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Das Atmen der Bestie
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 06:01

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Автор книги: Graham Masterton


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4

Jane rief an. Sie bedauerte, dass sie zur Mittagszeit nicht im Laden gewesen sei, und hoffte, dass ich mir keine Sorgen gemacht hätte.

Ich sah Dr. Jarvis an und fragte: »Sorgen gemacht? Weißt du, was passiert ist?«

»Ich habe es im Fernsehen gehört. Seymour Wallis ist tot.«

»Ja, aber es ist noch viel schlimmer. Er starb mit mehr Blut in seinen Adern, als Sam Peckinpah in einem ganzen Film verspritzt. 15 Liter. Und dann erzählt mir Jim hier noch, dass dieses Blut noch nicht einmal sein eigenes war. Sie haben es analysiert und es stellte sich heraus, dass es Hundeblut war.«

»Du machst Witze.«

»Jane, wenn du glaubst, dass ich in der Stimmung für Witze bin …«

»Ich habe das nicht so gemeint«, unterbrach sie mich hastig. »Ich meinte nur, es passt alles zusammen.«

»Passt zusammen? Passt wozu?«

»Zu dem, was ich dir zu sagen versucht habe. Ich bin heute Mittag nach Sausalito gefahren. Ich habe dir doch so einiges über diese indianischen Geschichten erzählt. Na ja, ich habe Freunde in Sausalito, die einige Indianer gut kennen und auch in der indianischen Kultur ziemlich bewandert sind. Sie haben von diesem Dämon, dem Ersten, der Worte zur Gewalt benutzte,gehört, und sie meinen, dass ich nach Round Valley fahren sollte, um mit einem der Medizinmänner zu sprechen.«

Ich seufzte und sagte nichts.

»John? Hast du gehört?«

»Ja, ich habe es gehört.«

»Aber du hältst es für keine gute Idee?«

»Warte mal bitte einen Moment.«

Ich legte meine Hand über die Sprechmuschel und sagte zu Jim Jarvis: »Jane ist davon überzeugt, dass alles, was sich in Seymour Wallis’ Haus ereignet hat, mit irgendeiner indianischen Legende in Zusammenhang steht. Jetzt will sie mit irgendeinem Medizinmann im Round Valley reden. Was hältst du davon?«

Er zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es eine gute Idee. Jede Theorie ist besser als gar keine.«

Ich nahm meine Hand vom Hörer. »Okay, Jane. Dr. Jarvis meint, dass wir es versuchen sollten.«

»Du hättest mich sowieso nicht davon abhalten können«, meinte sie eingeschnappt.

»Jane«, sagte ich irritiert. »Ich habe den ganzen verdammten Nachmittag damit verbracht herauszufinden, wo du steckst. Wir hatten zwei Verletzte und einen Toten. Es ist für keinen von uns ratsam, jetzt etwas auf eigene Kappe zu unternehmen.«

»Ich wusste nicht, dass du dir solche Sorgen gemacht hast.«

»Du weißt verdammt genau, dass es so ist.«

»Tja, wenn dir so viel an mir liegt, dann kommst du besser mit mir morgen nach Round Valley. Ich leihe mir Bill Thorogoods Wagen.«

Ich legte den Hörer auf. Morgen war wenigstens Samstag, also musste ich mir nicht schon wieder eine neue Entschuldigung für meinen Boss, Douglas P. Sharp, einfallen lassen.

Ich sagte zu Dr. Jarvis: »Jetzt scheine ich mir selbst den Kopf in die Schlinge gelegt zu haben. Ich hoffe nur, dass es das wert ist.«

Er drückte seine zweite Zigarette aus und zuckte die Achseln. »Es gibt Zeiten, da wird man in der Medizin mit Fällen konfrontiert, die einen beleben. Solche Herausforderungen wie schwere Fälle von Vergiftungen oder ungewöhnlich komplizierte Brüche. Dann spürt man, dass es sich lohnt, Arzt zu sein, dafür die Personalpolitik des Krankenhauses, die Streitigkeiten über finanzielle Zuteilungen und das alles zu ertragen.«

Er schaute auf und fügte hinzu: »Und dann gibt es Zeiten wie diese: Man versteht überhaupt nicht mehr, was eigentlich vor sich geht, und man verliert seine Energie. Ich könnte den ganzen Tag zwischen Dan Machin, Bryan Corder und Seymour Wallis herumrennen und wäre doch nicht in der Lage, auch nur das Geringste für sie zu tun.«

Er griff nach den Zigaretten. »Mit anderen Worten, John, fahre zum Round Valley und schätze dich glücklich, dass du überhaupt irgendetwastun kannst. Ich kann es nicht.«

Ich sah ihn eine Weile an. »Ich wusste nicht, dass Ärzte auch schwermütig werden können. Ich habe geglaubt, das würde nur in Filmen passieren.«

Er räusperte sich. »Und ichhabe geglaubt, dass das, was hier im Augenblick passiert, nur in Albträumen passiert.«

Samstagmorgen war ein schöner und klarer Tag. Wir fuhren über die Golden Gate. Der Ozean glänzte unter uns und das Sonnenlicht tanzte in unruhigen Flecken über die Brückenseile und die Pfeiler. Jane saß bequem zurückgelehnt auf ihrem Sitz. Sie trug eine rote Seidenbluse und weiße Levis, auf ihrer Nase ruhte eine riesige Sonnenbrille und um ihr Haar hatte sie ein rotes Tuch gebunden.

Bill Thorogood war der glückliche Besitzer des weißen Jaguars XJ 12 und außerdem großzügig genug, dass er ihn verlieh – ich saß hinter dem Lenkrad und bildete mir ein, ich sei ein angehender Filmstar, der einen Tagesausflug zu einem teuren Restaurant macht, anstatt ein Angestellter des Gesundheitsamtes, der 160 Meilen nach Round Valley zu rasen hatte.

Wir schossen mit 100 Meilen die Stunde durch Marin und Sonoma County, durch Cloverdale, Preston und Hopland. In Ukiah machten wir Mittagspause. Die Sonne stand hoch am Himmel und der Wind blies vom Lake Mendocino herauf. Wir saßen hinter einer niedrigen Windschutzmauer vor einer Raststätte, aßen Chiliburger und beobachteten, wie ein Vater versuchte, seine fünf Kinder zusammen mit Angelzeug, aufblasbaren Booten und Zelten in seinen Kombi zu stopfen. Sobald er endlich alles verstaut hatte, kletterte ein Kind doch wieder heraus und dann musste er noch einmal zum Heck des Wagens gehen, um alles neu zu verstauen.

»Die Flüchtigkeit des Daseins«, bemerkte Jane. »So schnell man etwas tut, so schnell ist es wieder dahin.«

»Ich glaube nicht, dass das Leben flüchtig ist.«

Jane trank Coca-Cola aus der Dose. »Du glaubst also nicht, dass uns jemand als Spielzeug benutzt? Wie im Moment?«

»Ich weiß es nicht. Ich glaube, dass die Sache hier sehr viel ernster ist. Aber ich bin überzeugt, dass wir es bekämpfen müssen, egal, was immer es auch ist.«

Sie berührte meine Hand. »Genau das mag ich an dir, John. Du bist immer bereit zu kämpfen.«

Wir stiegen wieder in den Wagen und ich fuhr mit quietschenden Reifen vom Parkplatz. Wir rasten mit 100 weiter nordwärts bis nach Longvale, dann bogen wir ab in die Berge von Dos Rios und Eel River und hinauf in das Round Valley Reservat.

Der Medizinmann, mit dem wir uns treffen wollten, hieß George Thousand Names. Jane wusste nicht mehr über ihn, als dass er einer der ältesten und geachtetsten Medizinmänner des Südwestens war und dass er viel länger in San Francisco und Los Angeles als hier im Norden gelebt hatte. Er hatte für eine indianische Investment-Gesellschaft gearbeitet und sich für die Rechte der Indianer eingesetzt. Inzwischen lebte er wieder im Kreise seiner Familie und jeder, der seinen Rat suchte, musste den Weg ins Round Valley auf sich nehmen.

Der Jaguar schaukelte sich langsam durch die ausgefahrene Furche im Gras, die zwischen hohen Kiefern und flachen Hügeln hoch zum Haus von George Thousand Names führte. Er lebte abseits von den vielen Wohnwagen und Häusern, in denen die übrigen Indianer des Round Valley lebten, oben auf dem bewaldeten Kamm, mit Blick über den Eel River.

Während wir langsam hinaufwippten, kam sein Haus in Sicht. Es war im Chalet-Stil gebaut, mit Zwischenstockwerk, Terrasse und breiten Schiebefenstern.

»Toller Wigwam«, bemerkte Jane.

Ich hielt den Wagen vor der Holztreppe an, die zum Haus hinaufführte. Dann kletterte ich hinaus und blinzelte ins Sonnenlicht, um irgendein Zeichen von Leben zu entdecken. Ich hupte mehrmals, bis eines der Schiebefenster geöffnet wurde und ein kleiner Mann in kariertem Hemd und gut gebügelter Hose auf die Terrasse trat.

»Entschuldigen Sie«, rief ich. »Sind Sie Mr. Thousand Names?«

»Ich bin George Thousand Names. Wer sind Sie?«

»John Hyatt. Und das ist Jane Torresino. Miss Torresino hat einen Termin mit Ihnen vereinbart.«

»Ich bin kein Zahnarzt«, sagte George Thousand Names. »Sie brauchen bei mir keinen Termin. Aber ich erinnere mich. Kommen Sie hoch.«

Wir kletterten die Stufen zur Terrasse hoch. George Thousand Names kam uns entgegen und schüttelte uns die Hand. Hier direkt vor uns stehend sah er noch kleiner aus, ein schmaler und zierlicher alter Mann, dessen Gesicht so zerfurcht und zerklüftet war wie das Blatt eines Kohlkopfes. Er stand jedoch kerzengerade da und strahlte eine innere Würde aus, die mich sofort spüren ließ, dass er ein besonderer Mann war. Um seinen Hals hingen Amulette und Halsketten, die uralt, mächtig und rätselhaft aussahen, aber er trug sie so natürlich, als seien sie nichts weiter als einfacher Schmuck. Um sein Handgelenk trug er eine Armbanduhr von Cartier, echtes Gold, das Ziffernblatt sah aus wie ein Tigerauge.

»Ihre Freunde in Sausalito haben kurz erwähnt, Sie wären besorgt über einige unserer Legenden.« George Thousand Names führte uns ins Haus. Wir traten in einen gemütlichen, eleganten Raum mit polierten Kiefernholzwänden, überall lagen indianische Teppiche und Kissen. Durch eine halb offene Schiebetür sah ich in eine moderne Küche mit Keramikspüle und Mikrowellenherd.

Jane schenkte George Thousand Names einen Tabakkrug, den sie an diesem Morgen in Healdsburg gekauft hatte. »Ich habe gehört, dass das so eine Art Tradition ist«, sagte sie. »Ich hoffe, Sie mögen Klompen Kloggen.«

George Thousand Names lächelte. »Ich weiß nicht, warum sich Weiße immer so rechtfertigen müssen, wenn es um Tradition geht«, erwiderte er. »Aber das ist wirklich eine gute Marke. Wollen Sie sich nicht setzen? Wie wäre es mit Kaffee?«

Wir setzten uns auf bequeme Kissen, die auf dem Boden lagen, während eine junge Indianerin, wahrscheinlich George Thousand Names’ Haushaltsgehilfin, Kaffee für uns zubereitete. Genau hinter George Thousand Names’ Schulter glitt die Sonne wie ein Speer durch das breite Fenster und umspielte sein bejahrtes Haupt mit einem strahlenden Heiligenschein.

»Sie beide haben etwas auf dem Herzen, was Sie sehr verwirrt«, begann er. »Sie fürchten, dass Sie nicht verstehen, um was es sich handelt, und dass es Sie beide vernichten könnte.«

»Woher wissen Sie das?«, fragte ich ihn.

»Ganz einfach, Mr. Hyatt. Es steht Ihnen in den Gesichtern geschrieben. Im Übrigen ist es sehr ungewöhnlich, dass Weiße sich an indianische Medizinmänner wenden und um Rat bitten, es sei denn, dass sie spüren, jede mögliche Erklärung, die ihnen ihre eigene Kultur bietet, erschöpft zu haben.«

»Wir sind nicht wirklich sicher, ob es etwas mit Indianer-Legenden zu tun hat, Mr. Thousand Names«, sagte Jane. »Es ist nur eine Vermutung. Aber je mehr wir darüber erfahren, je mehr Dinge passieren, desto mehr scheint es der Fall zu sein.«

»Erzählen Sie mir davon. Von Anfang an.«

Ich erklärte ihm, welchen Job ich bei der Gesundheitsbehörde habe und wie Seymour Wallis mich aufgesucht hatte, um mir über das Atmen in seinem Haus zu berichten. Dann schilderte ich, was Dan Machin zugestoßen war und anschließend Bryan Corder und dann Seymour Wallis selbst. Ich sprach über die Bilder des Mount Taylor und Cabezon Peak. Ich erwähnte auch die Bärenfrau, die inzwischen fehlte, und den Türklopfer mit dem grässlichen Gesicht.

George Thousand Names hörte sich das alles still und unbeweglich an. Als ich fertig war, hob er den Kopf. »Haben Sie eine Vorstellung, was Sie mir da beschreiben?«

Ich schüttelte den Kopf.

Jane sagte: »Aus diesem Grunde sind wir ja zu Ihnen gekommen – wir verstehen das alles einfach nicht. Ich arbeite in einem Buchladen, dort habe ich unter Mount Taylor nachgeschlagen und fand heraus, dass Big Monster irgendwie mit all diesen Geschichten verbunden ist, und der Erste, der Worte zur Gewalt benutzte. Ich hätte nicht weiter darüber nachgedacht, aber es wurde dort erwähnt, dass der Erste, der Worte zur Gewalt benutzte, auf dem Pfad der vielen Teile zurückkommen wird. Irgendwie hat es da bei mir Klick gemacht. Ich kann nicht einmal erklären, weshalb.«

Das Indianermädchen brachte uns Kaffee in Keramikschalen und frische Pekannuss-Plätzchen. Sie schien ein psychisches Einfühlungsvermögen in meine innersten Gedanken zu haben, so wie George Thousand Names – wie sonst konnte sie meine Schwäche für Nussplätzchen kennen?

George Thousand Names sagte leise: »Jeder indianische Dämon hat einen geläufigen Namen und einen rituellen, genau wie die europäischen Dämonen. Zum Beispiel gab es die Eye Killers, über die man sagte, dass sie von der Tochter eines Häuptlings gezeugt worden wären, die sich selbst mit der Spitze eines bitteren Kaktus missbraucht hatte. Dann gab es, wie Sie schon erwähnten, Big Monster, dessen wahrer Name ganz anders lautete, und dann den Ersten, der Worte zur Gewalt benutzte.«

Der Medizinmann schien seine Worte sorgfältig zu bedenken. Er biss mit seinen makellosen Zähnen in das Nussplätzchen und kaute eine Weile, bevor er weitersprach.

»Der Erste, der Worte zur Gewalt benutzte, war der schrecklichste und grausamste aller indianischen Dämonen. Er war schlau, listig und tückisch. Sein größtes Vergnügen war es, Hass und Verwirrung zu stiften und seine Lust an Frauen zu befriedigen. Der Grund, warum wir ihn den Ersten, der Worte zur Gewalt benutzte, nennen, liegt darin, dass seine Spielchen und Gräueltaten in den Herzen der Menschen die ersten Gefühle von Wut und Rache auslösten.

Sie wissen vielleicht, dass es wohlwollende indianische Götter und böse indianische Götter gibt. Im Großen Rat der Götter saßen die bösen Götter mit dem Gesicht nach Norden und die guten mit dem Gesicht nach Süden. Der Erste, der Worte zur Gewalt benutzte, jedoch war so heimtückisch und bösartig, dass er von keiner Seite akzeptiert wurde und allein neben dem Ausgang saß. Er war der Dämon des Chaos und der Unordnung, und die Indianer erzählen manchmal, dass er, als man ihn in den frühen Tagen darum bat, bei der Anbringung der Sterne zu helfen, er seine eigene Handvoll Sterne nahm und sie an den Rand des Nachthimmels warf, und so hat er die Milchstraße geschaffen.«

George Thousand Names nippte an seinem Kaffee.

»Haben wir es damit zu tun? Mit diesem Ersten, der Worte zur Gewalt benutzte?«, fragte ich.

Das Gesicht des Indianers verriet nichts. Er setzte seine Schale zurück auf die Untertasse und tupfte sich die Lippen sorgfältig mit einem sauberen Taschentuch ab.

»Nach allem, was Sie mir erzählt haben, Mr. Hyatt, ist das mehr als wahrscheinlich.«

Ich wusste nicht, ob er sich über mich lustig machen wollte. Da mir der trockene Humor der Indianer bekannt war, hätte es schon sein können. Ich sah ihn vor mir, wie er im ganzen Round Valley die Geschichte über die dummen Bleichgesichter erzählte, die den weiten Weg hierher unternommen hatten, um seinen Rat zu hören, und dass er ihnen feierlich etwas über einen Dämon erzählt habe, der die Sterne durchs Weltall warf, und wie die Weißen wieder abgebraust seien, im Glauben, gegen ein uraltes Phantom der Rothäute zu kämpfen. Ich sah sie vor mir, wie sie lachten und dabei all ihre verdammten Halsketten rasselten.

»Wahrscheinlich?«,fragte ich vorsichtig zurück. »Was ist bei einem Dämon denn wahrscheinlich?«

Er lächelte: »Ich spüre Ihren Verdacht. Aber ich versichere Ihnen, dass ich in keiner Weise hier ein Spielchen mit Ihnen treibe.«

Ich konnte nicht verhindern, dass ich errötete. Vor diesem Medizinmann hatte ich das Gefühl, einen Bildschirm auf der Stirn zu tragen, der jeden Gedanken von mir eins zu eins übertrug. Egal, wie sein Humor beschaffen sein mochte, er war ein wirklich kluger Kerl.

»Der Erste, der Worte zur Gewalt benutzte, war der einzige indianische Dämon, der den Tod besiegt hat. Er ist viele Male gestorben, manchmal aus verlogenem Liebesbeweis für eine Frau, manchmal infolge einer Strafe, die von den anderen Göttern verhängt worden war. Aber jedes Mal, bevor er in die Unterwelt musste, sorgte er dafür, dass die wesentlichen Dinge, die er brauchte, um zurück ins Leben zu kommen, in der Oberwelt versteckt waren. Sein Atem, sein Herz, sein Blut – und das Haar, das er Big Monster vom Kopf geschnitten hatte.«

Die Sonne war inzwischen hinter George Thousand Names’ Rücken versunken und ich konnte sein Gesicht im Halblicht kaum noch erkennen. Ich fragte entsetzt: »Sein Atem, sein Herz und sein Blut?«

Er nickte. »Deshalb taten Sie gut daran, hierherzukommen, Mr. Hyatt. Aus dem, was Sie mir heute Nachmittag erzählt haben, ist zu schließen, dass der Erste, der Worte zur Gewalt benutzte, entschlossen ist, wieder ins Leben zurückzukehren, und zwar durch das Medium ihrer unglücklichen Freunde.«

»Aber ich verstehe das nicht«, sagte Jane. »Wie kann der Atem und das Blut und so weiter dortsein, im Inneren eines Hauses?«

»Das ist ganz einfach. Der Erste, der Worte zur Gewalt benutzte, wurde vor vielen Jahrhunderten in die Unterwelt verbannt, lange bevor irgendein weißer Mann diesen Kontinent entdeckt hat. In jenen Tagen waren Medizinmänner fast so etwas wie Götter, und wenn sie auch nicht in der Lage waren, ihn zu töten, so konnten sie ihn doch zeitweilig in die Unterwelt zurückschicken. Aus dem, was Sie berichten, schließe ich, dass der Dämon seine lebenswichtigen Teile in einem Wald oder im Erdboden versteckt hat. Als man dann dieses Haus baute, wurde es unwissentlich aus Bäumen oder Steinen errichtet, in denen der Erste, der Worte zur Gewalt benutzte, seine vielen Teile versteckt hatte.«

»Aber was ist mit diesen ganzen Gemälden vom Mount Taylor? Der Dämon kann sie dort wohl nicht aufgehängt haben. Und was ist mit dem Türklopfer?«

George Thousand Names hob die Hände. »Natürlich hat der Dämon diese Gegenstände nicht selbst dorthin gebracht. Aber ich nehme an, dass sein Einfluss auf das Haus seit Jahrzehnten schon sehr stark war. Die Menschen, die unglücklicherweise dort gelebt haben, taten wahrscheinlich viele unbewusste Dinge, um den Weg für eine spätere Rückkehr des Dämons vorzubereiten. Ich vermute, dass der Türklopfer, den Sie geschildert haben, Ähnlichkeit mit dem Gesicht des Dämons besitzt.«

»Und die Bilder.«

»Tja, wer weiß?«, meinte er. »Aber vergessen Sie nicht, dass die alten Indianer Bilder von wichtigen Orten aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu malen pflegten, damit sie versteckte Bodenschätze oder unterirdische Quellen entdecken konnten. Diese ganzen Zeichnungen vom Mount Taylor und Cabezon Peak könnten eine sehr intellektuelle Bildersprache sein – wenn Sie sie alle zusammenlegen, dann könnten Sie vielleicht herausfinden, dass sie zu einem Punkt führen, wo der Erste, der Worte zur Gewalt benutzte, irgendetwas Wichtiges versteckt hat.«

»Was könnte das sein?«, fragte Jane. »Ich meine, was immer es wäre, es muss sehrwichtig sein.«

George Thousand Names lächelte sie wohlwollend an. »Ich mag es eigentlich nicht, Hypothesen aufzustellen, meine Liebe, aber ich vermute, dass diese Bilder den Weg zum abgeschnittenen Haar von Big Monster weisen. Der Erste, der Worte zur Gewalt benutzte, hat Big Monsters Haare abgeschnitten, weil sie magische Eigenschaften hatten … Sie machten den Träger gegenüber menschlichen und übernatürlichen Waffen unverwundbar. Es wird erzählt, es sei so grau wie Eisen, das Haar, und so kräftig wie eine Peitsche. Falls ich mich richtig erinnere, so heißt es in der Legende, dass der Erste, der Worte zur Gewalt benutzte, das Haar in New Mexico versteckte, im Gebiet der Acoma und Canoncito, damit die Zwillingsgötter, die Big Monster getötet haben, es nie finden können. Aber es wurde gefunden und fortgezaubert; niemand weiß, wohin. Ohne das Haar sei der Dämon angreifbar und würde niemals die Stärke erreichen, die er braucht, um in der Welt der Menschen und lebenden Geister verweilen zu können.«

Ich lehnte mich zurück in das Kissen. George Thousand Names war so ruhig, so selbstbeherrscht, dass ich nicht länger annehmen konnte, dass er sich über uns lustig machte. Seine Ausführungen erforderten allerdings eine äußerst starke Vorstellungskraft, um sie zu glauben. Ich war mir nicht einmal sicher, sie grundsätzlich glauben zu können, auch wenn er sie noch so ernsthaft vortrug. Wenn Dan, Bryan und Seymour Wallis nicht gewesen wären, dann hätte ich meinen Kaffee höflich ausgetrunken und wäre gegangen. Aber zwei von ihnen waren krank und der dritte lag tot im Leichenhaus, und was der Indianer uns erzählt hatte, war bisher die einzige Erklärung, die man uns gegeben hatte.

»Wie lautet denn der gebräuchliche Name für den Ersten, der Worte zur Gewalt benutzte?«, fragte Jane.

George Thousand Names hob eine Augenbraue. »Den haben Sie wahrscheinlich schon gehört. Der Dämon wird gewöhnlich Coyote genannt. Die Hunde der Wüste wurden nach ihm benannt. Dieser Name bedeutet List und Schmeichelei und gemeines Täuschen.«

Ich hustete. »Besteht irgendeine Möglichkeit festzustellen, ob er wirklich herumgeistert? Gibt es ein Zeichen, irgendein Merkmal, an dem wir ihn erkennen können?«

»Wie Poltergeister, die sich vor Feuer fürchten? Oder Vampire?«, meinte Jane.

»Coyote kommt in vielerlei Gestalt, aber Sie können ihn immer erkennen. Er hat das Gesicht eines dämonischen Wolfes und sein Erscheinen wird immer angekündigt von Zeichen des Unheils.«

»Und welche?«

»Etwa Unwetter oder Krankheit oder besondere Vögel oder andere Tiere.«

Ich spürte das vertraute eiskalte Gefühl auf meiner Kopfhaut.

»Graue Vögel?«, fragte ich den Medizinmann. »Graue Vögel, die einfach dasitzen und nie singen?«

George Thousand Names nickte. »Die grauen Vögel sind die ständigen Begleiter Coyotes. Er benutzt ihre Federn, um seine Pfeile zu befiedern. Das ist etwas, was ein indianischer Krieger niemals getan hätte, weil diese grauen Vögel Boten des Verderbens und der Panik sind.«

»Ich habe sie gesehen.«

Zum ersten Mal lehnte sich George Thousand Names vor, sein Gesicht gespannt und bleich. »Sie haben sie gesehen?«

»Tausende von ihnen, wirklich Tausende. Sie sitzen alle auf dem Dach des Krankenhauses, in das Dan Machin, Bryan Corder und Seymour Wallis eingeliefert worden sind. Meine eigene Abteilung der Gesundheitsbehörde war gestern dort, um sie zu vertreiben, aber sie wollen nicht verschwinden.«

»Sind sie immer noch da?«, fragte er, als könne er nicht glauben, was ich sagte. »Sie haben sie mit Ihren eigenen Augen gesehen?«

Ich nickte.

George Thousand Names schaute ins Nirgendwo. Seine Augen, glühend und hell zwischen den vielen Falten seiner Haut, schienen in unsichtbarer weiter Entfernung etwas zu suchen. Er flüsterte mehr zu sich selbst als zu Jane und mir: »Coyote … Es wird also geschehen.«

Ich befeuchtete unsicher meine Lippen. »Mr. Thousand Names«, sagte ich, wobei ich versuchte nicht zu sehr wie ein weißer Tourist zu klingen, der wegen Indianerdecken verhandelt, »können wir irgendetwas tun? Oder gibt es irgendetwas, was Sie tun können, um uns zu helfen?«

Er wandte seinen Kopf ruckartig zu mir und starrte mich an, als ob ich von allen Geistern verlassen wäre. »Ich? Was kann ichdenn angesichts eines Dämons wie Coyote ausrichten?«

»Das weiß ich nicht genau. Aber wenn Sienichts tun können, was zum Teufel können wirdann noch tun?«

George Thousand Names stand auf und ging zu dem offenen Fenster hinüber. Es war jetzt fast fünf Uhr und die Sonne würde höchstens noch zwei Stunden über den Baumspitzen stehen. Er ging hinaus auf die Terrasse.

Jane und ich sahen uns besorgt an, während George Thousand Names stumm dastand und über die Hügel und Flüsse des Round Valleys blickte. Ich stand auf und folgte ihm an die frische Luft. Sie roch nach frischen Tannen und Holzrauch und in der Ferne hörte man, wie jemand Holz hackte.

»Irgendjemand hat dieses alte Übel wieder zum Leben erweckt.« Seine Stimme klang rau. »Irgendwie. Coyote ist wieder eins geworden.«

»Ich verstehe nicht.«

Der Medizinmann drehte sich um und schaute mich an. »Die Götter und die Medizinmänner haben dafür gesorgt, dass Coyote in mehrere Stücke in die Unterwelt gelangte und dass es ihm nicht möglich war, diese Zerlegung rückgängig zu machen. Die ersten vier Male, als er starb, hatte er einen Feuerstein an seinem Körper versteckt, damit er seinen Atem, sein Blut und seinen Herzschlag wiederbeleben konnte. Das letzte Mal, als er starb, versicherten sich die Götter, dass er keinen Feuerstein und keine Axt bei sich trug. Die Einzige, die ihn unter Umständen wieder beschworen haben kann, ist das Bärenmädchen.«

»Mr. Thousand Names«, sagte ich, »ich möchte nicht als dumm gelten, aber diese Legenden sind mir etwas zu hoch. Ich meine, es fällt mir schwer, sie zu akzeptieren.«

Er drehte sich um. »Das ist ganz klar«, meinte er mit flacher Stimme, die weder irritiert noch ungeduldig klang. »Was meinen Sie, was ichempfunden habe, als ich das erste Mal hörte, dass Jesus Christus über das Wasser geschritten ist?«

Jane, die am offenen Fenster stand, sagte: »Erzählen Sie uns etwas über dieses Bärenmädchen. Bitte.«

George Thousand Names massierte müde seinen Nasenrücken mit Finger und Daumen. »Das Bärenmädchen war eine wunderschöne Jungfrau, nach der Coyote gierte. Er hat zigmal versucht, sie zu verführen, aber jedes Mal widerstand sie ihm. Sie war es, die ihn die ersten Male in die Unterwelt schickte, damit er beweisen konnte, dass er glücklich für sie sterben würde. Schließlich unterlag sie doch seinen sexuellen Anstürmen und er schenkte ihr eine Liebesnacht, die sie ihm völlig gefügig machte.

Von diesem Augenblick an flößte Coyote ihr böse Gedanken ein und so veränderte sie sich nach und nach von einer Frau in einen Bären. Ihre Zähne wurden länger, ihre Nägel schärfer und dunkle Haare wuchsen ihren Nacken hinunter. Es wurde ihr größtes Vergnügen, Menschen mit ihren mächtigen Zähnen den Nacken zu zerfleischen.«

»Nicht gerade eine liebenswerte Begleiterin für einen Sonntagabend«, bemerkte ich.

George Thousand Names sah mich mit einem tiefen Blick an, der besagen sollte, dass er gerade nicht für dumme Witze aufgelegt war. »Es ist möglich, dass die Figur von diesem Wallis, die er in Fremont gefunden hat, genügte, um Coyote wieder ins Leben heraufzubeschwören. Sie kann mit einem Zauber versehen sein, wie ein kleines Totem. Hat er irgendwelche Probleme oder Schwierigkeiten in Fremont erwähnt? Irgendeine Krankheit oder einen Streit oder unerklärliche Ereignisse?«

»Ja. Sie bauten eine Fußgängerbrücke in einem Park und offensichtlich lief es mit dem verdammten Ding von Anfang bis Ende schief.«

»Dann ist es das«, sagte er. »Die Statue der Bärenfrau war mehr als nur eine antike Kuriosität. Sie war das ursprüngliche magische Totem, das Coyote die Kraft und den Willen verleihen konnte, um aus seinem Schlaf in der Unterwelt zu erwachen. Und Seymour Wallis hat sie in das Haus gebracht?«

»Glauben Sie, dass das rein zufällig geschah?«, fragte Jane. »Ich meine, es scheint ja ein unglaublicher Zufall, dass er gerade dieses Haus gekauft hat.«

George Thousand Names schüttelte den Kopf. »Von dem Moment an, in dem Seymour Wallis die Figur ausgegraben hatte, war er Coyotes Einfluss ausgesetzt. Er sagte Ihnen doch, dass er sich vom Pech verfolgt fühlte, nicht wahr? Es war kein wirkliches Pech. Es lag an Coyote, der ihn näher und näher an Pilarcitos Street heranführte. Ich wette um jeden Preis.«

»Was meinen Sie?«

»Pilarcitos Street ist die erste Abzweigung nach der Fifth Street hinter Mission.«

Ich nickte: »Das ist richtig.«

Er hielt die Finger von beiden Händen in die Höhe. »Fünf plus eins ist sechs. Dann haben Sie die Nummer 1551. Eins plus fünf ist sechs und fünf plus eins ist sechs. Drei Sechsen – 666. Die Zahl des größten aller Dämonen, egal von welcher Kultur wir sprechen. Das Zeichen der Bestie.«

Mir war plötzlich ganz kalt hier draußen auf der Terrasse. Auch Jane schlotterte im Türrahmen.

»Was sollen wir jetzt nur tun?«, fragte ich.

George Thousand Names kratzte sich im Nacken. »Mit zwei praktischen Schritten sollten wir beginnen. Zunächst müssen Sie Ihren Freund im Elmwood Hospital anrufen, damit er die drei Opfer von Coyote trennt und in verschiedene Krankenhäuser schafft. Das ist lebenswichtig. Zweitens, verschaffen Sie sich diese Bilder vom Mount Taylor und Cabezon Peak und versuchen, das Versteck der abgeschnittenen Haare herauszubekommen. Wenn Sie dievon Coyote fernhalten, besteht vielleicht eine kleine Chance.«

Dann fügte er noch hinzu: »Drittens, und das wird schwieriger sein, halten Sie alle Schwestern oder weiblichen Ärzte, überhaupt jede Frau, von den verschiedenen Teilen Coyotes fern. Coyote hungert nach weiblichem Fleisch und darauf ist er möglicherweise jetzt gerade aus.«

Ich atmete tief ein. Wie seltsam und weit hergeholt diese ganze Geschichte auch zu sein schien, ich wusste, dass ich um meines eigenen ruhigen Gewissens willen Dr. Jarvis anrufen und ihm davon erzählen musste. Jim Jarvis war intelligent und er war Vorschlägen gegenüber offen, doch ich fragte mich, was er wohl sagen würde, wenn ich George Thousand Names’ Anweisungen durchgab.

»Mr. Thousand Names, darf ich Ihr Telefon benutzen?«, fragte ich.

»Selbstverständlich. Was halten Sie jetzt von einem Schluck Feuerwasser?«

»Sehr viel. Wie wäre es mit russischem Feuerwasser und Tonic?«

Ich ging über die glänzenden Holzdielen zurück ins Haus und nahm den Hörer ab. George Thousand Names folgte mir und bat das Mädchen um einige Drinks für uns drei. Anschließend setzte er sich im Schneidersitz auf sein kleines Sofa und öffnete seine Tabaksdose. Neben ihm auf dem Kaffeetisch stand ein Pfeifenständer. Keine davon sah aus wie eine Friedenspfeife – es waren zwei teure Meerschaumpfeifen und drei englische Bruyèerepfeifen.

Der Telefonist des Round-Valley-Reservats verband mich mit San Francisco und San Francisco stellte zum Elmwood Foundation Hospital durch. Dr. Jarvis war glücklicherweise zu sprechen.

»Jim? Hier spricht John Hyatt. Ich rufe aus dem Round Valley an.«

»Gott sei Dank, ich habe versucht, dich zu erreichen. Hier ist die Hölle los.«

»Was ist denn los?«

»Hier drehen alle durch. Dein Freund Dan Machin ist aus seinem Koma erwacht und er hat sich mit Bryan Corder eingeschlossen. Wir haben versucht, die Tür aufzubrechen, aber ohne Erfolg. Dr. Crane hat gerade die Polizei angerufen, damit sie die Tür aufbrechen.«

Wieder diese Woge der Angst.

»Er hat sich selbst eingeschlossen? Du willst sagen, sie sind zusammen?«

»Richtig. Ich weiß nicht, was die …«

Plötzlich war die Verbindung unterbrochen. Ich schüttelte das Telefon, aber die Leitung war absolut tot.

George Thousand Names sagte: »Tut mir leid, das passiert hier manchmal. Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«


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