Текст книги "Untot"
Автор книги: Джон Руссо
Жанр:
Ужасы
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Der Leichenhausleiter stand auf und suchte nach einem Sender mit Musik.
In O'Neils Beerdigungsinstitut rollte Mr. O'Neil einen Sarg in die Kapelle. O'Neil war ein adretter, schlanker, konservativ gekleideter, munter dreinblickender Mann Mitte Fünfzig. Die meisten Leute, die ihn fern von seinem Arbeitsgebiet trafen, hätten ihn für einen Bankangestellten oder einen Buchhalter gehalten. Nachdem er den Sarg an die Stelle gerückt hatte, wo er ihn haben wollte, klappte er den Deckel auf und betrachtete die einbalsamierte Leiche des Adjutanten Greene, angetan mit einem steifen, schwarzen Anzug mit einer roten Nelke am Revers.
O'Neil trat einen Schritt zurück, zufrieden mit seinem Werk. Dann bückte er sich, um ein Blumenarrangement auf die linke Seite des Sargs zu rücken. Er beschloß, die Kniebank und das übrige Zubehör später zu installieren. Er wollte für Greene besonders gute Arbeit leisten, da er mit seiner Familie seit längerer Zeit bekannt war. Er hatte schnell und effizient die Nacht hindurch gearbeitet, um Greene fertig zu machen und der Familie so eine lange, schmerzvolle Totenwache zu ersparen, bis der Mann beerdigt werden konnte. Es war noch ein paar Stunden bis zur Morgendämmerung. O'Neil beugte sich über den Blumenständer und konnte das leise Zittern in Greenes Gesicht nicht sehen, ein Zucken der Kiefermuskeln, begleitet von einem ganz andeutungsweisen Flattern der Augenlider. Und wenn es O'Neil aufgefallen wäre, hätte er es als Reflex absterbender Nerven oder als seine eigene Einbildung abgetan.
Ein lautes Krachen aus dem Erdgeschoß brach die Stille in der Kapelle. O'Neil fuhr erschreckt herum und rannte vor sich hin murmelnd zur Treppe. Er eilte hinunter, durchquerte einen Abstellraum, wo Stühle, Särge, Blumenkörbe, Ständer, Kisten mit Beerdigungsfahnen, Kerzen – das ganze Lager, über das ein Beerdigungsinstitut verfügt – in ordentlichen Reihen darauf warteten, verkauft oder von den Kunden benutzt zu werden. O'Neil hastete in das Laboratorium, wo die Leichen hergerichtet wurden, und sah in dem grellen Licht eine schwarzweiße Katze, die auf der Leiche der jungen Frau aus dem Park stand. Ein Laken bedeckte die reglose Gestalt bis zum Kinn. Die Scherben einer zerbrochenen Flasche lagen neben der Leiche auf der Marmorplatte, und die letzten Tropfen rannen auf den Boden.
Es schien O'Neil offensichtlich, was geschehen war, und er brüllte das Tier wütend an: »Du Sauviech! Mach, daß du wegkommst!«
Er scheuchte die Katze hinaus, wischte die Flüssigkeit auf und griff nach einem Handtuch. Seine Bewegungen waren langsam und kontrolliert. Es war spät und er war sehr müde. Aber er hatte einen langen Tag vor sich, der mit einer Beerdigung am Morgen beginnen würde, und er wollte noch vor Tagesanbruch mit dem Herrichten der Leiche fertig werden. Während er sich die Hände abtrocknete, ging er zu seinem Arbeitstisch, wo sich sein Arbeitsmaterial ordentlich ausgebreitet befand: Skalpells, Nadeln, Tuben, Flaschen, Make-up. Am Rand des Tisches lag außerdem ein halbgegessenes Sandwich auf einem zerknitterten Einwickelpapier. O'Neil hatte in Gegenwart von Greenes Leiche nicht essen mögen, obwohl er eigentlich nichts dabei fand. Irgendwann während der langen Nacht war er hungrig geworden und hatte das Sandwich mit nach unten genommen. Als er den Rest seines Imbiß entdeckte, wickelte er ihn ein und warf ihn in den Mülleimer. Er wischte die Krümel mit der Hand zusammen und tat sie ebenfalls in den Müll. Dann schaltete er das Radio ein, fand einen Sender mit leichter Musik und drehte die Lautstärke leiser.
In dem Geschoß über ihm hatte der Adjutant Greene die Augen weit aufgerissen. Er lag reglos in seinem Sarg und starrte an die Zimmerdecke.
In einer anderen Kapelle des Beerdigungsinstituts war eine weitere Leiche aufgebahrt. Der Sarg beherbergte die Überreste eines schwarzen Mittfünfzigers. Auch er hatte die Augen geöffnet.
O'Neil stand mit dem Rücken zu der mit einem Laken zugedeckten Leiche an seinem Arbeitstisch und mischte mit sicherer Hand Flüssigkeiten zusammen. Die leise Musik tat seiner Müdigkeit gut. Er summte die Melodie vor sich hin. Mit dem Flakon in der Hand drehte er sich zu der auf der Marmorplatte aufgebahrten Leiche um. Das stille Untergeschoß hallte wider von dem entsetzten Aufschrei des Mannes. Er wich in eine Ecke zurück, stieß mit dem Ellbogen Flaschen und Gerätschaften zu Boden, und der Flakon, den er in der Hand gehalten hatte, zersprang laut klirrend am Boden.
Die tote Frau hatte die Schultern von der Steinplatte gehoben, und während sie sich weiter aufrichtete, rutschte das Laken von ihren Brüsten. Sie hob den Kopf, ihr Haar streifte über die kalte Marmorplatte, sie hatte die Augen weit aufgerissen. Schließlich saß sie aufrecht und drehte den Kopf. Ihr Blick fiel auf O'Neil. Der Mann sah entgeistert und mit vor Schreck geöffnetem Mund zu. Kein Laut drang aus seiner Kehle. Schlaksig, fast wie eine Frau, die verschlafen aus dem Bett steigt, schob sie sich von dem Tisch, setzte ihre nackten Füße auf den Boden und ging mit schleppenden Schritten auf O'Neil zu.
In der Etage darüber bewegte Greene einen Finger, dann eine Hand, und richtete sich langsam und steif in seinem Sarg auf. Er blinzelte ein– oder zweimal, bewegte seinen Kopf behutsam von einer Seite zur anderen und nach oben und unten, als untersuche er seine Umgebung. Einmal legte er den Kopf zur Seite, als habe er den Schrei von unten aus dem Laboratorium gehört.
Der dunkelhäutige Mittfünfziger setzte sich in seinem Sarg auf. Er lehnte sich schwerfällig zur Seite, und der Sarg stürzte von der Plattform am oberen Ende der Kapelle und riß den Blumenständer mit um. Der Körper des Mannes blieb ein Weilchen reglos zwischen den Scherben der Blumenvasen und zerquetschten Magnolien liegen, so als könne er nicht aufstehen. Dann rappelte er sich langsam, wie unter Schmerzen auf die Füße. Er richtete sich auf und ging stracks durch die Kapellentür, den Blick starr nach vorn gerichtet. Dann folgte er dem Korridor zu der Kapelle, in der die Leiche des Adjutanten Greene noch immer aufrecht in seinem Sarg saß.
Rücklings über seinen Arbeitstisch gebeugt schrie O'Neil aus den tiefsten Tiefen seiner Seele. Die Leiche der Frau lehnte über ihm, ihre Hände grabschten nach seiner Kehle und verkrallten sich in seinem Gesicht. Ihre Augen starrten ihn wild und wahnsinnig und gierig an. Dann packte sie eine Hand voll spitzer Instrumente und begann O'Neil von allen Seiten damit zu stechen. Sein Schmerzensgeschrei hallte und schallte durch das Laboratorium. Wieder und wieder rammte sie die Skalpells in sein Gesicht und seine Brust. Schließlich verebbten die Schreie. O'Neils Augen quollen aus den Höhlen und Blut spritzte aus dem, was sein Gesicht gewesen war, und die Kreatur stach immer weiter zu, lange nachdem ihr Werk seinen entsetzlichen Zweck erfüllt hatte. Die seltsamen, fremdartigen Geräusche von Zähnen, die an frisch getötetem Fleisch nagten, mischten sich mit den sanften, süßen Tönen der Radiomusik im Labor. Die tote Frau fuhr fort, ihre Zähne in O'Neils Fleisch zu rammen. Sie nagte an seinem Gesicht und an seinem Hals, bis ihr eigenes Gesicht verschmiert war mit frischem, warmem Blut. Im Obergeschoß war Greenes Leiche langsam aus dem Sarg gekrabbelt und stolperte nun hinter der Gestalt des Schwarzen her, die sich auf dem Weg zur Eingangstür befand und mit einem gußeisernen Blumenständer, der neben Greenes Sarg gestanden hatte, gegen die Scheibe donnerte. Das Glas splitterte und der schwere Metallgegenstand fiel dem dunkelhäutigen Mann aus den Händen. Die Tür ging auf, und der Körper dessen, der einst Adjutant Greene gewesen war, folgte der davonstrebenden Gestalt der Schwarzen in die dunkle Nacht hinaus.
Die beiden Toten bewegten sich, als wären sie sich der Gegenwart des anderen bewußt, ohne jedoch wirklich Notiz voneinander zu nehmen. Beide wurden sie von der gleichen Kraft vorangetrieben, hatten die gleichen Begierden. Tatsächlich hungerten sie beide nach lebendigem Menschenfleisch.
Der Himmel über dem Kreisleichenhaus lichtete sich. Die Flure des Gebäudes lagen still. Nur die fernen Klänge eines Country-Music-Programms aus dem Büro des Leichenhaus-leiters und seines Assistenten waren zu hören. In den gekühlten Leichensälen herrschte Stille, auf den Tischen lagen noch immer die mit Laken zugedeckten Leichen, dreizehn an der Zahl, die am gestrigen Tag eines so gewaltsamen Todes gestorben waren. Die dreizehn, denen man an jenem Nachmittag Bolzen in die Schädel gerammt hatte. Dreiundzwanzig Tische waren leer.
Das Büro des Leichenhausangestellten war nicht ganz leer. Es war übersät mit den angekauten, blutigen Fleischfetzen, die einmal zwei Männern gehört hatten. Ihre Knochen, Haare und Muskelstränge lagen im Zimmer verstreut in Lachen von gerinnendem Blut. Blutigrote Spuren ihrer Hände zeugten von ihrem Kampf ums Leben mit den Toten. Am Vormittag war Sheriff McClellan im Leichenhaus dabei, den Schauplatz der Tragödie zu untersuchen. Er hatte sich den Weg durch eine Meute geiler, neugieriger Reporter und Fernsehleute freigekämpft. Die Polizei hatte das gesamte Gebäude abgesperrt und ließ keine Journalisten ins Innere. Dennoch waren die Reporter über die Ereignisse informiert. Sie hatten Streifenpolizisten, medizinische Gutachter und andere Offizielle auf dem Weg in das Gebäude und aus ihm heraus mit Fragen bombardiert. Es war kein Geheimnis, daß nur dreizehn Leichen im Leichenhaus übriggeblieben waren, die sterblichen Reste des Leiters und seines Assistenten nicht mitgerechnet, und diese dreizehn Leichen waren jene Opfer des Busunglücks, denen bislang noch nicht identifizierte oder von der Polizei ausfindig gemachte Personen direkt nach dem Unfall Bolzen in die Schädel gerammt hatten. Als McClellan das Leichenhaus verließ, sah er sich noch einmal der Meute von Journalisten und Fotografen gegenüber. Während er sich eine Gasse durch das Gedränge bahnte, wurde er mit Fragen und Geschrei überschüttet. Er wußte, daß ein völliges Stillschweigen von seiner Seite nur wildeste Spekulationen zur Folge hätte und zu Panik führen würde -eventuell sogar zu Massenhysterie -, also blieb er stehen und beantwortete einige der Fragen der Journalisten. Mikrofone wurden dem Sheriff unter die Nase gestreckt, und die von allen Seiten auf ihn einprasselnden Fragen wurden zu einem unverständlichen Geschrei, so daß er keine einzige mehr heraushören konnte. McClellan brüllte um Ruhe, blieb still stehen und weigerte sich, irgend etwas zu äußern, bevor einigermaßen Ruhe herrschte und die Reporter sich zusammenrissen.
Als es endlich stiller geworden war, erklärte McClellan, daß er keine einzelnen Fragen zu beantworten gedächte, doch daß er bereit sei, einen kurzen Lagebericht zu geben, falls sie ihrerseits bereit seien, ihn ruhig anzuhören. Daraufhin gab es wieder ein lautes Stimmengewirr, das dann doch verstummte, als man erkannte, daß es besser sei, anzuhören, was der Sheriff zu sagen hatte, statt gar nichts zu erfahren. Die Worte des Sheriffs waren dafür gedacht, eine beruhigende Wirkung auszuüben, doch es gelang nur teilweise. Er gab einen Abriß der Geschehnisse des vorangehenden Tages; verharmloste sie und lehnte es ab, sie mit dem Mord an dem Beerdigungsunternehmer O'Neil in Verbindung zu bringen. Er gab zu, daß er nicht wisse, wer eine solche Tat, wie sie im Leichenhaus begangen worden war, habe begehen können. Nach seiner Aussage, welche die Journalisten weitgehend unbefriedigt gelassen hatte, blieb McClellan dem erneuten Fragensturm gegenüber unerbittlich und weigerte sich, die Ereignisse mit der Seuche von vor zehn Jahren in Zusammenhang zu sehen. Er beharrte darauf, daß Leichen verschwunden seien, eine zugestandenermaßen seltsame und beunruhigende Tatsache, für die es zweifellos eine rationale Erklärung gebe. Er fügte hinzu, daß eine eingehende Untersuchung der Angelegenheit schon im Gange sei. McClellan glaubte selber nicht, was er sagte. Er wußte, daß er Umschweife machte, Zeit zu gewinnen versuchte; daß er Aufregung vermeiden wollte, um zu verhindern, daß sich die Panik zu schnell breitmachte, die – falls sich die Phänomene weiter anhäuften – unvermeidbar würde. Der Sheriff hatte eine Tatsache im Sinn, die ihn ein wenig tröstete: Es war einmal gelungen, diese... diese Seuche unter Kontrolle zu bekommen. Falls es wieder passierte, würden sie wissen, wie sie damit umzugehen hatten. Es sei denn, diesmal würde es noch schlimmer.
Bert Miller hielt seine Augen starr auf den Fernseher gerichtet. Er hatte das Interview mit dem Sheriff McClellan angeschaut und darüber hohngelacht. Jetzt folgte er dem Interview mit dem Pastor, Reverend Michaels, der, nach Berts Ansicht, intelligent und überzeugend sprach. An jenem Morgen hatte der Reverend eine Fernsehstation angerufen, sich vorgestellt, wer er sei, und gestanden, daß er vor drei Tagen eine Gruppe von Gemeindemitgliedern zum Schauplatz des Busunglücks geführt habe, in der Absicht, Bolzen in die Schädel sämtlicher Unfalltoten zu rammen. Er gab zu, daß ihnen dies nur bei dreizehn Leichen gelungen sei, bevor sie durch die Ankunft von Polizei und Krankenwagen verscheucht worden waren, und, so erklärte der Reverend, diese dreizehn müssen jene von ihnen Behandelten sein, die nicht mit den übrigen auferstanden seien und die Leichenhausbeamten ermordet hätten. »Ja, die Toten erwachen wieder«, predigte Michaels. »Dies ist das Werk des Teufels in seinem Kampf gegen Gottes Willen. Wir leben in einer ungläubigen Gesellschaft. Wir verehren Hexerei und Astrologie und andere Formen von Satanismus. Jetzt müssen wir zu Gott beten, daß er uns helfe, unseren Weg des Übels zu verlassen. Niemand will eingestehen, daß das, was vor zehn Jahren geschah, wieder geschieht. Wir versuchen, die grauenhaften Ereignisse aus unserem Gedächtnis zu verdrängen. Sie sind zu schrecklich, als daß wir sie akzeptieren könnten. Aber vor Satan können wir uns nicht verbergen. Jetzt zwingt er uns wieder, der Realität ins Auge zu schauen. Die Toten müssen gepfählt werden. Der Körper muß zu Staub werden dürfen, wie der Herr es befahl. Nur dann können wir auferstehen, wenn der Herr uns zu sich ruft am Tag des Jüngsten Gerichts. Nur die Seele ist heilig..-« Sue Ellen sprang von ihrem Stuhl auf und schaltete den Fernsehapparat aus.
Verärgert faßte Bert nach dem Schaltknopf und brüllte: »Jetzt laß gefälligst die Finger davon!«
Sue Ellen stellte sich vor das Gerät und bot ihrem Vater die Stirn.
»Nein... bitte, bitte laß es aus. Ich kann das nicht mehr hören! Das ist alles Wahnsinn! Was du uns hast tun lassen – alle diese Leichen schleppen – ich kann es nicht mehr ertragen!« Bert sprang auf seine Tochter zu, packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Hast du nicht gehört, was der Reverend gesagt hat? Die Seuche kommt wieder, und wir müssen uns alle bereitmachen. Es ist das Werk des Teufels – und vielleicht haben wir es alle verdient!«
Sue Ellen fing an zu weinen. Gereizt ließ Bert seinen Blick durch das Wohnzimmer gleiten, wo einige der Fenster schon mit Brettern vernagelt waren. Er hatte den ganzen Vormittag mit Sägen und Hämmern zugebracht, während seine Töchter in ihren Zimmern geblieben waren, zu verängstigt, um sich hinunter zu trauen. Bert nahm es ihnen übel, daß sie ihm nicht geholfen hatten.
Mit schwacher, hoffnungsloser Stimme flehte Sue Ellen ihren Vater an. »Daddy... bitte... ich halte das alles nicht aus. Warum können wir die Toten nicht einfach in Ruhe lassen? « »Weil sie uns nicht in Ruhe lassen werden!« bellte er. »Darum! Ihr habt es vor zehn Jahren nicht miterlebt. Ich habe euch weggeschickt, und ihr habt Glück gehabt. Aber diesmal werden wir nicht vor dem Teufel davonrennen – wir werden hierbleiben und unsere Christenpflicht tun!« Weinend lief Sue Ellen zur Küchentür, durch die ihre beiden Schwestern gerade hereinkamen. Sie nahmen sie in die Arme. Sie riß sich los und rannte die Treppe hinauf. »Verwöhnte Göre!« rief Bert hinter ihr her. Ann warf ihrem Vater einen flehenden Blick zu und bat ihn mit den Augen, sich zu beruhigen.
Zur Antwort zeigte er zornig mit dem Finger auf Karen. »Sieh dir doch deine Schwester an! Der Himmel weiß, von wem sie begattet worden ist. Und falls sie's selber überhaupt weiß, dann sagt sie's natürlich nicht. Wahrscheinlich so ein wildgewordener Drogenpunk! Manchmal bin ich wirklich froh, daß eure Mutter das nicht mehr erleben muß!« Karen versuchte, ihre Tränen zu verbergen, wandte sich um und ging zur Treppe. Sie war siebzehn Jahre alt, mit einem schlichten, traurigen Gesicht, das beinahe hübsch wurde, wenn ein Lächeln es erhellte. Aber zur Zeit hatte sie selten Grund zu lächeln. Es war offensichtlich, daß die Geburt ihres Babys sehr bald bevorstand.
Ann, die Älteste, war die wachste und die hübscheste von Bert Millers Töchtern. Sie trug ihr langes, blondes Haar sorgfältig gebürstet und in der Mitte gescheitelt. Sie hatte tiefblaue Augen, einen vollen Mund und regelmäßige Züge. Viele der jungen Männer in der Stadt interessierten sich für sie, doch sie hatte keinen ständigen Freund, weil ihr Vater jeden, der ihr gefiel, erfolgreich vergrault hatte. Selten, wenn überhaupt, luden sie sie ein zweites Mal ein. Trotzdem liebte sie ihren Vater, wußte, daß er seine Töchter auf seine seltsame Weise liebte, und versuchte, ihn zu verstehen. Aber sie wußte auch, daß sie fortziehen würde, sobald sie konnte. Sie trat zu ihrem Vater, berührte ihn leicht am Arm und sagte: »Daddy, bitte, Karen hat es auch so schon schwer genug.« Bert schaute Ann an und wußte nicht, was er entgegnen sollte. Von allen drei Töchtern war sie diejenige, die am ehesten von ihm erreichen konnte, was sie wollte. Statt zu antworten, stieß er heftig die Luft aus, nahm seinen Hammer wieder auf, den er auf einen Stuhl gelegt hatte, trat an eines der verbarrikadierten Fenster und begann zu hämmern. Er schlug zwei weitere Nägel in ein dickes Brett, das er schon vorher an den Fensterrahmen genagelt hatte. Dann wählte er ein neues Brett aus, ging an ein anderes Fenster und begann, es dagegen zu nageln.
»Du glaubst doch nicht im Ernst, daß es wieder losgeht? « fragte Ann.
Die ganze Angelegenheit erschien ihr unglaublich. Vor zehn Jahren hatte die Tante, bei der die drei Mädchen untergebracht worden waren, sämtliche Informationen über die Seuche von ihnen ferngehalten. Sie hatten nicht aus dem Haus gedurft und weder Radio– noch Fernsehsendungen verfolgen dürfen. Anschließend war es gesetzlich verboten gewesen, die Krise wieder aufzuwärmen. Die Begründung für diese Maßnahme, gerechtfertigt oder nicht, bestand darin, daß erklärt wurde, es sei moralisch und emotional schädlich, in der Bevölkerung die Erinnerung an die schrecklichen Erlebnisse wachzuhalten, und es sei am besten, man versuche, sie zu vergessen, da sie sich voraussichtlich nicht wiederholen würden.
»Es geschieht wirklich«, versicherte Bert, der sein Hämmern kurz unterbrach. »Sie haben es gerade eben im Fernsehen durchgegeben, bevor deine Schwester es abgeschaltet hat.« »Es fällt mir schwer, daran zu glauben«, sagte Ann. »Mag sein, daß es dir schwerfällt«, pflichtete Bert ihr ironisch bei. »Aber nach und nach wirst du nicht drum rumkommen, es zu glauben. Wenn wir das Haus nicht gut vernageln, werden die Toten uns hier holen kommen. Und wenn's genug von ihnen gibt, dann kommen sie auch rein, ob wir's vernagelt haben oder nicht.«
Bert drehte sich wieder zum Fenster und hämmerte weiter. Ann rannte die Treppe hinauf, um ihre Schwestern zu trösten. Karen war in Sue Ellens Zimmer und schaute zu, wie Sue Ellen Kleider in einen offenen Koffer warf. Karen saß neben dem Koffer auf dem Bett und hob ihr tränenüberströmtes Gesicht, als Ann hereinkam. Sue Ellen schaute nicht auf und fuhr fort, mit konzentrierter Entschlossenheit zu packen. »Sue?« fragte Ann zögernd.
»Ich verschwinde von hier«, platzte Sue Ellen heraus. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht. Ihre Augen waren rot und verheult. Sie weinte nicht mehr, aber sie war kurz davor, wieder anzufangen. Sie umarmte Ann und die Tränen begannen wieder zu fließen.
»Wo willst du denn hingehen?« fragte Ann und strich ihrer Schwester sanft übers Haar.
Sue Ellen trat zurück und versteckte ihr verzerrtes Gesicht in einem Taschentuch. »Ich weiß es nicht«, schluchzte sie. »Ich habe Angst, hierzubleiben, und ich habe Angst, wegzugehen. Aber ich glaube, ich will trotzdem lieber weg von hier. Vielleicht irgendwo in die Stadt.«
»Hast du nicht Angst vor dem, was sie im Fernsehen gesagt haben?«
Sue Ellen ließ sich erschöpft aufs Bett fallen. Sie trug nur Büstenhalter und Schlüpfer. Sie hatte die alten Kleider ausgezogen und die frischen, die sie anziehen wollte, wenn sie ging, noch nicht übergestreift. »Ich habe noch größere Angst davor, hierzubleiben«, und sie fing zu weinen an, als die Erinnerungen ihr Bewußtsein wieder überschwemmten. »Ich dachte, ich würde sterben – als wir diese Leichen durch den Wald getragen haben. Ich wünschte, ich wäre eine von ihnen, dann hätte ich es nicht tun müssen. Und ich werde so was nie im Leben wieder machen. Daddy kann mich nicht dazu zwingen. In der Stadt haben sie Schutzvorrichtungen – ich kann mich irgendwo verstecken, bis es vorbei ist, damit ich's nicht mitansehen muß.« Tränen strömten ihr über die Wangen. »Wir sollten vielleicht auch mitgehen«, überlegte Karen. »Nein, ich glaube nicht, daß es richtig wäre«, widersprach Ann. »Wir können Daddy jetzt nicht verlassen. Er vernagelt das Haus, um uns zu schützen. Wir werden zurechtkommen. Sue Ellen kann gehen, aber wir beide sollten hier bleiben und ihm helfen.«
»Karen«, sagte Sue Ellen. »Ich weiß, daß dein Baby wunderschön sein wird.« Die beiden Schwestern umarmten sich innig und Ann schaute ihnen zu. In ihren Augen standen ebenfalls Tränen.
»Und Billy?« fragte Ann. »Willst du ihm nicht wenigstens Bescheid geben?«
Billy war Sue Ellens Freund, ein junger Mann, den sie gegen den Wunsch ihres Vaters, aber mit seiner knurrigen Einwilligung ein paarmal getroffen hatte. Die Sache zwischen ihr und Billy war nicht ernst. Sie kannten sich noch nicht lange genug. Sie hatten sich gut verstanden und sie fing an, ihn gern zu haben, doch sie fühlte sich noch nicht wirklich bereit, sich festzulegen.
»Ich weiß nicht, was ich Billy sagen soll«, erklärte Sue Ellen. »Wenn wir ein Telefon hätten, könnte ich ihn anrufen. Ich muß weg von hier. Vielleicht kann ich ihm schreiben oder so.« Sie war fertig mit dem Packen und schlug den Kofferdeckel zu. Dann zog sie sich frische Kleider an Ihre Schwestern schauten zu, wie sie sich zum Abschied bereit machte. Sie mochten sie nicht verlieren, aber beide hatten das Gefühl, es sei nur vorübergehend, und es mochte unter den gegebenen Umständen wirklich das beste sein Auszug aus einer Bürgerschutzsendung:
»Autoritäten raten zu äußerster Vorsicht, bis die Bedrohung vollständig unter Kontrolle gebracht ist. Augenzeugenberichte wurden ausgewertet und dokumentiert. Die Leichen überwältigter Angreifer werden gegenwärtig von Pathologen untersucht, doch die Autopsien werden durch den schwer beschädigten Zustand der Leichen erschwert. Sicherheitsmaßnahmen in den Städten schließen strenge Einhaltung der Polizeistunde sowie Sicherheitspatrouillen von bewaffneten Beamten ein.
Die Bürger werden dringend aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen. Wer diese Warnung außer acht läßt, setzt sich großer Gefahr aus, sowohl von seiten der Angreifer als auch von bewaffneten Mitgliedern der Bürgerwehr, deren Impuls darin bestehen kann, erst zu schießen und dann Fragen zu stellen. Ländliche oder isoliert liegende Behausungen sind häufig Ziel von konzentrierten, massiven Angriffen. Isoliert lebende Familien befinden sich in höchster Gefahr. Evakuierungsversuche sollten nur in schwer bewaffneten Gruppen und wenn möglich mit motorisierten Fahrzeugen unternommen werden. Prüfen Sie sorgfältig Ihre Lage, ehe Sie sich für eine Flucht entscheiden. Feuer ist eine wirkungsvolle Waffe. Diese Wesen sind leicht entflammbar. Die Evakuierten sollten auf schnellstem Wege die nächstgelegene Stadt aufsuchen. Bemannte Verteidigungsaußenposten sind auf den wichtigsten Zufahrtstraßen der Städte eingerichtet worden. Diese Außenposten sollten dazu dienen, Flüchtlinge aufzunehmen und sie mit Nahrungsmitteln zu versorgen und erste medizinische Hilfe zu leisten. Polizei und Wachpatrouillen sind dabei, abgeschiedene Gegenden zu durchkämmen. Ihre Mission besteht darin, sämtliche Angreifer aufzuspüren und zu vernichten. Die Patrouillen sind ebenfalls beauftragt, isoliert lebende Familien zu evakuieren. Aber die Rettungsmaßnahmen kommen wegen der nachts erhöhten Gefahr und des überwältigenden Ausmaßes der Aufgabe nur schleppend in Gang.
Die Rettung der Bewohner isolierter Gebiete ist extrem schwierig. Wenn Ihre Evakuierung unmöglich ist, bleiben Sie in jedem Fall in Ihrem Heim und warten Sie auf die Rettungsmannschaft. Gehen Sie nicht allein hinaus. Wenn Sie nur wenige gegen viele sind, werden Sie mit großer Wahrscheinlichkeit überwältigt werden. Die Angreifer sind irrational und wahnsinnig. Ihr einziges Streben gilt dem Ergattern von Menschenfleisch.
Die Reihen der Angreifer wachsen ständig durch die zunehmende Zahl ihrer Opfer und derer, die während dieser Epidemie gestorben sind, wobei die katastrophalen Ausmaße der Todesrate auf das Chaos und daraus resultierende Unfälle zurückzuführen sind sowie darauf, daß Leute aus Angst gegeneinander losgehen.
Die gegenwärtig herrschende Gesetzlosigkeit vermehrt die Zahl der Angreifer und behindert die Bemühungen der Gesetzeshüter, die versuchen, die Bedrohung unter ihre Kontrolle zu bekommen...«
Nach einem letzten, tränenreichen Abschied von Karen und Ann schlich Sue Ellen auf Strümpfen die Stiege hinunter und blieb mit dem Koffer in der Hand auf dem Treppenabsatz stehen.
Bert Miller schlief auf einem Armsessel, Hammer, Säge und eine Schachtel mit Nägeln neben sich auf dem Boden. Alle vier Wohnzimmerfenster waren mit soliden Brettern vernagelt und die Eingangstür verriegelt. Bert hatte die Tür oben, unten und in der Mitte zusätzlich mit schweren Eisenträgern und Holzbalken abgesichert. Die Eisenträger waren solide an dem Türrahmen verschraubt, und die schweren Holzbalken waren so in die Eisenträger verkeilt, daß sie nur einer übermäßigen
Anstrengung, die Tür mit Gewalt aufzubrechen, nachgeben würden; doch sie konnten von innen leicht herausgenommen werden, so daß die Bewohner ohne große Mühe hinausgehen und hereinkommen konnten.
Sue Ellen hatte Angst, auf Zehenspitzen an ihrem Vater vorbeizuschleichen, und sie wollte die verbarrikadierte Tür nicht wieder öffnen. Sie wandte sich zur Küche. Die beiden Küchenfenster und die Hintertür waren mit dicken Nägeln und schweren Holzbrettern dauerhaft verschlossen. Durch die Küche gab es also keinen Ausgang mehr und das Haus besaß keinen Keller. Sue Ellen stellte fest, daß ihr Vater das Erdgeschoß völlig einbruchsicher gemacht hatte. Sie dachte, daß er vermutlich der Meinung war, er könne das Obergeschoß gegen die minimale Chance, daß es einem Angreifer gelänge, dort hinaufzuklettern, verteidigen. Oder er hatte vor, sich die Fenster des Obergeschosses später vorzunehmen. Sue Ellen erwog, wieder nach oben zu gehen und eine ihrer Schwestern zu bitten, mit ihr herunterzukommen und die Haustüre hinter ihr wieder zu verrammeln. Sie war nicht sicher, ob sie es geräuschlos genug würden machen können. In diesem Augenblick bewegte sich Bert auf seinem Sessel und Sue Ellen fürchtete, sie könne ihre Fluchtchance verpassen, wenn sie die Gelegenheit, daß ihr Vater eingeschlafen war, nicht sofort nutzte. Sie wußte, daß sie es riskieren mußte, irgendwie allein nach draußen zu gelangen, und außerdem wollte sie ihren beiden Schwestern nicht noch zusätzlichen Ärger verursachen. Ihr Vater würde ohnehin über ihr Verschwinden toben, und sie wollte die Situation für Ann und Karen nicht noch verschlimmern. Sie wartete auf dem Treppenabsatz, bis ihr Vater wieder laut zu schnarchen begonnen hatte, dann schlich sie an die Tür, hielt, aus Angst, einer der schweren Balken könnte ihr aus der Hand rutschen, den Atem an, und hob sie einen nach dem anderen aus der eisernen Halterung und schob den Riegel zurück. Sie hielt es für ein Wunder, daß ihr Vater nicht aufgewacht war, und trat eilig über die Schwelle. Ganz behutsam zog sie die Tür hinter sich zu und betete inständig, daß sie nicht quietschen möge. Endlich schnappte sie ins Schloß, und Sue Ellen atmete erleichtert auf. Sie fürchtete noch immer, daß das Klicken den Vater geweckt haben könnte, rannte die Stufen hinunter und holte ihre Schuhe aus der Tasche. Sie schlüpfte hinein und hastete durch den Vorgarten zu dem Feldweg. Ihr Vater schien tief eingeschlafen zu sein, und sie hoffte, sie würde einen großen Vorsprung haben, ehe er aufwachte und die neben der Tür auf dem Boden gestapelten Balken entdeckte – falls die Schwestern sie nicht bis dahin wieder eingehängt hatten. Keuchend rannte sie hinter eine Kurve in der Straße, von wo aus sie das Haus nicht mehr sehen konnte. Es dämmerte schon. In weniger als einer Stunde würde es wahrscheinlich dunkel sein – stockfinster -, überlegte Sue, denn der Himmel war bedeckt und die Luft roch feucht. Sie versuchte sich an die Wettervorhersage zu erinnern. Plötzlich fühlte sie sich furchtbar allein, und die Last ihres Entschlusses, von zu Hause fortzulaufen, rollte über sie hinweg. Sie folgte der staubigen Straße und für einen Augenblick zog sie in Betracht, ihre Entscheidung rückgängig zu machen und umzukehren. Sie mußte an Karens erwartetes Baby denken. Doch dann stellte sie sich vor, wie ihr Vater aufwachen würde, wenn sie mit ihrem Koffer ins Haus käme, und sein Gebrüll wäre zu schrecklich, um es zu ertragen. Sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an und ging weiter. Von der Farm der Millers bis zur Landstraße waren es etwa anderthalb Kilometer, und Sue Ellen meinte, dort würde sie versuchen, einen Bus anzuhalten, oder, wenn sie Glück hatte, sich von jemandem, den sie kannte, in die Stadt mitnehmen zu lassen. Die Stadt Willard lag zehn Kilometer nordöstlich von der Einmündung des Feldwegs in die zweispurige Landstraße. Jetzt, wo Sue Ellen darüber nachdachte, erschienen ihr ihre Chancen, eine Mitfahrgelegenheit nach Willard zu bekommen, nicht besonders gut, vor allem wegen der schnell einfallenden Dunkelheit. Der Gedanke, die zehn Kilometer Landstraße zu Fuß zurücklegen zu müssen, jagte ihr Panik ein, obwohl sie es bei Tage zusammen mit ihren Schwestern schon oft getan hatte. Wieder überlegte sie, ob es nicht besser sei, umzukehren, und konnte ihre Gedanken nicht von dem Farmhaus wenden. Aber sie ging tapfer weiter.