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Zurück aus Afrika
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Текст книги "Zurück aus Afrika"


Автор книги: Corinne Hofmann



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Egal was andere davon halten, für solche Gefühle braucht man sich, vor allem nach so langer Entbehrung, nicht zu schämen, auch wenn ich dabei des Öfteren erkannt werde. Mir ist es gleichgültig. Ich bin 39 Jahre alt und habe die Verantwortung für mich selber zu tragen.

Im Mai bin ich viel unterwegs oder absolviere Pressetermine. Überall sind die Säle voll und das Echo ist enorm groß. Allein bei den Weidener Literaturtagen verbringe ich sechs Tage. Es ist für mich ziemlich aufregend, mich unter »gestandenen« Schriftstellern zu bewegen oder auf Plakaten und in Prospekten zusammen mit bekannten Literaten abgebildet zu sein. Im Gegensatz zu vielen anderen, die sich freudig begrüßen, kenne ich keinen der Autoren persönlich. Viele haben schon einige Bücher veröffentlicht und sind nicht wie ich Autorin nur eines Werkes. Am Tag meiner Kurzlesung bin ich leicht nervös. Gemeinsam mit vier anderen Autoren und Autorinnen sitze ich auf der Bühne. Jeder liest ein kleines Stück aus seinem Buch vor. Erleichtert kann ich an der Reaktion des Publikums erkennen, dass mein Beitrag gut ankommt.

Zu Hause erwartet mich erneut eine Flut von Briefen. Andere gelangen direkt in den Verlag. Die ersten zirka 500 Schreiben beantworte ich noch einzeln handschriftlich, doch irgendwann schaffe ich es nicht mehr, die immer größer werdende Menge zu bewältigen, weil fast jeder Brief mit zusätzlichen Fragen verbunden ist.

Viele Schülerinnen und Schüler wählen mein Buch für Abschlussarbeiten oder Vorträge und bitten mich um Unterstützung und mehr Informationen. Diese Briefe oder Mails versuche ich immer zu beantworten, da ich selber in diesem Alter niemals den Mut hatte, einer »öffentlichen« Person zu schreiben.

Anfang Juni feiern Markus und ich zum ersten Mal gemeinsam unseren Geburtstag. Weil seiner nur zwei Tage nach meinem stattfindet, feiern wir in der Mitte. Wir laden all unsere Freunde ein. Es wird ein fröhliches Fest, an dem viele meiner Freundinnen mir zu unserem Glück gratulieren und meinen: »Corinne, so haben wir dich in den letzten neun Jahren noch nie erlebt!« Die letzten Gäste verlassen die Wohnung erst gegen Morgen.

Es folgen schöne Wochen, verbunden mit viel Arbeit, die mir nach wie vor großen Spaß macht, und wenig Freizeit, die aber intensiv gelebt wird.

Am 10. Juli 1999 fliegt mein Verleger in Begleitung eines Freundes nach Nairobi. Neben zahlreichen Fotos von Napirai und meiner Familie befindet sich in seinem Gepäck auch eine Kassette, auf die jeder Einzelne meiner Familie, einschließlich Napirai, englische Mitteilungen für James und vor allem für Lketinga und die Mama gesprochen hat. In Nairobi werden sie von Jutta und ihrem Begleiter abgeholt. Sie hat in den vergangenen Wochen alles perfekt vorbereitet. Schon im Vorfeld hat sie meine kenianische Familie in Maralal besucht und sich die Mühe gemacht, über mehrere Tage hinweg für James und Lketinga das ganze Buch in Suaheli zu übersetzen, damit sie den Inhalt endlich kennen und sich dadurch selbst ein Urteil bilden können.

Gemeinsam fliegt die kleine Gruppe mit dem Flugzeug nach Maralal, da die Zeit nicht ausreicht, die beschwerliche Zweitagesreise mit dem Bus zu machen. In der vereinbarten Samburu Lodge treffen mein Verleger und sein Begleiter James und Lketinga. Während James gleich aufgeschlossen reagiert, beobachtet Lketinga zunächst die Fremden etwas finster und misstrauisch. Erst als er die Grüße von der Kassette aus dem in Nairobi gekauften Radiorecorder hört, wird auch er lebhafter, freundlicher und natürlich auch nachdenklich. Während er den Stimmen lauscht, schaut er versunken auf die vor ihm liegenden Bilder und das Buch. Für alle Anwesenden ist dies ein bewegender Moment.

Staunen breitet sich aus über die zahlreichen Zeitungsartikel und die neueren Fotos, die viele Fragen auslösen. Stundenlang wird diskutiert, erzählt, berichtet, und James und Lketinga versichern, stolz auf das Buch zu sein, gegen das sie keine Einwendungen haben.

Am nächsten Tag wollen sie die »Mzungus« zur Mama bringen, die immer noch in der Nähe von Maralal lebt. Die Fahrt im Pick-up geht durch unwegsames Gelände in die Berge, in denen sie und ein Teil der Familie jetzt leben. Auch Mama Masulani empfängt die ihr fremden Weißen würdevoll und zurückhaltend mit verschlossenem Gesicht, während ihr Sohn James die als Geschenke mitgebrachten Vorräte an Zucker, Maismehl, Getränken und Tabak in ihrer Manyatta verstaut. Als er ihr aber die neue bunte Wolldecke über die Schultern legt und ihr die Fotos von Napirai zeigt, lächelt sie erstmals freundlich.

Beim Betreten der einfachen Hütten ist mein Verleger von der spartanischen Kargheit der fensterlosen winzigen Behausungen, in denen die Feuerstellen beißenden Rauch verbreiten, sehr berührt. Auch sieht er die Armut der hier lebenden Menschen, die wegen der anhaltenden Kämpfe immer noch nicht in ihr angestammtes Gebiet in Barsaloi zurückkehren können und nur wenig Vieh besitzen. Spontan entschließt er sich deshalb, für die Familie auf dem Markt auch einige Ziegen zu kaufen. Für James und Lketinga werden auf der Bank in Maralal Konten eingerichtet, um auf diese monatlich Geld überweisen zu können.

Am Tag des Abschieds laden die beiden »Mzungus« alle Anwesenden zu einem Essen in Maralal ein. Es kommen natürlich nur die Männer, aber es sind immerhin zirka fünfzehn Personen an einem langen hölzernen Tisch. Der Verleger, damals noch strenger Vegetarier, wundert sich nicht wenig über die aufgetischten Fleischberge, von denen bald nur noch kleine Knochenhügel übrig sind. Nach einem anschließenden Rundgang über den farbigen Markt, umringt von Scharen lebhafter neugieriger Kinder, müssen die beiden Weißen die Rückreise antreten.

Als mein Verleger und sein Begleiter, beeindruckt von ihren Begegnungen, über die Reise berichten und ich dabei die gemachten Fotos anschaue, kämpfe ich mit den aufsteigenden Tränen. Ich rieche die Menschen, das Land und sehe alle Details vor mir, die sie mir nicht zu beschreiben brauchen. Natürlich sind alle, wie auch ich, älter geworden. Aber die Unruhen, der Hunger, das harte Leben auf der ständigen Flucht und vielleicht nicht zuletzt auch die Geschichte mit mir haben sie schneller altern lassen. Lketinga ist ein graziöser, älterer »Mzee« geworden. Doch die Narben von seinem Autounfall und wohl auch der frühere Alkoholkonsum haben sein Gesicht gezeichnet. Beim Betrachten der Fotos suche ich fast vergeblich nach meinem »Halbgott« von einst.

Im August löse ich mein Versprechen gegenüber meiner Freundin Anneliese ein und wir fliegen zusammen mit Napirai in einen feudalen Jamaika-Urlaub. Wie in vielen Prospekten dargestellt, residieren wir direkt am blauen Meer mit schönem Palmenstrand. Dennoch ergreift mich persönlich dieses Land nicht. Sicherlich trägt dazu auch bei, dass ich Markus vermisse, mit dem ich erst seit knapp vier Monaten zusammenlebe. Aber automatisch vergleiche ich jedes Mal das Ferienland, in dem ich mich gerade befinde, mit Kenia, und bis jetzt habe ich keines gefunden, das in mir ähnlich starke Eindrücke auslöst. Manchmal frage ich mich, ob ich es heute immer noch so empfinden würde.

Trotzdem bewirkt diese Reise etwas sehr Positives. Ich hatte mir schon zu Hause vorgenommen, mit dem Rauchen aufzuhören, da Markus Nichtraucher ist. Den langen Flug wollte ich dazu nutzen, in einem entsprechenden Entwöhnungsbuch zu lesen, damit der Flug besser auszuhalten ist. Schon die ersten Seiten zeigen eine positive Wirkung und ich verspüre keinerlei Lust auf Zigaretten, während Anneliese leidet. Ich weiß, es ist furchtbar, wenn sich alle Gedanken nur noch um Zigaretten drehen. Kaum gelandet zündet sich meine Freundin einen Glimmstängel an, als auch schon ein bewaffneter Polizist neben uns steht und sie anfaucht: »No smoking at the airport!« Nach über 20 Stunden, in denen sie nicht rauchen konnte, löscht sie entnervt die Zigarette. Mir macht es seltsamerweise immer noch nichts aus. Was da in meinem Kopf klick gemacht hat, ist mir nicht ganz klar, aber das Buch hat sicherlich viel dazu beigetragen. Ich probiere während des Urlaubs noch einmal zwei Zigaretten, bevor ich mich definitiv, nach vielen Jahren intensiven Rauchens, davon abwende. Es ist ein ruhiger erholsamer Urlaub, den ich dennoch gerne wieder beende.

Mittlerweile erscheinen immer mehr Übersetzungen meines Buches. In Frankreich, Italien, Holland, in allen skandinavischen Ländern, in Israel, ja sogar in Japan wird es in den kommenden zwei Jahren übersetzt. Bis heute sind es fünfzehn Sprachen und weitere sollen folgen. Wer hätte das gedacht! Vor allem die Gesichter der Lektoren, die mich mit banalen Absagen abgespeist hatten, möchte ich manchmal gerne sehen, obwohl ich normalerweise nicht zur Schadenfreude neige. In fast allen Ländern klettert das Buch auf die Bestsellerlisten und ich bekomme nun Briefe aus der halben Welt. Manchmal fliege ich zu den Premieren ins Ausland, um das Buch persönlich vorzustellen, gebe Interviews für verschiedene Zeitungen und Journale oder trete im Fernsehen auf.

Als ich im November wieder einmal von einer Tour nach Hause komme, fällt mir Napirai in die Arme und klagt: »Mama, warum musst du immer noch wegfahren? Jetzt wissen doch alle Bescheid. Wir haben doch schon so viele Fotos gemacht. Ich möchte nicht, dass du wegen diesem doofen Buch immer fort musst!« Sie sagt das so traurig und anklagend, dass ich nicht lange überlegen muss, um dem Verlag mitzuteilen, dass ich trotz der großen Nachfrage für Lesungen im kommenden Jahr vorläufig nicht mehr zur Verfügung stehe. Ich möchte dieses Weihnachten wieder einmal genießen, und zwar mit Napirai und Markus. Auch er spürt manchmal meine Hektik und deshalb haben wir auch schon die ersten Turbulenzen erleben müssen. Er hat es wirklich nicht immer leicht. Es gibt Tage, da rufen mich wildfremde Verehrer bis spät in die Nacht hinein an und lassen sich erst durch energisches Zurechtweisen abwimmeln. Oder wir essen in einem Restaurant und alle halbe Stunde kommt jemand an den Tisch und spricht über das Buch, ohne Rücksicht darauf, ob wir vielleicht gerade in ein persönliches Gespräch vertieft sind oder die volle Gabel zum Mund führen wollen. Einfach ist das für ihn bestimmt nicht. Nein, ich möchte nichts aufs Spiel setzen, weder meine Fürsorge und das gute Verhältnis zu Napirai noch meine Zuneigung und Liebe für Markus.

Aber es ist mein »Beruf« und zum Erfolg gehört auch diese Seite. Natürlich weiß ich, dass die meisten Leser und Leserinnen es mit dieser Aufmerksamkeit nur gut meinen. Dennoch beschließe ich auf dem vorläufigen Höhepunkt des Bucherfolges den Rückzug. Ich brauche etwas Zeit, um wieder in mich zu gehen und zu überlegen, was danach kommt, denn mir ist klar, dass mein Autorinnendasein zeitlich begrenzt ist. Eine Fortsetzung zu schreiben, was viele Leser sich wünschen, kommt für mich nicht in Frage, denn ich möchte, dass wieder etwas mehr Ruhe in mein Leben einkehrt. Doch dann erscheint Anfang März 2000 die Taschenbuchausgabe und der Rummel beginnt von vorne, da es auch hier schnell an die Spitze der Sellerlisten klettert. Deshalb gehe ich noch zu einzelnen ausgesuchten Veranstaltungen und TV-Auftritten.

Die meiste Zeit aber verbringe ich nun zu Hause und koche für meine kleine Familie. Außerdem beginne ich wieder, die Natur zu genießen und unternehme lange ausgedehnte Wanderungen, bei denen es mir nichts ausmacht, auch allein unterwegs zu sein. Ein kleiner Fotoapparat ist dafür mein ständiger Begleiter und so kann ich mich über die festgehaltenen Bilder von Landschaften, schönen Steinformationen und Pflanzen jeder Art erfreuen. Und weil mich plötzlich die Lust am Motorradfahren packt, kaufe ich mir einen starken Motorroller und lege später die Prüfung ab. Markus lässt sich ebenfalls motivieren und bald düsen wir, wenn es die Zeit erlaubt, über die Schweizer Pässe. Manchmal schließt sich Napirai an, doch ist sie nun in dem Alter, in dem sie lieber den Kopf mit Freundinnen zusammensteckt. Ja, ich spüre, es geht ein langsamer Wandel in mir vor, doch weiß ich noch nicht, wohin er mich führen wird.

Aus Kenia bekomme ich regelmäßig Briefe und wir schicken uns des Öfteren Fotos. James hat inzwischen geheiratet. Obwohl das Mädchen wie James die Schule besucht hat, wurde auch sie vor der Hochzeit beschnitten. Als ich das lese, wird mir wieder bewusst, dass die Traditionen der Samburu stärker als jede Bildung sind. Im Oktober bekommt sie, wie ich aus einem anderen Brief erfahre, ein gesundes Mädchen. Lketingas Frau dagegen hatte die zweite Fehlgeburt und muss wegen der daraus folgenden Komplikationen demnächst in ein Spital gehen. Lketinga ist traurig, dass sie immer wieder ihre Kinder verlieren. Bis jetzt überlebte nur das erstgeborene Mädchen.

Ein weiteres Mal schreibt James einen langen Brief, in dem meine Schwiegermama einen Abschnitt für mich diktierte:


Gogo von Napirai ist nun sehr alt, aber sie verspricht, den Rest ihres Lebens für dich und Napirai zu beten. Ich will nicht vergessen, was du, Corinne, für mich getan hast. Du hast dich immer um mich gesorgt, das Feuerholz für mich geholt, das Wasser für mich geschöpft, das Essen für mich gekocht, die Kleider für mich gewaschen und vieles, vieles mehr. Ich werde dich immer tief in meinem Herzen haben.

Zehn Jahre, nachdem ich sie zum letzten Mal gesehen habe, bewegen mich solche Worte auch heute noch tief und ich spüre, dass wir nach wie vor miteinander verbunden sind. Ich erinnere mich an unsere erste Begegnung in Barsaloi und sehe, wie Mama in die Manyatta kriecht, um mich und Lketinga streng und düster zu mustern. Erst nach langen Minuten streckte sie mir damals ihre dunkle Hand entgegen und sagte lachend und für mich erlösend: »Jambo.« Auch wenn ich alles Weitere aus ihrem Wortschwall nicht mehr verstand, spürte ich doch ihr Einverständnis und empfand ihr gegenüber sogleich tiefe Sympathie.

Ja, und heute lesen Millionen Menschen unsere Geschichte und ich bin glücklich und stolz, dass ich ihnen damit Freude und Mut schenken kann.

Im Mai 2001 verbringe ich ein paar Tage in München, um das Drehbuch zu besprechen, das die Grundlage für einen Kinofilm über mein Leben in Kenia sein soll. Die Verhandlungen und Gespräche über diesen Film ziehen sich nun schon lange hin. Zum einen geht es der gesamten Filmbranche seit einiger Zeit nicht besonders gut, zum anderen stellen sich immer wieder Schwierigkeiten bei der Regie und vor allem bei der Besetzung der beiden Hauptfiguren, Lketinga und mir, ein. Für mich ist es manchmal nicht einfach, ja zuweilen fast ein Schock, im Drehbuch Szenen zu lesen, die nicht meinem Buch und den eigenen Erlebnissen in Kenia entsprechen. Die Dramaturgie eines Films folgt offensichtlich anderen Gesetzen als die eines Buches und auch in Zukunft wird es noch viel Arbeit und Gespräche geben, um allen an der Geschichte Beteiligten einigermaßen gerecht zu werden. Ich kann nur hoffen, dass, wenn ein Teil meines Lebens eines Tages auf der Kinoleinwand erscheint, Napirai und ich stolz sein können. Schließlich müssen sie und ich damit leben. Doch bin ich voller Zuversicht, dass es gelingen wird, einen schönen, authentischen Film zu drehen. Wir sind gespannt auf diesen Moment. Mit Sicherheit jedoch wird es eine seltsame Erfahrung sein, wenn Fremde mein Leben nachspielen werden.

Zukunftspläne

Unsere kleine Familie wächst immer mehr zusammen. Mittlerweile haben wir einen gemeinsamen Urlaub mit allen Kindern auf der Insel Bali verbracht, wovon die Mädchen heute noch schwärmen. Manchmal verbringen wir ein Wochenende mit ihnen auf einem kleinen Campingplatz. Dies sind für uns alle erholsamen Tage und wir freuen uns immer wieder aufs Neue, wenn Markus' Töchter bei uns das Besuchswochenende verbringen dürfen.

Während sich die Anzahl der im deutschen Sprachraum verkauften Taschenbücher der Millionengrenze nähert, mache ich mir immer intensiver Gedanken, wie meine weitere berufliche Zukunft aussehen könnte. Inzwischen habe ich wieder Kontakt zu Anna aus der Gruppe der allein Erziehenden aufgenommen und besuche sie des Öfteren auf ihrem Bauernhof. Ihre Art zu leben beeindruckt mich. Da ich mich bei ihr immer sehr wohl fühle und auch am Umgang mit ihren Tieren Gefallen finde, kann ich mir auf einmal gut vorstellen, ebenfalls ein zurückgezogenes Leben auf einem Bauernhof zu führen. Napirai und Markus aber können sich für diese Idee überhaupt nicht begeistern. So denke ich weiter nach und allmählich setzt sich in mir der Gedanke fest, dass ich ein Hotel oder ein Restaurant betreiben könnte. Um mir alle Möglichkeiten offen zu halten, habe ich mittlerweile in diversen Kursen und Lehrgängen gelernt, wie man mit Computern und Buchhaltung umgeht, wie man Käse herstellt und wie man ein Hotel oder Restaurant führt. Trotzdem weiß ich aber immer noch nicht genau, was, wann und vor allem wo ich Neues beginnen könnte. Am reizvollsten jedoch erscheint mir die Idee, ein kleines Hotel – eventuell in Partnerschaft mit anderen – zu erwerben. In meiner Fantasie hat es bereits den Namen »Zur weißen Massai« und ist in afrikanischem Stil eingerichtet. Auf der Suche nach einem geeigneten Objekt fahre ich quer durch die Schweiz bis ins Tessin und spüre sofort, dass ich mich in dieser Umgebung sehr wohl fühlen könnte.

Kurz darauf bleibt mein Blick an einem Zeitungsinserat hängen: »Vierwöchiger Italienisch-Intensivkurs im Tessin, Beginn in einer Woche.« Da zu dieser Zeit Napirai gerade Schulferien hat, melde ich uns beide spontan an. Jetzt heißt es eine geeignete Ferienwohnung zu finden, was im Februar kein Problem ist. Ich stelle es mir ziemlich lässig vor, dass Mutter und Tochter zusammen die Schulbank drücken. Na ja, für Napirai ist es dann doch nicht immer so toll. Nachmittags unternehmen wir verschiedene Ausflüge und Besichtigungen. Für die Jahreszeit ist das Klima im Tessin erstaunlich mild, fast frühlingshaft. Nach einer Woche bin ich schon so begeistert von der kleinen Stadt Lugano, dem See, den nahen Bergen, ja vom ganzen Panorama, das ein wenig an Rio de Janeiro erinnert, dass ich den Gedanken nicht mehr los werde, hier könnte meine, unsere nahe Zukunft liegen.

Auch Napirai gefällt es gut, obwohl ihr die Trennung von ihren Klassenkameradinnen schwer fallen würde. Auf der anderen Seite reizt auch sie das Kleinstadtleben, das einem Mädchen in der beginnenden Pubertät mehr Möglichkeiten bietet als unser jetziges Dorfleben. Wir besprechen das Für und Wider und ich bin überzeugt, dass Napirai mit ihren dreizehn Jahren einen Umzug gut bewältigen wird. Sie ist ein Mädchen, das mit ihrer eher ruhigen, manchmal fast leisen Art doch erstaunlich schnell Anschluss findet, was ich in unseren Urlauben immer wieder beobachten konnte. Selbst die Sprachhindernisse ging sie mit Händen und Füßen an. Allerdings ist sie auch sehr sensibel. Auf traurige Ereignisse reagiert sie extrem. Wenn wir durch die Straßen schlendern, bleibt sie bei jedem Bettler oder Musiker stehen und legt ihm ein Geldstück in die Mütze. Wenn sie das Geld nicht von mir bekommt, spendet sie es von ihrem Taschengeld. Selbst Restaurantbesitzer, die keine Gäste haben, möchte sie unterstützen, indem sie sagt:

»Mama, schau, da ist kein Mensch drin, willst du nicht einen Kaffee trinken? Ich habe sowieso großen Durst.« Schon als kleines Mädchen hat sie den noch kleineren Kindern geholfen, wenn sie hingefallen waren, egal ob sie sie kannte oder nicht. Schlimm ist es, wenn sie Tiere leiden sieht. Solche Ereignisse vergisst sie manchmal jahrelang nicht.

Mit ihrer Größe von 1,79 in wirkt sie optisch älter, als sie ist, und wird deshalb manchmal überfordert. Ich hoffe, ihr mit einem Wohnortwechsel nicht zu viel zuzumuten, und glaube fest daran, dass sie schnell wieder Anschluss finden wird. Obwohl Napirai sich gut mit sich selbst beschäftigen kann, ist sie sehr kommunikativ und braucht Menschen, die sie mag, um sich. Sie ist kreativ, malt, schreibt Briefe und hört dabei stundenlang Musik. Ihr Musikgehör ist sehr sicher und ihre Stimme wunderschön. Sportliche Betätigung dagegen ist nicht unbedingt ihre Sache. Die einzige Bewegung, die sie liebt, ist das Tanzen, dafür hat sie eine Menge Energie. Ja, ich bin stolz auf mein anschmiegsames, feinfühliges und aufgeschlossenes Mädchen.

Wir werden die Veränderung schon meistern und auch glücklich sein, denn ich spüre es tief im Herzen, dass unsere Zeit am jetzigen Wohnort abgelaufen ist. Als größte Hürde kommt die italienische Sprache auf uns zu, vor allem für Napirai in der Schule. Aber andere Familien mit drei oder vier Kindern schaffen einen Umzug ins Ausland auch. Warum sollen wir es nicht wagen? Zumal Napirai ein ausgeprägtes Gedächtnis hat und sehr sprachbegabt ist. Später wird sie noch eine Sprache mehr beherrschen und darüber froh sein.

Zuerst ist Markus von meinen Plänen gar nicht begeistert, da er befürchtet, im Tessin keinen Job zu finden, und äußert sich dementsprechend ablehnend. Nach den ersten zwei Wochen Italienischkurs bringe ich Napirai wieder nach Hause, fahre zurück ins Tessin und beende die Schule. Die ersten italienischen Sätze bleiben haften und mir fällt es plötzlich unendlich schwer, Abschied zu nehmen. Zu Hause finde ich keine Ruhe mehr und so steht für mich definitiv fest: Ich muss umziehen, denn auf mich wartet dort in der Südschweiz irgendeine Aufgabe.

Markus ist hinreißend. In der Zwischenzeit hat er sich nämlich erfolgreich um eine Stelle im Tessin beworben und ist nun schon vor uns vorläufig in eine Ferienwohnung umgezogen, damit er die neue Arbeit beginnen kann. Napirai kann noch fast bis zu den Sommerferien die Schule besuchen, bevor wir nach langem Suchen in unsere neue schöne Wohnung ziehen können. Sie zu finden war wieder mit einer großen Portion Glück verbunden. Hatte ich zuvor alle möglichen Tessiner Zeitungen studiert sowie täglich im Internet Ausschau gehalten und wöchentlich bis zu zwei Mal eine sechsstündige Hin– und Rückfahrt auf mich genommen, nur um festzustellen, dass die entsprechenden Wohnungen zu klein oder nicht am gewünschten Standort lagen, so fand ich unsere Traumwohnung bei einem zufälligen Blick in eine Zürcher Zeitung. Wochenlang war ich nicht auf die Idee gekommen, in dieser Zeitung zu suchen. Doch als Markus schon zwei Monate im Tessin lebte und wir wieder eine Wohnungsabsage erhalten hatten, weil der Vermieter eine einheimische Familie bevorzugte, schaute ich ohne große Hoffnung in jene Zeitung und entdeckte unter der Rubrik Tessin lediglich ein einziges, und wie sich herausstellte, nur einmal geschaltetes Inserat unserer heutigen Wohnung: Mietbeginn ab sofort.

Da wir nun unsere neue Adresse kennen, möchte ich Napirai noch vor den Sommerferien bei der zuständigen Schule anmelden. Mit meinem spärlichen Italienisch vereinbare ich telefonisch einen Termin, an dem wir die Schule besichtigen und den Klassenlehrer kennen lernen können, denn ich halte es für wichtig, dass Napirai noch vor den Ferien einen Blick auf ihre zukünftigen Mitschüler und die Örtlichkeit werfen kann. Zwei Tage bevor die Schule schließt, fahren wir mit einem recht mulmigen Gefühl in das Tessin. Aber die zuständigen Lehrer sind so freundlich und nett, dass meiner Tochter ein Großteil ihrer Angst genommen wird. Nun kann sie dem neuen Schuljahr mit Neugier und auch etwas Freude entgegen sehen.

Zurück in der deutschen Schweiz beginne ich sofort, unseren Umzug zu organisieren. Markus kann mir nicht viel helfen, da er ja bereits im Tessin arbeitet. Als mir klar wird, wie hoch die Kosten mit einem professionellen Umzugsunternehmen wären, beschließe ich, den Umzug selbst in die Hand zu nehmen. Bei einer Autovermietung schaue ich mir den größten Lastwagen an, den man mit PKW-Führerschein fahren darf, und komme zu dem Entschluss, dass dieser ausreichen muss. Alles, was keinen Platz findet, wird in den kommenden Tagen verkauft oder verschenkt. Nur das Wichtigste wird verpackt und das ist immer noch mehr als genug. Nicht für alles finden wir Abnehmer. Napirais komplettes Mädchenzimmer, das erst fünf Jahre alt ist, und einiges mehr bleibt übrig. Wir verständigen ein nahe gelegenes Brockenhaus, eine Einrichtung, der man nicht mehr benötigte Möbel umsonst überlassen kann. In großen Lagerhallen werden sie zu günstigen Preisen verkauft, und der Erlös wird gemeinnützigen Zwecken zugeführt. Sofort erklären sich die Mitarbeiter des Brockenhauses bereit, am vereinbarten Tag den Rest abzuholen.

Der große Tag rückt immer näher und Markus und ich wissen noch nicht, wer uns beim Einpacken helfen wird, da es nicht meiner Art entspricht, bei Freunden über Umzugsprobleme zu quengeln. Irgendwie, denke ich, werden sich die wahren Freunde schon melden. Und tatsächlich: Vier Tage vor dem Umzug kündigt Anneliese tatkräftiges Zupacken an. Auch Anna erscheint mit ihrem mittlerweile kräftigen Sohn und einer ihrer erwachsenen Töchter am Umzugstag. Mein Vater, zu dem ich seit seiner Scheidung von meiner Mutter lange Zeit kaum mehr Kontakt hatte, kommt, um uns beim Einpacken zu helfen. Ich bin wirklich gerührt. Auch Napirai wird von zwei Freundinnen unterstützt und so ist am Abend vor der langen Fahrt in den Süden unser Hab und Gut sicher verstaut. Alles, was nun keinen Platz oder Abnehmer gefunden hat, soll morgen von dem Brockenhaus während unserer Abwesenheit abgeholt werden. Zum letzten Mal schlafen wir in der leeren Wohnung auf Luftmatratzen. Am frühen Morgen startet Markus, begleitet von meinem Vater, mit dem Lastwagen. Ich fahre mit unserem voll gestopften Auto hinterher. Napirai verbringt ihren letzten Schultag in Bäretswil.

Im Tessin schleppen wir bei tropischen Temperaturen von 35 Grad alles hoch in unsere neue Wohnung. Während dieses Schweiß treibenden Unternehmens klingelt plötzlich mein Handy. Ein Mitarbeiter des Brockenhauses teilt mir mit, dass sie nun doch kein Interesse an den zurückgelassenen Sachen hätten. Auf meine irritierte Frage nach dem Grund erhalte ich die trockene Antwort, dass das Kinderzimmer sich ohne Matratze schlecht verkaufen ließe. Zudem sei beim Kleiderschrank die Rückwand aus Sperrholz und nicht aus festem Holz. So etwas wollen ihre anspruchsvollen Kunden eben nicht! Aja, dann seien noch zwei Aufkleber am Bücherregal. Auch bei allen anderen Gegenständen wird gemeckert, gerade so, als sei Voraussetzung, dass die Möbel ungebraucht sind! Als ich etwas unwirsch entgegne, das sei wohl ein Witz, schließlich hätte ich nicht im Müll gewohnt, erklärt mir der dreiste Angestellte, sie würden die Sachen schon mitnehmen, wenn ich dafür bezahle. Nun bin ich wirklich wütend und sage, sie sollen alles stehen lassen und die Wohnung verlassen. Den Sinn dieser Organisation verstehe ich von diesem Tag an nicht mehr.

Mit großer Empörung fahren wir am selben Tag die lange Strecke zurück, um den Mietwagen wieder abzugeben. Zuvor müssen wir noch die vielen Möbel aufladen und das komplette Kinderzimmer auseinander bauen. Napirai ist enttäuscht, dass ihr schönes Zimmer nicht einmal beim Brockenhaus Anklang findet. Wir beladen den Lastwagen mit dem ganzen Rest und fahren ihn zu einem Kollegen in Wetzikon, der unsere Notlage versteht und sich angeboten hat, die Sachen am Montag zur Müllverbrennungsanlage zu bringen. Als wir alles bei seinem offenen Unterstand abgeladen haben, ist es bereits nach 22 Uhr. Bevor wir einsteigen, erblicke ich im gegenüber liegenden Garten eine Gruppe von Afrikanern, die uns neugierig beobachtet, während ihr Gartenfest offensichtlich dem Ende zugeht. Mir kommt eine Idee und ich sage zu Markus: »Geh doch schnell rüber und sage diesen Leuten, dass alles, was hier steht, gratis mitzunehmen ist.« Er erntet ein freundliches Nicken. Total erschöpft, aber stolz, alles gemeistert zu haben, bringen wir den Lastwagen endlich zurück und fahren eine halbe Stunde später in unserem Wagen noch einmal bei dem Unterstand vorbei. Zu unserer großen Freude stellen wir fest, dass alle Gegenstände einen glücklichen Besitzer gefunden haben. Am nächsten Tag erzähle ich Napirai, dass wohl in Zukunft irgendwo ein afrikanisches Kind in ihrem ehemaligen Bett schlafen und viel Freude an der Kinderzimmereinrichtung haben wird. Jetzt leuchten auch ihre Augen.

Drei Monate nach unserem ersten Italienisch-Kurs wohnen wir nun alle glücklich in Lugano. Napirai lebt sich immer besser ein, obwohl sie natürlich noch sehr an den ehemaligen Freundinnen hängt. Aber drei Stunden Zugfahrt ist ja keine unüberwindbare Distanz. Wir leben immer noch in der Schweiz und nicht in Afrika und bis heute bereut niemand von uns den spontanen Ortswechsel. Unsere Wohnung befindet sich in einer älteren Villa und die Besitzerin ist für uns als Freundin und moderne Oma ein wahrer Sonnenschein.

Seitdem ich hier im Tessin bin, verspüre ich immer häufiger das Bedürfnis, den vielen Leserinnen und Lesern einen Wunsch zu erfüllen und die Fortsetzung meines Erstlingswerkes zu schreiben. Nie wäre ich vorher nur auf den Gedanken gekommen! Aber hier, bei den manchmal fast tropischen Temperaturen und dem wunderschönen Blick auf den See sowie den vielen interessanten Bekanntschaften, wird es mir sicher leicht fallen. Endlich kann ich auf diese Weise die vielen Fragen beantworten, die mich selbst heute noch täglich erreichen. Ich freue mich auf diese Arbeit und fühle mich glücklich und zufrieden. Die Pläne für ein Hotel verschiebe ich auf unbestimmte Zeit.

Aufs Neue staune ich, wie eine bestimmte Sekunde im Leben alles entscheiden kann und den gewohnten Rhythmus urplötzlich in eine andere Richtung lenkt. Man muss nur den Mut haben, es zuzulassen!


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