Текст книги "Zurück aus Afrika"
Автор книги: Corinne Hofmann
Жанр:
Биографии и мемуары
сообщить о нарушении
Текущая страница: 10 (всего у книги 14 страниц)
In einer der kommenden Wochen habe ich in der Schweiz eine Lesung und eine Signierstunde. Diese findet ausnahmsweise in einem Reisebüro statt, das sechzig meiner Bücher verschenken möchte. Als ich dort erscheine, drängt sich wieder eine Menschentraube bis weit auf den Gehweg hinaus. Ich beginne gleich mit dem Signieren und unterhalte mich dabei angeregt mit den Kunden. Nach einer guten halben Stunde kommt der Geschäftsführer und fragt mich, ob ich die Leute da draußen, die ein Spruchband zur Unterstützung ihrer Demonstration gegen mich hochhalten, kenne. Ich verstehe nicht, wovon er spricht, weil ich durch die wartende Menschenmenge nicht bis zur Straße blicken kann. Als alle Bücher ihre neuen Besitzer gefunden haben, gehe ich hinaus, um mir die Demonstranten anzusehen. Ich bin mehr als überrascht, als ich vier schwarze Frauen sowie zwei weiße Männer sehe. Die Männer halten das Spruchband hoch, auf dem zu lesen ist, dass ich die afrikanische Kultur beleidige. Da ich das Ganze nicht verstehe, versuche ich mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Ich möchte sie mit einem Händeschütteln begrüßen, doch das gefällt ihnen überhaupt nicht, stattdessen schreien oder besser gesagt kreischen sie mich auf Englisch an.
Nochmals versuche ich ganz ruhig zu erfahren, was ihr Anliegen ist. Ob ich denn nicht lesen könne?, bekomme ich zu hören. In meinem Buch würde ich nicht die Wahrheit schreiben. Ich frage erneut, worauf sie anspielen wollen, und wende mich an einen der beiden Männer. Der aber scheint nur Spruchbandträger zu sein und gibt mir per Kopfnicken zu verstehen, dass die lautstarken und sich auf die Brust trommelnden Afrikanerinnen für diese Frage zuständig seien. Dann schreit die eine erneut, ich beleidige ihr Volk. Ich würde schreiben, die Samburu seien dumm und unzivilisiert, und würde den Unterschied zwischen Massai und Samburu nicht kennen. Mir kommt das alles sehr suspekt vor, denn ich konnte gleich erkennen, dass diese Frauen weder den Massai noch den verwandten Samburu angehören. Als ich sie nach ihrer Stammeszugehörigkeit frage, erwidern sie aggressiv, sie seien Kenianerinnen und was in meinem Buch stehe, stimme nicht. Doch worum es ihnen genau geht, sagt keine. Ich wundere mich nur, wie diese Menschen auf solch eine Behauptung kommen. Ich habe in Kenia genau so gelebt, wie ich es niedergeschrieben habe, und hatte nie das Gefühl, das Volk meines Mannes zu beleidigen. Als ich feststellen muss, dass alles nichts nützt und diese Frauen anscheinend nur etwas Aufmerksamkeit erregen möchten, breche ich den Versuch, ein vernünftiges Gespräch zu führen, ab. Allerdings beschäftigt mich diese Begegnung noch einige Tage, weil ich einfach nicht dahinter komme, was diese Leute von mir wollen. Auch mein Verleger ist ziemlich ratlos.
Mir fällt die Kartenlegerin ein, der ich sowieso schon seit langem ein Buch vorbeibringen wollte. Schließlich hatte sie ja so Recht mit ihrer Vorhersage des Erfolges. Ich rufe an und kann noch am gleichen Tag vorbeikommen, da ich am nächsten Tag meine zweite Lesung in Bern abhalte und anschließend wieder nach Deutschland reisen werde. Vorher will ich unbedingt erfahren, was sie mir zu dem Vorfall mit den Afrikanerinnen sagen kann. Ich betrete das winzige Häuschen mit den vielen Zwergen und wieder setzt sich sofort die Katze auf meinen Schoß. Die Kartenlegerin kann sich nicht mehr an mich erinnern. Erst als ich ihr das Buch überreiche, sagt sie: »Ach Sie sind das! Ich habe von Ihrer Geschichte gelesen, wusste aber nicht, dass Sie schon einmal bei mir waren.« Dann mischt sie die Karten und ich ziehe wie beim ersten Mal. Wieder beschreibt sie den Erfolg des Buches, der sich noch weiter fortsetzen wird. Doch schon bald bemerkt sie, dass da wohl auch einige Probleme aufgetaucht sind. Nun erzähle ich ihr von den Kenianerinnen. Sie legt erneut die Karten und erklärt: »Sie müssen gut auf sich aufpassen, das sind neidische Leute, die nur Geld aus Ihnen herausholen wollen und die geben nicht so schnell auf. Seien Sie wachsam, schon allein wegen Ihrer Tochter.« Mir wird ganz elend bei dem Gedanken, dass eventuell Napirai mit hineingezogen werden könnte. »Es ist noch nicht kritisch, aber Sie müssen aufpassen. Sie haben viele Neider und es werden noch mehr.«
Als sie mir anschließend vorhersagt, dass ich demnächst einen großartigen Mann kennen lernen werde, beruhigt mich das auch nicht. Mir ist nicht nach einem Mann zumute und so antworte ich leicht unwirsch: »Ach hören Sie auf! Ich habe keine Zeit für eine Beziehung. Im Moment erst recht nicht, weil ich ständig unterwegs bin und von meiner >alten< Liebe schwärme. Da würde eine neue Liebe schlecht dazu passen. Und wenn ich nach Hause komme, wartet meine Tochter auf mich. Nein, nein, da täuschen Sie sich!« Energisch erwidert sie: »Meine Karten lügen nie! Und überhaupt, was heißt kennen lernen. Diesen Mann kennen Sie schon lange. Der steht sozusagen bereits vor Ihrer Tür!« Jetzt muss ich lachen und sage: »Ach was, ich kenne keinen Mann, in den ich mich plötzlich verlieben könnte.« Dieses Thema interessiert mich nun nicht mehr, stattdessen möchte ich lieber noch mehr über diese Demonstranten wissen. Doch sie winkt ab und meint: »Einfach aufpassen, dann geht alles gut. Sie machen schon das Richtige.« Die Zeit ist um und ich fahre nach Hause. Dort bespreche ich die Angelegenheit mit meiner Mutter und sage ihr auch, dass sie noch aufmerksamer auf Napirai achten soll.
Zwei Tage später fahre ich zur zweiten Lesung nach Bern. Auch diesmal ist die Buchhandlung überfüllt. Vor dem Eingang demonstrieren die gleichen Leute wie schon zuvor im Zürcher Oberland. Aber diesmal lasse ich mich nicht auf eine sinnlose Diskussion ein, denn ich brauche meine Energie für die vielen Menschen, denen ich Freude schenken möchte. Es wird trotz allem ein schöner, sehr langer Abend, weil die Zuhörer viele Fragen haben und natürlich auch über die möglichen Anliegen der Demonstranten mit mir debattieren. Spät abends gehe ich in mein Hotel und freue mich auf die morgige Heimreise.
Neue Liebe
Napirai ist auch am kommenden Tag mit ihrer Großmutter unterwegs, da ich abends eine Einladung habe. Meine Kollegin Hanni kocht thailändisch und hat dazu verschiedene Leute eingeladen. Gegen Mittag bin ich wieder aus Bern zurück und das lange Warten bis zum Abend fällt mir auf einmal enorm schwer. Mein Kind ist nicht da, geschlafen habe ich auch schlecht und meine Gedanken drehen sich immer wieder um die afrikanischen Frauen, von denen ich nach wie vor nicht weiß, was sie eigentlich wollen. Gegen drei Uhr halte ich es zu Hause nicht mehr aus und setze mich in meinen Wagen, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Ich muss einfach raus! Es wird mir klar, dass ich heute unmöglich zu Hanni gehen kann. Wenn ich nur daran denke, wieder in einem geschlossenen Raum zu sitzen, überfällt mich eine Art Platzangst. Ich rufe sie an und gegen meine sonstige Gewohnheit teile ich ihr mit, dass ich leider nicht kommen kann. Als sie enttäuscht nach dem Grund fragt, kann ich ihr, so komisch sich das auch anhört, keine plausible Erklärung bieten. Nachdem ich aufgelegt habe, fahre ich ziellos durch die Gegend. Obwohl es schon Anfang März ist, fallen große Schneeflocken. Automatisch fahre ich in Richtung Rapperswil und plötzlich fällt mir Irene, die blonde, energische Frau von der Lesung, wieder ein. Hier irgendwo in der Gegend muss sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern leben. Sie kam später noch einmal zu einer meiner Lesungen und dabei tauschten wir Visitenkarten aus. Ich halte am Straßenrand und suche nach ihrer Karte. Ich weiß nicht, was mich treibt, aber ich rufe bei ihr an. Sie ist hocherfreut und beschreibt mir den Anfahrtsweg zu ihrem Haus. Bei dichtem Schneetreiben komme ich bei ihr an und schlage ihr statt eines Kaffees erst mal einen gemeinsamen Spaziergang vor. Erstaunt willigt sie ein. Als sie meine Unruhe bemerkt und sich nach dem Grund erkundigt, erzähle ich ihr von den Ereignissen. Auch sie versteht die Welt nicht mehr und empört sich: »Was, du und die Massai beleidigen! Die haben dein Buch nicht gelesen, geschweige denn verstanden. Ich kenne jeden Satz und kann nicht die geringste Spur einer Beleidigung erkennen. Unmöglich, du beschreibst ja nur dein Leben!« Während unseres Spaziergangs erregt sie sich immer wieder aufs Neue.
Mittlerweile ist es kalt geworden und der Schnee treibt uns ins Gesicht. Wir laufen zu ihrem Haus zurück und trinken heißen Tee. Sie lädt mich spontan zu einem Raclette ein, doch Hunger habe ich nicht und erzähle lachend, dass dies schon die zweite Einladung für heute Abend wäre. »Nein, ich gehe noch irgendwo ein Glas Wein trinken und dann ab nach Hause. Heute bin ich einfach komisch drauf.« Netterweise will sich Irene anschließen und da ich mich in der Umgebung nicht auskenne, bitte ich sie um einen Vorschlag. Mit zwei Autos fahren wir los. Obwohl es erst sieben Uhr ist, ist es stockdunkel und durch das Schneegestöber erkenne ich kaum die Straße. Sie fährt durch ein kurvenreiches Waldstück und ich beginne schon zu zweifeln, ob in dieser Gegend noch etwas Unterhaltung vorzufinden ist, als wir plötzlich vor einem alten Bauernhaus mit Restaurant und Barbetrieb parken. Unglaublich, das hätte ich alleine nie gefunden! Wir betreten die Bar und natürlich ist um diese Zeit noch niemand da. Wir setzen uns an einen Bistrotisch und bestellen einen Drink.
Gerade möchte sie mir aus ihrem Leben erzählen, als sich die Tür öffnet und ein gut aussehender Mann hereinkommt. In dem diffusen Licht bleibt mein Blick an seinen strahlenden Augen hängen, die mich unverfroren anstarren. Ich wende mich wieder Irene zu, um mich weiter mit ihr zu unterhalten, als plötzlich jemand hinter mir sagt: »Das gibt es ja nicht! Die berühmte Corinne! Wie kommst du denn in diese verlassene Gegend?« Noch bevor ich mich richtig umgedreht habe, erkenne ich die Stimme von Markus, meinem ehemaligen Mitschüler. Nun schaue ich ihm direkt in die Augen und muss feststellen, dass er, obwohl sein Haar etwas lichter geworden ist, nichts von seiner guten Erscheinung und seiner Ausstrahlung eingebüßt hat.
Ich möchte ihm Irene vorstellen, doch die beiden sind sich in dieser Bar schon des Öfteren begegnet. Zur Begrüßung küssen wir uns wie selbstverständlich auf beide Wangen. Er gratuliert mir zu meinem Bucherfolg und ich frage überrascht, warum er um diese Zeit in einer so versteckten Bar anzutreffen sei. Eigentlich, erklärt er, habe er seit drei Tagen krank im Bett gelegen, aber weil ihm die Decke schon fast auf den Kopf gefallen sei, habe er spontan den Entschluss gefasst, hier auf einen Drink vorbeizukommen. Ich möchte von ihm wissen, warum er bei meinem Fernsehauftritt vor einem halben Jahr als Zuschauer am Telefon so vorwurfsvolle Fragen gestellt habe. Er lacht und antwortet: »Vergiss es einfach, es hatte etwas mit mir persönlich zu tun. Aber das ist eine lange, unschöne Geschichte und dafür ist dieser Abend, jetzt nachdem ich euch getroffen habe, einfach zu schade.«
Wir flachsen hin und her und so langsam füllt sich das Lokal. Auch die Geräuschkulisse schwillt immer mehr an, bis wir uns fast nicht mehr unterhalten können, außer wir stecken die Köpfe nahe zusammen. Ich lausche seinem fröhlichen, spontanen Geplauder und fühle mich auf seltsame Weise zu ihm hingezogen. Auf einmal bin ich richtig froh, dass ich den Abend bei Hanni sausen ließ. Nach einer Weile will ich wissen, was eigentlich ein verheirateter Mann an einem Samstag Abend in einer Bar verloren hat. Für ein paar Sekunden nimmt sein Gesicht einen ernsten Ausdruck an und er dreht etwas verlegen an seinem Weinglas. »Ich bin nicht mehr verheiratet. Na ja, so ist das Leben.« Doch kurz darauf fragt er mit einem Lächeln, ob wir auch noch etwas trinken wollen. Irene lehnt ab, weil sie wieder zu ihrer Familie zurückkehren möchte. Mir dagegen gefällt es in seiner Gesellschaft ausgesprochen gut und mit einem Mal bin ich weit davon entfernt, nach Hause zu wollen. Im Gegenteil, mich interessiert es, warum dieser »Traummann« nicht mehr verheiratet ist. Da es hier zu laut ist, verlassen wir die Bar und fahren an einen ruhigeren Ort. Allerdings muss ich lachen, als wir wieder vor einer Bar parken und rufe: »Du scheinst diese Lokale ja gut zu kennen!«
»Ja, so ist das halt, wenn man Single ist! Aber ehrlich gesagt bin ich eher selten unterwegs.«
Wir setzen uns an die Theke und nach und nach erzählen wir einander unsere Lebensgeschichten. Ich höre ihm mit großem Interesse und Anteilnahme zu und sehe bald einen anderen, sensiblen und schüchternen Menschen hinter dem stets gut gelaunten Sonnengesicht. Es ist eine traurige, fast unglaubliche Lebensgeschichte. Sie klingt wie das Gegenstück zu dem, was ich früher bei den Treffen der allein Erziehenden von weiblicher Seite hörte. Er erzählt ohne Vorwürfe, einfach nur, wie es für ihn war und ist. Wie seine Lebensträume zuerst langsam und dann alle auf einmal zerplatzten. Eine tiefe psychische Krise war die Folge. Schon vor vier Jahren beim Klassentreffen hatte sich dies abgezeichnet, aber niemand hatte damals etwas bemerkt. Alle hatten wir ihn bewundert. Jetzt verstehe ich auch den verbalen Angriff in der Talkshow. Zu der Zeit war er frisch geschieden und hatte seine beiden Kinder Monate lang nicht gesehen. Offensichtlich liebt er sie sehr, so wie er jetzt mit leuchtenden Augen von seinen beiden Mädchen schwärmt. Während des Erzählens bestellen wir weitere Getränke und ab und zu streift seine Hand mein Knie. Ist es Absicht oder Zufall? Ich weiß es nicht und so verhalte ich mich, als würde ich nichts bemerken. Gelegentlich spüre ich Seitenblicke von Menschen, die mich wohl erkennen und plötzlich steht jemand neben mir und fragt: »Ist es möglich, dass ich Sie kürzlich im Fernsehen gesehen habe?« Etwas überrascht schaue ich auf, doch Markus ist um schlagfertige Antworten nicht verlegen.
Trotz der traurigen Geschichten amüsieren wir uns prächtig und die Zeit verfliegt im Nu. Als sich die Bar gegen zwei Uhr langsam leert, müssen auch wir an Aufbruch denken, obwohl keiner von uns beiden nach Hause möchte. Doch es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Wir treten in die kalte verschneite Nacht hinaus. Um zu unseren Autos zu gelangen, müssen wir ein kleines steiles Sträßchen hinunterlaufen, was für mich in Turnschuhen problematisch ist. Lachend rutsche ich auf den vor mir gehenden Markus zu und suche, mich mit den Händen an seiner Schulter abstützend, nach Halt. Er dreht sich um und fängt mich übermütig auf. Mein Herz bleibt stehen und schon spüre ich den Hauch eines Kusses auf meinem Mund. Wir schauen uns etwas erschrocken und verlegen an, bevor ich in mein sicheres Auto steige. Verwirrt lasse ich die Scheibe herunter, um mich zu verabschieden. Er lacht mich wieder an, legt seine Hand, während er in gebückter Haltung in den Wagen schaut, auf meine Schulter und sagt: »Du bist eine tolle Frau, pass auf dich auf und komm gut nach Hause.« Er dreht sich um und steigt ebenfalls in sein Auto. Ich fahre los und winke ihm ein letztes Mal zu. Auf der Fahrt nach Hause bin ich völlig aufgewühlt. Zum einen habe ich heftiges Herzklopfen, zum anderen weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Endlich liege ich im Bett, finde jedoch keine Ruhe.
Am Morgen freue ich mich sehr, Napirai bei meiner Mutter abzuholen. Wir frühstücken zusammen und sie erzählt mir, was sie mit Hanspeter und ihrer Großmutter alles erlebt hat. Plötzlich klingelt das Telefon. Es ist elf Uhr. Ich nehme den Hörer ab und höre Markus' Stimme: »Guten Morgen, bist du schon wach und fit?« Mir verschlägt es die Sprache. Ich habe nicht damit gerechnet, dass er mich heute anrufen würde. Ich merke, wie sehr ich mich über den Anruf freue. Napirai kommt und fragt: »Mama, wer ist das? Mamaaa, sag schon, wer ist am Telefon? Warum lachst du so komisch?« Ich gebe ihr zu verstehen, dass ich es ihr später erzählen werde. Daraufhin geht sie in ihr Zimmer, um zu spielen. Wir telefonieren fast zwei Stunden. Unglaublich, dass es einen Mann gibt, mit dem man sich so lange angeregt unterhalten kann! Ich lege erst auf, als Napirai zu Recht vorwurfsvoll vor mir steht und erneut fragt: »Mama, du bist so komisch, sag mir endlich, wer am Telefon ist! Hör jetzt endlich auf.« Wir beenden das Telefonat, verabschieden uns und ich erwähne, dass ich die kommende Woche wieder in Deutschland unterwegs bin. Dann nehme ich Napirai auf den Schoß und erzähle ihr, woher ich Markus kenne und wie wir uns gestern zufällig begegnet sind. »Ja, aber warum ruft er heute schon wieder an? Ist das jetzt dein Freund?«, will sie wissen. »Nein, ich glaube nicht, oder besser gesagt, ich weiß es noch nicht.«
»Ich möchte aber nicht, dass du einen Freund hast, Mama!« Ich beruhige meine zehneinhalbj ährige Napirai: »Aber ich habe noch gar keinen Freund.«
Am Nachmittag besuchen wir den Zürcher Zoo und genießen trotz beißender Kälte die wunderschöne Anlage. Vor dem Nachhauseweg verpflegen wir uns mit Pommes und heißem Tee. Zu Hause angekommen stecke ich Napirai in ein wärmendes Vollbad. Kaum sitze ich im Wohnzimmer, klingelt das Telefon. Ich bin völlig platt, als ich heute zum zweiten Mal Markus höre. Ich erzähle von unserem Ausflug und er von seinem einsamen Spaziergang am See. Er fragt, ob wir auch mal mit ihm und seinen Kindern einen Zoobesuch machen würden, wenn sie an einem Wochenende zu Besuch bei ihm sind. Für mich ist das kein Problem, sobald ich etwas mehr Zeit habe. Es ist wieder fast eine Stunde vergangen, bevor wir uns nun endgültig verabschieden. Ich habe lange nicht mehr so viel gelacht wie mit diesem Menschen.
Tags darauf fliege ich nach Düsseldorf. Bevor ich den Terminal verlasse, fällt mein Blick an einem Zeitungsstand auf lustige Ansichtskarten. Spontan schreibe ich Markus ein paar Zeilen und ende nach langer Überlegung mit dem Satz: »Und irgendwie habe ich doch ein Kribbeln im Bauch – und du?« Vor dem Einwerfen zögere ich und überlege, ob das angebracht ist, vielleicht mache ich mich auch lächerlich. Ach was, jetzt oder nie, und schon landet die Karte im Postkasten. Augenblicklich bin ich ruhiger und nehme mir ein Taxi zum Hotel. Himmel, dieser Markus verdreht mir noch den Kopf, denke ich, während mir plötzlich das Gespräch bei der Kartenlegerin in den Sinn kommt. Natürlich! Sie sagte, ich kenne den Mann schon lange. Ich wäre nie auf Markus gekommen, obwohl ich ihn bei dem Klassentreffen bereits anziehend fand. Aber er war ja verheiratet. Allerdings wünschte ich mir danach einen Partner mit ähnlichen Eigenschaften. Mein Bauch flattert bei diesen Gedanken und ich frage mich: »Ist das etwa unser Schicksal?«
Die Lesung am Abend verläuft hervorragend und ich bin richtig beflügelt. Als ich später im Hotelzimmer liege, hätte ich große Lust, zum Telefon zu greifen und ihn anzurufen. Doch ich will nichts überstürzen und weiß im Grunde genommen überhaupt nicht, wie er über uns denkt. Zu Beginn unserer Gespräche hörte ich lediglich heraus, dass er eigentlich keine Beziehung mehr eingehen will, da das mit Kindern sehr schwierig ist. Es würde viel Verständnis von allen Seiten voraussetzen, was ihm fast unmöglich erscheint, weil seine Kinder immer die erste Stelle einnehmen werden. Damit sprach er mir aus dem Herzen. Und trotzdem, warum können wir uns stundenlang unterhalten und warum knistert es so eindeutig zwischen uns? Ich bin sehr gespannt, ob er sich meldet, wenn ich zurück bin, oder ob er nach meiner verworrenen Karte das Weite sucht.
Endlich bin ich wieder zu Hause. Mein Anrufbeantworter ist voller Nachrichten, aber leider kein Zeichen von Markus. Na ja, vielleicht sind die aufgelegten Anrufe von ihm gewesen, tröste ich mich selbst und bin dennoch enttäuscht. Samstag Abend, als ich immer noch nichts höre, wähle ich seine Nummer. Er meldet sich und ist gleich hocherfreut. Lachend bedankt er sich für die Karte und erklärt, er hätte mich spätestens morgen angerufen, sobald er seine Kinder wieder nach Hause gebracht hätte. Jetzt ist mir alles klar. Er hat seine Kinder zu Besuch. Ich bin erleichtert.
In der kommenden Woche lade ich Markus zu einem Abendessen ein. Da ich ständig unterwegs bin, genieße ich es, wieder einmal zu Hause zu kochen. Am Tag unserer Verabredung ist Napirai bei der Pflegefamilie, weil es mir noch zu früh erscheint, sie mit Markus bekannt zu machen. Ich habe den Tisch schön gedeckt und als Vorspeise einen Krevettensalat vorbereitet. Nun laufe ich aufgeregt in der Wohnung hin und her und räume irgendwelche Sachen weg. Zum x-ten Mal kontrolliere ich meine Frisur und das Make-up. Habe ich auch die richtigen Kleider an? Nicht zu auffällig und trotzdem schön? Meine Güte, Corinne, du benimmst dich ja wie ein Teenager!, geht es mir durch den Kopf. Das Telefon klingelt und ich denke schon: Jetzt ist etwas dazwischen gekommen. Nein, er findet nur die Straße nicht. Völlig nervös erkläre ich ihm den Weg und kurz darauf klingelt es an der Tür.
Ich öffne und Markus springt über das ganze Gesicht strahlend mit Rosen in der Hand die fünf Stufen hoch. Wir fallen uns in die Arme und der erste innige Kuss geschieht im Treppenhaus. Beide sind wir durcheinander und so bitte ich ihn hereinzukommen. Im Wohnzimmer fällt sein Blick auf den gedeckten Tisch und nach einem Kompliment fragt er: »Da sind aber nicht etwa Krevetten drin?«
»Doch, warum?«
»Das ist so ziemlich das Einzige, was ich nicht esse, sorry. Aber das macht nichts, ich habe sowieso keinen Hunger und bin einfach glücklich hier zu sein. Ich glaube, so schnell bringst du mich heute nicht los.« Dabei zieht er mich in seine Arme.
Als er gegen Morgen die Wohnung verlässt, weiß ich, dass ich wirklich verliebt bin. Ich hätte nie geglaubt, dass ich so etwas noch einmal in dieser Heftigkeit erleben darf und bin überzeugt, dass wir vom Schicksal oder vom lieben Gott zusammengeführt wurden.
Beim Mittagessen erzähle ich Napirai ausführlich von Markus. Nun überstürzen sich die Fragen: »Wie sieht er denn aus? Ist er alt oder jung? Mag er mich auch? Weiß er, dass ich braun bin? Hat er Kinder?« Als ich diese Frage bejahe, ist ihr Interesse richtig geweckt. »Wie alt sind die und kommen sie auch einmal zu uns zum Spielen?« Fragen über Fragen. Von nun an höre ich fast täglich, wann sie endlich Markus kennen lernen kann. Wir beschließen, dass dies gleich am kommenden Wochenende der Fall sein soll. Ich bin gespannt, wie er wohl auf mein Mädchen wirken wird. Als es dann am Wochenende an der Haustür klingelt, springt sie zuerst in ihr Zimmer und schaut nur aus einem schmalen Türspalt heraus. Nachdem ich aber Markus freudig begrüßt habe, kommt sie und beobachtet ihn erst einmal eine kleine Weile. Dann fragt sie, wo seine Kinder seien. Freundlich erklärt er, dass sie nur jedes zweite Wochenende bei ihm seien und deshalb heute nicht mitkommen konnten. Dafür hat er ein kleines Geschenk für sie. Sie nimmt es neugierig entgegen und zieht mich an der Hand in ihr Zimmer, während sie mir zuflüstert: »Mama, der sieht aber jung aus.« Ich muss lachen, denn er ist genauso alt wie ich, und ich kann nicht einschätzen, ob ich auf Napirai viel älter wirke oder ob sie den Vergleich zu meiner ersten Beziehung vor drei Jahren zieht. Jedenfalls gewinnt er bei meiner ansonsten eher männerscheuen Napirai schnell alle Sympathien. Da er selbst zwei Töchter hat, weiß er, wie er sie um den Finger wickeln kann. Kurze Zeit später schleicht auch der Nachbarsjunge scheinbar zufällig und gelangweilt mit in die Stirn gezogener Baseballkappe durch unser Wohnzimmer. Auch ihm stelle ich meinen neuen Freund vor. Kaum sind die Kinder um die Ecke, höre ich ihn zu Napirai sagen: »Cooler Typ!« Wir lachen -die erste Probe ist bestanden.
Wir erleben einen schönen gemeinsamen Abend, an dem sich die beiden langsam aneinander herantasten. Als Napirai ins Bett geht, erzählt Markus ihr tatsächlich bereits eine Geschichte, in der sein ehemaliger Hund vorkommt. Ich bin überglücklich und stolz, dass er über all seine guten Eigenschaften hinaus auch noch ein solch liebevolles väterliches Verhalten zeigt. Es ist einfach überwältigend.
Zwei Tage später habe ich eine Buchvorstellung im Zürcher Bernhard-Theater. Kurz bevor ich mich auf den Weg dorthin begebe, erreicht mich von der Veranstalterin ein Fax, dem ich entnehmen kann, dass die Kenianerinnen zu einer großen Demonstration aufgerufen haben. Langsam nervt mich das Ganze, da weder mein Verlag noch ich konkrete schriftliche Anschuldigungen bekommen. Man kann auf keiner Ebene vernünftig diskutieren. Ich werde von Securitas-Leuten in Zürich begleitet. Vor dem Theater stehen etwa fünfzehn Personen mit Trommeln und anderen Instrumenten auf der Straße und veranstalten großen Lärm. Noch einmal versuche ich, ins Gespräch zu kommen, gehe zu der Wortführerin und frage sie, was die Demonstration bedeuten soll. Wieder erhalte ich die Antwort, dass ich die Ehre von vielen Kenianern und Kenianerinnen verletze, und ich würde schon sehen, was noch alles passiert. Ich verdiene viel Geld und müsse deshalb die Hälfte meinem kenianischen Mann abliefern. Sie nennen Summen, die mich trotz des Ernstes der Situation fast zum Lachen bringen. Weiter behaupten sie, meine Verwandtschaft in Kenia sei wütend auf mich. Jetzt ziehe ich den jüngsten Brief von James aus der Tasche, den ich extra mitgenommen habe, und lese ihn vor. Darin steht, dass sie sich für meine Unterstützung und Hilfe bedanken und alle froh sind, dass sich das Buch so gut verkauft. Die Wortführerin schreit dazwischen, das sei alles gelogen, dies sei gar kein Brief von James, ich solle es beweisen! In diesem Moment ist mir endgültig die Zeit zu schade, um mit solch hysterischen Personen zu diskutieren, und ich laufe zu den wartenden Securitas-Wächtern. Eine der Frauen folgt mir und schimpft: »Das Kind gehört Kenia und wir werden es zurückbringen und zudem die Hälfte des Geldes einfordern!« Jetzt werde ich wirklich wütend und auch traurig, dass wildfremde Menschen sich auf diese Art und Weise einmischen und das gute Verhältnis zu meiner kenianischen Familie aus Habgier, Rache oder welchen Gründen auch immer zerstören wollen. Am schrecklichsten aber ist für mich die Vorstellung, dass mein Kind in Gefahr sein könnte!
Auch an diesem Abend sind die Demonstranten ein Teil des Gespräches nach der Lesung. Mir ist mittlerweile klar, dass wir die Bedrohung ernst nehmen müssen, denn es sind Fanatiker am Werk. Am nächsten Tag erstatte ich Anzeige bei der Polizei, da wir nun die Namen der beteiligten Personen kennen, weil sie die Demonstration angekündigt hatten. Sie hatten mit bis zu 150 Demonstranten gerechnet, aber nur ein Zehntel davon hat sich motivieren lassen. Die Polizei nimmt die Sache ernst und verhört die Beteiligten. Später erfahre ich aus dem Bericht, dass es sich tatsächlich um unhaltbare, fadenscheinige Anschuldigungen handelt und die kenianischen Frauen der Polizei versichert haben, mich in Zukunft in Ruhe zu lassen. Daraufhin ziehe ich meine Anzeige vorläufig zurück, damit diesen Menschen kein Prozess droht. Anscheinend ist ihnen nicht bewusst, wie schwerwiegend die Konsequenzen solcher Drohungen bei uns in der Schweiz sind. Von diesem Tag an habe ich Ruhe vor ihnen.
Es gibt aber auch schöne Erfahrungen in diesem Zusammenhang. Ich erhalte Telefonate und Briefe von verschiedenen Kenianerinnen, die mich beruhigen und beteuern, dass nicht alle so denken. Ich solle mir keine Gedanken machen, das Buch schildere nichts Falsches. Manchmal bekomme ich sogar von afrikanischen Menschen kleine Geschenke und schön gestaltete Karten mit lieben Worten. Es tut mir gut, denn ich bin mir bis heute nicht bewusst, wen ich beleidigt haben soll.
Allerdings fällt mir auf, dass ich schon über zwei Monate keine Nachricht von James erhalten habe. Doch einige Tage später trifft schließlich ein Brief ein. Wie immer beginnt er mit freundlichen Grüßen und der Versicherung, dass alles in Ordnung sei. Er entschuldigt sich, so lange nicht geschrieben zu haben, aber er hätte noch gewisse Sachen abklären müssen. Von kenianischen Leuten in der Schweiz habe er gehört, dass sie mit dem Buch nicht einverstanden sind, weil ich nicht respektvoll über sie, die Samburu und die Massai, und ihre Kultur geschrieben habe. Außerdem sei er ins Maralal Office geholt worden, um Erklärungen abzugeben. Ich dürfe nicht vergessen, dass ich nach kenianischem Recht immer noch Lketingas Frau sei und Napirai seine Tochter. Da er durch diese Kenianerinnen erfahren habe, dass ihm und seiner Familie noch viel Geld zustehen würde, bittet er um weitere Unterstützung. Sein Wunsch wäre es, zu wissen, was im Buch steht. Dann könnte er entscheiden, wem er glauben soll. Weiter erzählt er von seiner bevorstehenden Hochzeit und legt mir noch Fotos von seiner zukünftigen Frau bei. Es ist ein junges, etwa 15-jähriges Schulmädchen.
Der Brief stimmt mich nachdenklich und ärgerlich. Anscheinend schrecken diese Frauen vor nichts zurück. Sogar bis nach Maralal verbreiten sie schlechte Nachrichten. Zudem bin ich traurig. Jahrelang habe ich bei Lketingas Familie gelebt und hätte mir gewünscht, dass sie mich gut genug kennen. Seit meiner Rückkehr habe ich je nach Möglichkeit, auch vor dem Bucherfolg, die ganze Familie unterstützt und doch zweifelt James, wem er nun glauben soll! Ich bin entschlossen zu handeln, weiß aber im Moment noch nicht wie, weil ich nicht selbst nach Kenia reisen kann. Mit meinem Verleger bespreche ich die Situation, die mich sehr beschäftigt. Er entschließt sich, so schnell wie möglich persönlich nach Maralal zu reisen, um sich mit meiner kenianischen Verwandtschaft zu treffen. Da wir es für wichtig halten, dass jemand vorher das Buch für Lketinga und James übersetzt, fällt uns Jutta ein, die in Kenia lebt, die Gegend sehr gut kennt und vor allem die einheimische Sprache spricht. Der Verleger stellt den Kontakt zu ihr her, während ich in einem Brief James informiere. In zwei Monaten, also im Juni 1999, soll das Treffen stattfinden.
In meiner neuen Beziehung bin ich umso glücklicher. So häufig wie möglich treffe ich Markus. Wenn ich zu Hause bin, wohnt er bereits bei uns und geht direkt von hier seiner Arbeit in Zürich nach. Hatte ich vorher noch geglaubt, ich hätte keine Zeit und keinen Platz für einen Mann in meinem Leben, so hat sich dieses Problem plötzlich in Luft aufgelöst. Napirai ist ein ausgesprochener »Fan« von Markus, wenn auch ab und zu etwas Eifersucht herauszuhören ist, wenn es zum Beispiel heißt: »Das ist meine Mama! Sie gehört mir allein!« In der Zwischenzeit haben wir auch die Kinder von Markus kennen gelernt. Nach anfänglicher Schüchternheit sind sie durch Napirais nie versiegenden Spieldrang immer entspannter geworden und bald schon spielen die drei Mädchen miteinander, als würden sie sich bereits eine Ewigkeit kennen. Mein Büro wird zu einem Gästezimmer umfunktioniert und so freuen wir uns alle auf den nächsten Besuch der beiden. Wir unternehmen viel zusammen und ich genieße mein unglaubliches Glück und bedanke mich täglich mit leisen Gebeten. Nach zwei Monaten habe ich das Gefühl, als seien wir schon seit Jahren zusammen. Natürlich hat das auch mit unserer gemeinsamen Schulzeit zu tun, über die wir mit viel Spaß stundenlang reden können. Wenn ich Lesungen in der Nähe von Zürich abhalte, treffen wir uns anschließend in der Stadt und schlendern verliebt und schmusend wie zwei Teenager durch die Gassen.