Текст книги "Zurück aus Afrika"
Автор книги: Corinne Hofmann
Жанр:
Биографии и мемуары
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Auf der Fahrt nach Hause male ich mir in Gedanken die Ferien in Südfrankreich aus und freue mich darauf, zumal in St. Raphael eine Großtante mütterlicherseits lebt, die aus Indochina, dem heutigen Vietnam, kommt und die ich bei dieser Gelegenheit endlich kennen lernen könnte.
Drei Wochen später begeben wir uns mit dem Auto auf die lange Reise. Während der Fahrt singen wir, ich erzähle Geschichten oder wir hören uns Märchen-Kassetten an. Einige hundert Kilometer läuft alles bestens, doch allmählich wird Napirai quengelig, denn sie will nicht mehr im Auto sitzen. Alle Ablenkungsversuche helfen nichts und ich muss von der Autobahn abfahren und uns ein Hotel suchen. Mitten im Juli in Italien, und noch dazu in Meeresnähe, erweist sich dies als ein fast aussichtsloses Unterfangen. Alles ist belegt und darüber hinaus werden wir misstrauisch gemustert. Als ich mich schon auf eine Übernachtung im Auto vorbereiten will, haben wir beim letzten Versuch endlich Glück. Es ist eine alte Pension an einer Durchgangsstraße. Bevor wir das einfache und laute Zimmer beziehen, möchte ich mir mit Napirai noch ein wenig die Beine vertreten. Wir schlendern durch den kleinen malerischen Ort, in dem die Alten vor ihren Häusern auf der Straße sitzen. Immer wieder höre ich: »Che bella bambina, che bella!« Einige sind so entzückt von meiner Tochter, dass sie sie streicheln und berühren wollen. Napirai gefällt das überhaupt nicht und sie quittiert die Zuwendungen mit einem düsteren Blick. Wir ziehen uns in die Pension zurück und essen unsere letzten Brote, bevor wir erschöpft einschlafen.
Am nächsten Tag legen wir die letzten hundert Kilometer bis St. Raphael zurück und finden dank meiner im Außendienst erworbenen Orientierungsfähigkeiten die Villa auf Anhieb. Mimi empfängt uns freudig. Das Haus ist riesig und hat einen wunderschönen Pool. Am Abend stellt sie mir ihren Lebenspartner vor. Ich bin angenehm überrascht und erfreut. Er ist ein aufgeschlossener, jugendlicher und fröhlicher Mann, der Mimi jeden Wunsch von den Augen abzulesen scheint. Wir verbringen einen gemütlichen Abend. Bereits am zweiten Tag aber passiert fast eine Tragödie. Während ich für den Broteinkauf unterwegs bin, spielt sich zu Hause eine erschreckende Szene ab. Napirai schleicht, ohne einen Ton zu sagen, die Treppe zum Pool hinunter, und als Mimi rein zufällig auf die Terrasse kommt, sieht sie nur noch Napirais Haarbüschel aus dem Wasser herausschauen. Sie rennt zum Pool und zieht das Kind im letzten Moment heraus. Als ich nach 20 Minuten zurückkomme, schreit sie immer noch wie am Spieß. Panisch renne ich die Treppen hoch und sehe ihren roten Kopf. Während Mimi aufgeregt erzählt, was passiert ist, bekomme ich weiche Knie. Tränen laufen mir über das Gesicht, als mir bewusst wird, wie knapp mein Mädchen mit dem Leben davon gekommen ist. Stundenlang halte ich sie und lasse sie in den nächsten Tagen keine Minute mehr aus den Augen. Ich gehe mit ihr ans Meer und sie genießt das Buddeln im Sand. Bei einem Spaziergang durch das Dorf erlebt Napirai zum ersten Mal eine Kirmes mit Karussells, die es ihr schnell angetan haben. Ansonsten verläuft der Rest des Urlaubs ruhig, wenngleich für mich fast etwas zu langweilig. Ich bin es nicht mehr gewohnt, untätig zu sein und so viel Zeit zu haben.
Oft muss ich an Kenia und an meine dortige Familie denken und würde gerne wissen, was aus Lketinga geworden ist und was er nach diesen fast zwei Jahren, seitdem ich fortgegangen bin, über uns denkt. Ich weiß, er lebt noch, aber nicht, wie und wo. James hat mir in seinem letzten Brief mitgeteilt, dass ein anderer Samburu-Krieger von der Küste nach Hause gekommen ist und erzählt hat, Lketinga lebe mal da, mal dort. Er habe sein Auto noch, habe jedoch einen schlimmen Unfall gehabt. Zum Glück sei er mit ein paar Schnittwunden im Gesicht davongekommen. Mich machte dieser Brief traurig, aber ich konnte nichts tun. Ja, und nun sitze ich hier in St. Raphael und empfinde einen Urlaub dieser Art eigentlich als langweilig.
Einzig das Treffen mit meiner Großtante bringt Abwechslung. Ohne Ankündigung stehen wir vor ihrem Häuschen und ich stelle mich vor. Über unseren überraschenden Besuch freut sie sich sehr. Sie ist eine kleine, zierliche, alte Dame und man erkennt deutlich ihre asiatischen Wurzeln. Sie erzählt Geschichten aus ihrem aufregenden Leben, das sie vor dem Krieg geführt hat. Ihre Familie war sehr begütert und hatte über 80 Bedienstete, was ich mir kaum vorstellen kann. Als Kind wurden ihr noch die Füßchen gebunden, damit diese schön klein blieben und sie besser zu verheiraten wäre. Später, als sie die Frau des Bruders meines Großvaters wurde und nach Frankreich flüchten musste, waren etliche Operationen nötig, damit sie überhaupt wieder einigermaßen schmerzfrei gehen konnte. Ich bin entsetzt, denn so etwas habe ich noch nie gehört. In gewisser Weise erinnert es mich auch an die schrecklichen Beschneidungen der Mädchen, die immer noch bei den Samburu und auch bei anderen Stämmen durchgeführt werden. Warum werden auf der ganzen Welt immer die Mädchen auf irgendeine Art misshandelt?, frage ich mich traurig. Es folgen weitere Geschichten aus ihrem bewegten Leben, denen ich fasziniert lausche. Nachdem wir uns verabschiedet haben, bin ich froh, diese interessante Frau kennen gelernt zu haben. Wer weiß, ob ich sie noch einmal sehen werde.
Wieder zu Hause erzähle ich meiner Mutter von dem in letzter Sekunde verhinderten Unglück am Pool, damit auch sie Napirai beim Baden nicht mehr aus den Augen lässt. Meine Mutter allerdings bringt ihr noch im selben Jahr das Schwimmen ohne Schwimmhilfe bei, was mit Sicherheit die beste Vorbeugung gegen derartige Unfälle ist.
Unser gewohntes Leben geht weiter. Tagsüber arbeite ich und Napirai verbringt die Zeit bei meiner Mutter oder ihrer Pflegefamilie. Nach den gemeinsamen Ferien fällt es mir wieder sehr schwer, mein Kind »abzugeben«. Doch die Verkäufe laufen gut, deshalb bin ich abgelenkt und habe bald wieder Spaß am Arbeiten. Mit meinem Lohn komme ich immer gerade über die Runden. Manchmal bleiben mir am Monatsende sogar ein paar Hunderter übrig, die ich für einen eventuellen Urlaub und die Steuern spare.
Wieder einmal besuche ich spontan einen Neukunden. Als ich sein Geschäft betrete, lacht er und ruft: »Ja, schon wieder eine Vertreterin! Was wollen Sie mir denn andrehen? Der hier probiert es auch schon.« Dabei zeigt er auf einen sympathischen Mann. Locker begrüße ich die beiden und bemerke dabei, dass wir nicht dieselben Produkte anbieten, da er auf T-Shirts mit Firmenwerbung spezialisiert ist. Wir diskutieren hin und her und bald können wir beide ein größeres Angebot vorlegen. Als ich mich verabschieden will, lädt mich der Kollege zu einem Kaffee ein, da er sich mit mir noch kurz unterhalten möchte. Im Restaurant unterbreitet er mir ein Jobangebot und meint, wenn ich Lust hätte, könnte ich gerne bei ihnen anfangen. Sie seien ein Unternehmen, das hochwertige bedruckte und bestickte T-Shirts, Sweater und Hemden vertreibt. Es ließe sich gutes Geld verdienen und ein tolles Team würde mich ebenfalls erwarten. Ich höre gespannt zu und nehme auch gerne die Visitenkarte entgegen, aus der sich erkennen lässt, dass er der Außendienstleiter ist. Da ich aber mit meiner derzeitigen Arbeit voll zufrieden bin, äußere ich mich dementsprechend. Sollte sich jedoch etwas ändern, so würde ich mich bei ihm melden.
Zu Hause finde ich einen Brief vom deutschen Konsulat vor. Da die Frage hinsichtlich des Familienstammbuches immer noch offen ist, öffne ich das Kuvert mit einem unguten Gefühl. Doch als ich die zwei Blätter gelesen habe, bin ich einmal mehr überglücklich. Anscheinend waren die Angaben aus Kenia ausreichend, denn ich halte eine Abschrift des Familienstammbuches in der Hand, in dem Napirai mit meinem Familiennamen eingetragen ist. Das bedeutet vor allem, dass sie endgültig die deutsche Nationalität besitzt und somit in der Schweiz keine Probleme mehr auf uns zukommen. Endlich bin ich mir sicher, auch die letzte Hürde genommen zu haben. Nun muss ich später nur noch die Scheidung einreichen. Da ich aber in keiner Beziehung lebe, ist dies im Moment nicht das Wichtigste, damit warte ich noch. Anlässlich der guten Neuigkeit feiere ich am Wochenende mit zwei Freundinnen und ihren Kindern ein herbstliches Grillfest.
Kurz darauf jedoch folgt eine schlechte Nachricht. Napirais Tagesmutter eröffnet mir, dass sie wieder schwanger ist. Wenn ihr zweites Kind da sei, habe sie leider für Napirai keine Zeit und keinen Schlafplatz mehr zur Verfügung. Diese Mitteilung macht mich im ersten Moment sehr traurig, weil sich Napirai bei ihr so wohl fühlt und ihr sicher nachtrauern wird. Doch ich beruhige mich und denke, wir haben noch ein paar Monate Zeit und es wird sich schon wieder etwas ergeben.
Jetzt im Herbst gehen die Werbeartikel gut und die ersten Bestellungen für Kundengeschenke zu Weihnachten laufen an. Ich verdiene zeitweilig sogar mehr als im ersten Job und so kann ich mir im Januar 1993 sogar einen Skiurlaub mit meiner Mutter und Hanspeter in Frankreich leisten. Die beiden fahren jedes Jahr dorthin und diesmal schließen wir uns an, zumal Napirai ihre erste Skiausrüstung unter dem Weihnachtsbaum vorgefunden hat. Es sind wunderschöne Ferien. Der Himmel ist jeden Tag tiefblau und der Schnee knirscht vor Kälte. Nach fast zehn Jahren Pause genieße ich das Skifahren wieder sehr. Napirai, die halbtags in einer Skischule übt, hängt schon nach zwei Tagen allein an einem Tellerlift, der sie allerdings fast vom Boden hebt. Am fünften Tag treffen wir die gesamte Skischule auf dem Berggipfel und ich sehe gerade noch, wie Napirai in der Kolonne und im Schneepflug langsam nach unten fährt. Ich bin sprachlos, was mein dreieinhalbjähriges Massaikind schon alles schafft und bin mächtig stolz auf sie.
Wie immer zu Jahresbeginn läuft die Arbeit zäh an. Januar und Februar sind einfach keine Erfolgsmonate. Dazu kommt das trostlose Wetter. In dieser tristen Zeit schickt mir eine Bekannte eine Einladung zu einem Essen mit Freunden. Ich solle unbedingt kommen, denn es handle sich um eine bunt zusammengewürfelte Gruppe und viele seien gespannt auf meine Geschichte. Neugierig gehe ich hin und erlebe einen anregenden Abend. Es wird viel diskutiert und erzählt und ich habe bald einen aufmerksamen Zuhörer gefunden, der auch mein Interesse geweckt hat. Beim Abschied tauschen wir unsere Adressen aus und bereits zwei Tage später ruft er mich an. Wir verabreden uns zu einem Treffen zu zweit. Es ist der Beginn meiner ersten Beziehung seit meiner Rückkehr. Er scheint keine Vorurteile gegenüber meinem Vorleben zu haben, ist sehr engagiert und arbeitet viel im Ausland. Wir sehen uns nicht häufig, doch das stört mich nicht, da ich meine Tochter sowieso nicht allzu viel weggeben möchte. Manchmal glaube ich aus seinen Reden Bedauern darüber herauszuhören, dass wohl kaum jemand zwischen meiner Tochter und mir Platz fände. Zudem gelingt es Napirai nicht, eine tiefere Beziehung zu ihm aufzubauen. Sie mag ihn zwar, aber er kann nicht richtig auf Kinder eingehen, wahrscheinlich weil er keine eigenen hat. Er ist etliche Jahre älter als ich und, wie ich immer deutlicher merke, ein eingefleischter Junggeselle. Durch seine zum Teil langen Auslandsaufenthalte entfremden wir uns immer wieder aufs Neue und irgendwie plätschert diese Beziehung zwei Jahre später dem Ende entgegen. Es ist von beiden Seiten wohl keine große Liebe gewesen oder vielleicht bin ich einfach noch nicht bereit für eine neue Partnerschaft.
Mittlerweile habe ich eine neue Pflegefamilie für Napirai gefunden. Es ist ein Ehepaar mit einem gleichaltrigen Mädchen. Obwohl die Kleine zu Beginn nicht sehr begeistert war, die Aufmerksamkeit ihrer Mutter mit jemand anderem teilen zu müssen, sind die beiden inzwischen dicke Freundinnen. Ich bewundere diese Mutter, mit welcher Geduld und Ausdauer sie mit den Kindern bastelt, malt, ihnen Geschichten erzählt oder im Garten mit ihnen Pflanzen eingräbt. Oft ist meine Tochter nur schwer aus dem Spiel zu reißen, wenn ich sie abhole. Aber schließlich möchte ich mein Kind selbst noch für ein paar Stunden genießen. Häufig warten auch die Nachbarsmädchen auf sie. Manchmal schlafen alle bei uns und ich begnüge mich damit, auf dem Sofa zu nächtigen. Ein Heidenspaß ist es, wenn alle in einer Wanne baden.
Auch Napirais Geburtstage sind sehr gefragt. Da treffen sich jedes Mal an die zwölf Kinder und einige Erwachsene auf unserer Terrasse und wir veranstalten eine Kinderparty. Natürlich wird alles schön dekoriert und ich organisiere verschiedene Spiele. Es wird gegrillt und mein Nudelsalat findet reißenden Absatz. An Napirais Geburtstag nehme ich mir jedes Mal frei, komme was wolle.
An diesem Tag erinnere ich mich immer an die aufregende Geburt im Missionsspital in Wamba. Meine Freundin Sophia, die gleichzeitig mit mir ihr erstes Kind erwartete, und ich waren die Sensation für die Einheimischen. Vor uns hatten in diesem Spital noch nie weiße Frauen Kinder zur Welt gebracht und natürlich wurden wir besonders neugierig beobachtet. Als dann meine Wehen begannen und ich im »Gebärsaal« lag, waren die Plätze an den scheibenlosen Fenstern bei den schwarzen Frauen sehr begehrt. Allerdings waren meine Wehen so stark, dass ich davon nicht viel mitbekam. Erst als mein Mädchen endlich geboren war, erlebte ich bewusst, wie Sophia hereinstürzte, um mir zu gratulieren, und dabei eine brennende Zigarette im Mund hatte, während ich noch im Gebärstuhl lag und ohne Betäubung genäht wurde. Ja, denke ich, das können sich die Frauen hier in der Schweiz nicht vorstellen, und wann immer ich davon berichte, staunen sie.
Im Übrigen fällt mir immer häufiger auf, dass die Frauen förmlich an meinen Lippen hängen, wenn ich von meiner ehemaligen Liebe und dem damit verbundenen Leben erzähle. Oft kommt es vor, dass wir einen geplanten Ausflug verschieben und zu Hause hängen bleiben, damit ich aus meinem Leben bei den Samburu erzählen kann.
Scheidung von Lketinga
Während eines erneuten Treffens in der Gruppe der allein Erziehenden erzählt eine Teilnehmerin von ihrer kürzlich überstandenen Scheidung, die sich Jahre hingeschleppt hatte. Ich frage nach, wie so etwas in die Wege geleitet wird, da ich keine Ahnung habe. Allmählich verspüre auch ich den Wunsch, »reinen Tisch« zu machen und mich um meine eigene Scheidung zu kümmern. Ich rufe, wie mir geraten wurde, den zuständigen Friedensrichter an und schildere meine Situation, wobei ich erwähne, dass ich meinen Mann bereits drei Jahre nicht mehr gesehen habe. Auf Grund meiner Erzählungen sowie der Tatsache, dass Lketinga irgendwo in Kenia lebt und wir keinen persönlichen Kontakt herstellen können, erübrigt sich das normale Ehegespräch. Er wird mir die Formulare zuschicken, damit ich die Scheidung einreichen kann. Zum Schluss fügt er hinzu, dass ihm solch eine Situation noch nie untergekommen sei und er sich erst informieren müsse, wie man das regeln kann. Als ich die Formulare Tage später studiere, bin ich erleichtert, wie einfach das Ganze zu sein scheint. Allerdings überrascht es mich, dass auch Auskunft über meine Jugendzeit, die Familie, ja sogar über meine Geschwister verlangt wird. Alle Schulen müssen aufgelistet und Angaben zum heutigen Arbeitsverhältnis gemacht werden. Dann sollen Auskünfte zur Beziehung erfolgen, unter anderem wo, wann und in welchem Alter man sich kennen gelernt habe. Na ja, da habe ich so einiges aufzuschreiben. Die Spalte, in der man die Geldforderungen für das Kind angeben soll, streiche ich durch und erkläre, dass ich auf jede Unterstützung verzichte. Wie sollte Lketinga Unterhalt zahlen, wenn ich doch seiner Familie von hier aus, wenn es möglich ist, etwas Geld zukommen lasse? Dann stecke ich alles in einen Briefumschlag und schicke ihn in gespannter Erwartung ab. Verlieren kann ich ja nicht viel, denke ich mir dabei.
Die Freizeit während des Sommers verbringen wir mit verschiedenen Aktivitäten. Einmal kommt Madeleine mit einem Inserat zu uns, in dem eine Busfahrt nach Südtirol mit dreitägigem Aufenthalt in einem Hotel mit Schwimmbad angeboten wird. Da wir nicht viel Geld zur Verfügung haben und dieses Angebot sehr günstig ist, melden wir uns an. Hauptsache wir sind ein paar Tage weg. Schon beim Besteigen des Busses merken wir, dass wir mit Abstand die jüngsten Teilnehmer sind, von den Kindern ganz zu schweigen. Napirai fragt prompt in für alle hörbarer Lautstärke: »Mama, warum gehen nur Omas in die Ferien?« Ich erkläre ihr, dass ältere Menschen viel Zeit für Ferien haben, weil sie nicht mehr arbeiten müssen. Mir fällt nichts Besseres ein. Während der Fahrt tragen unsere Kinder zur Unterhaltung aller Reisenden bei. Vor allem Napirai sitzt mal hier, mal dort bei einer Oma und alle freuen sich. Es werden drei quirlige Tage, die nicht viel kosten, an denen die Kinder aber voll auf ihre Kosten kommen.
Ein anderes Mal besorge ich mir das uralte Zweierzelt meiner Mutter und fahre mit meiner Tochter zu dem nicht allzu weit entfernten Walensee zum Zelten. Es ist ein einfacher Campingplatz mitten im Wald. Wir haben das kleinste und lustigste Zelt und bauen es auf einer kleinen Anhöhe auf. Ich ziehe einen schmalen Graben außen herum, wie ich das in Kenia um die Manyatta tat, damit bei Regenfällen das Wasser einigermaßen ablaufen konnte. Die Mühe hat sich gelohnt. In der Nacht tobt ein heftiges Gewitter über den See. Napirai und ich liegen auf dem Bauch und schauen uns das Spektakel aus dem kleinen Zelt an, da an Schlafen bei dem Donner sowieso nicht zu denken ist. Die Blitze zucken lang gezogen über den See und erhellen für kurze Momente die ganze Umgebung. Wir sind fasziniert. Tags darauf ist es schwierig, trockenes Feuerholz für unsere Würstchen zu finden. Der Boden ist tropfnass und viele Zelte sind abgebrochen und verschwunden. Aber wir geben nicht auf und werden gegen Mittag mit den ersten Sonnenstrahlen belohnt. Später sammle ich dürre Äste von den Bäumen, da diese am schnellsten in der Luft getrocknet sind. Tatsächlich haben wir bald unser Feuer und kurz darauf das verspätete Mittagessen. Napirai freut sich sichtlich darüber, mit ihrer Mama so herumhängen zu können.
Als ich nach den Sommerferien wieder zur Arbeit komme, eröffnen mir meine Arbeitgeber, dass sie sich trennen und der Firmensitz verlegt wird. Für mich bedeutet das, dass ich nun für die Bestellungsbesprechungen nicht mehr schnell vorbeigehen kann, sondern einige Stunden Anfahrt in Kauf nehmen müsste. Ich bin nicht begeistert, weil mir dadurch viel Zeit mit Napirai verloren geht, und teile ihnen mit, dass ich unser Arbeitsverhältnis neu überdenken müsse.
Zu Hause suche ich die Visitenkarte des Außendienstchefs der Firma, die T-Shirts vertritt, und rufe dort an, allerdings ohne mir große Hoffnungen zu machen, dass er sich noch an mich erinnern kann. Er ist jedoch sehr erfreut und wir vereinbaren einen Termin in der Firma. Als ich einige Tage später das Gebäude betrete, bin ich beeindruckt, wie gepflegt und professionell alles aussieht. Die großen Maschinen, mit denen im Siebdruckverfahren die unterschiedlichen Motive auf die T-Shirts gedruckt werden, faszinieren mich. Auch die Stickerei-Abteilung ist interessant. Bei einer Tasse Kaffee sprechen wir natürlich auch über die Verdienstmöglichkeiten. Der Grundlohn bliebe in diesem Job in etwa gleich, aber ich bekäme eine höhere Provision und dazu noch pauschales Spesengeld. Alles in allem hätte ich einiges mehr als jetzt. Der Fall ist sofort klar und wir vereinbaren, dass ich so schnell wie möglich anfangen werde.
Mein altes Arbeitsverhältnis kann ich innerhalb von vier Wochen auflösen und bereits am 1. Oktober 1993 beginne ich den dritten Job seit meiner Rückkehr. Ich bin hoch motiviert, da mir die Arbeit mit den neuen Möglichkeiten großen Spaß macht und ich mich mit dem Chef gut verstehe. Vor allem die gestickten Firmen-Logos finden erfreulichen Absatz. Auch von meiner vorherigen Kundschaft kann ich dabei profitieren und verkaufe zum Teil sensationelle Stückzahlen. Keine Minute bereue ich den Stellenwechsel und stelle mit Genugtuung fest, dass mich bisher jeder neue Arbeitsplatz nur weitergebracht hat.
Eines Abends im November finde ich einen Abholschein von der Post vor. In dem Einschreiben befindet sich eine Vorladung zu einem Gerichtstermin, bei dem meine Ehescheidung verhandelt werden soll. Jetzt, da ich es schwarz auf weiß vor mir sehe, kommt es mir doch recht seltsam vor. Ich werde wahrscheinlich von einem Mann geschieden, der davon keine Ahnung hat. Die Verhandlung soll am 30. November 1993 um 17.00 Uhr stattfinden. Persönliches Erscheinen, mit oder ohne Vertreter, wird vorausgesetzt.
Oh Gott, ich habe keinen Anwalt! Brauche ich einen?, frage ich mich selbst. Oder soll ich meine Mutter oder gar Madeleine bitten mitzukommen? Aber dann entscheide ich mich, allein zu gehen, da nur ich die ganze Geschichte wirklich kenne. Meine Schlagfertigkeit ist in den Jahren im Außendienst gut geschult worden und mein gestärktes Selbstbewusstsein ist mit dem der ersten Monaten nach meiner Rückkehr aus Kenia, in denen ich mich nicht einmal mehr auf die Straße traute, nicht zu vergleichen.
Am besagten Tag nehme ich meine beiden Lohnabrechnungen mit, damit ersichtlich ist, dass ich uns beide gut ernähren kann, und eine Liste über meine Lebenshaltungskosten sowie ein paar Fotos von meinem Mann und unserem damaligen Leben. Da ich noch nie in einem Gerichtsgebäude war, beschleicht mich nun doch ein beklemmendes Gefühl. Vor mehreren Türen warten jeweils kleinere und größere Menschengruppen, die sich meist um einen Anwalt in Robe scharen. Als einzelne Person mit meinem dünnen Aktenmäppchen komme ich mir etwas verloren vor. Als ich aufgerufen werde, betrete ich gespannt den Raum, in dem bereits vier Personen warten. Ich setze mich auf die Bank vor den Richter. Erst werden die Personalien geklärt und dann muss ich mein Leben mit Lketinga in Kurzfassung erzählen.
Da mir schnell klar ist, dass sich der Richter unter dem Stamm meines Mannes nichts vorstellen kann, frage ich am Ende meiner Erzählungen, ob ich ihm zum besseren Verständnis ein paar Fotos vorlegen solle. Nach kurzem Zögern willigt er ein. Ich lege ihm sechs Bilder auf das Pult. Eines zeigt meinen Mann in Kriegsbemalung mit Speer, ein anderes eine Ochsenschlachtung vor der Manyatta und ein drittes uns beide mit unserer Tochter Napirai. Er räuspert sich und fragt ungläubig: »Dies ist also Ihr Mann?« Die anderen Damen und Herren stehen auf und kommen zum Tisch, um sich ebenfalls die Fotos anzuschauen. Es entsteht eine kurze Diskussion zwischen ihnen und dann fragt mich der Richter, ob er die Fotos bis zur endgültigen Entscheidung zu den Akten nehmen dürfe. Ich bin einverstanden und werde bis zur nächsten Vorladung entlassen. Als ich das Gebäude verlasse, fühle ich mich schon etwas befreiter.
Zwei Wochen später, also Mitte Dezember, erhalte ich die nächste Vorladung. Jetzt wird es ernst. Dieselben Personen erwarten mich. Erneut werde ich gefragt, ob ich nichts von meinem Ehemann gehört habe und nach wie vor seinen genauen Aufenthaltsort nicht kenne. Ich antworte unter Eid, dass ich bis zum heutigen Tag keine zusätzlichen Angaben machen kann. Dann werde ich gefragt, ob ich auf Unterhaltszahlungen klagen möchte, was ich verneine. Zum Schluss verliest der Richter, dass unter den gegebenen Umständen die Ehe der Parteien zu scheiden sei mit folgenden Nebenregelungen: Die aus dieser Ehe hervorgegangene Tochter Napirai wird unter die elterliche Gewalt – was für ein hässliches Wort! – der Mutter gestellt. Es wird vermerkt, dass die Mutter auf Unterhaltsbeiträge verzichtet. Es wird ebenfalls festgehalten, dass die scheidenden Parteien keine Ansprüche aneinander stellen. Es folgen die Kostenfestsetzung des Prozesses sowie die Anweisung, dass das Urteil für Lketinga im hiesigen Amtsblatt veröffentlicht werden muss. Wie absurd!
Zuletzt höre ich nur noch, falls in den nächsten zehn Tagen von den Parteien kein Einspruch erfolge, sei das Urteil rechtsgültig. Mir schwirrt der Kopf und ich stehe etwas hilflos da, als die vier ihre Unterlagen zusammenräumen. Unsicher frage ich: »Ja, bin ich nun geschieden? Ist jetzt wirklich alles vorbei? Kann ich gehen oder muss ich irgendwo etwas abholen oder bezahlen?« Der Bezirksrichter nickt kurz und ist verschwunden. Langsam gehe ich aus dem Raum und kann kaum glauben, dass alles so einfach über die Bühne gegangen ist.
Allmählich wird mir klar, dass dies der Tatsache zu verdanken ist, dass Lketinga sozusagen verschollen ist. Erst draußen in der Dezemberkälte überkommt mich eine große Freude, dass mir Napirai niemand mehr wegnehmen kann, solange ich nicht nach Kenia reise. Sofort fahre ich zu meiner Mutter, die sich mit mir freut und uns zum Abendessen einlädt.