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Lügendetektor
  • Текст добавлен: 20 сентября 2016, 19:11

Текст книги "Lügendetektor"


Автор книги: A. I. Nebelkrähe



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Schura schlenderte durch die Hauptstraße. Er bemerkte ein hübsches Mädchen, das auf einer Bank sitzend ihn mit großem Interesse betrachtete. Da fühlte Schura sich unter diesen Blicken geschmeichelt. Er dachte, dass er nicht umsonst seine einzige Jeans momentan trug. Diese Jeans schenkten ihm seine Eltern. Selbst war er nicht imstande, die zu kaufen, weil die drei seine Monatslöhne am Schwarzmarkt kosteten. Schura war es bekannt, dass er in Jeans ausgesprochen imposant aussah, besonders im „Dorf“, wie er Schachty nannte. Er ging schon dreimal am Mädchen vorbei. Es gefiel ihm, aber er wusste nicht, wie er es kennenlernen sollte. Am vierten Vorbeigang verstand das Mädchen sein Problem und fragte ihn nach Feuer. Schura war sehr erleichtert und sie rauchten zusammen. Das Mädchen, dessen Name zufällig Lena war, sagte, dass sie als Verkäuferin im naheliegenden Laden arbeitete. Schura seinerseits erzählte ihr über wichtige Arbeit, die er fürs Institut erfüllte. Ein Wort gab ein anderes und so kamen sie zu zweit in einen Laden, kauften „Solnzedar“ und Schmelzkäse (die oben genannten Klassiker), danach landeten sie irgendwie in einer Datscha (für diejenigen, die keine DDR-Erinnerungen haben – Schrebergarten), die Mädchens Eltern gehörte. Nachdem alles getrunken und gegessen war, versuchte Schura sein Glück. Doch weiter als Petting kam es nicht. Das Mädchen hatte nichts dagegen und war einverstanden. Sie spielte das Ritual wie es sein sollte, sagte „Nein“ wo es zu einer anständigen Dame gehörte, aber sie trieb nicht über. Sie machte es so, wie sie es immer machte. Diesmal ohne Ergebnis. Schura wurde die Regeln nicht bekannt. So quälten sie sich die ganze Nacht durch. Am Morgen, verschlafen und erschöpft, vereinbarten sie noch ein Treffen, diesmal in Schuras Hotel.

Die kluge Lena besprach den traurigen Fall mit ihren Freundinnen und es wurde entschieden, dass sie selbst ihr Schicksal in Hände nehmen musste. Sie kam wie versprochen ins Hotel, küsste Schura kurz, ohne Umschweife zog sich und ihn aus und warf Schura aufs Bett. Dann erlebte Schura das, was er noch nie im seinen Leben erlebte und was er keineswegs mit seiner Frau wiederholen wollte. Das alles entsprach Schuras Vorstellungen von Orgien der alten Römer (heutzutage wilder Sex genannt). Drei Stunden später lagen sie kraftlos im Bett und rauchten. Dann zog sich Lena an, versprach Morgen zu kommen und ging weg.

Schura duschte sich und sichtete erschreckt einen Knutschfleck am Hals. Das könnte seine Lena entdecken! Er mied die Skandale wie es nur möglich war. Was sollte er nun tun? Jedes Glied seines Körpers tat weh, und besonders ein besonderes Glied. Schura wurde plötzlich bewusst, dass ein neues Treffen mit Lena (andere Lena, nicht die Frau) zu einem Fiasko führen könnte. Er konnte nicht mehr! Er brauchte eine Pause, am liebsten einen Urlaub. Und was würde Lena dann sagen, wenn er versagt? Und was sagt Lena (die Frau, nicht die andere Lena)? Nein, so was soll niemals passieren! Schura zog sich an, nahm seinen Koffer, bezahlte die Hotelrechnungen und fuhr nach Rostow zurück. Seine verschlafene Frau sah ihn überraschend an, weil er in drei Tagen kamen musste. Schura erzählte irgendeinen Unsinn und schlich ins Bett. Weitere zwei Wochen verbrachte er in totalem Zölibat, in Pyjama schlafend. Schura schwor sich, dass er nie mehr Seitensprung machen würde. Er hielt sein Wort. Schura hasste unvorhersehbare Abenteuer. Er brauchte keine Frau zur linken Hand.

Auf einmal zerbrach die Sowjetunion. Als erste Folge wurde Schura entlassen, dann seine Eltern, dann Schwiegervater. Zum ersten Mal im Leben hatten Schura und Lena kein Geld, um zu leben. Die Pflege des Kindes übernahmen Opa und Oma, aber sie waren nicht imstande, noch dazu um Schura zu kümmern. Jobs, die Schura und seine Gattin fanden, konnten sie nicht ernähren. Weil die Familie es nicht daran gewöhnt war, Geld zu sparen, traf sie die erste Finanzkrise sehr hart. Manchmal hungerten sie. Aus dem dunklen Tal des Leidens rettete sie ein Glücksfall: Schura entdeckte ein Inserat, wo geschrieben stand, dass man `ne Pflegehilfe für die Arbeit in England brauchte. Man versprach volle Pension und noch fünfzig Pfund monatlich dazu. Schura besprach begeistert den Vorschlag mit seiner Frau. Hundert Pfund waren damals eine große Summe. Hundert Pfund gefiel Lena auch und sie dachte, dass sie die Gunst der Stunde in England auch gut nutzen könnte. Nur eine klitzekleine Hürde stand der Karriere zukünftigen Pflegehelfer im Wege – sie waren kein Englisch so richtig mächtig. Aber wer interessiert sich dafür? Man könnte sich mit Gestik genauso gut verständigen. Am nächsten Morgen liefen sie zur Agentur, unterschrieben den Vertrag für ein halbes Jahr. Sie wurden verpflichtet, um eine alte Lady, die im Londoner Vorort wohnte, zu kümmern. Zu ihrem Glück suchte alte Lady genau zwei Pfleger.

Die Agentur erledigte ihre Angelegenheiten im Handumdrehen und in einem Monat, erschöpft und verängstigt, standen sie im Flughafen Heathrow. Sie waren noch nie im Ausland und die Gefühle überwältigten sie. Beide hatten keine Ahnung, was sie weiter machen sollten. Dann sahen sie einen Mann in indischer oder pakistanischer Kleidung, der ein kleines Schild hielt. Am Schild schrieb man mit Hand Ogelevky. Niemand kam auf dem Mann zu und das Ehepaar zu guter Letzt kapierte, dass der Mann auf sie wartete, was auch der Fall war. Sie kamen ins Gespräch und der stellte sich vor als Atanas Nalbandjan, der Geschäftsführer der Arbeitsvermittlungsagentur. Taktvoll verschwieg der Geschäftsführer, dass er der einzige Angestellte der Agentur war. Schura und Lena konnten ihn schlecht verstehen. Sie verstanden Queen's English nicht besonders gut und ganz und gar nicht dieses Cockney, gesprochen vom diesen Pakistaner oder Inder. Wie dem auch sei, sie kamen mit ihm zu seinem Auto. Mit so altem Gerümpel hätte sogar in Russland niemand fahren gewagt, aber Atanas zeigte ihnen durch heftige Gestik und noch heftigere Rede, die er auf eine für ihnen unbekannte Sprache hielt, dass alles O.K. wäre. Es dauerte eine gute Weile, bis sie an das Ziel kamen. Sie stiegen vor einem zweistöckigen Haus, das mit grüner Farbe gestrichen war, aus. Der Geschäftsführer der Agentur stellte sie ihrer Arbeitgeberin vor und war gleich futschikato.

Das war ein typisches englisches Haus. Es hatte drei Stöcke, war aber nur drei Meter breit. Die Küche und alle andere Utilities waren im Grundgeschoss, Mrs.Thetchler residierte im ersten Stock und sie dürften den zweiten Stock nehmen. Da waren noch Zeiten, als man Russen überall liebte, wenn auch das heute nur schwer vorstellbar ist. Mrs.Thetchler liebte Russen auch, obwohl sie niemals in ihrem Leben einen einzelnen von ihnen sah. Russische Literatur, als auch die gesamte Kultur, gingen wohl an ihr vorbei. Sie war aber froh, dass Russen sich von Kommunismus befreiten. Weil sie so lange unterm barbarischen Joch waren, dachte sie, dass es Russen an guten Manieren und allgemeine Kultur mangeln sollte. Mrs.Thetchler konnte nicht dem ganzen Russland eine Wohltat erweisen, aber ein paar Menschen zu zivilisieren wäre es möglich. So meldete sie sich vor kurzem bei Agentur von Mr.Nalbandjan, erkundigte sich über die Bedingungen. Die Preise begeisterten sie. Mrs.Thetchler bekam eine Pension für ihren verstorbenen Mann und konnte sich ein Dienstmädchen nicht leisten. Aber wenn es Russen wären... Für zwei hundert Pfund könnte sie doch zwei haben. Vielleicht würden sie nicht so geschickt, wie ein englisches Dienstmädchen, nun zu zweit könnten sie gewiss alles erledigen (dieses englische Dienstmädchen wäre sowieso ein dunkelhäutiges Mädchen – es ist alles Jacke wie Hose). XX XXX XX XXXXXX XXX XXXX XX XXX XXXXXXXXX XX XXX XXXX XXXXXXXX XXXXXX.

Mrs.Thetchler empfing ihre neue Hilfskraft vor der Tür, sagte kurz Hallo und schickte sie in die Küche. Zuerst musste man diese Bären in ihre Schranken weisen. Kurz und bündig, mit strenger Stimme, teilte sie ihnen den Plan der Veredelung von Wilden. Der Plan beinhaltete die Formierung der Angewohnheit zum sparsamen Leben (dazu ließ sie spezielle Zähler einbauen, die die Benutzung von Heizung, heißes und kaltes Wasser, Strom nur gegen Einwerfen von Münzen ermöglichen). Der nächste Punkt konzentrierte sich auf richtiges Essen, das auf einzige gute Küche, nämlich, englische Küche, basieren sollte (man weiß nie, was sie da in Russland so was zum Essen haben!). Der dritte Punkt thematisierte die richtigen Manieren, die man per tägliche Übungen beibringen musste. Die zu bekehrenden Russen schauten sie mit breit geöffneten Augen. Sie verstanden überhaupt nichts. Mrs. Thetchler sprach Cockney und so viele Worte beinhaltete Nogilewskij's Thesaurus sowieso nicht. Das war aber nicht von Bedeutung. Mrs. Thetchler zeigte den Russen ihr Zimmer und Zählerbedienung. Dann verlangte sie von ihnen in einer Stunde in der Küche zu sein. XXX XXXXX XX XXX XXX XX XXXXXXXX XX XXX XXX XX XXX XXX XXX XX XXXXXXXXXXXXX XXXX XX XXX XXXXXXXXX XX XXX XXX XXX XX XXXX XXXXXXXXX XXXXXXXXXX XX.

Die Einführung in englische Kochkultur begann mit Fish ’n’ Chips. Weil Mrs. Thetchler der Meinung war, dass auch Männer zu ordentlicher Küche gehören, mussten alle zwei Russen Kochkunst erlernen. Beide waren nicht begeistert. Erstens fanden sie, dass gebratener Meeresfisch stinkt. Zweitens versuchte Schura Mrs. Thetchler zu erklären, dass Fish ’n’ Chips keineswegs ein Nationalgericht des Vereinigten Königreiches sein könnte, weil dieses Gericht mit jüdischen Immigranten am Ende des neunzehnten Jahrhundert nach England kam. Mrs. Thetchler verstand nur wenig von seinem Gerede, aber was sie verstand, gefiel ihr nicht. Wie wagte dieser Affe von Russen, aus dem man einen Mensch erst entwickeln sollte, ihre nationalen Gefühle so zu beleidigen! Jetzt wurde ihr klar, wie streng im Umgang mit Russen sie sein musste. Von dieser Entscheidung trat sie das nächste Halbjahr keinen Schritt weg.

Mrs. Thetchler war sehr erfinderisch. Sie ließ den Russen keine Minute frei, um zu faulenzen. Hundert Pfund musste man mit Fleiß und Schweiß verdienen. Die Russen putzten, kochten, bügelten, wuschen den ganzen Tag durch und abends mussten sie mit Mrs. Thetchler zusammen TV-Shows schauen, um echte Kultur einzusaugen. Der Prozess der Kulturbeibringung ging nur schleppend fort – Russen zeigten keine Begeisterung beim Fernsehen genauso wie beim Aufessen von Fish ’n’ Chips. Mrs. Thetchler fürchtete, dass sie zu optimistisch war und dass der Frist von einem halben Jahr zu kurz würde, um aus Russen zivilisierten Menschen aufzupäppeln. So sagte sie seiner Nachbarin, Mrs. Butscher, dass sie sich in Russen enttäuscht war, sie taugten zu nichts.

Die Russen waren auch total enttäuscht. Sie konnten diese Mrs. Thetchler kaum noch länger ertragen. Die Frau war dumm, abgesehen davon, dass sie immer wieder etwas plapperte, was ein Normalsterblicher kaum verstehen könnte. Das Essen war unerträglich. Beide hassten Fish ’n’ Chips, Shepherd's pie, Bangers and mash, Arbroath smokie, Yorkshire pudding und Cornish pasty. Sie hassten sogar Ale. Ihrem Geschmack nach schmeckte es, als ob man einen Krug mit Bier vergaß und drei Tage danach das zu trinken versuchte. Außerdem stellte Lena fest, dass hundert Pfund in London überhaupt kein Geld war. Um etwas Schönes zu kaufen, brauchte man viel, viel mehr. Sie hatten jetzt keine Illusionen über Ausland, Kapitalismus und England im Besonderen. Sogar ihr Englisch konnte nicht verbessert sein, weil sie nur mit Mrs. Thetchler und Verkäufer in Läden unterhielten und sie alle Cockney sprachen. Sie konnten es kaum erwarten, nach Russland zurückzukehren. Nach ihrer Abfahrt sagte Mrs. Thetchler seiner Nachbarin, Mrs. Butscher, dass Russen undankbare Wesen sind und dass sie ihnen nie mehr hilft und dass diese Asiaten waren, sind und werden für immer und ewig Barbaren bleiben. Jeder Mensch an der Erde muss englische Cuisine mögen und Englisch fließend sprechen, sonst müssen Engländer fremde Sprachen lernen, aber dieser Gedanke wäre doch lächerlich und nicht der Rede wert.

Ehepaar Nogilevskij kam nach Rostow genauso ohne Geld nach Englischreise, wie vor Englischreise. Schura genoss warmes Klima und gespannt dachte daran, wie er zum Geld kommen könnte. Er kam zur Idee, dass man sich so nah wie möglich zur Geldquelle heranschleichen musste. Und wer sitzt dieser Quelle näher, als ein Buchhalter? Er entschied sich als Buchhalter ausbilden lassen. Diese Entscheidung war auch ein Fehlschlag. Schura war zu diesem Job total ungeeignet. Er mochte Mathe nie, machte Fehler, konnte sich nicht konzentrieren und war nach einen Monat entlassen. Das könnte zu schweren Konsequenzen führen, aber die Wirtschaftssituation sah in Russland schon anders aus.

Es begann eine der größten Betrügereien in russischer Geschichte – Privatisierung. Alle Bürger bekamen sogenannte Voucher. Und zwar umsonst. Jeder konnte mit solchem Voucher einen Anspruch auf beliebiges Staatseigentum erheben. So war die Theorie. Was einer Voucher wert war, erkannten Schura und Lena bald, wenn sie seinem Kind einen Wintermantel zu kaufen versuchten: Schuras Voucher reichte für den linken Ärmel, Lenas Voucher für den rechten Ärmel, andere Teile des Wintermantels wurde mit den Rest des Geldes von Mrs. Thetchler bezahlt. Mit den Voucherverkauf verabschiedeten Nogilevskjy Familie vom Traum „Alles gehört dem Volk – alles gehört dir“. Ihnen gehörte jetzt gesetzlich gesehen überhaupt nichts, genauso wie fast allen anderen Bürgern der Russischen Föderation.

XXXXXX XX XXX XXXXX XX XXXXXXXX XXX XXXXXX XX XXX XX XXXXXX XX XXXXXXXXXXXXXXX XXX XXXXX XXXXXXXXX XX XXX XXX XX XXXXXXXX XXX XXXXX XX XXX XXXXXXXXXXXX XX XXX.

Um ganz ehrlich zu sein, existierten noch im Russland viele Fabriken, Ölfelder, Eisenbahnen, Schiffe und Raketen dazu. Jemand musste sich um das alles sorgen. Aber nicht jeder war dafür geeignet. Besonders fähig waren aber Leute, die schon Erfahrungen in diesem Gebiet hatten, nämlich ehemalige Parteifunktionäre, Komsomolfunktionäre, Staatsangestellte u.s.w. – alle, die früher höhere Positionen bekleideten. Niemand fragte sie danach, doch ihr Gewissen und Verantwortungssinn zwangen sie alles auf sich zu nehmen und diese Bürde zu tragen – alle diesen Fabriken, Ölfelder, Eisenbahnen, Schiffe und Raketen dazu. Sie taten das, unbezweifelbar, nur zu Gunsten des materiellen Wohlergehens des russischen Volkes.

Irgendwie und irgendwo rätselt man, wie wird ein Mensch aus UdSSR in einem Jahr zu Milliardär? Gab es in ehemaliger Sowjetunion so viele Finanzgenies? Man kann sich nicht vorstellen, dass das ganze Eigentum den verschiedenen Gruppierungen der Nomenklatura – so nennt man russisches bürokratisches System – gehört, aber keinem von sogenannten Milliardären, die meistens nur Strohmänner sind. Man musste gute Beziehungen haben, um zu einer Gruppierung zu gehören. Man zählt bei dieser Gruppierung nur eines – Loyalität. Totale Loyalität. Immer noch ist das keine Mafia, was auch man nolens volens glaubt. Man benutzt mal Kriminelle, um schmutzige Arbeit zu erledigen, aber das ist nicht so wichtig. Von Belang ist, dass man Puppenspieler nicht kennt und es gibt fast nie nur einer Puppenspieler, sondern immer mehrere – ein Kollektiv. Das sind keineswegs bekannte Milliardäre. Was man im Westen nicht verstehen kann, dass ein Milliardär zu sein bloß eine Arbeit ist, eine Dienststellung. Man wird zu diesem Posten ernennen und von diesem Dienst suspendiert. Ein russischer Milliardär ist nur ein Pressesprecher der Gruppierung, die hinter ihm steht. Man kann doch einen Pressesprecher leicht wechseln, oder?

Schuras Schwiegervater hatte gute Beziehungen und wurde mal eingefordert, in einer Holding seinen Platz zu nehmen. Das Hauptgebiet der Holding war Handel mit Sonnenblumenkernen und Sonnenblumenöl. Niemand wusste, dass das so profitabel würde. Um zu arbeiten, brauchte Holding Geld. Wo nimmt ein Unternehmen Geld, wenn es das braucht? Natürlich von einer Bank. Die, seinerseits, nimmt das Geld vom Staat. Der junge kapitalistische russische Staat gab Unmenge von Geld aus. Wenn man Beziehungen hatte, dann organisierte man eine Bank, bekam Geld von Staat, verteilte das und machte Pleite. Alle waren zufrieden, sogar Staat kümmerte sich nicht besonders darum. So taten aber nur wenig ambitionierte Menschen, die bloß ein paar Millionen Dollar wollten. Mit gestohlenem Geld emigrierten sie aus dem Land. Diejenigen aber, die mehr wollten, investierten in Wirtschaft. Noch gemütlicher konnte man das tun, wenn man seine eigene Bank hatte.

Der Nogilewskijs Schwiegervater organisierte solch eine Bank und brauchte einen Direktor fürs Unternehmen. Gleich erinnerte er an seinen Schwiegersohn, der ohne Arbeit in Rostow auf einen Posten spitzte und konnte seine Familie nicht ernähren. Er wurde nach Moskau umgesiedelt, bekam eine Wohnung und wurde zum Bankdirektor. Er hatte nur eine einzelne Aufgabe – notwendige Papiere zu unterschreiben. Es gab in Holding andere Menschen, die Buchhaltung führen. Schura versuchte mal Dokumente, die er unterschrieb, zu lesen, war aber vom Schwiegervater abgeraten. Der Letzte sagte, dass es keinen Sinn ergibt, weil das mit Realität nichts zu tun hatte. Schura erwiderte, dass er doch irgendwie wissen solle, was er unterschreibt, weil man ihn wohl dafür in Knast einlochen könnte. Der Schwiegervater antwortete ganz vernünftig, dass in Russland niemand eine Versicherung gegen entweder Knast oder Armut hat. XXX XXX XX XXXX XXX. Wennschon, dennschon.

So saß Schura samt Verwandten in der Bank. Eines Tages kam er zur Idee, dass ein Bankdirektor sehr solide aussehen würde, wenn vor seinem Namen einen Doktortitel stünde. Von Tag zum Tag fand er diese Idee immer mehr und mehr attraktiver. Er begann Wege zu suchen, diese Idee zu realisieren. Schura wusste, dass er selbst keine Dissertation schaffen könnte. Das machte aber nichts. Er hörte von Freunden, dass es so viel diejenigen gibt, die diesen Titel schon besaßen, doch nichts zu essen hatten. Bei denen konnte man sich eine Doktorarbeit machen lassen und die Preise waren sehr vernünftig. Man sollte nur ein Fach wählen, in welchem man promovieren wollte. An das Fach dachte Schura den ganzen Monat nach. Er war ein Historiker, dennoch wäre es anständig für einen Bankdirektor solch einen Doktortitel haben? Rhetorische Frage. Vielleicht wäre es besser, ein Doktor in Wirtschaftswissenschaft zu sein?

Schura wurde einem Leiter des Lehrstuhls der Wirtschaftswissenschaft vorgestellt. Er übergab ihm zwei tausend Dollar für das gesamte Paket. Der Leiter des Lehrstuhls lud einen Dozenten ein und übergab ihm sieben hundert Dollar. Der lud drei Studenten ein und übergab ihnen ein hundert Dollar. In vier Monaten waren die Studenten mit der Dissertation fertig. Noch einen Monat brauchte der Dozent, um den Promotionsvortrag zu schreiben, genauso wie die Fragen, die der Promovierende gefragt werden würde und die passenden Antworten dazu. In noch einem Monat organisierte der Leiter des Lehrstuhls die Promotion. Schura las stotternd zum ersten Mal seine Rede und man verlieh ihm die Doktorwürde. Jetzt erledigte er fast alle seine Träume.

So sitzt Schura samt seiner Frau und Mutter in einer Wohnung hinter vergitterten Fenster und zwei gepanzerten Türen. Die Wohnung besitzt ein hochentwickeltes Überwachungssystem, aber kein anständiges Firmenschild, bloß ein Stück Papier mit handgeschriebenem Wort „Bank“. Einmal pro Tag kommt ein Kurier mit einem gepanzerten Auto an. Er bringt Papiere. Einige sind zu unterschreiben, andere zu lagern. Die Bankiersfamilie erledigt die Arbeit innerhalb einer Stunde vollständig, danach haben sie nichts zu tun. Von Zeit zu Zeit besucht Schura andere Banken oder Versammlungen des Vorstands der Holding. Er meidet Kontakte mit Presse und, auf alle Fälle, mit seinen früheren Bekannten. Wenn der Bankarbeit fertig ist, surft Schura im Internet und sucht seine Kommilitonen und Mitschüler. Er untersucht gründlich ihre Fotos und ist sehr zufrieden, wenn die Menschen auf Fotos schlechter, als er, aussehen. Schura verfolgt ihre Karrieren und ist besonders neidisch, wenn jemand seine Karriere als Historiker machte. Dann erzählt er irritiert seiner Frau, dass er vielleicht eine bessere Karriere gemacht hätte, wenn ihr Vater ihn nicht zum Bankier zwängte. Deswegen gibt es ab und zu Zoff in der Familie.

Heute geht es genauso, wie immer, das heißt – genauso monoton. Um elf Uhr soll der Kurier ankommen. Es ist aber schon viertel nach elf und noch kein Kurier ist da. Schura denkt, dass er Hauptquartier anrufen sollte. Er hat strenge Instruktionen für solche Situationen. Er wählt schon die Nummer, als er das Auto des Kuriers hört. Schura schaut einen Display an und sieht, wie der Kurier aus seinem Auto steigt und der Banktür nähert. Schura öffnet die Tür und Kurier kommt hinein. Das ist nicht der Mann, der jeden Tag erscheint, aber er erinnert Schura an irgendjemanden. Schura fragt, was mit Swetosar – so heißt der gewöhnliche Kurier – passiert ist. Der neue Kurier sagt, dass dem Swetosar mau ist, deshalb ist er dran. Er übergibt Schura die Papiere und der Letzte beginnt sie zu unterschreiben. Schuras Mutter lädt der Kurier in die Küche ein und schenkt ihm eine Tasse Kaffee ein. Plötzlich hört Schura, dass irgendein großes Gegenstand fällt zum Boden in der Küche. Er fragt seine Mutter, was dort passierte. Der neue Kurier sagt, dass seine Tasse ist gefallen. Schura unterschreibt die Papiere weiter. Er hört, dass der Kurier kommt aus der Küche und spricht mit Lena. Dann wird es still. Dann hört Schura Röcheln aus Lenas Zimmer. Schura wird stutzig, er steht auf und geht ins andere Zimmer. Er kann nicht begreifen, was er sieht. Seine Frau liegt am Boden und der Kurier beugt sich über sie und prüft offensichtlich ihren Puls. Schura kann sie nur von hinten sehen. Erschrocken entdeckt er neben ihr eine Pfütze Urin, die wird immer größer. Schura fragt: Was ist passiert? Der neue Kurier antwortet: Sehen Sie selbst. Schura kommt näher, beugt sich hin und sieht einen roten Streifen am Lenas Hals. Sie atmet nicht. In diesem Moment merkt er, dass der neue Kurier in einer Hand einen seltsamen Gegenstand hält – ein Stück Stahldraht zwischen zwei hölzernen Stielen. Garotte – erinnert Schura plötzlich. Der neue Kurier macht einen Schritt zu ihm, legt augenblicklich die Garotte um Schuras Hals und beginnt ihn zu würgen. Schura versteht nichts, versucht aber sich abzuwehren, doch der Kurier ist sehr kräftig. Sie kämpfen und Schura sieht die Füße seiner Mutter, die aus der Küche herausragen. Schura kann nicht mehr atmen, er fühlt höllische Schmerzen, Blut pocht ihm in den Schläfen. Jetzt erinnert er daran, wohin er diesen Kurier kennt. Diese verfluchte Buchhalterausbildung! Er kann dieser Gedanke nicht beenden...

Schura Nogilevskij ist tot, mausetot.


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