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Untot
  • Текст добавлен: 6 октября 2016, 01:48

Текст книги "Untot"


Автор книги: Джон Руссо


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Ужасы


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Gedenke all jener, die je gelebt haben und gestorben sind und nie wieder die Bäume, die Wiesen und die Sonne sehen werden.

Alles erscheint so kurz... und so sinnlos. Eine kurze Zeit zu leben und dann zu sterben. Warum kämpfen wir so verbissen, um am Leben zu bleiben, unser Leben zu erhalten, uns an dieses flüchtige Aufflackern zu klammern, das noch niemand hat definieren können?

Es ist leicht, die Toten zu beneiden.

Sie sind jenseits des Lebens und jenseits des Sterbens. Sie haben das Glück, tot zu sein, das Sterben hinter sich zu haben und das Unvermeidliche nicht mehr fürchten zu müssen. Nicht mehr um ihr bedrohtes Überleben kämpfen zu müssen. Unter der Erde zu sein, unbehelligt. Unbehelligt von Schmerzen, unbehelligt von der Angst vor dem Sterben. Sie brauchen nicht mehr zu leben. Oder Schmerzen zu ertragen. Oder etwas zu leisten. Oder sich zu fragen, was sie tun sollen. Oder sich zu fragen, wie es wohl ist, wenn man stirbt.

Warum erscheint das Leben so häßlich und so schön und traurig und wichtig, während man es lebt, und so trivial, wenn es vorüber ist?

Das Feuer des Lebens glimmt eine Weile und verlöscht; die Gräber warten geduldig darauf, gefüllt zu werden. Das Ende allen Lebens ist der Tod, und neues Leben singt glücklich im Wind, weiß nichts von dem alten Leben und schert sich auch nicht darum, bis es selbst erstirbt.

Leben ist das stetige, endlose Schaufeln von Gräbern. Wir leben und sterben, manchmal üppig, manchmal ärmlich, doch sterben müssen wir immer, und der Tod ist der gemeinsame Nenner alles Lebendigen, die eine Gemeinsamkeit, die alles zum Vergessenwerden verdammt.

Was ist es, das den Menschen die Angst vor dem Sterben einjagt?

Nicht Schmerz. Nicht immer.

Der Tod kann auf der Stelle erfolgen und fast schmerzlos.

Der Tod ist das Ende der Schmerzen.

Der Tod kann sein wie das Einschlafen.

Warum also haben die Menschen Angst vor dem Sterben?

Und wer von uns würde, wäre er einmal tot, auf den Frieden des Todes verzichten wollen, um zum Leben zurückzukehren?

Morgendämmerung ist die Zeit der Wiedergeburt. Alles Leben spürt dies, das Wiedererstehen, um einem Neubeginn entgegenzutreten. Unsere Geschichte beginnt in der Morgendämmerung. Vielleicht sollten wir eher sagen, unsere Geschichte fängt wieder von vorne an. Gelbrotes Feuer beleuchtete den Morgen, akzentuierte die Farben der grün bewaldeten Landschaft. Ein Lastwagen ratterte durch den Wald. Eine Staubwolke zog er hinter sich her, während er holpernd den Furchen der staubigen Straße zwischen den Bäumen hindurch folgte. Die Leute in dem Laster hatten es eilig und sie hatten sich verspätet.

Bert Miller, ein grimmig dreinschauender Mann in einem altmodischen Anzug, der neu aussah, weil er so selten getragen wurde, konzentrierte sich darauf, seinen Laster unter Kontrolle zu halten, was er mit einer Mischung aus Zorn und Geschicklichkeit tat – Zorn, der ihn dazu brachte, viel zu schnell zu fahren und einen Unfall unvermeidlich scheinen zu lassen, und der Geschicklichkeit, die den Unfall verhütete. Bert war um die Vierzig mit dem wettergegerbten Gesicht und den schwieligen Händen eines Farmers. Ein dichter Schopf schwarzen Haars weigerte sich, glatt zu bleiben, gleich wie oft es naß gemacht und gekämmt wurde, und Bert kämmte sich nicht allzuoft. Er war ein Farmer und er wollte auch nichts anderes sein, obgleich sein Hof ihm nicht Reichtum einbrachte und er jeden Tag unermüdlich und hart arbeiten mußte, um für sich und seine drei Töchter ein mageres Auskommen zusammenzukratzen. Seine Frau war tot. Sie war bei der Geburt der jüngsten Tochter Karen gestorben, die ihrerseits schwanger war und neben Bert in dem Lastwagen saß. Karen war sehr angespannt und verängstigt, klammerte sich an die Armstütze und hoffte, ihr Vater würde nicht merken, wie groß ihre Furcht war, um sie dann anzubrüllen und gleichzeitig so schnell wie möglich zu fahren und die steilen, engen, scharfen Kurven mit einer, wie es Karen erschien, Mischung aus Glück und Dickschädeligkeit zu meistern. Auf der Ladefläche des Lasters schlingerten und hüpften Karens Schwestern Ann und Sue Ellen. Sie waren noch verängstigter als Karen und sie hatten Grund dazu. Sie saßen auf einer niedrigen Holzbank auf der Ladefläche des schaukelnden Lastwagens, um ihre Kleider nicht schmutzig zu machen. Zweifellos wäre es sicherer gewesen, wenn sie sich direkt auf den Boden gesetzt hätten, denn die Bank war nicht verankert und wackelte und polterte mit jedem Ruck des Lasters. Sie hatten gewußt, was für eine Fahrt ihnen bevorstand, da ihr Vater nach dem Streit am Morgen so wütend war, und sie waren keineswegs überrascht. Es war Karens Schuld, daß sie so spät dran waren. Im achten Monat schwanger, war sie an jenem Morgen aufgestanden und hatte über Übelkeit und Schwäche geklagt. Das hatte gereicht, um Bert aus der Haut fahren zu lassen. Er beschimpfte Karen, sie heuchele morgendliche Übelkeit, um ihrer christlichen Pflicht zusammen mit der übrigen Familie nicht nachkommen zu müssen, und wetterte weiter, es sei noch nicht genug, daß sie Schande über ihn bringe, indem sie ein Kind bekäme, ohne verheiratet zu sein, sondern daß sie zudem weder die Lebenden noch die Toten respektiere und ihren Glauben verloren habe, und daß sich ihre arme, tote Mutter im Grabe umdrehen würde.

Bert hatte, ungeachtet ihres Protestes, sie sei krank, darauf bestanden, daß Karen sich anzog und mit der ganzen Familie mitfuhr. Aber in Anbetracht ihrer Schwangerschaft ließ er sie auf dem Beifahrersitz des Lasters Platz nehmen, während die beiden anderen Töchter hinten sitzen mußten. Und weil sie verspätet waren und weil es nur wenig brauchte, um Bert zu provozieren, seinen Zorn über Karens illegitime Schwangerschaft ausbrechen zu lassen, jagte Bert den Laster mit krachendem Getriebe und durchdrehenden Reifen ihrem Ziel entgegen.

»Wenn er nicht langsamer fährt, wird es unsere eigene Beerdigung sein«, befürchtete Sue Ellen. Sie und Ann klammerten sich an die Bank, als böte sie ihnen festen Halt und Schutz während der halsbrecherischen Fahrt. Ann antwortete nicht. Der Krach des Lastwagens auf dem Geröll der Straße war ohrenbetäubend, aber sie hatte dennoch Angst, ihr Vater könnte ihre Bemerkung verstehen.

»Er kann uns hier nicht hören«, beschwichtigte Sue Ellen, welche die Gedanken ihrer Schwester erraten hatte. Aber Ann sagte nichts. Die Straße wurde für ein paar hundert Meter gerade und etwas glatter, so daß es relativ gefahrlos war, zu beschleunigen, solange es keinen Gegenverkehr gab. Aber wenigstens war jetzt die Hüpferei der Holzbank zu Ende, und die beiden Mädchen entspannten sich ein kleines bißchen. Nun lag nur noch eine kurvenreiche Strecke vor ihnen und eine weitere Gerade, um zu dem Farmhaus der Dorsays zu gelangen.

Bert Miller erhöhte das Tempo ein wenig und bremste vor den Kurven leicht ab, jagte seinen Töchtern Angst ein und wurde langsamer, als er die gerade Strecke erreichte und sah, daß dort, wie erwartet, die Autos und Lastwagen sämtlicher im Tal lebender Farmer aufgereiht waren. Ein paar Leute hatten auf dem Feld neben dem Farmhaus der Dorsays parken können, und als dort kein Platz mehr war, hatten die übrigen ihre Fahrzeuge so weit wie möglich von der engen, schmutzigen Straße weg auf einer Seite der Fahrbahn abgestellt. Bert Miller tat das gleiche, brachte seinen Laster zum Stehen, stieg aus und knallte die Tür zu, ohne seinen Töchtern auch nur einen Blick über die Schulter zu gönnen. Er hätte sie genauso behandelt, wenn er nicht so zornig gewesen wäre. Er erwartete von ihnen, daß sie allein zurechtkämen.

Ann und Sue Ellen kletterten von der Ladefläche, achteten sorgsam darauf, ihre sauberen, bedruckten Kleider nicht zu verschmutzen, und gingen um den Laster herum, um Karen beim Aussteigen zu helfen. Bert Miller war schon zwanzig oder dreißig Schritte voraus auf das Farmhaus der Dorsays zugegangen. Niemand stand vor dem Eingang, woraus er schloß, daß die Zeremonie schon angefangen hatte. Bert zurrte seine Krawatte zurecht und versuchte im Weitergehen, mit der Handfläche eine widerspenstige Locke zu glätten. Karen machte, unterstützt von ihren Schwestern, einen zaghaften, ungeschickten Schritt vom Trittbrett, lichtete sich dann auf und strich sich den Umstandskittel über dem Bauch glatt. Sie fühlte sich beschämt und entwürdigt und wußte, daß alle Anwesenden im Dorsay-Haus erkennen würden, daß sie schwanger war, ohne verheiratet zu sein. »Ich wollte nicht mitkommen«, sagte sie. »Sie werden sich alle das Maul verreißen.«

»Früher oder später wirst du's ohnehin durchstehen müssen«, erwiderte Ann. »Wenn nicht jetzt, dann wenn das Baby...« Sie verstummte, als sie sah, daß ihr Vater sie verärgert anschaute, weil er auf sie wartete. Er war an der Haustüre stehengeblieben, damit sie zusammen als Familie hineingehen konnten.

Im Näherkommen konnten die Mädchen Leute drinnen weinen hören. Bert Miller öffnete die Tür und trat ein. Seine Töchter folgten ihm.

Der Wohnraum war vollgestopft mit Menschen, einige hatten sich auf Sofas und Stühle gequetscht, die übrigen standen. Der Sarg ruhte an der gegenüberliegenden Wand auf etwas, das aussah wie ein niedriger Tisch oder auch wie zwei Sägeböcke mit Brettern, über die ein weißes Laken gebreitet und Blumen gestreut worden waren. In dem Sarg lag die Leiche eines neunjährigen Mädchens, der jüngsten Dorsay-Tochter. Sie war an rheumatischem Fieber gestorben.

Ein Rumoren ging durch die Versammlung, als die Familie Miller das Zimmer betrat, eine verlegene Unruhe, die daher rührte, daß ein Gebet begonnen hatte und niemand wußte, ob man es unterbrechen sollte, um die Verspäteten zu begrüßen.

Und zudem sah man, daß Karen eindeutig schwanger war. Auf der anderen Seite neben dem Sarg fuhr Reverend Michaels fort, in seinem Gebetbuch zu blättern, als sei er sich der Störung nicht bewußt. Die Eltern des toten Kindes standen neben dem Reverend und starrten hilflos und mit verständnisloser Trauer in den kleinen Sarg. Reverend Michaels hatte das geeignete Gebet gefunden, wandte sich an die versammelte Trauergemeinde und gewahrte jetzt, daß Bert Miller mit seinen drei Töchtern angekommen war. »Bitte setzen Sie sich oder bleiben Sie still stehen«, ermahnte er sie. »Der Gottesdienst beginnt jetzt.« Er schaute Bert Miller scharf an, um ihm zu zeigen, daß seine Verspätung bemerkt worden war, und fixierte dann seinen mißbilligenden Blick auf Karen, sah ihr in die Augen, bis sie voller Scham und Verlegenheit den Kopf senkte. Mr. und Mrs. Dorsay starrten die ganze Zeit in den Sarg, unsicher, was sie sagen oder wie sie sich verhalten sollten, und im Grunde auch unfähig, sich um die Formalitäten des Gottesdienstes zu scheren. Der Kummer über den Tod ihrer kleinen Tochter war zu überwältigend.

»Ich bitte euch alle und jeden einzelnen von euch, mit mir zu beten«, forderte Reverend Michaels die Anwesenden auf. Er machte eine kleine Pause und begann dann das Beerdigungsgebet, das jeder der Trauergemeinde auswendig können sollte:

»Möge ihre Seele in Frieden ruhen. Möge ihre Seele den Leib verlassen. Möge der Leib zurückbleiben.

Möge der Leib zu Staub werden, wie der Herr es befahl. Möge der Leib nie wieder erstehen.

Möge ihre Seele in den Himmel kommen, möge alles andere zu Staub zerfallen.«

Während des Gebets rückten einige der sitzenden Trauergäste zusammen, um für Karen Platz zu machen. Ihr Vater und ihre Schwestern blieben indessen am hinteren Ende des Zimmers stehen.

Nachdem das Gebet beendet war, klappte Reverend Michaels sein Gebetbuch wieder zu. Die Trauergemeinde verhielt sich außerordentlich still und ruhig. Es war nicht das geringste Rumoren oder Rascheln zu vernehmen, das sonst oft entsteht, wenn ein gemeinsames Gebet abgeschlossen ist. Außer leisem Schluchzen war nichts zu hören.

Reverend Michaels ließ seinen Blick durchs Zimmer schweifen, als erwarte er etwas, das er nicht zu erbitten hätte. Der Gottesdienst war eindeutig noch nicht zu Ende. Die Eltern des toten Kindes standen noch immer Arm in Arm neben dem offenen Sarg. Die Mutter schluchzte leise, der Vater zeigte seinen Kummer geräuschlos mit traurigem Blick. Neben Kummer und Trauer in dem Zimmer wurde plötzlich eine unterschwellige Spannung spürbar. Der Reverend schaute noch immer zum rückwärtigen Teil des Raumes. Augenpaare, die bislang auf die trauernden Eltern gerichtet waren, wandten sich eines nach dem anderen zur Türe. Nach einer Weile verstummte auch das Schluchzen der Mutter. Sie hob den Kopf und folgte dem Blick ihres Mannes über die Köpfe der versammelten Trauergemeinde hinweg. Das Weinen hatte aufgehört, und alle schienen die Luft anzuhalten. Es herrschte absolute Stille, als würden die Dutzende von Augenpaaren etwas geschehen lassen wollen. Ein Mann in der hintersten Ecke des Zimmer erhob sich, und sämtliche Augen starrten auf das, was er in den Händen hielt.

Der Mann war groß und schlank und mit einem abgetragenen, braunen Anzug angetan. Er kam aus der hinteren Ecke des Raumes und ging durch die Gasse, welche die Trauergäste für ihn gebildet hatten. Aller Blicke waren auf den großen Holzhammer geheftet, den er in der Hand hielt. Langsam durchquerte er das Zimmer, wobei er den Vater des toten Kindes nicht aus den Augen ließ. Er trat neben den Sarg und reichte Mr. Dorsay den Hammer. Gleichzeitig legte Reverend Michaels dem trauernden Vater die linke Hand auf die Schulter und holte mit der rechten einen langen Bolzen hervor, wie man sie beim Bau von Eisenbahnschienen verwendete. Der Reverend reichte Mr. Dorsay den Bolzen. Die Gesichter der Trauergäste waren angespannt und erwartungsvoll auf den Sarg gerichtet. Außer einem rastlosen Scharren einiger weniger ungeduldiger Füße herrschte absolute Stille. Das Dämmerlicht im Zimmer schien die Stille noch zu unterstreichen.

Unter den wachsamen Augen der versammelten Trauergemeinde setzte Mr. Dorsay den langen Bolzen auf die Stirn seines toten Kindes. Dann hämmerte der Vater mit dem hallenden Geräusch von Holz auf Metall den Stift tief in den Schädel seiner Tochter.

Tränen rannen über das stille, ausdruckslose Gesicht des Mannes.

Mrs. Dorsay schrie auf, unfähig, ihre Kontrolle zu bewahren, und fuhr fort, in den Armen mehrerer Frauen, die hinzugeeilt waren, um sie zu trösten, verzweifelt zu schluchzen. Plötzlich flog die Eingangstüre auf und donnerte krachend gegen die Wand. Ein kleiner Junge stand auf der Schwelle, aufgeregt und außer Atem. Sein Blick fand Reverend Michaels als das Symbol der Autorität. »Er ist abgestürzt!« schrie er. »Der Bus! Er hat sich überschlagen! Ich war ganz in der Nähe! Er ist in den Abgrund gestürzt! Sie sind alle tot... glaube ich!« Die versammelten Trauergäste schrien alle gleichzeitig durcheinander. Ein Mann packte den Jungen bei den Schultern und schüttelte ihn, um mehr zu erfahren. »Wo ist es passiert? Wann?« brüllte er.

»An der Kreuzung. Vor ein paar Minuten. Der Bus geriet ins Schleudern und stürzte die Böschung hinunter«, erklärte der Junge atemlos.

Reverend Michaels machte ein strenges Gesicht. Er brüllte um Ruhe in der Versammlung. Die Trauergäste wandten sich ihm zu und erwarteten seine Anweisungen. Sie brauchten die Autorität seiner Stimme, auch wenn sie alle längst wußten, was er ihnen sagen würde. Wenn es Leichen bei dem Unfall gegeben hatte, und wenn andere ihren Verletzungen später erliegen würden, mußten ihnen die Bolzen in den Schädel getrieben werden, um sicherzugehen, daß der Frieden des Todes endgültig und vollständig sei, wie Gott, der Herr, es befohlen hatte.

»Ihr wißt alle, was zu tun ist«, verkündete Reverend Michaels feierlich. »Aber wir müssen uns beeilen. Es bleibt nicht viel Zeit.«

Die Trauergemeinde setzte sich in Bewegung, die Leute drängten und schoben sich aus dem Zimmer. Einige der Männer trugen Beutel mit langen Metallbolzen und Hämmern, die zum Symbol des Todes geworden waren und die man häufig zu Beerdigungen mitnahm. Andere hatten sich angewöhnt, diese Gegenstände immer im Auto bei sich zu führen.

Bert Miller wandte sich zu seinen Töchtern. Ann hatte ihr Gesicht völlig verängstigt in den Händen vergraben. Sie drückte sich an die Wand, als ihr Vater auf sie zuging. »Ich will nicht mitgehen!« schrie sie voller Verzweiflung und wich vor ihrem Vater zurück.

Bert packte ihr Handgelenk und schüttelte sie so, daß sie ihren Kopf heben und ihm in die Augen schauen mußte. »Du kommst mit! Und Sue Ellen auch! Die einzige, die nicht mitkommt, ist Karen! Und nur, weil sie schwanger ist. Sie bleibt hier und wartet, bis wir zurück sind!« Die anderen waren schon hinausgeeilt. Ann und Sue Ellen wurden von ihrem Vater nach draußen geschoben. Karen schaute ihnen verängstigt und zitternd nach.

Auszug aus einer Bürgerschutz-Radiosendung während des Notstands, der vor zehn Jahren in der ganzen Osthälfte der Vereinigten Staaten herrschte:

»... neueste Berichte informieren uns, daß sich die Invasion, die erst vor vierundzwanzig Stunden bekannt geworden ist, tatsächlich über den größten Teil der östlichen Vereinigten Staaten ausgebreitet hat. Medizinische und wissenschaftliche Berater sind ins Weiße Haus geladen worden, und Reporter berichten aus Washington, daß der Präsident plant, die Ergebnisse dieser Konferenz in einer Ansprache an die Nation über unser Bürgerschutz-Notstands-Rundfunknetz zu veröffentlichen...

... Die fremdartigen Wesen, die in alarmierender Zahl aufgetaucht sind, scheinen gewisse, vorhersagbare Verhaltensmuster an den Tag zu legen. In den wenigen Stunden nach den ersten Nachrichten über Gewalttaten, Morde und offenbar krankhafte Angriffe auf das Leben von völlig ahnungslosen Menschen wurde festgestellt, daß die fremden Wesen viele körperlich und verhaltensmäßig menschliche Eigenheiten aufweisen. Hypothesen über ihre Herkunft und ihre Absichten sind bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt so unterschiedlich und widersprüchlich, daß uns nur zu berichten bleibt, daß diese Faktoren bislang nicht erklärt werden können. Wissenschaftler und Ärzte untersuchen gegenwärtig mehrere Leichen von diesen Angreifern auf Hinweise, welche die vorhandenen Theorien widerlegen oder bestätigen. Die überwältigendste Tatsache ist, daß sich diese Geschöpfe sowohl in städtischen als auch ländlichen Gebieten über die ganze Osthälfte der Nation in unterschiedlicher Zahl ausbreiten, und wenn sie sich in Ihrem Gebiet noch nicht manifestiert haben sollten: Bitte treffen Sie sämtliche verfügbaren Vorsichtsmaßnahmen! Der Angriff kann jederzeit erfolgen, überall und ohne jede Vorwarnung! Hier noch einmal die wichtigsten Fakten aus unseren vorangegangenen Berichten: Eine aggressive Macht -eine Armee – unerklärter, unidentifizierter humanoider Wesen ist aufs Geratewohl in verschiedenen städtischen und ländlichen Gebieten in allen Oststaaten aufgetaucht. Diese Wesen sind absolut aggressiv und vernunftwidrig in ihrer Gewalttätigkeit. Bürgerschutzmaßnahmen sind eingeleitet worden, und Untersuchungen über Herkunft und Ziel der Angreifer sind im Gange. Alle Bürger werden dringend gebeten, die größtmöglichen Vorsichtsmaßnahmen zur Selbstverteidigung gegen diese heimtückische, fremde Macht wahrzunehmen. Diese Wesen sind körperlich ziemlich schwach und lassen sich wegen ihres verunstalteten Äußeren leicht von Menschen unterscheiden. Im allgemeinen sind sie unbewaffnet, doch können sie wahrscheinlich Waffen handhaben. Sie sind ohne irgendeinen Grund oder Plan aufgetaucht, ungleich organisierten Armeen, wie wir sie kennen. Sie erwecken den Eindruck, von Verzückung oder Besessenheit getrieben zu sein. Sie scheinen völlig irrational zu handeln. Sie können – ich wiederhole - sie können aufgehalten werden, indem sie bewegungsunfähig gemacht werden! Sie können durch Blendung oder Verstümmelung aufgehalten werden. Sie sind, denken Sie daran, körperlich schwächer als ein durchschnittlicher Erwachsener – aber ihre Stärke besteht in ihrer Überzahl, dem Überraschungseffekt und in der Tatsache, daß ihre Existenz jenseits unseres gewohnten Verstehens liegt. Sie scheinen irrationale, unkommunikative Wesen zu sein und müssen eindeutig als äußerst gefährliche Bedrohung angesehen werden, die uns in eine ernste Notstandssituation versetzt. Wenn man ihnen begegnet, ist ihnen auszuweichen oder man muß sie vernichten. Unter gar keinen Umständen sollten Sie oder Ihre Familienmitglieder allein oder unbeaufsichtigt bleiben, solange diese Bedrohung anhält.

... Diese Wesen sind Fleischfresser! Sie verzehren das Fleisch ihrer Opfer. Charakteristisch für ihre Attacken ist ihr hinterhältiges, wahnsinniges Verlangen nach menschlichem Fleisch. Ich wiederhole: Diese fremden Wesen ver-zehren das Fleisch ihrer menschlichen Opfer...«

Sheriff Conan McClellan schlürfte seinen Morgenkaffee in seinem Büro, als die Nachricht von dem verunglückten Bus über den Polizeifunk eintraf. Er kannte die Kreuzung und die Böschung, wo der Bus dem Bericht zufolge abgestürzt war. Die Meldung erwähnte nichts von einem Feuer, und die Böschung war nicht sehr tief. Je nach der Geschwindigkeit, mit welcher der Bus über den Straßenrand geraten war, und je nachdem, ob er eine Kollision mit den großen Bäumen hatte verhindern können, ehe er zum Stillstand gekommen war, konnte es Überlebende geben.

McClellan vergewisserte sich, daß ein Notruf für zusätzliche Krankenwagen und medizinische Erste-Hilfe-Ausrüstungen an alle Nachbargemeinden gefunkt worden war. Dann alarmierte er die Unfallstationen der nächstgelegenen Krankenhäuser. Er rief ebenfalls im Leichenhaus an. Dann bestieg er einen Mannschaftswagen und befahl dem Fahrer, dem Adjutanten Greene, einem Anfänger, sie zur Unfallstelle zu bringen. Greene war nervös und versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen; er hatte bislang noch keine Gelegenheit gehabt, sich in seiner Funktion als Polizist einem Toten gegenüber zu sehen, und nach dem, was er aus dem Bericht und aus den Vorbereitungen seines Vorgesetzten folgern konnte, war er einigermaßen sicher, daß er an diesem Tag seinen ersten Leichen gegenüberstehen würde.

Sheriff McClellan war ein ausgezeichneter Polizist mit der störenden, wenn auch vielleicht notwendigen Gewohnheit, förmlich nach Gelegenheiten zu jagen, seine Männer der Feuertaufe zu unterziehen. Wenn sie einmal, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Krise durchgestanden hatten, dann wußte er, daß er sich auf sie verlassen konnte. Und – davon war er überzeugt – dann konnten sie sich auch auf sich selbst verlassen. Greene war auf dem Weg, ausgesprochen zuver-lässig zu werden, dachte er.

Der Sheriff war in diesem Fall selbst nervöser als sonst, und er wußte, warum. Das Busunglück erinnerte ihn nur zu sehr an den ersten Unfall, mit dem er als Anfänger betraut gewesen war. Ein Bus mit Schulkindern war frontal mit einem Lastwagen zusammengestoßen, der mit Stahlstreben für Betonbauten überladen gewesen war. Die Stahlstangen hatten sich unter der Wucht des Aufpralls aus den Halterungen gelöst und waren wie Speere in das Innere des Busses geschleudert worden, wo sie eine große Zahl der Kinder aufgespießt und Köpfe und Gliedmaßen von den Leibern getrennt hatten. McClellan hätte aufgrund dieses schrecklichen Erlebnisses beinahe seinen Dienst bei der Polizei quittiert, überzeugt, seine sechs Monate währende Erfahrung als Polizist sei genug. Jetzt, sechsundzwanzig Jahre später, hatte er das Gefühl, er könne sich allem, was die Welt ihm ins Gesicht schleudern würde, gleichmütig stellen. Niemals ließ er seine Gefühle erkennen, aber niemals vergaß er irgend etwas – oder irgendwen -, wenn er tief berührt worden war. Seine Männer respektierten ihn, doch sie hielten ihn für ein bißchen zu dickfellig, um human zu sein. McClellan wußte, daß dies das einzige Mittel war, in seinem Beruf zu überleben.

Der Adjutant Greene war sich im klaren darüber, was ihm bevorstand. Er dachte an die Nachrichten, die er über den Polizeifunk im Auto gehört hatte. Wäre er allein gewesen, würde er vielleicht in der Hoffnung, daß ein Teil der Spuren der Katastrophe schon aufgeräumt worden wäre, langsamer gefahren sein. Aber mit dem Sheriff neben sich auf dem Beifahrersitz konnte er es sich nicht erlauben, zu trödeln. Und wenn er in seinem tiefsten Inneren gewünscht hätte, daß McClellan einen anderen als Fahrer gewählt hätte, so war er klug genug, dies nicht zu erwähnen.

Mit aufblitzender Alarmleuchte und heulenden Sirenen näherten sie sich dem Unfallort, den sie in etwa zehn Minuten nach ihrer Abfahrt aus dem Polizeipräsidium erreichen würden.

Der Bus war, nachdem er die steile Steigung der Landstraße überwunden und die abfallende Seite erreicht hatte, von der Fahrbahn geraten. Eine Polizeisperre war der Straße entlang errichtet worden. Ein Polizist dirigierte die Rettungsfahrzeuge zur Unfallstelle und winkte den übrigen Verkehr weiter. Glücklicherweise herrschte auf dieser ländlichen Route nur selten viel Verkehr, und falls es Überlebende gab, konnten sie schnell in ein Krankenhaus transportiert werden. Der Polizist ließ McClellans Wagen passieren, und Greene lenkte ihn behutsam über die Stelle, von wo aus sie die kurvenreiche Strecke oberhalb der Kreuzung bei der Brücke über den Fluß und dem Zusammentreffen von drei Landstraßen etwa zweihundert Meter weit überblicken konnten. Es gab keinerlei Hinweise darauf, warum der Bus außer Kontrolle geraten war. Möglicherweise war er von einem Fahrzeug, das, nachdem der Bus sich überschlagen hatte, seinen Weg fortgesetzt hatte, zum Ausweichen gezwungen worden.

Greene steuerte den Wagen an den Straßenrand, ließ die Alarmanlage weiterblinken, und er und der Sheriff stiegen aus. Sie waren bei weitem nicht zu spät eingetroffen. Im Gegenteil: Sie schienen unter den ersten zu sein, die den Unfallort erreicht hatten, was für Greene nicht besonders tröstlich war. Noch ein weiterer Streifenwagen war zur Stelle, so weit wie möglich von der Fahrbahn geparkt, die Alarmleuchte ebenfalls eingeschaltet. McClellan vermutete, daß der Polizist, der den Verkehr lenkte, mit diesem Wagen hergekommen war. McClellan schaute die Böschung hinunter zu dem abgestürzten Bus, doch er konnte niemanden sehen, der sich auf dem Weg dorthin befand. Aus der Entfernung war der Bus nicht sehr deutlich auszumachen; sein fataler Sturz hatte in einem dichten Gehölz geendet, das nun das Ausmaß der Katastrophe weitgehend verbarg.

McClellan machte Greene ein Zeichen, er solle mitkommen, und begann, sich einen Weg den Abhang hinunter zu dem Unglücksbus zu bahnen. Sie sahen Rauch aus dem Gehölz aufsteigen, doch es war eindeutig nicht genug Rauch, um auf ein großes Feuer hinzudeuten. Aber dennoch machte McClellan sich keine große Hoffnung, eine größere Zahl von Überlebenden oder Unverletzten vorzufinden. Falls es welche gab, so sagte er sich, wäre ihr erster Impuls gewesen, aus dem Gehölz zu kriechen und Hilfe zu holen. Da niemand zu sehen war, war vermutlich niemand dazu imstande. Doch andererseits bemerkte er, daß das Gras niedergetrampelt war, und an verschiedenen Stellen waren Fußabdrücke im morastigen Boden zu erkennen, als habe sich aus unerfindlichen Gründen eine größere Anzahl von Leuten den Weg zu dem Wrack gebahnt. McClellan fand dafür keine Erklärung. Wenn Leute dort hinuntergegangen waren, wer waren sie und wo waren sie geblieben?

Die sauber gewaschenen und sorgfältig gebügelten Kleider von Ann und Sue Ellen waren inzwischen zerschlissen, verdreckt und mit Blut besudelt. Sue Ellen stolperte, die Beine des toten Mannes, den sie zu tragen half, entglitten ihr, und sie schlug mit dem Gesicht gegen die Schuhe des Toten. Ein Schluchzen drang aus ihrer Kehle. Bert Miller hatte kein Wort des Mitgefühls oder der Ermutigung für sie. Sein strenger, zorniger Blick hieß seine Tochter aufstehen und weitermachen. Sue Ellen rappelte sich wieder hoch, packte die Beine der Leiche und machte weiter. Ihr Vater hielt die Leiche an den Armen und auch er war außer Atem. Aber er mußte weitermachen. Und sie ebenfalls. Bert wollte, daß seine Töchter lernten, wie hart das Leben war, daß es Pflichten gab, die erfüllt werden mußten, und daß Leute mit der richtigen moralischen Einstellung taten, was getan werden mußte, ohne zu klagen und ohne je auf Erden dafür Belohnung zu erwarten. Er hatte Ann und Sue Ellen die Wahl gelassen, ob sie lieber Leichen tragen oder Bolzen nageln wollten. Sie hatten sich aus ihrem eigenen, freien Willen entschieden, die Leichen tragen zu helfen. Also mußten sie es auch tun. Und sie mußten es schnell erledigen. Ehe die Autoritäten ankamen und sie daran hinderten. Die Autoritäten gaben nicht mehr gern zu, daß es notwendig war, die Toten zu pfählen, auch wenn es vor gar nicht langer Zeit noch absolut notwendig gewesen war. Sue Ellen und ihr Vater schafften den toten Mann in eine Lichtung im Wald, wo schon andere Leichen hingebracht worden waren. Dort legten sie den Mann nieder, und das Mädchen wandte sich ab, als dessen Kopf zur Seite kippte und das Loch im Schädel sichtbar wurde, das fast bis zum Nacken reichte. Sue Ellen verdeckte ihre Augen mit den Händen und erinnerte sich zu spät daran, daß sie voller Blut waren. Sie zog sie zurück, doch sie hinterließen auf jeder Wange einen frischen Blutfleck. Sie begann zu weinen. Sie konnte das Keuchen ihres Vaters hören, der einen Augenblick ausruhte und beobachtete, wie Ann die Leiche eines dreijährigen Kindes durch das Gras in die Lichtung schleppte. Ein großer Holzsplitter von einem abgerissenen Ast steckte in seiner Brust; sein Mund war geöffnet und seine Zähne von geronnenem Blut verkrustet. Bert Miller hatte Ann die Kinderleiche alleine tragen lassen, während er den toten Mann, eine weit schwerere Bürde, mit Sue Ellen übernommen hatte. Der Mann und das Kind waren die letzten Leichen, die aus dem Buswrack in die Lichtung geschafft werden mußten. Dort hatten andere schon damit begonnen, die Bolzen einzurammen.

Ann und Sue Ellen ließen sich keuchend, einem Schock nahe, auf den Boden fallen. Sie schauten einander nicht an, weil jede die andere an die grauenvolle Erfahrung erinnerte, die sie gerade durchgestanden hatten. Jede fühlte sich allein, jenseits allen Verstehens verängstigt, und sie wären am liebsten davongerannt, um vor dem Anblick, der sich ihnen in der Lichtung bot, zu entfliehen, ein Anblick, der sie mit solcher Abscheu erfüllte, daß sie die Augen davor verschlossen. Aber sie konnten es hören, das Krachen von Holz auf Metall, das Splittern toter Schädel, das Keuchen und Rufen derer, welche die Bolzen und Hämmer handhabten. Es hatte keiner aus dem Bus überlebt. Reverend Michaels lief zwischen den Leichen, von denen die meisten entsetzlich zugerichtet waren, herum und blieb über einer jeden stehen, um eilig das Gebet zu sprechen, das dazu dienen sollte, der Seele den ewigen Frieden zu gewähren. Hin und wieder nahm er sich bei seiner fieberhaften Arbeit die Zeit, seine Gemeindemitglieder zu ermutigen und sie zu loben, daß sie die Kraft hatten, die Aufgabe des Herrn zu erfüllen.


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