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Lügendetektor
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Текст книги "Lügendetektor"


Автор книги: A. I. Nebelkrähe



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1.7.txt

Igor Mechtar kommt nach der Arbeit nach Hause. Er lehrt als Privat-Dozent am pädagogischen Institut der Rostower Uni. Allerdings nicht als Philosoph, sondern als Psychologe. In den letzten Jahren entdeckte er für sich die Primärtherapie von Arthur Janov und wurde von Urschrei so begeistert, dass er Philosophie ganz vergaß. Leider teilen nur wenige Leute seine Vorliebe zu Janov. Deswegen wird Igor immer verspottet, indem man ihm allerhand Schnuller zum Tag der Sowjetarmee, der in Russland als Männertag gilt, schenkt. Obendrein ist es irgendwie beleidigend, der einzige zu sein, der keinen Doktortitel hat. Alle Kommilitonen und jüngere Kollegen sind schon seit langem Doktoren und wollen keineswegs der Gefälligkeit verpassen, ihn daran zu erinnern.

Das Igors Schicksal hatte seine Höhe und Tiefe. Es dauerte nicht zu lange, bis er feststellen konnte, dass Buchhaltung dennoch nicht seine Sache war. Er kündigte den Job und verlass gleichzeitig Rostow und seine Frau samt Kind (Kegel abgesehen). Igor fuhr nach Moskau, wo er zusammen mit seinem Bruder in Waffenhandel einsteigen wollte. Sie hatten schon zwei gutgehende Geschäfte, als es sich herausgestellt wurde, dass ohne den Segen der Mafia keine Waffengeschäfte laufen könnten. Die durchtrainierten jungen Leute von Mafia erklärten den Gebrüder sehr verständlich, dass sie nur in Falle den freiwilligen Verzicht von neunzig Prozenten der Profit am Leben bleiben dürfen. Dann spürte Igor, und zwar deutlich, dass moskauer Klima ihm überhaupt nicht passt und kam zurück nach Rostow.

Es erübrigte sich zu sagen, dass das moskauer Abenteuer seine Spuren hinterließ. Igor fühlte sich jetzt als echter Businessman und als solcher öffnete einen Laden, wo er Markenledertaschen zu verkaufen versuchte. Es gab nicht genug kultivierte Leute in Rostow, um hochqualifizierte Lederbearbeitung zu schätzen, immerhin gelang es ihm, sich nicht Bankrott zu machen, und er hielt sich über das Wasser. Er hat wieder verheiratet. Das war eine seiner Kommilitoninnen. Zusammen mit Befriedigung alter Reiz bekam Igor die Möglichkeit seinen Erfolg zu demonstrieren, weil seine Gemahlin mit alten Freunden gut vernetzt war. Er besaß zwar keinen Mercedes, aber demonstrierte gern hin und wieder den passenden goldenen Schlüsselanhänger seinen ehemaligen Kommilitoninnen.

Letzten Endes lief alles wieder gut, er wurde zu Mitglied der „Einiges Russland“ Partei. Er hatte jetzt ein ganz neues Bild von sich selbst – aber Igor war auf gar keinen Fall überkandidelt. Sein Haus besuchten viele Gäste, auch die, die keinen Erfolg vorweisen können. Ein besonderes Vergnügen war ihm diesen Armen (die nicht von dieser Welt waren) klein Geld zu spendieren, damit diese Armen sich mit Taxi nach Hause kutschieren ließen. Igor sah sich selbst als einen erfolgreichen, klugen, großzügigen, unternehmungslustigen Mann vor.

Alles war samt und sonders schön und gut, inmitten seinem Glücklichsein passierte Default. Inflation vernichtete alles, was man hatte. Niemand konnte jetzt sich Markenledertaschen leisten. Igor war pleite. Er löste seine Ehe auf und fuhr nach Moskau.

Diesmal ging es nicht so gut. Sein Bruder war im Knast und Mafia gönnte ihm keine Lizenz zum Waffenverkauf. Das Leben begann zum Alptraum zu tendieren. Inzwischen begegnete er einer Frau und heiratete sie. Die Frau wohnte in der Moskauer Region, in der Stadt Lüberzy, und arbeitete als Gefängniswärterin. Igor pflegte ihr zu sagen, dass sie die Arbeit nach Hause mitbringt, weil er sich als Häftling fühlte. Sie antwortete immer, dass Ordnung muss sein.

XX XXXXXXXXXXXXXXX XXX XXXXXXXXXXXXX XX XXX XXX XX XX XXX XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX XXX XX XXXXXXX XXX XXX XX XX XXX XXXXXXX XXXXXXXXXXXXX XXXXXXXXXX. Igor konnte keinen Job finden. Sie wohnten am Rand der Stadt, in einem kleinen Eigentumshaus und er begann um Gemüsegarten zu kümmern. Dabei dachte er, dass Imperator Diokletian auch seinen eigenen Kohl anbaute. Vielleicht war Diokletian als Gärtner mehr begabt, aber Igors Kohl wollte nicht gedeihen, genauso wie Möhren und Gurken. Nur Krautrübe war einverstanden sich weiter zu entwickeln, aber gerade Krautrübe hasste Igor. In Südrussland gibt es keine Krautrübe und er war schlicht und einfach nicht daran gewöhnt, so was zu verzehren.

Gerade zwischen einigen Gartenpflegeseancen entdeckte Igor für sich die Primärtherapie von Arthur Janov und war bezaubert von ihr. Er übte Urschrei im Garten und erschrak die ganze Nachbarschaft. Die fragten seine Frau, ob ihr Mann unter ungewöhnlich starke Verstopfung litt. Nach der kurzen Unterhaltung mit ihrem Ehemann (dank ihrer langjährigen Berufserfahrung als „Psychologin“, die mit Insassenerziehung beschäftigt war) konnte der frisch bekehrte Psychotherapeut keinen Mucks mehr von sich geben. Von diesem Moment an wagte er den Urschrei nur im Keller zu praktizieren.

Nach einigen Übungen fühlte sich Möchtegernpsychotherapeut imstande, einige Neophyten zu erwerben. Er begann in verschiedenen Sozialnetzwerken psychologische Ratschläge zu schreiben und war dabei sogar erfolgreich. Sein Auditorium wuchs ständig und er fühlte, dass er fest im Sattel saß. Inzwischen gebar die glückliche Familie ein Kind. Alles ging wieder gut, doch eines Tages fand Frau Gemahlin, dass die Zeit für ihren Mann schon gekommen ist, um einen neuen Job endlich zu finden. Aber gerade im diesen Moment hatte Igor keinen Bock für reguläre Arbeit, weil seine Internetaktivitäten sehr viel Zeit in Anspruch nahmen.

Wennschon, dennschon, als Folgen so was von antagonistischen Widersprüchen fühlte Igor sich nicht Imstande, diese Ehe weiter zu führen. Also löste er seine Ehe auf und fuhr nach Rostow. XXX XXX XXX XXXXX XX XX XXXXXXXXXXXX XXXXXXX XX XXX XXXXXXXX XXX XXXXXXX XX XXX XXXXXXXXXXX XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX XX XXXXXX XXX XX.

In Rostow war es zurzeit auch nicht besonders schön. Seine erste Frau war schon wiederverheiratet, die zweite emigrierte aus dem Land und es gab keine Kandidatinnen für die Nummer Vier. Wohl oder übel musste er nach einen Job suchen, der ihm genügend Zeit für Internetaktivitäten lassen könnte. Es war ein Glück, dass einer seiner Kommilitonen ihm als Privat-Dozent beim Pädagogischen Institut zu arbeiten vorschlug. Die Arbeit brachte wenig Geld und westliche Psychologe war wieder nicht im Trend in Russland, so dass er fürchtete, dass man ihn irgendwann feuert, aber er hatte viel Zeit, um seinen Netzruhm zu pflegen. Igor versuchte jetzt so selten wie es nur möglich war, alten Freunden zu begegnen. Es gab nichts mehr, womit er prahlen konnte. Aber seine Vorlesungen beginnt er damit, dass er seine Internetadresse auf der Tafel schreibt.

Also kommt Igor nach der Arbeit nach Hause. Er wohnt in der uliza Baumana, in der Altstadt von Rostow. Hier befand sich früher jüdisches Ghetto. Sein Großgroßvater kaufte hier ein Eigentumshaus nach dem er den Pogrom von 1905 überlebte. Der Pogrom organisierte damaliger Oberbürgermeister von Rostow Herr General-Major Graf Kotzebue Baron Pilar von Pilchau. Der deutsche Konsul schrieb in seinem Bericht, dass 176 Menschen ermordet waren und 500 verletzt. Die russische Polizei sprach nur von 40 Toten, deshalb war der Zar Nikolaus der Zweite sehr enttäuscht, als er von dem Pogrom berichtet wurde. Wie dem auch sei, fragte er: Warum denn so wenig? Das war aber Anno Tobak.

Igors Großgroßvater überlebte auch den zweiten Pogrom im 1920. Für diesen Pogrom war die Erste Rote Reiterarmee von Genossen Marschall Budönnyj verantwortlich. Selbstverständlich war das Großgroßvaters Haus nach der Revolution enteignet, aber zum Glück erlaubte man der Familie immer noch im ersten Stock des Hauses zu wohnen. Das war ein zweistöckiges Holzhaus, das schon alt in der Verkaufszeit war und das neunzig Quadratmeter für alle drei Stöcke hatte, dazu gehörte noch einen Hof – stolze zwanzig Quadratmeter groß.

Diese Straße – uliza Baumana – ist allen Bewohnern von Rostow-am-Don sehr bekannt. Die Straße beginnt mit der städtischen venerologischen Fürsorgestelle und endet mit der städtischen Ausnüchterungsanstalt. Einige von Bewohner mussten hin oder her mal als Gäste in erster oder zweiter Anstalt eintreten, obgleich keiner gute Erinnerungen über diese Besuche erbringen konnte. Wiederum man muss zuweilen für seine Freude büßen...

Die Straße mündet in Alten Markt – Staryj Basar. Neben ihm steht Alter Dom – Staryj Sobor. Touristen fragen oft, wo befinden sich dann der Neue Markt und der neue Dom. Die richtige Antwort ist – nirgendwo. Man zerstörte Neuer Markt – Nowyj Basar und Neuer Dom – Nowyj Sobor nach der Revolution. So blieben in Rostow nur die Alten.

Es ist sehr gefährlich, in der Umgebung des Staryj Basars auf und ab bei Nacht und Nebel zu gehen. Die Kriminalitätsrate ist in der Stadt, gelinde gesagt, nicht gerade niedrig, ehe umgekehrt, aber im Basargegend ist sie enorm groß. Niemand von gesundem Verstand läuft hier in der Dunkelheit. Igor weiß das alles, glaubt aber nicht, dass ihm irgendwas passieren könnte Er wohnt ja in der Straße fast sein ganzes Leben lang.

Igor geht die Ausnüchterungsanstalt vorbei und nähert sich seinem Haus. Ihm kommt wackelig eine männliche Gestalt entgegen. Die ist offensichtlich voll besoffen und schreit etwas Unverständliches aus, die Intonation ist aber eindeutig aggressiv. Igor will sich in Ausnüchterungsprozess nicht einmischen und überquert vernünftig die Straße. Der Besoffene begegnet unerwartet einem Baum, der auf dem Trottoir wächst, und erzählt ihm plötzlich ganz deutlich schon Einiges über Sexualleben der Baummutter. Der unhöfliche Baum antwortet nicht und das bringt den Besoffenen in die Rage. Er versucht den Gegner überwältigen, indem er ihn mit dem Kopf aus Leibeskräften stößt, doch den Baum zeigt keine Reue. Dann stößt der Mann ihn noch einmal und fällt bewusstlos nieder. Das vorbeifahrende Polizeiauto nimmt ihn nicht besonders zärtlich mit.

Igor bewundert den Mut des Mannes. Dann hört er überraschend Schritte hinter sich. Er ist sich total sicher, dass ihm niemand folgte. Er greift in seine Tasche und fühlt den hölzernen Griff des Nunchakus. Er ist kein Meister am Karatemetier, aber als er noch jung war, zeigte ihm einer seiner Freunde, wie man das Nunchaku effektiv benutzen kann. Igor kennt das alles ehe theoretisch als praktisch, aber mit Nunchaku in der Tasche fühlt er sich sicherer.

Die schnellen Schritte kommen näher und Igor kehrt sich um. Er sieht einen Mann in grauer Jacke mit Kapuze, der ihm entgegen läuft. Die Silhouette des Mannes kommt ihm bekannt vor, aber ihm bleibt keine Zeit daran zu denken, weil der Mann etwas Glitzerndes in der rechten Hand hält und das scheint Igor gefährlich zu sein. Er zieht vorsichtig sein Nunchaku aus der Tasche, versteckt das hinter den Rücken und wartet.

Der Man nähert sich schnell ihm zu. Jetzt sieht Igor, dass der Mann einen Pfriem in der Hand hält. Wozu soll es nützlich sein, in der Nacht mit dem Pfriem durch die Stadt zu laufen? – denkt Igor und versucht mit dem Nunchaku den Mann zu entwaffnen. Selbstverständlich schlägt er daneben, trifft gerade das linke Knie des Mannes. Der Letzte schreit laut von sich hin, ehe wegen der Überraschung, als wegen des Schmerzes. Seltsamerweise ermutigt dieser Schrei Igor zum zweiten Schlag. Er versucht wieder den Mann zu entwaffnen. Und wieder ist es ein Fehlschlag. Doch diesmal tritt das Nunchaku die Nase des Mannes. Igor fühlt, wie sein Gesicht mit Bluttropfen bespritzt wird. Der Mann knickt mit einem Schrei und gequältem Gesichtsausdruck auf der Straße zusammen. Igor ist fast bis zur Tode erschrocken und rennt, ehe fliegt nach Hause.

Zu Hause öffnet Igor mit zitternden Händen eine Flasche seines Liblingsdonweins – Kagor-32. Früher schätzte Igor viel mehr Wodka und konnte gewisse Menge intus nehmen, vor allem weil er das wichtigste Geheimnis des Wodkatrinkens wusste: man muss viel essen und für alle hundert Gramm von Wodka dreißig Gramm Butter essen. Das soll aber echte Butter sein, keine sogenannte „weiche“ Butter. So kann man eine Flasche Wodka ohne sichtbare Konsequenzen verkraften. Diese guten Zeiten sind schon seit langem vorbei. Jetzt verträgt seine Leber keinen Wodka und keine Butter. Aber die süßen Weine – das geht noch.

Igor trinkt langsam Wein aus und denkt daran, was er tun soll. Er will sich nicht bei der Polizei melden – das bringt überhaupt nichts und ist nur Zeitverschwendung. Und was soll er denn sagen, dass er jemandem die Nase brach? Und er weiß nicht, wie der Mann sich fühlt. Vielleicht behandelt man ihn jetzt im Krankenhaus, vielleicht ist er schon tot. Wer außer Igor sah diesen Pfriem? Und wo ist er? Warum dachte Igor, dass der Mann ihn überfallen wollte? Es ist doch möglich, dass er einfach so eine Angewohnheit hat, mit dem Pfriem in der Nacht durch die Stadt spazieren zu gehen. Wen stört das doch? Das war aber Igor, der den armen Mann überfiel. Verletzte der Unbekannte irgendwie Igor? Dazu gibt es keine Spuren, doch Igor verletzt den Unbekannten offensichtlich. Ja, gewiss, Igor ist derjenige, der in den Knast soll! Nein, der Polizei muss abgesagt sein.

Aber was für einen Mann war das? Wollte er wirklich ihn überfallen? Bin ich sicher? Dennoch er lief mit einem Pfriem... Er schien irgendwie mir bekannt zu sein... Wer war das? Nein, das stimmt nicht, ich kenne ihn nicht. Was soll ich jetzt tun?

Igor entscheidet sich nicht an die Polizei zu wenden. Soll er über das Geschehen jemandem erzählen? Aber wem denn? Den Freunden? Hat er denn welche, und wenn ja, dann könnte er ihnen vertrauen, besonderes in solchen Sachen? Igor prüft sorgfältig seine letzten Freunde und kommt zum traurigen Schluss, dass er niemandem trauen kann. Seltsam, sein ganzes Leben pflegte er freundschaftliche Beziehungen und jetzt hat er keine Freunde und sogar keine Frau. So ist das Leben. Er wird schweigen. Es ist nichts passiert. Der Mann wird wohl auch gesund sein, das hofft Igor. Am besten werde ich alles vergessen. Ab sofort. Igor trinkt die Flasche von Kagor-32 aus und schläft ein. 

Am nächsten Tag passiert nichts. Er arbeitet wie üblich, kauft in Laden wie üblich, kommt nach Hause wie üblich. Als ob das, was gestern passierte, nur ein düsterer Traum wäre. Igor geht zum Tatort und inspiziert diesen sorgfältig. Überall kann man Bluttropfen sehen. Aber niemand interessiert sich dafür. Menschen in der Gegend sind schon gewöhnt, auf dem Bürgersteig Bluttropfen zu sehen. Ansonsten ist alles ganz ruhig. 

Es verging vier Monaten und Igor beginnt langsam diese Geschichte zu vergessen. Seine Netzpopularität wächst, immer mehr Menschen fragen nach seiner Meinung. In der letzten Zeit gibt es besonders große Nachfrage im Familienlebensgebiet. Weil Igor drei Frauen hatte und noch Erfahrung mit einigen Mädels erworben hat, glaubt er, dass er genug von lehrreichen Erlebnissen sammelte und deshalb der richtige ist, um die Fragen zu beantworten. Nach den Vorlesungen eilt er nach Hause. Sein Internetgefolge wartet schon auf ihn. 

XXXXXXXXXXXXX XX XXX XXXXXXXXX XX XXXX XX XXX XXX XX XXX XXXXXXXXXXXXXX XXX XXXXXXXXXXXXXXX XXX XXXX XXX XX XXXXXXXXX XXX XXXXXXXXX XX XXXXXXXXXX XXX XXXX XX. 

Der Feldzug zu seinem Haus läuft wie immer. Es ist genau ein Feldzug, weil Igor gezwungen den Betrunkenen auszuweichen ist. Auch andere nüchterne Bürger benehmen sich genauso wie er. Sie laufen hastig von einer zu anderer Seite der Straße. Dabei sollen sie die Aufmerksamkeit der Polizei nicht erregen, denn dann könnte man sie als Betrunkenen behandeln. So im Zickzack läuft Igor nach Hause. 

Plötzlich kommt ihm aus dunklem Torbogen ein Besoffener entgegen. Er ist schmutzig und zerlumpt, riecht von fern nach einer schönen Mischung von Urin und Alkohol. Sein Gesicht sieht wie eine große Wunde. Igor weigert sich, auf die andere Seite der Straße zu gehen, weil es nur zehn Meter bis zum seinen Haus bleibt. Er läuft ruhig neben dem Alkoholiker, versucht ihn nicht anzusehen. Jetzt ist er schon dem Alkoholiker vorbei. Der Geruch ist auch fast weg. Etwas stoßt ihn leicht in den Rücken. Sein Herz tut weh. Sein Herz tut oft weh. Igor versucht die dazu speziell vorbereitete Arznei aus der Tasche zu nehmen. Der Schmerz wächst. Ihm wird klar, dass er den Alkoholiker kennt, sein Name ist... Warum schalteten sie die Lichter aus? Es ist so dunkel... Igor fällt langsam zum Boden hin. Der Alkoholiker beugt sich über ihn und entfernt den Pfriem aus Igors Rücken. Dann nimmt er aus der Tasche eine Flasche Wodka und gießt sie auf den Kleidern den liegenden Mann. Er steckt die Flasche wieder in die Tasche, kehrt sich um und geht ruhig weg. 

Das vorbeifahrende Polizeiauto hält neben den Liegenden an, Polizisten steigen aus und transportieren den Körper ins Auto. Sie schimpfen, dass dieser Mann wie eine Sau besoffen ist. 

Igor hört sie nicht mehr. Igor ist tot, mausetot.

1.8.txt

Unser Training geht weiter. Wir erzählen über nonverbale Kommunikationen. Eigentlich fast alle Menschen heutzutage wissen etwas darüber. Aber einige weitere Kleinigkeiten zu wissen, kann immer vom Nutzen sein. Zum Beispiel: wenn ein Mensch nach oben rechts sieht, bedeutet das, dass er an visuelle Gestalten erinnert. Wenn, dagegen, seine Augen nach oben links sich bewegen, dann produziert der Mensch visuelle Gestalten selbst, er phantasiert. Wenn es um akustische Gestalten geht, dann bleibt die Richtung der Augenbewegungen die gleiche, aber die Augen bewegen sich auf mittlerem Niveau.

Wenn ein Mensch mit sich selbst spricht oder entsinnt daran, was er sagte, dann bewegen seine Augen nach unten rechts. Im Falle Erinnerungen an irgendwelchen Bewegungen oder Berührungen bewegen sich die Augen nach unten links, genauso wie bei Erinnerungen an Gefühle oder Vorgefühl von etwas Bevorstehendem.

Das Schema sieht sehr leicht aus. Aber, der Teufel versteckt sich bekanntlich in Details. Die oben Geschriebene gilt nur für Rechtshändler. Linkshändler machen alles umgekehrt. Gewöhnlicherweise schlägt man vor, zuerst zu bestimmen, ob man Links– oder Rechtshändler ist. Dazu muss man aufmerksam merken, auf welcher Hand trägt man die Uhr, mit welchem Hand schreibt man und so weiter. Auch nicht besonders schwer, doch irgendwie verdirbt das den Spaß im Nu zu bestimmen, woran man denkt.

Aber das ist noch nicht alles. Einer unserer Bekannten mochte sehr die Uhren und hatte viele davon. Seit einiger Zeit beschließe er, dass die mechanischen Uhren er auf linker Hand (wo sie gewöhnlicherweise alle Rechtshändler wie er tragen) trüge, aber die elektronischen Uhren trüge er auf rechter Hand, bloß so, um die Uhren zu unterscheiden. Man muss noch daran erinnern, dass viele Linkshändler zum Schreiben mit rechter Hand gezwungen sind, als auch daran, dass es noch Ambidexter gibt, die beidhändig sind und noch Ambidexter, die man nur den rechten Hand zu benutzen zwang, und noch Menschen, bei denen eine Hand nur teilweise vorherrscht...

Was bleibt uns denn im diesem Fall? Beobachten, Besonderheiten des nonverbalen Verhaltens aufspüren und dann Hypothesen über das Verhalten entwickeln und diese sorgfältig prüfen. Diese These gefällt niemandem. Alle wollen etwas Leichtes und Schnelles, etwas, dass man ohne Schwitzen benutzen kann. Doch so was existiert nicht, besonders in Psychologie. Sogar die zuverlässigsten Signale, wie, zum Beispiel, die sogenannte „geschlossene“ Position – wenn man mit gekreuzten Beinen oder Händen dasitzt oder steht, zeigt nicht unbedingt totalen Widerstand gegen den Einfluss anderer Menschen, genauso wie rhythmischen klopfen mit Finger oder Kuli, schütteln den Kopf, die Hand, das Bein, nicht immer zeigen Irritation, Zweifel oder Verlegenheit.

Wir erzählen, dass man mindestens drei Hypothesen entwerfen muss, um die richtige auszuwählen. Das gute Beispiel kann man in Krimi-Serien aussuchen. So findet man am Tatort einen Schuhabdruck von einem Sportschuh in Größe 43. Was sagt uns das? Eigentlich nicht vieles. Nur das hier jemand war, der genau die Schuhe von dieser Größe trug. Nicht mehr. Wir können nicht sagen, ob das ein Mann oder eine Frau war. Es gibt Männer und Frauen, die die Schuhe von dieser Größe tragen. Viele Frauen tragen Männersportschuhe. Wir können sogar nicht kalkulieren, klein oder groß von Wuchs der Täter (die Täterin) war, weil Schuhgröße sehr von dem Leisten abhängig ist. Heutzutage kann man zu Hause die Schuhe von drei Größen haben. Mit Menschenverhalten ist alles noch komplizierter. Es gibt eine Unmenge von Faktoren, Ursachen, Motiven, die das Verhalten der Menschen beeinflussen können.

Nur in amerikanischen Krimi-Seifen-Opern kann ein CIA– oder FBI-Agent in wenigen Sekunden feststellen, was für einen Mensch er vor sich hat, ihn dann richtig profilieren und gleich sagen, ob dieser Mensch lügt oder reine Wahrheit sagt. Es ist aber sehr bemerkenswert, dass sogar in diesen Serien nur selten mit solchen Versprechungen ein Psychologe oder Psychiater auftritt. Eigentlich ist es für Psychologie oder Psychiatrie nicht von Bedeutung, ob man die Wahrheit sagt oder er lügt. Viel wichtiger ist warum man das sagt, wie beeinflusst das sein Verhalten und welche Konsequenzen wird das haben.

Die Notwendigkeit mindestens drei Hypothesen zu entwickeln und ständig die durch nonverbales Verhalten zu verifizieren, irritiert Gruppenmitglieder sehr. Einige haben Probleme schon mit einer Hypothese. Und obendrein diese seltsame Anforderung, andere Menschen zu beobachten! Ja, Kuchen! Man beobachtet eigenes Verhalten extrem selten und fast niemand versucht das zu analysieren. Aber Menschen können lernen, und Übung macht Meister. In wenigen Tagen vermögen die Gruppenmitglieder die kleinsten Variationen des menschlichen Verhaltens zu registrieren und auf Grund dieser Beobachtungen die von ihnen entwickelten Hypothesen zu bestätigen oder abzulehnen.

Das Wichtigste für uns ist, dass Gruppenmitglieder die Schlussfolgerung ziehen, dass nonverbales Verhalten jedes Menschen ganz individuell und einzigartig ist. Es gibt Kataloge, die nur samt und sonders beschreiben die mögliche Bedeutung der Bewegungen, Mimik und Pantomimik. In jeder Situation nur Beobachtung kann uns zeigen, wie man auf unsere Aktivität reagiert und wie effektiv unser Einfluss ist.


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