Текст книги "Zurück aus Afrika"
Автор книги: Corinne Hofmann
Жанр:
Биографии и мемуары
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Aufbruch zum Kilimandscharo
Während des Schreibens im folgenden halben Jahr spüre ich immer wieder Heimweh nach Afrika und auch den Wunsch, zu wissen, wie mein Empfinden beim Betreten afrikanischen Bodens wäre. Kürzlich kam ein Trekkingkatalog ins Haus, da ich schon lange den Wunsch hege, auf eine entsprechende Tour zu gehen. Beim Durchblättern fällt mein Blick auf den Kilimandscharo. Als ich beim Lesen feststelle, dass man heute von Europa direkt zum Kilimandscharo fliegen kann, ohne kenianischen Boden zu betreten, verspüre ich den urplötzlichen Wunsch, auf diese Weise nach Afrika zurückzukehren. Auf das Dach von Afrika!
Interessiert studiere ich die verschiedenen Besteigungsrouten. Von Neugier getrieben setze ich mich vor den PC und suche im Internet unter dem Schlagwort »Kilimandscharo« alles, was mir interessant erscheint. Stundenlang lese ich Reiseberichte und diverse Informationen. Abends kann ich nicht einschlafen. Immer wieder frage ich mich, ob ich fit genug bin für diese Besteigung. Mit Markus kann ich mich leider nicht sofort austauschen, da er sich aus beruflichen Gründen gerade für zehn Tage in Marokko aufhält und ich solch eine verrückte Blitzidee nicht am Telefon besprechen möchte. Ich döse im Bett vor mich hin und als es endlich Morgen wird, fühle ich mich so, als wäre ich bereits die ganze Nacht durchmarschiert.
Für mich steht fest: Ich werde es wagen! Endlich möchte ich wieder afrikanischen Boden betreten und, wenn ich schon nicht nach Kenia reisen kann, so wenigstens in die Nähe und von ganz oben hinüberschauen.
Napirai ist über meine Pläne nicht gerade begeistert und fragt nur: »Mama, ist das nicht gefährlich? Gehen da noch andere Frauen in deinem Alter hinauf?« Na ja, was das wohl wieder heißen mag! Schließlich kann ich doch nicht mehr warten, bis Markus nach Hause kommt, da ich mich Tag und Nacht nur noch mit diesem Thema beschäftige und so erzähle ich bei einem der nächsten Anrufe von meinem Vorhaben. Zu meiner großen Überraschung findet er die Idee sehr gut und unterstützt mich schon jetzt am Telefon. Ich bin überglücklich.
Gleich in den nächsten Tagen beginne ich mit einem ausgiebigen Training. Jetzt wandere ich nicht mehr nur zwei Mal die Woche auf irgendeinen Berg, nein, von nun an bin ich fast jeden Tag zwischen drei und sieben Stunden unterwegs. Zusätzlich gehe ich einmal die Woche zum Schwimmen und ins Aquafit, um anschließend zu saunieren. Auch im Dezember ist das Wetter im Tessin mild genug, um bis 1.700 Meter schneefrei wandern zu können. Es gibt genügend steile Berge mit wenig oder gar keinem Schnee.
Als Markus endlich nach Hause kommt, staunt er über die bereits besorgten Kilimandscharo-Bücher, den vereinbarten Tropenarzttermin und mein tägliches Wanderprogramm, wobei ich seine Hanteln als Gewichtsbeschwerer im Rucksack mitschleppe. Schnell ist ihm klar, dass es mir wirklich ernst ist.
Während einer Nachmittagswanderung kurz vor Weihnachten erreiche ich eine kleine Berghütte auf zirka 1.500 Meter. Da sie sich auf Passhöhe befindet, hat man eine wunderbare Rundsicht und sieht bis in die Walliser Alpen hinein. Ich bin der einzige Gast um diese Zeit und so unterhalte ich mich kurz mit dem Hüttenwart. Dabei erfahre ich, dass er erst seit diesem Sommer hier tätig ist. Er erwähnt, dass er zu Silvester ein fünfgängiges Menü inklusive Übernachtung und anschließendem Frühstück anbieten wird. Allerdings sei der Platz auf 20 Personen beschränkt. Ein solcher Jahresbeginn würde mir gut gefallen und ich bin fast sicher, dass ich auch meine Lieben nicht lange überreden muss. Beim späteren Abstieg sind die umliegenden Bergketten mit einem zarten Abendrot übergossen. Es sieht überwältigend wie ein Alpenmärchen aus und ich ärgere mich, keinen Fotoapparat dabei zu haben.
Tatsächlich feiern wir 14 Tage später Silvester mit ein paar engen Freunden, darunter Madeleine und ihr Lebenspartner, in der warmen Berghütte. Bei strahlendem Wetter, aber mittlerweile klirrender Kälte sind wir im Schnee hochgestapft. Napirai hingegen hat es vorgezogen, Silvester bei Freundinnen in ihrer »alten« Heimat zu verbringen. In der Hütte sind wir nahezu unter uns und der Hüttenwart zaubert einen köstlichen Gang nach dem anderen auf den Tisch. Um Mitternacht wird mit Sekt angestoßen und dann geht es hinaus auf den Berg, um ins Tal oder in die Sterne zu schauen. Es ist ein bewegender Moment. Nach einer kurzen Nacht erwachen wir bei optimalem Bergwetter und einige von uns beschließen, eine mehrstündige Wanderung zur nächsten Hütte zu unternehmen. Erst gegen Abend des Neujahrstages 2003 kehren wir müde und zufrieden in unser palmenumsäumtes Haus zurück. Nach solch einem schönen Silvester kann es nur ein in jeder Hinsicht erfolgreiches neues Jahr werden!
Zu Jahresbeginn habe ich den geeigneten Reiseveranstalter und meine gewünschte Route gefunden. Ich möchte nicht den »einfachsten«, sondern den schönsten Weg nehmen und deshalb steht für mich bald die Machame-Route fest. Bei dieser Route sind zwei Akklimatisationstage eingeplant, die mir sehr wichtig erscheinen. Im Angebot enthalten ist auch eine zweitägige Safari.
Von Tag zu Tag bin ich mehr gespannt, wie ich dieses neue Abenteuer erleben werde. Die Zeit vergeht im Fluge, weil ich fast täglich beim Wandern bin. Es ist herrlich, doch langsam werde ich ungeduldig und kann es kaum erwarten, bis es endlich losgeht. Eine Woche vor der Abreise habe ich nun auch die ganze Ausrüstung beisammen. Da wir alle Klimazonen von der Savanne bis zu arktischen Gletscherbedingungen durchwandern, muss alles gut überlegt sein. Viele Bekannte bewundern meinen Mut, was mir etwas peinlich ist, weil ich nicht weiß, wie das Unternehmen ausgehen wird.
Vier Tage vor Abflug erhalte ich endlich die letzten Unterlagen und die Teilnehmerliste. Wir sind eine kleine Gruppe von sechs Leuten, was ich sehr positiv finde. Auf Grund der angegebenen Namen versuche ich mir die Personen in etwa vorzustellen und komme zu dem Schluss, dass drei von ihnen sicherlich ältere, durchtrainierte Bergsteiger sein müssten. Außerdem erahne ich noch ein jüngeres Paar. Ich bin froh, dass wenigstens noch eine Frau dabei sein wird, weil ich sonst befurchten müsste, dass mir die Männer davonstürmen.
Am Tag vor meiner endgültigen Abreise wird gepackt. Erstaunlicherweise habe ich immer noch kein Reisefieber. Der Abschied von Markus und meiner Tochter Napirai, obwohl sie gut versorgt ist, fällt mir trotz der Vorfreude recht schwer. Nun sitze ich endlich im Zug nach Zürich, wo ich drei Stunden später von Madeleine abgeholt werde. Da mein Flug um sieben Uhr früh beginnt, muss ich bei ihr übernachten.
Eigentlich begreife ich erst allmählich, dass es losgeht, als das Flugzeug Richtung Amsterdam abhebt. Dort werde ich eventuell auch die anderen Mitstreiter kennen lernen können. Tatsächlich stehe ich eineinhalb Stunden später an dem Gate, an dem in Kürze der Weiterflug zum Kilimandscharo-Airport eingecheckt wird. Erstaunlich viele Leute wollen in dieses Flugzeug steigen. Allerdings sind die meisten eher in Richtung Safari unterwegs. Ich schaue mich nach meinen möglichen Reisegefährten um. Nach etwa einer halben Stunde bin ich fast sicher, alle erkannt zu haben. Da aber auf ihrer Seite kein großes Interesse auszumachen ist, spreche ich niemanden an.
Das Bild, das ich mir auf Grund der Namen gemacht hatte, bestätigt sich definitiv neun Stunden später nach der Landung. Unsere Gruppe besteht aus einem Rentner, der schon bald erzählt, dass er bereits zwei Mal auf dem angestrebten Gipfel war, einem zweiten Rentner, ich nenne ihn Franz, und dessen 34-jährigem Sohn Hans sowie einem jungen Paar Mitte 20. Durch meine im Außendienst erworbene Menschenkenntnis sehe und spüre ich gleich, dass wir unterschiedlicher nicht sein könnten. Na ja, irgendwie werden uns der Berg und das gemeinsame Ziel schon zusammenschweißen.
Auf dem Kilimandscharo-Flughafen schlagen uns auch abends um neun Uhr noch fast 30 Grad entgegen. Es ist herrlich, obwohl sich das Gefühl wie damals vor 13 Jahren in Mombasa, »nach Hause zu kommen«, nicht einstellt. Wir fahren in eine nahe gelegene schöne Lodge, wo wir die erste Nacht verbringen. Um fünf Uhr werde ich wach und habe Durchfall, den ich gleich radikal mit Imodium behandle. Später treffen wir uns zum Frühstück, bei dem man sich vorsichtig beschnuppert. Die Ersten erzählen von ihren höchsten Touren, wie Breithorn, Großglockner, Montblanc und wie sie alle heißen. Mein Gott, ich bin vielleicht gerade mal auf knappe 3000 Meter gewandert und mit der Bahn immerhin auf der Jungfrau gewesen, aber mehr kann ich nicht in die Waagschale werfen. Als ich noch höre, dass einer der älteren Herren erst kürzlich von einer zweiwöchigen Gletscher-Skitour zurückgekommen ist, die er als Vorbereitung absolvierte, überfallen mich die ersten Zweifel. Aber erst steht ja noch die Safari an!
Wir fahren fast fünf Stunden, bis wir den Tarangire-Nationalpark erreichen. Unterwegs sehe ich viele Kuhherden, die von Massai oder deren Kindern betreut werden. Mich würde interessieren, was Napirai bei diesem Anblick empfinden und denken würde. Erstaunt beobachte ich Krieger, die sich in ihrer traditionellen Kleidung, geschmückt, bemalt und mit Speeren bewaffnet auf Fahrrädern fortbewegen. Das kommt mir sehr seltsam vor. Überhaupt erlebe ich alles ganz anders als früher und in gewisser Weise als Fremde. Ich versuche, in mich hineinzuhören, um längst Vergessenes hervorzuholen, aber es gelingt mir nicht. Stattdessen vermisse ich meine Tochter und Markus.
Im Nationalpark werden wir zuerst zu unserer Zeltlodge gefahren, um unser Mittagessen einzunehmen. Von hier aus hat man während des Essens einen phantastischen Blick auf eine Elefantenherde, die sich am weiter unten gelegenen Fluss aufhält. Ab und an ertönt das Trompeten einzelner Tiere. Nachmittags geht es auf Pirsch durch die heiße Savanne. Wir haben Glück und treffen auf Giraffen, Gazellen, Affen, Zebras und Büffel. Der Anblick der vielen Tiere rührt nun doch etwas in mir an, das mich an meine frühere Afrika-Faszination erinnert. Bis zum Abend vermissen wir nur die Löwen, aber uns bleibt ja noch der morgige Tag. Jeder geht in sein Zelt und macht sich frisch für das Abendessen. Das Büffet ist köstlich und ich lange kräftig zu, weil ich nicht weiß, was wir später am Berg noch alles bekommen werden.
Gegen zehn Uhr verlasse ich die Runde, da das Gespräch nur dahinplätschert. Bisher ist keine richtige Stimmung aufgekommen. Der Weg zum Zelt ist nur spärlich beleuchtet, dafür hängt vor jedem eine Petroleumlampe. Als ich vor meinem Eingang stehe, bemerke ich, dass mindestens 50 verschiedene Käfer, Insekten und Heuschrecken in jeder Größe an der erleuchteten Zeltwand kleben. Es sieht nicht gerade appetitlich aus. Ich überlege, wie ich durch diesen Eingang hineingelangen und die Tierchen dabei draußen lassen kann. Als Erstes lösche ich die Lampe und schüttle dann die ganze Zeltwand frei. Ich kontrolliere kurz mit der Taschenlampe, schlüpfe möglichst rasch ins Zelt und lege mich sofort ins Bett, um nichts mehr zu sehen. Inzwischen ist auch das junge Paar bei seinem Zelt angekommen. Ich kann sie aus dem Fensterchen beobachten und bin gespannt, wie ihre Reaktion auf die zahlreichen Insekten sein wird. Beide stehen sicherlich fünf Minuten wie angewurzelt vor ihrem Eingang und überlegen wohl, was zu tun ist. Ich muss ein Lachen verkneifen. Dann endlich geht er, der Mann, zwei weitere Schritte zurück, als sich die tapfere Frau entschließt, die Zeltwand mit den Füßen zu traktieren, damit das Ungeziefer herunterfällt. Endlich können sie eintreten und bei vollem Licht das Zelt inspizieren. Kurz darauf ertönen zwei unterdrückte Schreie. Jetzt kann ich mich nicht mehr beherrschen und lache lauthals los, während ich nachfrage, ob alles in Ordnung ist. Sie empfinden das Ganze anscheinend nicht komisch. Ich lausche den zirpenden Grillen und schlafe recht schnell ein.
Am Morgen erwache ich sehr früh, da ständig irgendetwas um das Zelt hüpft. In der Morgendämmerung schleiche ich mich hinaus und sehe vier Tic Tic, eine Art kleiner Rehe, um die Zelte springen. Sie sind so schnell und elegant, dass es Spaß macht, ihnen zuzusehen. Gleichzeitig vernehme ich das Trompeten nahender Elefanten. Langsam erwachen Tiere und Menschen und schon bald befinden wir uns wieder auf der Pirsch. Wir begegnen Unmengen von Elefanten jeder Größe. Auch ganze Affenherden und ein paar Wildschweine sind heute Morgen bereits unterwegs zum Fluss. Jede Regung wird fotografiert. Nach dem Mittagessen müssen wir den Rückweg zur ersten Lodge antreten. Der Fahrer fragt uns, ob wir noch ein Massai-Dorf besichtigen wollen. Ich bin sofort begeistert, weil ich gerne wieder einmal in eine Manyatta kriechen würde. Ich wäre neugierig, welche Reaktionen das in mir hervorrufen würde. Doch meine Mitreisenden zeigen keinerlei Interesse und antworten einstimmig, sie seien wegen den Tieren hier und nicht, um irgendwelche Menschen zu betrachten. Da ich mich nicht zu erkennen geben möchte, verzichte ich auf dieses Erlebnis.
In der Lodge angekommen, bereiten wir uns für den morgigen Aufstieg vor und sortieren das Gepäck. Was am Berg nicht benötigt wird, deponieren wir hier. Es wundert mich, dass einige der Herren noch Bier konsumieren. Ich selbst habe schon seit Weihnachten nahezu keinen Alkohol mehr getrunken. Es wird diskutiert, dass sich am Berg jeder der Nächste ist. Der, der sich noch fit fühlen wird, geht hinauf, auch wenn der andere schlapp macht, und dergleichen. Das betrifft natürlich nur die, die zu zweit unterwegs sind, also das junge Paar sowie Vater und Sohn. Ich wende einmal ein, dass ich meinen Partner in einer schwierigen Situation nicht alleine lassen würde, und ernte dafür sofort belustigte Blicke und den Satz: »Du kennst wohl die Gesetze am Berg nicht!« Jeder träumt euphorisch vom Gipfel und schätzt seine Mitstreiter konditionell ein. Ich bin da nicht anders.
Am nächsten Morgen um acht Uhr brechen wir auf. Zuerst fährt der Bus auf der recht guten, geteerten Straße Richtung Moshi und biegt dann plötzlich beim Wegweiser »Machame« nach links ab. Jetzt wird die Straße holpriger und nach einigen Minuten erinnert mich ihr Zustand an die Straßenverhältnisse in Kenia. Links und rechts sehen wir große Bananenplantagen, Gärten und Kaffeesträucher. Alles hier ist enorm grün und saftig. Wir passieren einige einfachere Hütten, doch ab und zu erkennt man abseits der Straße auch wunderschöne Häuser. Diesen Menschen geht es sicherlich im Verhältnis zu denen in anderen Gegenden recht gut. Unter anderem ist dies auch daran zu erkennen, dass an diversen Shops frisch geschlachtetes Fleisch, an einem Haken hängend und natürlich umzingelt von den obligaten Fliegen, zum Verkauf angeboten wird. Anscheinend ist also Geld für Fleisch vorhanden. Als ich meine Begleiter auf die »Metzgereien« aufmerksam mache, wird es einigen fast übel.
Am frühen Vormittag treffen wir am Machame Gate auf 1.840 in Höhe ein. Wir sind nicht die einzige Gruppe, die sich auf den Weg machen möchte. Es herrscht ein wildes Durcheinander. Die verschiedenen Gruppen müssen angemeldet, Träger organisiert und Essenspakete verteilt werden. Ich freue mich auf den Beginn der Wanderung. Da ich zu Hause nahezu täglich mehrere Stunden unterwegs war, fehlt mir die Bewegung, nachdem ich nun drei Tage »auf der faulen Haut« gelegen bin. Endlich ist alles geregelt. Wir bekommen für unsere sechsköpfige Gruppe 24 Träger, einen einheimischen Führer und drei Hilfsführer zugewiesen. Wahnsinn, was für ein Tross nun an uns vorbeizieht, wobei jeder Träger zwischen 20 und 25 Kilogramm auf dem Kopf mitschleppt.
Wir marschieren langsam los. Es ist heiß, aber erstaunlich trocken in diesem wunderschönen Regenwald. Der Weg besteht aus roter getrockneter Lehmerde sowie Wurzeln und Steinen. Bei nassem Wetter ist das Fortbewegen sicherlich sehr mühsam. Ich bin ganz begeistert von der Vegetation und knipse natürlich schon bald die ersten Fotos. Ab und zu bitte ich einen meiner Reisebegleiter, ein Foto von mir zu machen. Doch nach einigen Bildern frage ich nicht mehr, ich werde das Gefühl nicht los, die Gruppe zu belästigen. Ich laufe gemütlich hinter dem Führer her und muss mich erst dem extrem langsamen Tempo anpassen, da ich gewöhnlich in unseren Schweizer Alpen schneller unterwegs bin. Mein neu erworbener Wasserbeutel mit integriertem Trinkschlauch ist eine große Hilfe. So kann ich während des Laufens ständig meinen Durst löschen und bin auch sicher, dass ich genug Flüssigkeit zu mir nehme.
Wir steigen höher und höher, vorbei an Bäumen mit Lianen, Riesenfarnen und von Moos überwucherten Holzstämmen. Es riecht erdig und feucht. Tiere sind nicht in Sicht. Ich habe gar nicht das Gefühl, dass ich mich langsam der 3.000-Meter-Grenze nähere, weil in der Schweiz in dieser Höhe weder Busch noch Strauch anzutreffen sind. Nach ein paar Stunden wird es lichter und der Dschungel verwandelt sich langsam in eine Busch– und Strauchlandschaft und endet beim Erreichen unseres Lagers nach 1.160 Höhenmetern und fünf Stunden Gehzeit in der Erikazone.
Ich bin überrascht, schon vor unserem Camp zu stehen. Die meisten meiner Mitwanderer sehen das anders, sind erschöpft und schimpfen, dass der Führer viel zu schnell unterwegs war. Da wir ja noch drei weitere Hilfsführer haben, verstehe ich nicht, dass dies nicht vorher geklärt wurde. Auch Hans ist meiner Ansicht. Alle verkriechen sich in die Zelte, die bereits unter den letzten vorhandenen Büschen aufgebaut sind, und richten sich ein. Ich bin froh, ein Zweierzelt alleine nutzen zu können, weil das Gepäck schon ein Drittel des Zeltes ausfüllt. Kurze Zeit später erhält jeder von uns einen knappen Liter warmes Wasser in einer kleinen orangenen Schüssel vor das Zelt gestellt, um sich waschen zu können. Da sich niemand von unserer Gruppe blicken lässt, knüpfe ich mit einer Amerikanerin Kontakt. Ihre Gruppe besteht nur aus ihr, drei Trägern und einem Guide. Über die Möglichkeit, den Kilimandscharo so zu besteigen, habe ich nie nachgedacht. Interessant ist auch, das emsige Treiben im Lager zu beobachten. In einigen Zelten wird gekocht. Mehrere Personen sitzen auf der Erde, trinken Tee und essen etwas dazu. Bald werden wir gerufen und betreten unser Essenszelt. Die Tatsache, dass wir hier oben an einem gedeckten Tisch, inklusive blau-rot gestreifter Tischdecke, auf Klappstühlen Platz nehmen sollen, erscheint mir mehr als seltsam. Sozusagen als Aperitif bekommen wir einen heißen Tee oder Kaffee und eine Platte mit gesalzenem Popcorn. Dann bleibt noch eine gute Stunde, bis das richtige Abendessen serviert wird.
Ich beobachte wieder das Treiben im Lager, als sich plötzlich gegen halb sieben der Nebel um den Kilimandscharo kurz hebt und ich den Berg zum ersten Mal sehen kann. Er scheint ganz nahe zu sein! Der Schnee am Gipfel sieht aus, als wäre ein Kübel mit weißer Farbe, die da und dort hinunterläuft, über den Berg gegossen worden. Es dauert nur kurz, wie ein Spuk, dann ist er wieder im Nebel und der anbrechenden Dunkelheit versunken. Das reichliche Essen wird auf echten Porzellanplatten und -tellern serviert. Als Vorspeise gibt es eine herrliche Suppe, danach den Hauptgang und anschließend Früchte. Ich komme mir wie in der Kolonialzeit vor. Die ganze Situation erscheint mir ein wenig absurd. Schließlich habe ich einmal unter Afrikanern gelebt und gearbeitet und nun schleppen sie für mich, die zahlende »Weiße«, Tische und Stühle durch die Gegend und bedienen mich. Mir ist klar, dass dadurch viele für kurze Zeit einen Job haben, aber ich muss mich trotzdem erst daran gewöhnen. Um acht Uhr sind wir alle schon in unseren Zelten, doch schlafen kann ich nicht, in jedem der umliegenden Zelte wird gequatscht oder geschnarcht. Ich denke über unsere Gruppe nach und hoffe, dass sich morgen vielleicht etwas mehr Zusammenhalt und Witz einstellen. Denn freiwillig hätte sich wohl bis jetzt niemand den anderen ausgesucht.
Um Mitternacht schlafe ich immer noch nicht, dafür schnarchen der Franz oder der Hans wunderbar. Ich krieche noch einmal aus dem warmen Schlafsack, um meine Blase zu entleeren. Die Nacht ist kühl und klar. Die Sterne sind zum Greifen nah und auch der Kilimandscharo ist an seiner weißen Krone erneut erkennbar. In diesem Augenblick kann ich einen gewissen Zauber, der von ihm ausgeht, nicht leugnen. Doch ich muss ins Zelt zurück, bevor die Kälte in mich kriecht. Eine leichte Schlaftablette verhilft mir endlich zu einem wohlverdienten Schlaf.
Gegen sechs Uhr werde ich von lauten Diskussionen zwischen Vater und Sohn geweckt. Sie haben anscheinend nasse Schlafsäcke, da sie im Zelt keine Luftklappen offen gelassen haben. Außerdem haben sie fürchterlich gefroren, wie ich höre, und fühlen sich wegen der Kälte und des harten Bodens ganz steif. Ich selbst kann über solche und ähnliche Probleme nicht klagen. Zum einen bin ich an das Schlafen am Boden gewöhnt und zum andern haben sich mein für diese Tour neu angeschaffter Schlafsack, der auch bei extremer Kälte warm halten soll, und die neue Isomatte gut bewährt. Nach der Begrüßung frage ich die beiden, wie es denn mit ihren Schlafsäcken bestellt sei. Von Komfort– oder Extrembereich haben die zwei noch nie etwas gehört. Ihre Schlafsäcke sind von Aldi und waren sehr günstig, wie Franz, ein bekennender Aldi-Fan, erzählt. Nun schaut er auf der Beschreibung nach und liest zum ersten Mal: »Komfortbereich +5°, Extrembereich -10°«. Ich frage mich, was die zwei sich auf 4.600 Höhenmeter zum Schlafen einfallen lassen wollen!
Auf dem Weg zur Toilette merke ich, dass meine Beine schwer wie Blei sind, und kann mir das nicht erklären. Zu meinem Entsetzen muss ich feststellen, dass trotz Vorkehrungen meine Menstruation eingesetzt hat. Das kann ich hier am Berg am allerwenigsten gebrauchen! Mir schlägt dieser Umstand augenblicklich aufs Gemüt. Ich schlucke erneut Tabletten, damit sich das Ausmaß in Grenzen hält. In meinem Zelt erwartet mich schon der »Good Morning-Tea«. Normalerweise werden wir von drei Personen geweckt, indem sie vor dem geschlossen Zelt »Teatime, Coffeetime!« rufen. Dann öffnet man das Zelt und kann sich vom hingehaltenen Tablett einen Tee oder Pulverkaffee anrühren lassen. Unglaublich feudal! Kurze Zeit später erscheint das obligate Waschschüsselchen mit angewärmtem Wasser für die Morgentoilette. Um halb acht wird »Full Breakfast« eingenommen. Wir erhalten unter anderem Rührei, Würstchen, getoastete Brotscheiben, Butter, Marmelade und frische Früchte, von der Minibanane bis zur Ananas. Ich glaube, keiner von uns würde zu Hause jemals so gut und reichhaltig frühstücken.
Um zirka neun Uhr machen wir uns auf den Weg zum Shiraplateau, das auf 3.850 Höhenmeter in einer gewaltigen Hochsteppe liegt. Zu Beginn geht es recht gemütlich los. Bäume und Sträucher werden allmählich weniger. An den letzten Bäumen hängen Moosfetzen wie Spinnweben herab und verleihen dem Ganzen einen Hauch von Fantasiewelt a la Jurassic Park. Durchziehende Nebelfelder verstärken diesen Eindruck. Zwischendurch tauchen violette Distelarten oder rosa-weiße Blumensträucher auf. Leider wird der Weg immer steiler und der gewaltige Aufstieg bereitet mir heute mit meinen schweren Beinen extreme Mühe. Dafür sind die anderen wieder fit. Zum Teil ist das Gelände so steil, dass ich die Stöcke nicht mehr gebrauchen kann. Sie sind eher hinderlich. Dafür werde ich mit einem tollen Ausblick auf den Mount Meru belohnt und wenn ich zurückschaue, überblicke ich den ganzen Dschungel, den wir gestern durchquert haben. Doch ich muss mich förmlich vorwärts kämpfen und bin froh, als wir kurz nach zwölf Uhr endlich Mittagspause haben. Als wir im Windschatten eines Felsens am gedeckten Tisch, inklusive Tischtuch, auf unseren Stühlen Platz nehmen, ist es neblig und kühl. Ich ziehe mir den Regenschutz über, damit ich besser vor dem Wind geschützt bin. Uns erwartet heißer Tee, Brot und Käse sowie warme Pfannkuchen. Letztere geben mir wieder etwas Kraft. Dennoch ist es grotesk, hier oben auf diese Art zu pausieren. Ich werde diesen Anblick jedenfalls nie vergessen!
Danach wandern wir weiter und ich fühle mich etwas besser. Am frühen Nachmittag erreichen wir das Shiraplateau. Es ist ein riesiges Camp und an den zum Teil weit verstreuten Toilettenhäuschen kann man erkennen, dass hier manchmal viel Betrieb herrscht. Nach und nach treffen andere Gruppen ein, unter denen auch die allein reisende Amerikanerin ist. Obwohl wir uns bereits in einer Höhe von 3.850 Meter befinden, gibt es noch vereinzelte Sträucher, so dass ich nach wie vor kein richtiges Gefühl für diese Höhe bekommen habe. Doch heute bin ich froh, endlich ausruhen zu können und warte ungeduldig auf meinen Liter Waschwasser. Meine Beine sind immer noch schwer und Bauchschmerzen haben ebenfalls eingesetzt.
Ich versuche per Handy Verbindung mit zu Hause zu bekommen. Meine kleine Familie fehlt mir und ich komme mir plötzlich sehr egoistisch vor. Ich klettere auf diesen Berg, warum weiß ich bald auch nicht mehr, während Markus zusätzlich zu seinem harten Job auch noch für Napirai mitsorgen muss. Irgendwie stecke ich in einem moralischen Tief. In unserer Gruppe ist wieder jeder mit sich beschäftigt und so bleibt der Kontakt eher spärlich auf die Zeit begrenzt, in der man sich im Essenszelt begegnet. Ich habe mir das alles etwas lustiger und unterhaltsamer vorgestellt.
Bei anderen Gruppen geht es wesentlich lockerer zu, wie ich aus meinem Zelt beobachten kann. Doch da ich nicht in bester Verfassung bin, kann ich mich nicht aufraffen, Kontakt herzustellen. Morgen trennen sich sowieso die Wege der meisten Gruppen. Zwischendurch zeigen sich neckisch die Eisfelder des Kilimandscharo. Ob ich da jemals oben stehen werde? Im Moment glaube ich nicht so recht daran. Endlich ist Abendbrotzeit. Wieder gibt es ein herrliches Essen, doch außer der Suppe bringe ich fast nichts hinunter. Der Führer ist nicht begeistert und ermahnt mich zu essen. Morgen wird es sicher besser gehen, versuche ich ihn zu beruhigen.
Heute ist der dritte Tag am Berg. Als ich aufwache, empfinde ich es sogar in meinem Schlafsack leicht kühl. Wie mag es erst Vater und Sohn ergangen sein? Ich krieche aus dem Zelt und stelle fest, dass der Boden sowie der Tau auf dem Zelt gefroren sind. Es folgt der gewohnte Ablauf von Morningtea, Waschwasser und anschließendem full breakfast. Leider kann ich wieder nicht viel essen. Franz und Hans haben erbärmlich gefroren, obwohl sie mit allen verfügbaren Kleidern in ihre Schlafsäcke gestiegen sind. Das kann nicht gut gehen!
Bald ist Abmarsch. Franz, der Vater, fühlt sich nicht sehr wohl, da er zusätzlich Durchfall bekommen hat. Heute steht der South Circuit auf dem Programm. Diese Umrundung dient der Höhenanpassung. Wir werden 750 Höhenmeter zum Lava Tower auf 4.500 Meter aufsteigen, um dann wieder bis auf 3.950 in abzusteigen. Am Anfang steigt der Weg nur gemächlich an. Man kann sich bei dieser schwachen Steigung fast nicht vorstellen, dass wir an Höhe gewinnen werden. Der Kilimandscharo ist immer im Blickfeld. Doch plötzlich holt uns der Nebel von hinten ein und es wird erstaunlich kühl. Sind wir erst in T-Shirts losmarschiert, ziehen wir uns jetzt schnell eine Jacke über. Langsam verschwinden die letzten Erikasträucher und es sind nur noch einige Flechten an den sonst dunklen Steinen zu sehen. Kurz vor ein Uhr machen wir einen Lunchstopp. Ich bin froh, eine Pause einlegen zu können, denn nun spüre ich extrem, dass wir mittlerweile auf 4.500 Höhenmetern angekommen sind. Es weht ein kalter Wind. Wieder sitzen wir im Windschatten großer Felsen an dem uns inzwischen vertrauten Tisch, als sich plötzlich ein Eisregen über uns ergießt. Die Führer mahnen zur Eile, da das Wetter sehr schnell übel werden kann und wir im Nebel nicht mehr viel sehen könnten. Ich fühle mich etwas erschöpft, doch insgesamt für diese Höhe noch einigermaßen gut. Franz geht es immer schlechter. Er und auch sein Sohn haben starke Kopfschmerzen. Der Führer fragt uns, ob wir noch bis zum Lava Tower hochsteigen wollen oder lieber den kürzeren Weg zu unserem nächsten Camp nehmen möchten. Franz entschließt sich für den unteren Weg. Ich überlege kurz, ob ich mit ihm gehen soll. Als sich jedoch das junge Paar voller Energie für den Aufstieg entscheidet, schließen wir anderen uns an.
Tatsächlich wird das Wetter wieder besser und nach einer kurzen Wanderung stehen die großen, bizarren Felsen des Lava Towers vor uns. Der Führer gratuliert jedem zum Erreichen der 4.600-Meter-Marke. Endlich geht es mir besser und ich verspüre so etwas wie Euphorie, verbunden mit der Zuversicht, dass dieses Abenteuer doch noch auf den Gipfel führen könnte. Nach einer kurzen Fotopause beginnen wir den Abstieg. Hinunter läuft es sich in dieser Höhe natürlich dreimal schneller. Bald schon führt uns der Weg durch wunderschöne Lobelien und Senecien. Diese Pflanzen wachsen zwischen den dunklen Steinen mehrere Meter in die Höhe und passen irgendwie nicht hierher. Manchmal sehen sie in der Ferne fast wie ein Palmengarten aus. Je weiter wir absteigen, desto mehr beleben Erikagewächse wie silberweiße Tupfen den dunklen Steinboden.
Kurz vor vier Uhr blicken wir von oben auf unser Camp hinunter. An den verschiedenfarbigen Zelteinheiten erkennt man die jeweiligen Gruppen. Außer uns sind noch zwei weitere unterhalb des Kilimandscharo-Südgletschers auf 3.950 Meter angekommen. Es ist sehr kühl. Im Küchenzelt herrscht emsiges Treiben. Immer wenn wir im Camp ankommen, steht alles schon bereit. Jeder hat sein eigenes Zelt und darin befindet sich die jeweilige Reisetasche. Wir treffen wieder auf Franz, dem es nach wie vor nicht gut geht. Er hat Fieber und überlegt, ob er sich auf der Safari eventuell eine Malaria geholt haben könnte, da er keine Prophylaxe eingenommen hat. Doch mit meinen früheren Malaria-Erfahrungen decken sich seine Symptome längst nicht, was einigermaßen beruhigend ist. Hans hat durch den schnellen Abstieg noch stärkere Kopfschmerzen bekommen, möchte aber keine Tabletten nehmen.
Zum wiederholten Mal stelle ich mein Handy an und bemerke nun hocherfreut, dass ich hier Empfang habe. Sofort melde ich mich bei meinen Lieben zu Hause. Endlich höre ich Markus' Stimme. Als er besorgt nachfragt, wie es mir denn bis jetzt ergangen ist, schießen die Tränen aus meinen Augen. Erschrocken über meine Reaktion antworte ich, dass es mir körperlich ganz gut geht, ich mich aber irgendwie fehl am Platze fühle. Das Reisen in Gruppen kenne ich nicht und habe mir das völlig anders vorgestellt. Außerdem zweifle ich an meiner Kondition. Markus versucht mich aufzumuntern und als ich höre, dass mit Napirai alles bestens läuft, werde ich ruhiger. Kurz darauf habe ich sie selbst am Telefon. Sie meint locker: »Mama, mach dir keine Gedanken, du schaffst das schon, und hier ist eh alles in Ordnung!« Ich merke, wie mein Herz schmilzt, und gleichzeitig spüre ich intensiv, dass diese zwei Menschen das Wichtigste in meinem Leben sind.