Текст книги "Lügendetektor"
Автор книги: A. I. Nebelkrähe
Жанр:
Криминальные детективы
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Doch jetzt höre ich ein Wunder, das man in zehn Jahren nicht schaffen könnte.
Alina erkennt scheinbar die Stimme, spricht aber weiter über Rodin. Wir beide ziehen es vor, den Kontakt mit Löscha zu vermeiden. Es sieht so aus, dass er auch nicht so scharf auf einen direkten Kontakt ist. So fahren wir weiter und tun so, als ob wir den anderen nicht bemerkten. Doch die Frage bleibt – Was macht dieser Löscha in Jena?
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In der Pause unseres Trainings bespreche ich mit Alina die ersten Ergebnisse. Wir sind uns einig, dass Löscha ehe als graue Eminenz fungieren wird, was unsere Arbeit nicht leichter macht. XXXX XXXX XX XXX XXX XXXXXXX XXXXX XXXXXXX XX XXXXX XXXXX XX XXXX XX XXXX XXXXXX XXXX XXXXXXXXXXXX XX XXXXXX XXX XXX XXX.
Das bedeutet mit einem glimmenden Widerstand immer zu tun haben, was die Teilnehmer von ihrem Ziel ablenken wird. Ihr Ziel ist – eigenes Benehmen zu erlernen, genauso wie das von anderen, zu reflektieren und zu analysieren. Die meisten Menschen sind überhaupt nicht daran gewönnt, zu reflektieren. Sie tun etwas, dann fühlen irgendwelche Emotionen, meistens Schuldgefühle, und bestrafen sich selbst, ihre Angehörigen und Freunde dafür.
Im Training lernt man genau zu registrieren, wie man mit Wörtern und Gestik andere Menschen beeinflusst. Einige Trainer benutzen dafür Videoaufnahmen, wir aber nicht. Man schaut gern sich selbst im Fernseher an, was aber nicht hilft, wenn es kein elektronisches Hilfsmittel gibt. Stattdessen kann man lernen, auf bestimmte Details der Körpersprache und auf benutzte Wörter aufmerksam zu sein. Nach jeder Übung besprechen alle Teilnehmer die Besonderheiten des nonverbalen und verbalen Verhaltens der anderen Teilnehmer und lernen so mittels Feedbacks. Danach ist an der Reihe die wichtigste Frage – warum eigentlich tut man das, was man tut?
1.5.txt
Galina Lotinenko kommt nach Hause. Sie wohnt in einer Siedlung, die man Rote Garten-Stadt nennt. Niemand weiß genau, warum Stadtverwaltung solch einen Namen aussuchte. Die Siedlung wurde für pensionierte Offiziere konzipiert und so sind die Grundstücke hier viel größer als irgendwo anders in der Stadt. Häuser sind aus rotem Backstein gebaut. In Gärten gedeihen vor allem Kirschbäume, Aprikosen, Äpfel, Birnen. Die Ernte ist gewöhnlich so gut, dass man nicht nur sich selbst für ganzes Jahr versorgen kann, sondern noch etwas am Basar verkaufen. Die Straßen sind still und menschenleer, hier sieht man Fremde sehr selten und die werden von Nachbarn immer gleich registriert.
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Galina gönnte sich heute neue Schuhe, weil es in ZUM Schlussverkauf war. Leider musste sie Schuhe eine Nummer größer kaufen, wie immer – zu viele Frauen haben heutzutage Nummer 42. Sie kann aber damit umgehen – man stopft etwas Watte in der Schuhspitze und dann ist alles paletti. Man braucht gewisse Gewohnheit, um, z. B., mit Schuhspitze nicht zu stolpern. Wie dem auch sei, gerade so was ist ihr heute passiert. Sie versuchte die Kreuzung Budönnowskij Prospekt und Uliza Serafimowitscha zu überqueren. Natürlich kam sie ins Gedränge. Alle warteten schon zu lange, bis dieser unendliche Strom qualmender Autos zu Ende fährt – schön gesagt – Berufsverkehr. Man stößt sich, man schimpft und plötzlich fühlt Galina einen unerwarteten Schlag im Rücken. Sie verliert Gleichgewicht, macht einen Schritt vorwärts und fällt hin, weil sie zugleich mit Schuhspitze am Randstein stolpert. In diesem Moment rast ein Auto einige Millimeter vor ihr vorbei. Galina hat Wunden an der Nase und Ellbogen. Menschen helfen ihr aufzustehen. Unterwegs nach Hause denkt sie, dass neue Schuhe ihr das Leben retteten und das ist die platte Wahrheit.
Zu Hause stellt Galina ihre neuen Schuhe liebevoll in Schuhschrank. Eigentlich ist es kein richtiger Schrank, sondern ein alter Kachelofen, der steht in der Mitte des Hauses. Von Zeit zu Zeit denkt Galina daran, auf ihn zu verzichten, aber der ist zu schön und man schätzt heutzutage Antiquitäten... Und dadurch der Kauf einen neuen Kleiderschrank erübrigt sich. So stapelt sie ihre Schuhe drin.
Sie ist alleine zu Hause. Ihre Familie erholt sich im naheliegenden Kurort Krasnyj Desant – Rote Truppenlandung. Galina mag den Ort nicht – man braucht ein halber Kilometer durchs Wasser zu laufen, um in die Tiefe (quasi) zu landen. Das Asowsche Meer ist zu seicht und das Wasser überhaupt nicht salzig. Nein, wenn es um Meer geht, dann lieber Schwarzes Meer.
Ins Haus kommt ihr Kater namens Baby. Er ist acht Jahre alt und ist in der Blütezeit seines Lebens. Fast alle Kätzchen der Straße tragen seine Farbe: schwarz. Sein Sozialleben ist sehr intensiv und abwechslungsreich: entweder poliert er Schnauzen anderen Katern oder macht Hof hiesigen Schönheiten weibliches Geschlechts. Er ist musikalisch sehr begabt und organisiert Songcontests zur Nachtzeit in der Umgebung. Leider gibt es nur wenige richtige Kunstkenner, die sein Talent schätzen können, darunter noch weniger von Leuten.
Galina scherzt manchmal, dass Baby von einem Hund stammt. Der Kater duldet im seinen Hof nicht nur keine fremden Tiere, sondern auch keine fremden Menschen. Man muss ihm extra Leviten lesen, dass er den Gast nicht beißen und kratzen darf. Baby hat ein sehr ausgeprägtes Besitzgefühl: im Haus gehören ihm einige Stühle, ein Sessel, Kühlschrank und Stereoanlage. Das bedeutet, dass nur er ein exklusives Recht hat, darauf zu sitzen oder zu liegen. Wenn einer der Hausbewohner es wagt, Babys Möbel zu besetzen, wird er zuerst leicht gebissen. Im Falle des Missverständnisses beißt Baby ernst. Doch für Gäste kennt der Kater keine Gnade und zerfleischt sie gleich am Platz und Stelle des Attentats. Und man muss Baby im Einsatz sehen: glühende Augen, gedruckte Ohren, weiße Eckzähne und große Krallen... Baby ist so überzeugend, dass viele Gäste es nie mehr wagen, nochmal zu Besuch zu kommen.
Galina geht in die Küche und öffnet Kühlschrank. Sie hat einen älteren Kühlschrank Minsk, die sie als Heiratsgeschenk bekam. Der funktioniert noch sehr gut und besitzt eine geniale weißrussische Erfindung, nämlich ein Pedal, das man mit Fuß tritt und öffnet damit den Kühlschrank, ohne Hände zu nutzen. Galina nimmt weißes Brot, Butter und Auberginenpastete. Aber wenn man Auberginenpastete sagt, meint man etwas ganz anderes. Galina nimmt „баклажанная икра“ und dieses Gericht unterscheidet sich radikal von Auberginenpastete. Wenn man aus Russischem genau übersetzt, klingt es wie Kaviar aus Auberginen. Man bezeichnet einige Gemüsegerichte auf Russisch als Ikra – Kaviar. Kaviar von Auberginen ist in Russland sehr beliebt, so dass die Bewohner im Norden sehr neidisch sind, weil die Bewohner im Süden essen den oben genannten Kaviar löffelweise, aber die aus Norden sollen auf die Gäste (aus Süden) warten und den Kaviar als Geschenk genießen.
Um Auberginenikra zu produzieren, braucht man keinen Fisch, sondern Auberginen, die man dann backt und danach von Schalen befreit. Das gebackene Auberginenfleisch muss noch zerkleinert werden, und echte Profis beharren darauf, dass man das nur mit Hilfe des Messers aus Holz tun soll, weil Messer aus Eisen Auberginenfleisch dunkel macht(und das Auberginenikra wird quasi tischunfähig). Danach muss man Tomaten braten (nicht vergessen Zucker dazu zuzugeben), genauso wie Zwiebel und geschnittene Süßpaprika. Wenn das alles fertig ist, abrundet man Auberginenfleisch mit einer Prise Salz und Pfeffer und gärt je nach Geschmack noch einige Minuten. Nichtsdestoweniger das Hauptgeheimnis besteht darin, dass die richtige Auberginenikra gebratenes ungefiltertes Sonnenblumenöl braucht und es wird nur im Südrussland hergestellt und verkauft. Dieses Öl besitzt ein unvergleichbares Aroma und Geschmack. Es macht Auberginenikra so köstlich.
Baby protestiert entscheidend gegen Galinas Wahl. Er weist Galina an, dass man vernünftig essen soll und das Vernünftigste wäre es Fleisch zu verspeisen. Galina gibt ihm ein Würstchen. Nach der kurzen Untersuchung zeigt Baby, dass Fleischanteil im Würstchen nicht mit gesetzlich vorgesehenen Normen übereinstimmt. Kater fühlt sich gekränkt und verlangt nach Satisfaktion in Form ein gutes Fleischstück. Er frisst es hastig, springt auf Galinas Knien, wäscht sich die Schnauze, dann schnurrt er und endlich schlieft ein.
Wenn Galina am nächsten Tag zur Arbeit kommt, ist Baby noch nicht zu Hause: Nachbarn haben eine neue Katze und die Pflicht ruft. Galina schenkt provisorisch etwas Wiskas ins Katers Näpfchen und schließt das Tor. Sie geht zu Fuß menschenleere Straßen entlang bis zur Straßenbahnhaltestelle Plostschad Druschinnikow und nimmt Straßenbahnlinie fünfzehn bis zum Alten Basar. Unterwegs denkt sie, dass sie mit ihrem Job ziemlich zufrieden ist. Galina arbeitet als Buchhalterin in einem seltsamen Unternehmen, das Inhibitoren des Pflanzenwachstums verkauft. Das schert sie nicht im Geringsten. Diese Stoffe sind für sie nur Reihen der Ziffern im Computer.
Eigentlich ist Galina eine ökonomische Kybernetikerin von Beruf. Man ließ Studenten diesen exotischen Beruf mit hegender Hoffnung studieren, dass Wirtschaft mal so was brauchen würde. Umsonst. Die Studenten studierten etwas von Ökonomie, etwas von Programmierung, aber nicht genug von beiden. Nach der Uni musste man sich selbständig entweder als Ökonom, oder als Programmierer weiterentwickeln. Weil Galinas Vater ein großes Tier bei Eisenbahn war, bekam sie einen Platz in Rechenzentrum der Eisenbahnverwaltung. Doch Programmierung interessierte sie nicht besonders und so wurde sie zum Chef der Informationseingabeabteilung. Sie hatte zehn Untergebenen – Mädchen, die Perforiermaschinen bedienten. Der Gehalt war gut, Mädchen waren kommunikationsfreudig. Man trank Tee und besprach verschiedene spannende Ereignisse des Familienlebens jedes Kollektivmitglieds. Galinas Vater war zufrieden, Galina war zufrieden und ihr Mann auch. Sie bekamen zwei Kinder und das Leben war perfekt. Aber dann stach IBM ihr gerade einen Dolch ins Herz mit neuem Rechner – man brauchte Perforiermaschinen nicht mehr! Der Vater wurde zu Rentner und Galina – zu Arbeitslosen. Weil es damals in Russland überhaupt kein Arbeitslosengeld gab, überging sie schnell zur Idee sich als Buchhalterin umschulen lassen und sie bereut diese Entscheidung bis heute nicht. Das Kollektiv ist sehr gesellig, die Arbeit fordert gewisse Aufmerksamkeit, doch der Kopf bleibt frei. Sie legen Pausen ein, trinken Tee und besprechen verschiedene spannende Ereignisse des Familienlebens jedes Kollektivmitglieds. Das Leben nimmt wieder einen normalen Lauf.
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Nach der Arbeit geht Galina zuerst zum Alten Basar. Morgen kehrt ihre Familie zurück und sie will etwas Köstliches kaufen. Sie erreicht die Fischabteilung. Sie weiß nicht, wo sie hinsehen soll. Es gibt so viele Fischarten! In Sowjetzeiten versuchte man der Donbevölkerung das Meeresfischessen beizubringen, was aber misslang. Tunfisch, frische Hering, Kabeljau – man kaufte so was nicht. Wozu denn, wenn man zu Stör, Wels, Brachsen, Rybez, Zander u.s.w. gewönnt. Nur ein Meeresfisch wurde gegessen – Pentazeger, den man aus unerkannten Gründen Prostipoma nannte. (Die älteren Menschen fanden diesen Namen unanständig und genierten sich so was unanständiges während des Kaufs beim Namen nennen). Genau so schief gingen Versuche mit Meereskrabben – man fand, dass Süßwasserkrabben – „Raki“ auf Russisch, viel köstlicher sind.
Das alles ist eng mit südrussischer Tradition des Biertrinkens verbunden. Dort kann man das sich nicht vorstellen, Bier ohne Fisch zu trinken. Wenn es um alltäglichen Bierverbrauch geht, dann benötigt man gedörrte und gesalzte Donplötze, die kann bis 25 cm groß sein und ist unter Namen Taranka bekannt. Wenn Anlass etwas bedeutender ist, besorgt man gedörrte und gesalzte Brachsen, Rybez, oder kocht Raki mit Dill, Salz und Bier. Wenn Anlass aber ganz besonders ist, dann kauft man Balyk, gedörrte und gesalzte Rückenmuskelfleisch von Stör oder Wels. Balyk ist außerordentlich lecker und äußerst kostspielig.
Galina will also Balyk kaufen. Kinder trinken Bier noch nicht, aber sie mögen Balyk. Galina geht weiter zur Fruchtabteilung und kauft noch Feijoa. Dann fährt sie nach Hause. Sie öffnet das Hoftor und gleichzeitig sieht sie Baby. Der Kater rennt ihr zu mit herzzerreißender Miau. Baby macht Kreisen um ihre Füße, sein Fell ist zerzaust, die linke Pfote mit Blut beschmiert. Er lässt sie nicht ins Haus kommen. Was ist passiert, Baby? – fragt Galina und versucht den Kater zu streicheln. Doch Baby ist zu erregt, um Liebkosen zuzulassen. Mit enormen Schwierigkeiten nähert sie dem Haus zu und noch vor der Tür riecht den schweren Geruch des Gases. Es stinkt nach Schwefelwasserstoff. Das heißt – es gibt ein Leck in Gasleitung.
Galina dankt in Gedanken dem Genossen Breschnev, der begann Gas an Westen zu verkaufen und befahl dabei, Gas ohne Schwefelwasserstoff und dementsprechend ohne Geruch nach Westen und Moskau zu transportieren, alle andere bekamen stinkendes Gas. Beim Gebrauch dieses Stoffes bekommt man Kopfschmerzen, doch wenn es ein Leck in Gasleitung gibt, merkt man das gleich dank dem fauligen Eiergeruch. Ohne Rücksicht auf Babys Einwände öffnet Galina Haustür, kommt ins Haus, macht alle Fenster auf und läuft fast bewusstlos nach draußen. Sie schnappt nach frischer Luft, nimmt ihr Handy und meldet sich bei Havarie Dienst. Gute Gasleute kommen in einer Stunde, untersuchen Tatort und finden eine schwache Dichtung. Sie sagen, dass die von jemandem gelöst wurde, weil üblicherweise die Mutter nicht von selbst dreht. Sie schauen Galina zweifelnd an, schweigen eine Minute und fahren fort.
Galina sitzt kraftlos vor dem Haus, streichelt jetzt friedlich schlafenden Kater und weiß nicht, woran sie denken soll. Sie selbst zerstörte diese Dichtung bestimmt nicht. Sie kann auch keinen Verdacht gegen Baby hegen. Von selbst löst Dichtung auch nicht. Sie und Kater lassen keine Fremde ins Haus. Doch wie könnte so was passieren? Und was ist mit Babys Pfote? Sie untersucht vorsichtig und aufmerksam die Pfote. Galina kann keine Wunde finden. Das Blut gehört Baby nicht. Sie fühlt sich überfordert. Sie befragt die Nachbarn, aber gerade heute haben Babuschkas nichts bemerkt. Galina komm in die Küche und schneidet ein dünnes Scheibchen des Balyks für mutigen Kater und noch ein für sich.
Am nächsten Tag, wie immer pünktlich, fährt Galina zur Arbeit. Einige Plätze vor ihr sieht sie einen sitzenden Mann, deren Rücken kommt ihr bekannt vor. Eine Hand des Mannes ist mit einer Binde bedeckt. Dann kommt ein Mann von Verkehrskontrolle auf sie zu und verlangt nach Fahrkarte. Der Schöpfer sparte an Fleisch und Fett beim Kontrolleur nicht, so kann Galina den Mann mit verbundener Hand nicht mehr sehen. Wenn Kontrolleur endlich weg geht, ist der Mann nicht mehr da. Vielleicht stieg er schon aus. Das ist nichts von Bedeutung und Galina vergisst den Mann gleich.
Der Schlussverkauf geht weiter. Galina und ihre Kollegen planen heute in Mittagspause einen Überfall auf Supermarkt Solnyschko. Im Supermarkt herrscht viel Betrieb, man kann sich nicht frei bewegen. Man wird von Menschen von allen Seiten gepresst und transportiert zu beliebigen Abteilungen. Es ist kaum möglich, etwas Luft zu bekommen, aber niemand beklagt sich, alle gehen auf Schnäppchenjagd. Galina wird zur Kinderspielzeugabteilung getragen, wo sie eigentlich nichts braucht. Sie versucht sich freizumachen, aber umsonst. Hinter ihr steht ein Mann und tut etwas mit seinen Händen. Plötzlich sieht sie eine männliche, mit einer Binde bedeckte Hand, die presst ihr Mund zu. Im nächsten Moment fühlt sie stechenden Schmerz im Unterschulterblattbereich. Sie kann nicht mehr atmen. Es wird langsam dunkel. Die männliche, mit einer Binde bedeckte Hand, lässt ihr Mund frei, doch Galina ist nicht mehr fähig zu schreien. Auf einmal wird ihr klar, wem den männlichen Rücken, den sie in Straßenbahn sah, gehört. Aber natürlich, das war Löscha Inow! Mit diesem seltsamen Gedanken stirbt sie. Die Menschenschar trägt sie noch mit, aber Galina ist schon tot. Die Menschendichte wird locker und Galina fällt zu Boden hin. Sie liegt am Marmorboden mit einem Pfriem im Rücken.
Galina ist tot, mausetot.
1.6.txt
Unser Training geht weiter. Wir bilden zwei Gruppen, die in bevorstehender Diskussion teilnehmen werden. Die erste besteht aus Alik Baklanow und Igor Mechtar. Die zweite – aus Löscha Inow und Rafail Altmayer. Die Teilnehmer sitzen gegeneinander und Diskussion beginnt. Jede Gruppe, die in Diskussion teilnimmt, soll eine arithmetische Aufgabe lösen und dann die andere Gruppe überzeugen, dass ihre Lösung eben die richtige ist. Wir geben die Aufgabe:
Ein Kaufmann kaufte einmal ein Pferd für siebe n Rubel. Ein Jahr später verkaufte er das Pferd für acht Rubel. Nach noch einem Jahr kaufte den Kaufmann ein Pferd erneut für neun Rubel. Und wieder ein Jahr später verkaufte er das Pferd für zehn Rubel. Die Frage is t: wie hoch war der Profit des Kaufmanns?
Wir erwähnen zusätzlich, dass diese Aufgabe aus Mathelehrbuch für zweite Klasse des russischen Gymnasiums von neunzehntem Jahrhundert stammt.
Diese Aufgabe ist sehr interessant. Kinder können die ohne jegliche Schwierigkeiten lösen, was aber die Erwachsene nicht betrifft. Man findet, dass hier drei Antworten möglich sind: null, eins und zwei. Die Antwort „zwei“ argumentiert man folgendermaßen: erstes Zyklus von Kauf-Verkauf bringt dem Kaufmann einen Rubel und das zweite auch ein Rubel, so eins und eins macht zwei. Für die Antwort „eins“ gibt es solche Argumentation: im ersten Zyklus von Kauf-Verkauf bekam den Kaufmann natürlich einen Rubel, den er aber wieder verlor, weil der Prise für den zweiten Kauf genau um einen Rubel höher war. Die Nullprofittheorieverteidiger sagen, dass der Kaufpreis im zweiten Zyklus von Kauf-Verkauf nicht nur den ganzen Profit vom ersten Zyklus beinhaltete, sondern forderten noch einen Rubel vom eigenen Vermögen des Kaufmanns. Also, wenn es ihm gelang, im zweiten Zyklus von Kauf-Verkauf einen Rubel Profit zu machen, das war gut nur für Vergütung des Verlustes.
Diese Theorien sind von sich selbst interessant. Noch interessanter ist es zu beobachten, mit welchem Eifer verteidigen Menschen ihre Theorien. Das versteht sich von selbst, dass es hier nicht um die richtige Antwort geht, sondern eher um die Position in der Gruppe und um die Macht. Man versucht verschiedene Strategien zu benutzen, von logischer Argumentation bis zur Beleidigung der Persönlichkeit des Gegners.
Wir lassen die Diskussion beginnen. Alik Baklanow und Igor Mechtar verteidigen die Einrubelprofittheorie. Wie immer versucht Alik niemanden sprechen zu lassen. Aber mit Igor ist es nicht so leicht. Er mag es selbst, im Rampenlicht zu stehen. Igor ist Philosoph von Beruf. Nach der Uni arbeitete er bei einem Lehrstuhl für Philosophie, doch eine Doktorarbeit zu schreiben schaffte er nie. Es haperte ihm an Gott weiß was. Danach bewarb er sich bei der Armee und diente als Offizier für Politpropaganda in der Tschechoslowakei. Da waren Igors goldene Jahre. Bis heute erzählt er von tschechischem Bier so schmackhaft, dass man sofort sich voll trinken will. Doch auf einmal sollte die Sowjetarmee ihre Kasernen leeren. Igor wurde entlassen und hatte keinen Job mehr. Seine Frau fand die Situation gar nicht lustig. Jeden Tag näherte sie dem Kleiderschrank, öffnete die Türen, nahm einen Stuhl, setzte sich, sah in den Schrank hin und weinte. Sie wiederholte wieder und wieder, dass sie nichts anzuziehen hatte. Nach drei Wochen verstand Igor endlich die Nachricht und fand einen Job, der mit der Reparatur des Fernsehers zu tun hatte und keinesfalls mit Philosophie.
Die Arbeit brachte Geld, doch Igors Selbstbeachtung war verletzt. Er fühlte sich als Philosoph. Weil Philosophie momentan zu sehr mit Marxismus assoziiert wird, was nicht in Trend steht, nennt Igor sich Soziologe. Seine Frau kaufte neue Klamotten und fühlte sich befriedigt. Igors Seele grämte sich fast bis zum Tode. Zu guter Letzt kündigte er und suchte etwas Anständigeres. Jetzt lässt er sich zum Buchhalter ausbilden.
Igor ist mittelgroß, hat schwarze lockige Haare, kommt immer glatt rasiert und ist sehr angenehm im Umgang mit anderen Menschen. Er spricht nicht laut, lässt sich aber nicht unterbrechen. Er sucht immer wieder neue Argumente heraus, die logisch sind oder als logisch aussehen sollen. Sie ergänzen sich mit Alik gegenseitig: einer bringt emotionale, anderer logische Argumente.
Im Falle Löscha und Rafail geht es keineswegs um Ergänzung. Sie verteidigen Zweirubelprofittheorie. Löscha provoziert Rafail und lässt ihn anderen zu beleidigen. Alle andere sind in die Diskussion involviert, außer Löscha. Alik sprüht Worte, Igor spricht solide Sätze, Rafail geifert, sein Gesicht errötet sich. Löscha bleibt kalt.
XXXX XX XXX XXXXXX XX XXXXXXXXX XXX XXXXX XXX XX XXX XX XXX XXXX XXXXXXXXXXXXXXXX XXX XXXXX XX XXX XXX XX XX XXX XXXX XXXXXXXXXX XXXXXX XX Je weiter die Diskussion geht, desto mehr wundern wir uns. Was Rafail, Igor und Alik betrifft, so sieht das alles völlig normal. So benehmen sich fast alle Menschen. Aber was macht Löscha! Wir können das nicht glauben. Er benutzt sehr geschickt die ganze NLP (Neuro-Linguistisches Programmieren) Palette! Es sieht so aus, als ob er das früher irgendwo lernte.
So sagt er:
– Das ist nicht die beste Entscheidung.
– Das ist der größte Fehler.
– Sie müssen besser rechnen.
Das nennt man „reduzierter Vergleich“. Beim Vergleich geht es immer darum, mindestens zwei Dinge zu vergleichen. Doch im Falle „reduzierten Vergleich“ lässt man einen Teil ausfallen. So lässt man seinen Gesprächspartner im Dunkel stehen. Löscha sagt:
– Sie müssen besser rechnen.
Dabei ist es unklar, mit wem man sich vergleichen soll. Mit Verkäufer, Politiker oder Mathematiker? Aber Gesprächspartner fühlt sich nicht besonders gut, weil er nicht besser rechnen kann.
Löscha lässt sich nicht nur bei „reduziertem Vergleich“ bleiben. Er benutzt auch bestimmte Adverbien wie „klar“, „selbstverständlich“, „unbedingt“, „erstaunlich“, „deutlich“, „natürlich“ und so weiter. Dann klingt seine Rede ungefähr so:
– Verständlich ist das nicht die beste Entscheidung, und es ist auch erstaunlich, dass Sie den größten Fehler nicht sehen.
Jetzt versteht der Gesprächspartner auch nicht, wem es eigentlich verständlich ist und man fürchtet, dass man damit alle meint.
So geht es weiter und nun kommen „Modaloperatoren“ – man muss, man darf nicht, es ist notwendig, es ist unmöglich, man ist verpflichtet, es ist möglich, es ist obligatorisch u.s.w. Jetzt klingt Löschas Bemerkung so:
– Man darf nicht staunen, dass Sie den größten Fehler übersehen konnten und deshalb ist es ganz unmöglich, die beste Entscheidung zu treffen.
Es wird auch Nominalisierung – Bildung eines Substantivs aus einer anderen Wortart, vor allem aus Verben und Adjektiven – benutzt. So sagt Löscha:
– Das Gelächter des Aliks ruft bei mir den Reiz hervor.
Diese Substantivierung wechselt den Sinn des Satzes. Das Ereignis, das man beschreibt, sieht jetzt wie eine Begebenheit aus, die schon passiert ist und liegt außer Kontrolle der sprechenden Person (Ich kann dagegen nichts tun). Im Gegenteil, wenn man denselben Gedanken mithilfe des Verbs ausdrückt, dann spricht man von laufendem Geschehen, die man korrigieren kann.
Man benutzt auch Referenzindizes. Igor sagt:
– Menschen irritieren mich.
Das Wort „Menschen“ hat keinen Referenzindex. Im diesen Fall ist es total unklar, wen genau meint Igor. Oder Rafail klagt:
– Niemand achtet darauf, was ich sage.
Hier haben Wörter „niemand“ und „was“ auch keine Referenzindizes. Man kann nicht verstehen, wer ist dieser niemand und was spricht man dabei. Oder:
– So was kann jemandem irgendwann passieren.
Es ist klar, dass „so was“, „jemand“ und „irgendwann“ keine Referenzindizes besitzen.
Danach folgen Universalquantifikatoren. Das heißt: alle, jeder, überall, immer, niemand, nirgendwo, nie u.s.w. und Universalqualifikatoren – bloß, nur, sogar, einfach, ausschließlich..., die auch keine Referenzindizes haben. So Löscha zu Alik:
– Du sprichst bloß immer und überall so laut und niemand will sogar auf dich hören.
Man kann noch Beurteilungen benutzen: gut, schlecht, richtig, falsch, korrekt, dumm, ehrlich, idiotisch, schwach..., als auch Wörter, die Wiederholung zeigen: wieder, erneut, auch, nochmal... Dazu kommen negative und rhetorische Fragen:
– Alik, willst du uns nicht sagen, wie du wieder zu dieser blöden Entscheidung kam st ? Aber ehrlich, niemand interessiert sich dafür, wie man so dumm sein kann.
Man muss gestehen, dass es schon mal in russischer Geschichte ein großer Meister in Benutzung der NLP-Instrumente war und lange bevor R.Bandler und J.Grinder das Neuro-Linguistisches Programmieren erfanden. Der Name des Meisters war – Genosse Stalin. Er stand neben dem Tisch, wo seine Genossen von Politbüro saßen, rauchte seine Pfeife, die er mit Tabak aus Papirossen „Herzegowina Flor“ stopfte und sprach langsam (er sprach immer sehr langsam und bedeutungsvoll):
– Einige Genossen glauben, dass Genosse Stalin mal Unrecht haben könnte. Ich sage immer wieder – diejenigen, die bloß so denken können, genau die kein Recht haben. Es ist fehlerhaft so zu denken, dass Genosse Stalin nicht immer exakte Antworten weiß. Aber wen interessiert sich doch dafür, an dass, was solche Revisionisten denken? Was glauben Sie, Genosse Beria?
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Wir fahren nach Erfurt. Alina will unbedingt die Ausstellung von Natalja Gontscharowa besichtigen. Es ist schon interessant, dass wir diese Ausstellung nur in Deutschland besuchen können. Fast alle Bilder der Mitbegründerin von Lutschismus wurden gemäß der testamentarischen Verfügung der Pariser Nachlass an die Staatliche Tretjakow-Galerie in Moskau übergeben. Wer hat sie aber dort mal gesehen?
Gontscharowas Werken gefallen uns sehr. Sie konnte alles – von primitivistischem „Lubok“ bis Kubismus und Rayonismus. Doch man kann sie zu keiner Stilrichtung der Malerei einordnen. Sie war zu wild, zu außerordentlich, zu schöpferisch, um sich irgendwelchen Regeln unterzuordnen. Man kann das kaum glauben, dass das alles von einem Künstler gemalt wurde. Und vor allem – explodierende Farben. Ihre Werke kann man nie mit anderen verwechseln.
Gut gelaunt verlassen wir frisch renoviertes Angermuseum, das befindet sich in der Erfurter Waage. Wir laufen durch Altstadt über der pittoreske Krämerbrücke, die sehr schön ist, aber ich verstehe nicht, wie hier Menschen wohnen können. Die Brücke existiert schon seit alters. Die unternehmungslustigen Mönche hatten in Erfurt seit zwölftem Jahrhundert die Furt über den hiesigen Fluss Gera in seinem Besitzt. Sie kapierten sehr schnell, dass Unwetter, dass die Furt unpassierbar machte, minimierte ihren Profit und kamen zur Idee eine Brücke zu bauen. So erwarb der Handelsweg – Via Regia, der durch die Brücke lief, neue Lebendigkeit und Einnahmen für den Brückenübergang neue Maßstäbe. Diese Möglichkeit, so leicht zum Geld zu kommen, ließ die Krämer der edlen Stadt nicht in Ruhe. Zu guter Letzt wurden sie zu stolzen Brückenbesitzer. Seitdem nennt man die Brücke Krämerbrücke. Bürger von Erfurt ließen immer jeder Pfennig für sie arbeiten. Wenn man schon Gelder für die Brücke ausgab, warum denn soll man die nicht weiter benutzen? Kurz und gut bauten die klugen Krämer noch Häuser auf der Brücke. Sie wohnten und gleichzeitig verkauften dort ihre Waren. Das zählt sich bis heute als außerordentlich weise Entscheidung, weil es schon seit Ewigkeit keinen anderen Platz in Erfurt gibt, den so viele Leute besuchen.
Neben der Brücke befinden sich Ruinen der alten Synagoge. Die guten mittelalterlichen Bürger von Erfurt waren bekannt durch die Bezahlung an Mainzer Bischof fürs Verbot des Niederlassungsrechts für Juden in der Stadt. Wozu wäre solch 'ne Konkurrenz brauchbar? Ohnedies war da nicht zu viel Platz für alle...
Wir gehen neben wunderschönem Gildehaus bis zum Domplatz. Hier herrscht der Erfurter Dom mit seiner düsteren Bezauberung. Wir drehen uns nach links um. Wir wollen zu unserem liebsten Lokal „Bit am Dom“, wo man den besten geschmorten Thüringer Rostbrätel kosten kann. Wir essen gegrilltes im Schwarzbier mariniertes Fleisch, das in edlem Pilzrahm gezogen ist. Dazu passt genau wunderschönes Watzdorfer Schwarzbier mit einer betonten Karamellnote. Wir essen draußen und ich kann das Gefühl, dass wir beobachtet werden, einfach nicht loswerden.