jahresfrist mit ihren an den Masten baumelnden Köpfen zurückkehrt, werdet Ihr begnadigt.« Wieder nahm er eine kleine Prise Schnupftabak. »Falls nicht, werden Euch meine eigenen Schiffe verfolgen, um mit Eurem Kopf zurückzukehren. Ist das klar?«

»Völlig klar, Exzellenz!«

»Dann macht Euch auf den Weg und denkt immer daran: Spätestens in einem Jahr möchte ich vor diesem Fenster Köpfe sehen, und ich versichere Euch, daß es mich wenig kümmert, ob Eurer dabei ist oder nicht.«

Der nunmehr Ex-Gesandte der Casa de Contratación von Sevilla auf der Insel Margarita verließ tief beschämt das Gemach und ging langsam am Fluß entlang die anderthalb Meilen vom Palast Seiner Exzellenz Don Cayetano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza in Cumaná zum Hafen zurück, ohne sich um die Sonne zu kümmern, die mörderisch auf sein Haupt brannte. Erst gegen Abend hatte er seine Sprache teilweise wiedergefunden und betrat die einsame Schenke, in der seit Stunden sein treuer Sekretär Lautario Espinosa auf ihn wartete.

»Du bleibst hier«, befahl er, als er ihm gegenüber Platz genommen hatte, »und schickst Boten in alle Häfen der Region, die dort verkünden sollen, daß ich für das bestbewaffnete Schiff dieser Meere bezahlen werde, was immer sie verlangen…« Er zeigte mit dem Finger auf ihn. »Was immer sie verlangen! Außerdem zahle ich für jegliche Information, die zur Auffindung der Jacare beiträgt. Ich will ihre Routen wissen, welche Häfen sie anläuft oder wo sie vor Anker geht, wenn sie nicht auf Beutefahrt ist…« Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas, das der andere vor sich hatte, um in höchster Erregung hinzuzufügen: »Und dann heuerst du eine Besatzung an, die es mit Tod und Teufel aufnehmen kann. Piraten, Banditen, Frauenschänder, Mörder! Was immer du auftreiben kannst!«

»Wißt Ihr eigentlich, Senor, was Ihr da verlangt?« protestierte der andere, den der Tonfall sichtlich mehr beeindruckt hatte als die Worte selbst.

»Natürlich weiß ich das!« tönte es brüsk zurück. »Ich bitte dich, mir dabei zu helfen, meinen Kopf zu retten und übrigens auch den deinen, denn wir beide wissen, wie hoch die Provision war, die dir für jeden Sklaven der Four Roses zustand.« Anklagend wies er mit dem Finger auf ihn. »Wir sitzen in einem Boot: Entweder kommen wir beide heil aus der Sache heraus, oder wir gehen gemeinsam unter… Ist das klar?«

Lautario Espinosa nickte und schluckte heftig.

»Völlig klar, Senor!«

»Dann spute dich, denn noch heute abend breche ich nach La Asunción auf.« Er sprang auf. »Gib aus, was notwendig ist, doch bei meiner Rückkehr möchte ich ein Schiff mit zweihundert Mann unter Deck im Golf von Paria sehen…« Er stieß einen Fluch aus: »So wahr meine Name Hernando Pedrárias ist, werde ich diesen verfluchten Schotten und seine verdammte Hure finden!«

Zwei Tage später betrat er das Herrenhaus auf Margarita und stieg eilends in den Weinkeller hinab, in den er Emiliana Matamoros hatte einsperren lassen. Als er vor der inzwischen schmutzigen, zerzausten und angetrunkenen Frau stand, für die er früher soviel Leidenschaft empfunden hatte, konnte er eine verächtliche Geste des Abscheus nicht unterdrücken:

»Du stinkst wie ein toter Hund, und heute kann ich mir nicht erklären, daß du mir einmal den Kopf verdrehen konntest! Aber das ist vorbei. Heute sollst du mir lediglich sagen, was dieser Pirat mit deiner Tochter zu tun hat.«

Sein Gegenüber musterte ihn mit geröteten Augen, berauscht von den Litern Sherry, mit dem sie versucht hatte, ihren Hunger zu betäuben, und nachdem sie ewig lang darüber nachgedacht hatte, grunzte sie schließlich:

»Ich hab verdammt noch mal keine Ahnung, wovon du redest.«

Als Antwort verpaßte ihr der Ex-Gesandte der Casa de Contratación von Sevilla eine schallende Ohrfeige. Ihre Unterlippe riß auf, und eine Blutspur lief über ihr Kinn.

»So redest du nicht mit mir!« drohte er. »Und spiel mir nicht die Betrunkene vor. Das alles war viel zu gut geplant. Sie haben die Perlen mitgenommen und in der gleichen Nacht die Kutsche angezündet, um sich in Manzanillo einzuschiffen. Wie erklärst du dir das?«

»Ich habe wirklich keine Ahnung!« beharrte sie erschreckt. »Ich schwör’s dir. Ich wußte ja nicht einmal, daß die Perlen im Keller waren. Woher sollte ich es auch wissen?«

»Vielleicht hat es dir ja Celeste verraten.«

»Glaubst du nicht, daß ich dann mit ihr gegangen wäre, statt hier darauf zu warten, daß du mich einsperrst und mir das Gesicht zerschlägst?«

Don Hernando Pedrárias schwieg, denn genau das fragte er sich schon, seit er den Diebstahl entdeckt hatte. Wenn diese Frau, der schon seit geraumer Zeit klar war, daß sie an seiner Seite keine Zukunft mehr hatte, gewußt hätte, daß ein Vermögen an Perlen verschwunden war, hätte sie sich wahrscheinlich ihren Anteil an der Beute gesichert und sich für immer aus dem Staub gemacht.

»Ich versteh’s nicht!« rief er schließlich aus und genehmigte sich ein großes Glas Riojawein aus seinem Lieblingsfaß. »Ich versteh’s nicht! Seit Jahren überfällt dieser Pirat unsere Frachtschiffe, um deren Waren zu verschleudern. Dann fällt ihm die Four Roses in die Hände, und statt sich ein riesiges Lösegeld zu sichern, läßt er die Sklaven frei, zündet das Schiff an und klagt mich an, ein Sklavenhändler zu sein.« Er stieß einen Fluch aus. »Zu guter Letzt verschwindet er mit Celeste und den Perlen. Wie ist das möglich? Und was hat dieser verfluchte Kapitän bloß gegen mich?«

Er erhielt keine Antwort, denn Emiliana Matamdros hatte offensichtlich nicht den blassesten Schimmer, und nachdem er sie angesehen hatte, so am Boden zerstört, wie er selbst es hätte sein können, schnaubte er schließlich:

»Verschwinde! Mach dich aus dem Staub und komm nicht wieder!«

»Wohin soll ich denn nur gehen?«

»Was kümmert mich das?« lautete die brutale Antwort. »Von mir aus kannst du dich ins Meer stürzen, an einem Kapokbaum aufhängen oder in ein Bordell gehen, das fette stinkende Weiber aufnimmt. Hauptsache, du gehst mir aus den Augen, denn wenn ich dich im Umkreis von zehn Meilen antreffe, laß ich dich einsperren.«

Emiliana Matamoros sagte kein einziges Wort mehr. Sie wußte, daß es keinen Sinn machte, um Milde zu flehen. So richtete sie sich mühevoll auf, stolperte fast auf allen vieren die steile Treppe hinauf, wo zwei finster dreinblickende Diener auf sie warteten, die offensichtlich gelauscht hatten und verächtlich auf den Dienstboteneingang deuteten.

»Hinaus mit dir!« knirschte einer zwischen den Zähnen. »Hinaus mit dir, du verdammte Schlampe! Davon habe ich immer geträumt!«

Sie hatte das große Tor noch nicht erreicht, da erschien Don Hernando Pedrárias am oberen Ende der Treppe und befahl kurz angebunden:

»Schickt nach Kommandant Arismendi und dem Wucherer Don Samuel! Noch heute nachmittag will ich sie hier sehen!«

Anschließend stieg er in sein riesiges Schlafzimmer hinauf, ließ sich auf das Bett fallen und betrachtete den schweren Baldachin und die gedrechselten Säulen, an die sich Emiliana Matamoros während ihres leidenschaftlichen Liebesspiels vor Jahren so oft geklammert hatte, und dachte an die alten Zeiten, in denen er sich als Herr der reichsten Insel und der schönsten ihrer Frauen fühlen konnte, und er suchte nach dem ungerechten Grund dafür, warum sich plötzlich alles gegen ihn verschworen hatte.

Was war sein größter Fehler gewesen, und wann hatte er ihn begangen, zermarterte er sich das Hirn. Doch da er immer noch der gleiche Mann war, der die dogmatischen Prinzipien der Casa quasi mit der Muttermilch aufgesogen hatte, hielt er nach wie vor an der Überzeugung fest, daß nicht seine eigenen Irrtümer, sondern widrige Umstände für seine Misere verantwortlich zu machen waren.

Die Austern hatten sich entschlossen, keine Perlen mehr zu produzieren, die Perlentaucher hatten ihm den Gehorsam verweigert, die Piraten hatten sich an seinen Schiffen gemästet, und sogar die baumstarken und unterwürfigen Sklaven hatten sich entschlossen, einfach krank zu werden oder offen zu rebellieren.

Was konnte er für alle diese Dinge und dafür, daß ein undankbares Mädchen, das er wie eine Tochter behandelt hatte, plötzlich entschlossen war, ihn zu verraten?

Stundenlang blieb er in seinem Schlafzimmer, bis zur Erschöpfung in seine Grübelei versunken, bis man ihm die Ankunft von Oberst Arcadio Arismendi ankündigte, dem Militärkommandanten der Insel. Ihn hatte er als einen seiner besten Freunde betrachtet, bis man ihn als Sklavenhändler angeklagt hatte.

Er empfing ihn in der Bibliothek. Der schnurrbärtige Offizier blickte so abweisend drein, daß Don Hernando im letzten Augenblick verzichtete, die Hand auszustrecken.

»Ich bin dir dankbar, daß du gekommen bist. Ich brauche deine Hilfe.«

»Ehrlich gesagt habe ich lange gezögert, überhaupt zu kommen, doch Mariana hat mich überredet, die Angelegenheit lieber früher als später zu bereinigen. Es ist nicht meine Art, Menschen, die am Boden liegen, noch zu treten, doch du mußt einsehen, daß unsere Beziehung nicht mehr so sein kann wie früher.«

Der Ex-Gesandte der Casa nickte und lud seinen Gast ein, im Lehnstuhl Platz zu nehmen, in den er sich gewöhnlich selbst zu setzen pflegte, füllte zwei große Gläser mit Rum und bot ihm eines an:

»Ich verstehe. Die Anschuldigungen gegen mich wiegen sehr schwer, und ich will gar nicht erst versuchen, sie zurückzuweisen. Was ich dir sagen will, ist folgendes: Seine Exzellenz hat mir die Chance geboten, mich zu rehabilitieren, und ich werde alles daransetzen, auch wenn es mich das Leben kostet.« Er blickte ihm in die Augen. »Was weißt du von Kapitän Jacare Jack?«

»Nicht mehr als alle anderen«, tönte es verdrossen zurück. »Daß er ein schottischer Dickwanst und Trunkenbold ist, der harmlos aussieht, aber gelegentlich auch ganz andere Seiten aufzieht, wie man hört. Außerdem soll er die Piratengesetze respektieren.«

»Piratengesetze«, regte sich sein Gegenüber auf, »was soll denn dieser Unfug? Diese Halunken sollen irgendwelche Gesetze haben?«

»Die haben sie tatsächlich«, stellte Don Arcadio Arismendi etwas belustigt klar. »Ebenso wie wir die unsren haben, was Ehre, Moral oder Sklavenhandel betrifft. Und wie bei uns gibt es bei ihnen Leute, die sie befolgen, und andere, die sie nicht befolgen.«

»Schön!« gab Don Hernando Pedrárias zu, der um alles in der Welt Ruhe bewahren wollte. »Vergiß das! Ich will wissen, warum ein alter Pirat, der gewöhnlich Schiffe aus Spanien plündert, plötzlich Sklaven freiläßt.«

»Vielleicht ist er gegen die Sklaverei.«

»Ein schottischer Pirat? Daß ich nicht lache! Die Engländer, Holländer und Schotten haben doch den Sklavenhandel erfunden und würden sich keine derartige Beute entgehen lassen.«

»Offensichtlich doch«, lautete die fast spöttische Antwort.

Der Hausherr ging im Zimmer auf und ab, als würde das seine Probleme lösen, und fuhr schließlich ungeduldig fort:

»In der Tat! Aber warum? Wenn ich wüßte, warum ein Pirat sich plötzlich nicht mehr wie ein Pirat aufführt, könnte ich ihn vielleicht erwischen.«

»Ich glaube nicht, daß dir das viel hilft«, bemerkte der andere und leerte hastig sein Glas, als wollte er andeuten, daß er es eilig hatte. »Ich hatte noch nie mit Piraten zu tun…« Er deutete mit dem Finger auf ihn. »Vielleicht gibt es jemanden, der dir helfen kann. Er lebt schon viele Jahre auf der Insel und hat schon mehr als einmal gegen sie gekämpft. Ich rede von Hauptmann Mendana.«


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