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Insel der Freibeuter
  • Текст добавлен: 29 сентября 2016, 02:31

Текст книги "Insel der Freibeuter"


Автор книги: Alberto Vazquez-Figueroa



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»Zu spät! Vor drei Wochen habe ich eine Schar Sklavenhändler ins Meer werfen lassen.«

»Wen schert denn das?« warf der Offizier ein. »Meiner Meinung nach ist es kein Verbrechen, Sklavenhändler über Bord zu werfen. Eher im Gegenteil.« Er legte seine Hand auf den Unterarm des Jungen und fuhr fast flehentlich fort: »Vergiß sie, gib dieses verfluchte Schiff auf, und such dir das Leben, das sie dir als Kind beigebracht haben.«

»Als Kind habe ich gelernt, daß nur ein reicher Mann aufzutauchen braucht, und alles, woran du glaubst, ist nur noch ein Scherbenhaufen«, lautete die bittere Antwort. »Eine einzige Tat löscht eine Million Worte aus.«

»Wenn du dein Leben nach dem ausrichtest, was sie dir in einem bestimmten Augenblick angetan haben, dann machst du dich zum Sklaven deiner Vergangenheit«, urteilte der Offizier überzeugt. »Jetzt, wo du schon ein Mann bist, hast du kein Recht mehr, deine Taten mit den Irrtümern deiner Mutter zu entschuldigen.«

»Da gehen die Meinungen auseinander.«

»Meinungen helfen dir wenig, wenn du unter dem Galgen stehst. Ob du willst oder nicht, wenn du eine Bande Verbrecher befehligst, wirst du selbst einer werden. Du kannst nicht im Dreck wühlen, ohne dir die Hände schmutzig zu machen.« Er zündete seine Pfeife wieder an, als würde diese ihm dabei helfen, die richtigen Argumente zu finden. »Ich weiß nicht, was du bisher getrieben hast, aber etwas sagt mir, daß du noch nicht verdorben bist. Gib das Schiff jetzt auf!«

»Um was zu tun?« fragte der Margariteno, als wäre er überzeugt, keine vernünftige Antwort zu erhalten. »Welches Schicksal erwartet mich, wenn ich das Schiff aufgebe und mir eine ehrenwerte Arbeit suche? Du hast von schwierigen Zeiten gesprochen, aber das waren sie schon, als mein Vater seine Haut an den Felsen dort unten ließ.« Verächtlich zuckte er mit den Schultern. »Die Casa schnürt den Leuten über Jahre hinweg die Kehle zu, bis sie schließlich ersticken. Da ist es mir schon lieber, wenn sie mich irgendwann gleich richtig aufhängen.«

»Und das Übel, das du inzwischen anrichtest oder das deine Männer anrichten, wenn du sie nicht im Griff hast?« Der Offizier senkte die Stimme, damit die Begleiter, die Sebastian draußen hatte warten lassen, ihn nicht hören konnten: »Piraten sind sie. Verstehst du nicht? Räuber, Frauenschänder und Mörder. Der Abschaum der Welt!«

»Für mich sperrt sich der Abschaum der Welt in einen Palast ein und plündert mit ungerechten Gesetzen die Schwachen aus«, widersprach ihm der Margariteno. »Das sind die wahren Blutsauger. Die machen aus der Welt eine Kloake und riskieren noch nicht mal den Hals dabei! Wir leben monatelang auf dem Meer, müssen Flauten und Stürme ertragen, und jedesmal, wenn wir uns einem Schiff nähern, riskieren wir, daß man uns mit Kanonenschüssen empfängt. Aber die nicht! Die haben einen Kaperbrief für das Land in der Tasche, und wenn es noch etwas Schlimmeres gibt als Piraten, dann Korsaren.«

Hauptmann Sancho Mendana zögerte lange mit der Antwort. Er ging zum Fenster, betrachtete die stille Bucht, in der sich nur einige Sterne spiegelten, und plötzlich wirkte er um Jahre gealtert oder unendlich müde.

»Ich habe keine Lust, weiter zu diskutieren. Bald wird es hell, und dann hast du besser schon das Weite gesucht.« Er drehte sich um und musterte den kleinen Jungen von früher. »Ich gebe dir eine Woche, um deinen Vater zu finden. Nur eine Woche! Danach werde ich dein schlimmster Feind sein.«

»Niemals werde ich Euch als meinen schlimmsten Feind betrachten können«, hauchte der junge Mann. »Und niemals werde ich die Hand gegen Euch erheben, so sehr Ihr mich auch bedrängen werdet.«

»Das wird nicht mein Problem sein. Ich habe dir gesagt, was dich erwartet. Und jetzt ab mit dir! Geh, und komm nicht wieder.«

Als der noch fast bartlose Kapitän Jacare Jack den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte der bedrückte Offizier seine Stirn gegen das Fensterglas und stieß einen kurzen, bitteren Seufzer aus.

Stets war er ein einsamer Mann gewesen, und seine Ersatzfamilie bestand heute nur noch aus einem armen verrückten Teufel, der durch irgendeinen gottverlassenen Winkel der Insel irrte, und einem sanftmütigen Jungen, der dabei war, ein schmutziger Pirat zu werden. Was nützten ihm die Mühen und Opfer vieler Jahre, all die Schlachten und alten Wunden? Was half es, Prinzipien treu zu bleiben, die niemand mehr zu respektieren schien?

Aufgrund seiner untadeligen Dienste und seiner unerschütterlichen Loyalität hätte er längst zum Obersten befördert werden müssen, zum Festungskommandanten in Cartagena de Indias, San Juan de Puerto Rico oder Panama. Doch die Jahre gingen dahin, und noch immer war er hier, vergessen und dazu verdammt, unzählige Male die unvergeßlichen Sonnenuntergänge von Juan Griego zu betrachten. Dabei wußte er, daß ihm die Nacht nur Einsamkeit und Stille brachte und der neue Tag neue Einsamkeit und wieder eine lange Abenddämmerung, die ihn bereits zu Tode langweilte.

Emiliana Matamoros, die einzige Frau, die er in seinem ganzen Leben geliebt und stets wie eine unerreichbare Jungfrau verehrt hatte, war die Geliebte des abscheulichsten Wesens, das er jemals kennengelernt hatte, geworden, und in den Schenken konnte er hören, daß Emilianas Tochter Celeste schon bald die Mutter im Bett des gehaßten Don Hernando Pedrárias ablösen würde.

Auf der Insel ging das Gerücht um, daß die fett und welk gewordene Emiliana Matamoros schon vor einiger Zeit zum bitteren Schluß gekommen war, daß ihre früheren Reize die Leidenschaft des Gesandten der allmächtigen Casa de Contratación von Sevilla nicht mehr zu wecken vermochten, und sie fürchten mußte, von einer der zahlreichen attraktiven Mulattinnen, die auf der Insel ihren Körper zu Markte trugen, aus dem schönen Palast am Rand von La Asunción, den sie seit Jahren bewohnte, verdrängt zu werden. Deshalb war sie offensichtlich entschlossen, die Angelegenheit innerhalb der Familie zu regeln und ihre Rolle als herrische Geliebte mit der einer unterwürfigen Kupplerin zu vertauschen.

»Wer den Luxus kennengelernt hat, will nicht zurück in die Armut«, tuschelten die bösen Stimmen. »Vor allem dann nicht, wenn die Armut nicht einmal Würde hat.«

Hauptmann Sancho Mendana fragte sich, was eine noch so würdevolle Armut sollte, wenn sie nur, wie die seine, traurige Erinnerungen nährte, und ebenso fragte er sich, ob Sebastián Heredia nicht recht hatte, dem es lieber war, ein einziges Mal aufgehängt zu werden, statt das ganze Leben mit dem Strick um den Hals zu verbringen.

Wenn er nicht binnen zwei Jahren zum Kommandanten befördert wurde, mußte er, das sahen die Dienstvorschriften des Königs vor, seinen Abschied nehmen und Reservist werden, und Hauptmann Mendana wußte nur zu gut – er hatte es bei vielen Waffengefährten gesehen –, daß in diesen Fällen der kärgliche Sold die meisten Monate nicht ausgezahlt wurde.

Die Krone, die unzählige Male grausame Opfer verlangt hatte, vergaß die geleisteten Dienste nur zu schnell, und Hunderte von Veteranen mußten ihren Lebensabend als Bettler unter Bettlern verbringen.

Er ließ seine Vergangenheit Revue passieren, warf einen Blick auf seine Gegenwart und versuchte sich vorzustellen, wie seine Zukunft aussehen mochte. Über der schönen Bucht von Juan Griego wurde es langsam hell.

Vielleicht wäre es das Vernünftigste gewesen, alles aufzugeben und dem unbesonnenen Jungen als Seeräuber zu folgen, doch seine moralischen Überzeugungen hatte Hauptmann Sancho Mendana stets über seine eigenen Interessen gestellt. Daher verwarf er diese Idee sofort, denn sie ging gegen alle Prinzipien, die er stets verteidigt hatte.

Die Krone haßte die Piraten, daher war es seine Pflicht, sie zu bekämpfen, wo immer sie sich verbergen mochten, selbst wenn einer von ihnen der einzige Freund war, der ihm auf dieser Welt geblieben war.

Zurück auf der Jacare ließ Sebastián Heredia Lucas Castano holen und teilte ihm mit, daß er in Manzanillo an Land gehen wollte, um von dort bis nach La Asuncion die Suche nach seinem Vater fortzusetzen.

»Du bringst das Schiff zu den Frailes-Inseln. Dort gehst du bis Samstag nacht vor Anker und nimmst mich wieder an Bord.«

»Keine gute Idee«, entgegnete der Panamese sofort.

»Warum?«

»Weil die Männer unruhig sind«, lautete die ehrliche Antwort. »Seit der Fahrt nach England, dem Aufenthalt auf Lanzarote und der Geschichte mit der Four Roses haben wir keinen roten Heller mehr gesehen. Mit Seeräuberei hat das nichts mehr zu tun, finden sie.«

»Was kann ich denn dafür, daß wir auf unserem Weg nur ein Sklavenschiff getroffen haben?«

»Wir hätten die Schwarzen verkaufen können«, befand sein Stellvertreter überraschend unbefangen.

»Ich handle nicht mit Sklaven.«

»Die meisten Männer sehen das nur als Verkauf einer Ladung. Wir haben vorher auch nicht mit Piken und Schaufeln gehandelt, doch dann war’s ein großartiges Geschäft, und nur das zählt.«

»Für dich auch?«

»Meine Meinung tut nichts zur Sache«, gab der andere ungeniert zurück. »Ich gehöre zu den Offizieren, schlafe in einer guten Kajüte und muß nur Befehle erteilen.« Er schüttelte den Kopf. »Doch die meisten Männer müssen mit einer Hängematte in einem heißen Verschlag unter Deck vorliebnehmen, stehen Wache oder klettern auf die Mäste und scheuern sich dabei die Hände wund, und der einzige Grund, warum sie dieses Leben ertragen, ist die Hoffnung auf eine gute Beute. Und wenn die ausbleibt, werden sie rebellisch.«

»Verstehe…«

»Verstehen allein genügt nicht. Du mußt es verinnerlichen. Jetzt bist du der Kapitän, und zunächst einmal mußt du die Besatzung bei Laune halten, wenn du nicht riskieren willst, daß man dich über Bord wirft.«

»Ich werde daran denken.«

Der Margariteno schloß sich in seiner Kajüte ein, dachte über drei Stunden lang nach und ging schließlich an Deck. Dort nahm er auf der Brücke Platz und ließ die gesamte Besatzung zusammenläuten.

Als alle versammelt waren und ihn erwartungsvoll anblickten, musterte er der Reihe nach ihre Verbrechervisagen und erklärte betont gelassen:

»In letzter Zeit ist es nicht sehr gut gelaufen, und ihr seid wahrscheinlich ungehalten, doch das wird sich ändern.« Er räusperte sich, um mit noch tieferer Stimme fortzufahren: »Ihr wißt, daß wir Ende Oktober haben. In einem guten Monat wird die Flotte aus Sevilla hier auftauchen…«

»Ich hoffe, du bist nicht auf den Gedanken gekommen, sie anzugreifen…«.warf Zafiro Burman sarkastisch ein. »Sie würden uns in Stücke schießen.«

»Nein!« antwortete er trocken. »So verrückt bin ich nicht!«

»Also was dann…?«

»Ihr müßt wissen, daß die Casa de Contratación zu dieser Zeit in La Asunción die meisten Perlen aufbewahrt, die das Jahr über gesammelt worden sind. Wenn die Produktion nicht zu sehr nachgelassen hat, dürften das über sechstausend sein.«

»Sechstausend!« rief einer erstaunt aus. »Nicht möglich.«

Der junge Kapitän Jacare Jack nickte nachdrücklich.

»O doch, wenn auch nicht alle von guter Qualität sind. Ich weiß, daß ein Schiff der Flotte sie an Bord nimmt, um sie nach Cartagena de Indias zu bringen. Dort kommen sie zu den Smaragden aus Nueva Granada, dem Gold aus Mexiko und dem Silber aus Peru.« Er ließ seine Männer eine Weile daran kauen und fuhr schließlich fort. »Ich habe vor, mir diese Perlen zu holen, bevor man sie fortschafft.«

»Wie soll das gehen?« wollte der erste Steuermann wissen, dessen Aufmüpfigkeit sich wieder im Auftrieb befand. »Niemand hat es je geschafft, La Asuncion anzugreifen.«

»Vielleicht weil es keiner aus Margarita versucht hat«, beschwichtigte Sebastian. »Ich verlange nur eins von euch: Habt eine Woche Geduld. Der Rest ist meine Sache.«

»Bist du sicher, daß du nur eine Woche brauchst?« wollte Nick Cararrota wissen.

»Ganz sicher.«

Er kehrte in seine Kajüte zurück, doch wenige Augenblicke später klopfte Lucas Castano an die Tür, trat ein und schloß sie hinter sich.

»Du riskierst verdammt viel«, war das erste, was er sagte. »Na schön, du hast ihnen die Beute schmackhaft gemacht und kannst jetzt deinen Vater suchen gehen, aber was wirst du ihnen nach deiner Rückkehr sagen?«

»Wenn ich die Perlen mitbringe, wird sich keiner beschweren.«

»Und falls nicht?«

»Dann schicken sie mich wohl zu den Haien.«

»Das siehst du ganz richtig!« versicherte der Panamese. »Du hast doch sicher einen Plan?«

»Natürlich.«

Der Panamese nahm auf dem Fensterbrett des großen Achterfensters Platz und musterte seinen unberechenbaren Kapitän wie ein Wesen von einem anderen Stern.

»Noch habe ich nicht herausgefunden, ob du der listigste Fuchs bist, dem ich je begegnet bin, oder der naivste«, murmelte er schließlich und ließ einen tiefen Seufzer hören. »Jedenfalls sitzt du auf dem Kapitänsstuhl, und das Schiff gehört dir. Ich hätte es in tausend Jahren nicht bekommen.«

»Und was heißt das deiner Meinung nach?«

»Entweder bist du wirklich der Schlauste, oder die Einfalt kann ein einträgliches Geschäft sein.«

»Na schön! Dann befiehl also Kurs auf Manzanillo. Wir werden sehen, was herauskommt.«

Nach Mitternacht betrat Sebastián Heredia ein weiteres Mal seine Heimatinsel. Nur in Begleitung von Justo Figueroa, einem rachitischen Krummbein, das mehr von einem schwindsüchtigen Straßenhändler als von einem Piraten an sich hatte, begab er sich auf einen Pfad, der sie zum übertriebenerweise sogenannten Königsweg führte, der den Norden der Insel mit La Asuncion verband.

Keiner achtete auf die beiden. In ihren abgerissenen Lumpen unterschieden sie sich kaum von den vielen hungernden Landstreichern, die in diesen Tagen von einem Ort Margaritas zum anderen zogen, um ihr Leben zu fristen. Die Zeiten wurden immer schwieriger, wie Hauptmann Mendana versichert hatte.

Der Verlust der Four Roses und ihrer kostbaren menschlichen Fracht hatte den ohnehin jähzornigen Don Hernando Pedrárias völlig aus der Haut fahren lassen. Um seine Verluste wettzumachen, verstärkte er nunmehr den Druck auf die darbende Inselbevölkerung auf geradezu absurde Weise.

Überall waren Klagen zu hören.

Leise zwar, aber Klagen.

Und Flüche.

Schmähungen und Flüche, die dem »Schwein Pedrárias« und der »Hure Matamoros« galten.

Unter ihresgleichen machten die am Boden zerstörten Margaritenos aus ihrem Herzen keine Mördergrube, wenn es darum ging, das »Schwein Pedrárias« für alles Ungemach, das sie ruiniert hatte, verantwortlich zu machen. Viele fragten sich, wie ein einziger Mann aus der ihrer Ansicht nach reichsten Insel der Erde ein Armenhaus hatte machen können.

Die unvorstellbar raffsüchtige Casa de Contratación schien nur ein Interesse zu haben: jedes Jahr noch größere Reichtümer nach Sevilla zu schicken. Millionen fielen dabei für die täglich zahlreicher werdenden unfähigen Schmarotzer ab. Der ehrgeizige Hernando Pedrárias schien alle Übel der Casa so sehr in sich zu vereinen, daß auf Margarita jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft erstorben war.

Viele Einwohner spielten mit dem Gedanken, aufs Festland auszuwandern, auch wenn die Nachrichten aus Cumaná nicht gerade vielversprechend waren.

»Die Casa ist wie Gott, der an allen Orten wohnt«, fanden die Skeptiker. »Und wenn sie dir keine Perlen rauben kann, dann saugt sie dir das Blut aus.«

Im Verlauf der Geschichte mochte es den Menschen gelegentlich gelungen sein, sich mit Gewalt von blutdürstigen Diktatoren oder grausamen Invasoren zu befreien, doch nie hatten sie es geschafft, die stille und unbarmherzige Tyrannei der Bürokratenheere abzuschütteln.

Kein Held konnte es mit dem Spinnennetz der Casa de Contratación von Sevilla aufnehmen. Denn falls wirklich einmal einer ihrer Gesandten plötzlich verschwand, wurde er sofort von einem obskuren Nachfolger ersetzt, der das dichte Netz noch undurchdringlicher webte. Die Casa war eine Hydra, der für jeden Kopf, den man ihr abschlug, zwei neue wuchsen.

Auf eine Hürde folgte die nächste, auf einen abweisenden Beamten ein noch unzugänglicherer, auf eine schnelle Ablehnung ein langes Schweigen und auf ein ewiges Schweigen wieder eine brüske Ablehnung.

Ein gordischer Knoten im tiefsten, von einer tausendköpfigen Hydra bewachten Labyrinth wäre leichter zu lösen gewesen als das komplizierte System, das eine unangreifbare Casa de Contratación entwickelt hatte, die sich nur von ihren eigenen Leuten berauben ließ. Es war nämlich kein Geheimnis, daß auf den Frachtbriefen der Schiffe, die man nach Sevilla schickte, nur ein Viertel der tatsächlichen Ladung an Gold und Edelsteinen auftauchte. Nur für dieses Viertel, das durch den Zoll ging, legte die Casa der Krone gegenüber Rechenschaft ab.

Die übrigen drei Viertel teilte die Casa unter sich auf.

Die logische Folge dieses Raubs lag klar auf der Hand: Margarita würde das gleiche Schicksal ereilen wie vor Jahren Hispaniola. Aus der ersten Kolonie der Neuen Welt war inzwischen eine weitgehend entvölkerte Insel geworden, deren Einwohner größtenteils vor dem unerträglichen Druck der Casa geflohen waren.

Einst schickten die steinreichen Zuckermühlen tonnenweise »weißes Gold«, das nach der Erschöpfung der Goldminen das gelbe abgelöst hatte, nach Spanien, doch die unerträgliche Steuerlast, die ihnen die unersättlichen Blutsauger der habgierigen Casa de Contratación auferlegten, hatte sie schließlich in den Bankrott getrieben, fetzt rosteten die Mühlen vor sich hin, während die riesigen aufgegebenen Zuckerrohrfelder bald massenweise von Wildschweinherden verwüstet wurden.

Kurioserweise hatte der Ruin des Zuckerhandels die Entstehung einer neuen florierenden Industrie zur Folge. Französische Einwanderer, die sich im äußersten Westen der Insel niedergelassen hatten, entdeckten bald, daß man die Wildschweine jagen und ihr Fleisch wie in der Heimat in einem boucan räuchern konnte. Dieses schmackhafte Räucherfleisch hielt sich monatelang, ohne zu verderben, und war daher bei Seeleuten sehr beliebt.

So entstand das neue Geschlecht der »Bukaniere«: ungeschlachte, schmutzige und übelriechende Männer, die in der Wildnis Hispaniolas Tiere jagten und sie in die Häfen einer Küste brachten, die von allen Schiffen der Antillen angesteuert wurde.

Doch wieder einmal war die habgierige Casa de Contratación nicht bereit, aus ihren unendlichen Fehlern zu lernen. Wenn die Schiffe Räucherfleisch brauchten, befand sie, sollten sie gefälligst den zähen, madigen und sündteuren Speck kaufen, den sie selbst aus Sevilla importierte, und um jegliche Konkurrenz loszuwerden, schickte sie Federico de Toledo mit einem Heer nach Hispaniola, um die mühsam ihr Leben fristenden Bukaniere zu vertreiben.

Die lange und unbarmherzige Hetzjagd führte dazu, daß die Bukaniere mit der Zeit Festungen auf der kleinen wilden Insel La Tortuga errichteten, die nur wenige Meilen nördlich von Hispaniola lag. Von dort führten sie blitzschnelle Überfälle auf die Zuckerrohrfelder Hispaniolas durch, um sich danach wieder auf Tortuga zurückzuziehen. Bald versorgten sich die Schiffe dort mit Proviant.

Im Lauf der Jahre stieg die befestigte Bucht von Tortuga zum reichsten, geschäftigsten und lebenslustigsten Hafen der Karibik auf, während zur gleichen Zeit das einst pulsierende Santo Domingo im Dämmerschlaf versank. Die Leiter der Casa kümmerte das allerdings herzlich wenig. Schließlich war die Neue Welt so riesig und ihre Schätze so unerschöpflich, daß es wenig ausmachte, wenn danach ganze Landstriche und Städte wie verwüstet dalagen.

Nun schien die Reihe an Margarita gekommen. Dort war die Perlenproduktion dramatisch zurückgegangen. Schuld daran waren nicht etwa plötzlich faul gewordene Austern, sondern die logische Tatsache, daß ein apathischer afrikanischer Sklave, der umsonst arbeitete, weder das gleiche Risiko einging noch den gleichen Ertrag einbrachte wie ein Taucher, der zwischen den Riffen geboren und aufgewachsen war und mit einem guten Tagelohn seine Familie ernähren wollte.

Die Casa de Contratación von Sevilla hatte nie begriffen, daß ein guter Tagelohn oft eine vorzügliche Investition sein konnte. Einem Tagelöhner konnte man nämlich nicht drei Viertel seines Gewinns rauben, ohne daß dieser protestiert hätte. So hatten sich in den Gassen von La Asuncion die gleiche Mutlosigkeit und Lethargie wie auf der übrigen Insel breitgemacht.

Wohl aus diesem Grund wurden Sebastian Heredia und Justo Figueroa, als sie an einem heißen Nachmittag La Asuncion erreichten, dort nur von fünf räudigen Hunden und einer Herde Schweine begrüßt.

Ansonsten herrschte Totenstille. Keine Seele wagte sich in diesen brütendheißen Stunden auch nur unter die schattigen Arkaden der alten Steinhäuser, und lange Zeit entdeckten sie lediglich einen Bettler, der im Schatten des mächtigen Franziskanerklosters schlief.

»Wie ein Friedhof…«, lispelte die traurige Gestalt von Justo Figueroa, der nur noch zwei Zähne hatte. »Ist’s hier immer so tot gewesen?«

Jacare Jack schüttelte den Kopf. Nur ein einziges Mal hatte er mit seinen Eltern die Stadt besucht, und damals war sie ihm wie der lebendigste Ort des Universums vorgekommen.

Der Verfall schien das Verwaltungszentrum der Insel ebenso erfaßt zu haben wie die Küstendörfer, und der Margariteno konnte sich nur wundern, wie fatal sich die falsche Politik einer Handvoll Personen auf das Wohl der Mehrheit auswirken konnte.

»Die sind verrückt«, murmelte er, während ihn eine stille Wut erfaßte. »Völlig verrückt!«

Sie ließen sich im Schatten eines riesigen Kapokbaumes nieder, der den ganzen kleinen Platz beherrschte, und warteten darauf, daß die Stadt am Abend aus ihrer traurigen Lethargie erwachen würde, doch nur zwei Dutzend Personen wagten es, ihre Häuser zu verlassen, obwohl eine frische, nach Blumen duftende Brise aus den Bergen wehte.

Schließlich ging Sebastián Heredia auf eine Gruppe alter Frauen zu, die ihre Stühle nach draußen gestellt hatten und gemeinsam an einer riesigen Decke stickten.

»Mit Verlaub…« fragte er so höflich, wie er konnte. »Könnt Ihr mir sagen, wo sich der Palast von Don Hernando Pedrárias befindet?«

Sie musterten ihn sehr unfreundlich, bis Sebastián geistesgegenwärtig hinzufügte:

»Ich habe ihm eine Beschwerde zu übergeben.«

Die feindselige Haltung war plötzlich wie weggeblasen.

»In diesem Fall mußt du dich in der Reihe anstellen, mein Sohn«, bedeutete ihm die älteste. »Sein Palast liegt zwei Straßen weiter unten, neben dem Rathaus. Doch er verläßt kaum das Haus seiner Hure Matamoros. Der Blitz soll sie treffen!«

»Und wo wohnt die Matamoros?«

»In einem Steinhaus am Ausgang des Tals, auf dem Weg nach Tacarigua. Du kannst es nicht verfehlen. Es liegt mitten im Wald und stinkt nach Schwefel.«

Er dankte ihnen freundlich und kehrte zu seinem krummbeinigen Begleiter zurück.

»Such dir ein Haus zum Schlafen, oder besser, spiel den Bettler, damit keiner auf dich aufmerksam wird. Und versuch herauszufinden, wie viele Soldaten das Lagerhaus der Casa neben dem Rathaus bewachen. Aber nimm dich sehr in acht!«

»Keine Sorge…« beruhigte ihn Justo Figueroa. »So wie ich ausschaue, wird mich keiner für einen Piraten halten, auch wenn ich mit einem Totenkopf tätowiert bin. Ich werde auf der Straße schlafen und ein Maisbrot essen.«

»Um so besser! Wir treffen uns morgen, hier und zur gleichen Stunde.«

Er verschwand in der engen Stampflehmgasse, die nach Tacarigua führte, und eine gute Meile nach den letzten Häusern erblickte er einen dichten Wald, über dessen Wipfeln die Kuppel eines offenbar luxuriösen Herrenhauses ragte.

Alles war friedlich und ruhig. Keine Menschenseele weit und breit, nicht einmal das ferne Bellen eines traurigen Straßenköters störte die Abendstille Margaritas. Mit fünfhundert Mann, schoß es Sebastian einen Augenblick lang durch den Kopf, konnte man die Paläste und Häuser dieser halbverlassenen Stadt plündern bis zur letzten Perle und zum letzten Maravedi. Schnell verwarf er diese Möglichkeit jedoch wieder, denn in der Stunde der Wahrheit konnte eine böse Überraschung auf ihn warten.

Niemand konnte mit Bestimmtheit wissen, wie viele bewaffnete Männer plötzlich durch die riesigen Portale ins Freie stürmen, wie viele Soldaten beim leisesten Anzeichen von Gefahr aus Santa Ana, Juan Griego, Tacarigua oder Porlamar zur Hilfe eilen würden.

Wer immer La Asuncion am unzugänglichsten Punkt der Insel gegründet hatte, mußte sich darüber im klaren gewesen sein, daß Feinde stets vom Meer kommen würden. Und wer die Stadt überfallen wollte, mußte wissen, daß er unweigerlich in eine Falle lief, denn an der Biegung jedes Weges, der zur Küste zurückführte, konnte der Feind im Gebüsch lauern.

Seit Sebastian Heredia mit seinem Vater auf Perlensuche gegangen war, wußte er nur zu gut, daß an jedem strategischen Punkt der Küste stets ein riesiger Haufen Holz aufgeschichtet war, den die Wachen beim geringsten Anzeichen von Gefahr anzündeten. Piraten und Korsaren waren immer die schlimmsten Feinde der Insel gewesen.

Die Casa de Contratación von Sevilla natürlich ausgenommen.

Vielleicht weil sich die Casa sicher glaubte und sie wußte, daß ihr Name allein ausreichte, um einem Einheimischen die verrückte Idee auszutreiben, ihre Schatzkammern anzugreifen, gab es in der Hauptstadt keine große Garnison. Die Casa zog es vor, die Festungen an der Küste so weit wie möglich zu verstärken.

Dabei waren sich sowohl die Casa als auch die spanischen Autoritäten in Westindien darüber im klaren, daß ihre Möglichkeiten, sich gegen die Überfälle von Fremden zu wehren, äußerst begrenzt waren. Die Neue Welt war viel zu riesig und zu vielfältig, als daß eine so kleine Nation sie gleichzeitig hätte erforschen, erobern und bewahren können.

»Wer viel rafft, verliert auch viel«, hieß es im Volksmund, doch die spanischen Autoritäten der damaligen Zeit schienen davon noch nichts gehört zu haben. Immer weiter drangen sie vor, um neue Länder zu unterwerfen und neue Reichtümer zu erschließen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daß die Antillen, der neuralgische Punkt, von dem alle Siege abhingen, inzwischen zur Achillesferse des spanischen Weltreichs geworden waren.

Zu Lande– und zu Wasser suchten sich Piraten, Korsaren, Bukaniere und Freibeuter zwischen Kuba und Portobelo, zwischen Campeche und Cumanä in aller Ruhe ihre Beute aus, ohne daß sich ihnen je eine spanische Flotte, die diesen Namen verdient hätte, in den Weg gestellt hätte.

Die Flotte, die große Flotte, die allmächtige Flotte, verließ einmal im Jahr Sevilla. Ihr Auftrag lautete nicht, in der Karibik feindliche Schiffe zu bekämpfen, sondern lediglich, die unermeßlichen Reichtümer, die in diesem Jahr in den Kolonien angehäuft worden waren, sicher nach Spanien zu bringen und sie nicht in räuberische Hände fallen zu lassen. Die Sicherheit der Bewohner der Neuen Welt scherte sie keinen Deut. Es zählte nur die Sicherheit der Schätze, für die sich die Bewohner dieser Neuen Welt abgerackert hatten.

In zwei Jahrhunderten hatte Spanien in der strategisch so wichtigen Karibik niemals eine auch nur annähernd so mächtige Flotte wie jene stationiert, die jedes fahr die Schätze nach Sevilla begleitete. Das hatte sicher damit zu tun, daß die Funktionäre der Casa für ein versenktes Piratenschiff weder eine Provision erhielten noch drei Viertel des Werts einsacken konnten, sehr wohl aber für jede Perle, jeden Edelstein und jede Unze Gold, die den Zoll in Sevilla passierte.

Bürokratische Inkompetenz sollte in der Geschichte Spaniens stets menschliche Großtaten in den Schatten stellen, doch niemals machte die Korruption der Beamten in so schändlicher Weise die Träume und den Ruhm der Helden des Landes zunichte wie in diesen zwei unseligen Jahrhunderten.

Was brillante Männer geschaffen hatten, wurde von blassen Männlein ruiniert, und die Insel Margarita machte da beileibe keine Ausnahme von dieser bitteren Regel.

Während Sebastián im stillen das Unglück beklagte, in einem gleichzeitig elenden und ruhmreichen Land geboren zu sein, nahm er auf einem Stein Platz, als wollte er sich nach einem langen und ermüdenden Weg ausruhen, und musterte seine Umgebung, um herauszufinden, wie man nach einem Angriff auf die Stadt wieder die ferne Küste erreichen konnte.

Die Nacht brach herein, als er zu dem Schluß gelangte, daß man verrückt sein mußte, La Asunción plündern zu wollen. Nachdem er ohne Appetit etwas Käse und Zwieback mit einem Schluck Wein zu sich genommen hatte, suchte er den Schutz des Waldes, um sich schlafen zu legen. Er brauchte Ruhe und wollte an nichts mehr denken.

Noch bevor sich vor der Küste von Pampatar, dem östlichsten Punkt der Insel, das erste Morgenrot abzeichnete, schlüpfte Sebastión bereits lautlos aus dem Dickicht des Waldes und kletterte auf eine dichtbelaubte Eiche, die über die hohe Umgebungsmauer der riesigen Hazienda hinausragte, holte sein Fernglas aus der Tasche und richtete es auf den Eingang des verrammelt wirkenden Hauses.

Auf einem kleinen Turm entdeckte er einen schläfrigen Wachposten, und kurz darauf trat ein Dickwanst, der aussah wie ein Koch, aus einer Seitentür, um sich auf einem Blumenbeet zu erleichtern.

Kaum hatte er einige Minuten spioniert, als direkt unter ihm eine rauhe Stimme erschallte:

»Komm runter da!«

Der Junge betrachtete die Person von oben, und sofort überfiel ihn ein seltsames Gefühl. Das war nicht mehr der schweigsame, abwesende Mann, um den er sich so viele Jahre gekümmert hatte, denn seine Augen leuchteten ganz anders und seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln.

Sebastian sprang zu Boden, sie umarmten sich, und dann sah er sich den Mann genauer an. Kein Zweifel, das war der Mann, mit dem er in Juan Griego auf Perlensuche gegangen war, und nicht die traurige Gestalt, die auf der Jacare Macheten geschliffen hatte.

»Was ist nur mit dir passiert?« wollte er wissen. »Du scheinst ein anderer Mensch zu sein!«

»Das bin ich auch!«lautete die fröhliche Antwort von Miguel Heredia Ximénez. »Vor allem jetzt, wo du hier bist.« Er kniff ihn voller Freude in die Wangen. »Allerdings hast du länger auf dich warten lassen, als ich dachte.«

»Warum wartet nur überall alle Welt auf mich«, beschwerte sich Sebastián. »Ist das, was ich tue, so leicht zu durchschauen?«

»Nein«, beruhigte ihn sein Vater und umarmte ihn. »Doch als ich erfahren hatte, daß dein Schiff in Porlamar vor Anker gegangen ist, war ich sicher, daß du kommen würdest. Ich erwarte dich schon seit Wochen.«

»Was ist in dieser Zeit geschehen, das dich so verändert hat?«


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