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Das Atmen der Bestie
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Автор книги: Graham Masterton


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Für Wiescka, Roland und Daniel,

mit Liebe,

und für die Ford-Werke in Dearborn, Michigan,

mit Dank.


 
Die aufgehende Sonne findet mich,
Die Morgendämmerung im Osten sieht mich.
Das kann nur bedeuten,
Coyote wird mich finden,
Mit seinem blutverschmierten Mund!
Dort naht der verrückte Coyote,
um seinen Hals eine Kette aus Augäpfeln,
Sein Mund ist rot, seine Hände sind rot.
Verrückter Coyote
Singt ein wahnsinniges Lied
Und plötzlich faucht der Wind aus dem Westen!
 

– Lied der Navaho-Indianer

Anmerkung des Autors

Der Dämon, dem Sie in diesem Buch begegnen werden, war (und ist) ein echter indianischer Dämon. Die Legenden, von denen Sie hören werden, sind in den Zelten der großen Medizinmänner schon vor langer Zeit erzählt worden.

Es ist selbstverständlich möglich, die übernatürlichen Kräfte des indianischen Volkes einfach als Aberglaube abzutun. Doch während ich über diese besonders bösartige Erscheinung schrieb, erlebte ich eine Pechsträhne voller eigenartiger Zufälle. Unvorhersehbare Ereignisse brachen über mich herein: der Tod meines Stiefvaters, ein Verkehrsunfall bei 70 Meilen pro Stunde, bei dem mein neuer Mustang gegen eine Mauer krachte, meine Frau wurde ebenfalls in einen Verkehrsunfall verwickelt, außerdem verlor ich zahllose persönliche Dinge, etwa Scheckbücher und Andenken. Seltsam war auch, dass ich beim Schreiben immer wieder ins völlig Nebensächliche abirrte. Es war, als ob das Buch sich dagegen sträubte, geschrieben zu werden.

Aber jetzt ist es fertig, endlich, und ich hoffe, dass Sie die unheimliche Vergangenheit Amerikas nun etwas besser verstehen werden und dass dieses Buch Ihnen auch für zukünftige Überlegungen hilfreich sein wird.

Falls Sie es überhaupt wagen – denn dieser Dämon verzeiht nicht, und er kann niemals sterben.

Graham Masterton

Los Angeles, 1978

1

Der alte Mann betrat mein Büro und schloss die Tür. Er trug eine zerknitterte Leinenjacke und eine grüne Fliege. In seinen mit Leberflecken gesprenkelten Händen hielt er einen Panamahut, den die kalifornische Sonne mit den Jahren gegrillt zu haben schien. Auf einer Hälfte seines Gesichtes zeigten sich noch ziemlich viele weiße Bartstoppeln, daraus schloss ich, dass er sich nicht gründlich rasiert hatte.

Er sagte: »Es geht um mein Haus. Es atmet.« Es klang wie eine Entschuldigung.

Ich lächelte und erwiderte: »Nehmen Sie Platz.«

Er setzte sich auf die Kante des Bürostuhls und leckte sich über die Lippen. Sein altes Gesicht wirkte freundlich und neugierig; so jemanden wünscht man sich als netten Großvater. Er war einer von dieser Sorte älterer Herren, mit denen ich gerne an einem Herbstnachmittag auf dem Balkon gesessen hätte, um eine ruhige Partie Schach zu spielen.

»Sie müssen mir nicht glauben, falls Sie es nicht wollen, junger Mann. Aber ich habe schon einmal angerufen und dasselbe berichtet«, betonte er.

Ich überflog die Liste auf meinem Schreibtisch. »Stimmt. Sie haben vergangene Woche angerufen, richtig?«

»Und die Woche davor.«

»Und Sie sagten der Kollegin, Ihr Haus würde …«

Ich hielt inne und sah ihn an und er erwiderte den Blick. Er beendete den Satz nicht und ich nahm an, dass er hören wollte, dass ich es aussprach. Ich lächelte bürokratisch knapp.

Mit seiner freundlichen, spröden Stimme sagte er: »Ich bin aus der alten Wohnung meiner Schwester in dieses Haus gezogen. Ich habe einige Sachen verkauft und konnte daher bar bezahlen. Es war ziemlich günstig. In der Mission Street habe ich schon immer leben wollen. Aber nun, also …«

Er senkte den Blick und fummelte an seinem Hutrand.

Ich griff nach meinem Kugelschreiber. »Können Sie mir bitte Ihren Namen nennen.«

»Seymour Wallis. Ich bin ein pensionierter Ingenieur. Hauptsächlich Brückenbau.«

»Und Ihre Adresse?«

»1551 Pilarcitos.«

»Okay. Und Ihr Problem ist Lärm?«

Er schaute wieder auf. Seine Augen zeigten die Farbe blasser Kornblumen, nachdem sie zwischen den Seiten eines Buches getrocknet worden sind.

»Nicht Lärm«, sagte er sanft. »Atmen.«

Ich lehnte mich in dem schwarzen Kunstledersessel zurück und klopfte mit dem Kugelschreiber gegen meine Zähne. Ich war hier im Gesundheitsamt wirklich an absurde Beschwerden gewöhnt. Es gab eine Frau, die kam regelmäßig vorbei, und sie behauptete, dass Dutzende Krokodile, die von Kindern in den 60er-Jahren die Toilette hinabgespült worden waren, wieder zurück in die Kanäle unter ihrem Apartment in Howard and Fourth geschwommen seien und jetzt versuchen würden, durch das S-Rohr raufzuklettern, um sie zu fressen. Dann gab es da noch den jungen Schwachkopf, der glaubte, dass sein Wasserboiler gefährliche Strahlen abgebe.

Aber, absurd oder nicht, ich wurde dafür bezahlt, dass ich freundlich zu diesen Leuten war, ihnen geduldig zuhörte und sie beruhigte, dass San Francisco weder Schwärme von Krokodilen beherberge, noch dass hier irgendwo grüne Kryptonit-Klumpen versteckt sind.

»Ist es vielleicht möglich, dass Sie sich irren?«, fragte ich. »Es könnte doch Ihr eigenes Atmen sein, das Sie hören.«

Der alte Mann zuckte kurz die Achseln, als wollte er sagen, dass dies wohl möglich sei, jedoch ziemlich unwahrscheinlich.

»Vielleicht strömt ja ein Luftzug durch Ihren Kamin? Manchmal bläst die Luft durch einen alten Schornstein herab und findet ihren Weg durch Risse in den Ziegelsteinen der Feuerstelle.«

Er schüttelte den Kopf.

»Gut.« Ich fragte weiter. »Wenn es nicht Ihr eigenes Atmen ist und auch kein Luftzug im Kamin, können Sie mir dann verraten, was Sieals Ursache vermuten?«

Er hustete und nahm ein sauberes, aber verknülltes Taschentuch heraus, um sich den Mund abzutupfen.

»Ich glaube, dass es Atmen ist«, sagte er. »Ich glaube, dass irgendein Tier in der Wand gefangen ist.«

»Hören Sie Kratzen? Füßegetrampel? Irgend so etwas?«

Er schüttelte wieder den Kopf.

»Nur Atmen?«

Er nickte.

Ich wartete, um zu erfahren, ob er noch irgendetwas erwidern wollte, aber das war offensichtlich nicht der Fall. Ich stand auf und ging zum Fenster, von dem aus ich auf das Apartmenthaus nebenan sehen konnte. An warmen Tagen sah man manchmal Stewardessen, die dienstfrei hatten und sich in knappen Bikinis auf dem Dachgarten sonnten. Heute war dort aber nur ein älterer mexikanischer Gärtner mit dem Umtopfen von Geranien beschäftigt.

»Falls in Ihrer Wand wirklichein Tier eingeschlossen ist, dann kann es ohne Wasser und Nahrung nicht sehr lange überleben. Falls es aber nicht eingeschlossen ist, dann könnten Sie hören, wie es herumläuft«, sagte ich.

Ingenieur Seymour Wallis starrte seinen Hut an. Er war gar kein Spinner, sondern ein ziemlich redlicher, praktischer Mann, wurde mir bewusst. Sich auf den Weg hierher zum Gesundheitsamt zu machen, um seine Geschichte über das körperlose Atmen zu erzählen, musste ihn echte Überwindung gekostet haben. Er wollte bestimmt nicht als verrückt angesehen werden. Aber wer will das schon?

Ruhig, aber bestimmt sagte er: »Es hört sich an wie das Atmen eines Tieres. Ich weiß, so etwas ist nur schwer zu glauben, aber seit drei Monaten höre ich es jetzt, fast die gesamte Zeit, seitdem ich dort wohne, und es ist absolut eindeutig.«

Ich wandte mich wieder um. »Kann man irgendetwas riechen? Irgendwelche störenden Rückstände? Ich meine, haben Sie Exkremente von Tieren oder so etwas in Ihren Schränken gefunden?«

»Es atmet,das ist alles. Wie ein Hund an einem heißen Tag. Es keucht und keucht, die ganze Nacht lang – und manchmal keucht es sogar am Tag.«

Ich ging zum Schreibtisch zurück und setzte mich wieder in meinen Sessel. Seymour Wallis sah mich aufmerksam an, als könne ich einfach eine Lösung aus der unteren linken Schublade hervorzaubern; aber ich war nur dazu befugt, Ratten, Kakerlaken, Termiten, Wespen, Läuse, Flöhe und Wanzen auszurotten. Für Atmen war ich nicht zuständig.

»Mr. Wallis«, fragte ich so freundlich wie möglich, »sind Sie sicher, dass Sie hier bei der richtigen Stelle sind?«

Er hustete. »Haben Sie einen anderenVorschlag?«

Ich begann mich wirklich zu fragen, ob ein Psychiater hier nicht besser angebracht und er dabei sei, verrückt zu werden, aber es ist ziemlich schwer, dies einem netten alten Mann ins Gesicht zu sagen. Und angenommen, das Atmen war wirklichda?

»Wenn kein Schmutz vorhanden ist und sich keine sichtbaren Anzeichen für den Grund des Atmens finden lassen, dann weiß ich eigentlich nicht, warum Sie beunruhigt sind. Es ist vielleicht nur ein ungewöhnliches Phänomen, verursacht durch die Bauweise Ihres Hauses«, sagte ich.

Seymour Wallis hörte zu, mit einem Gesichtsausdruck, der bedeutete: Sie sind ein Bürokrat und müssen solch beruhigendes Zeug sagen, aber ich glaube kein Wort davon.Als ich verstummte, lehnte er sich in seinem Plastiksessel zurück und nickte eine Weile nachdenklich vor sich hin.

»Falls Sie sonst noch irgendetwas benötigen, falls Sie Ihre Schaben oder Ratten vernichtet haben wollen, dann kümmern wir uns darum.«

Er sah mich fest und unbeeindruckt an. »Ich will Ihnen die Wahrheit sagen«, meinte er rau. »Die Wahrheit ist, dass ich Angst habe. In diesem Atmen ist etwas, das mir eine Gänsehaut verursacht. Ich bin nur hierhergekommen, weil ich nicht wusste, wohin ich hätte sonst gehen können. Mein Arzt sagt, dass mein Gehör völlig in Ordnung ist. Mein Installateur sagt, dass die Leitungen im Haus alle okay sind, und mein Psychiater sagt, dass es keine drohenden Anzeichen einer Verkalkung gibt. Das ist ja alles sehr beruhigend, aber ich höre das Atmen immer noch und ich habe wirklich Angst.«

»Mr. Wallis«, erwiderte ich, »ich kann wirklich nichts tun. Atmen fällt nicht in meine Zuständigkeit.«

»Sie könnten zu mir kommen und es hören.«

»Das Atmen?«

»Nun, Sie müssen es nicht.«

Ich hob entschuldigend die Hände. »Mr. Wallis, es geht nicht darum, dass ich nicht will.Ich habe nur dringendere Dinge in diesem Amt zu tun. Wir haben einen verstopften Kanal in Folson und die Leute dort sind bestimmt mehr an ihrem eigenen Atmen als an dem irgendeines anderen interessiert. Es tut mir leid, Mr. Wallis, ich kann Ihnen nicht helfen.«

Er rieb sich müde die Stirn, stand auf und meinte niedergeschlagen: »In Ordnung, ich verstehe, was Vorrang hat.«

Ich ging um meinen Schreibtisch herum und öffnete ihm die Tür. Er setzte seinen alten Panamahut auf und blieb einen Augenblick stehen, als ob er nach Worten suchte, um noch etwas zu sagen.

»Wenn Sie sonst noch etwas hören, etwa, wie etwas läuft, oder wenn Sie Exkremente finden …«

Er nickte. »Ich weiß, dann rufe ich Sie an. Heutzutage ist das Problem einfach, dass jeder ein Spezialist ist. Sie können Kanäle reinigen, aber Sie können nicht so etwas Seltsamem zuhören wie einem Haus, das atmet.«

»Tut mir leid.«

Urplötzlich griff er nach meinem Handgelenk. Seine knochige alte Hand war überraschend stark und es fühlte sich an, als ob mich ein nackter Adler gepackt hätte.

»Warum hören Sie nicht auf, ständig zu sagen, dass es Ihnen leidtut, und tun stattdessen etwas Nützliches?«, fragte er. Er trat so dicht an mich heran, dass ich die roten Äderchen in seinen Augen erkennen konnte. »Wenn Sie hier fertig sind, warum kommen Sie anschließend nicht mal vorbei und hören fünf Minuten zu? Ich habe schottischen Whisky da, den mein Neffe aus Europa mitgebracht hat. Wir könnten einen Drink nehmen und dann könnten Sie zuhören.«

»Mr. Wallis …«

Er ließ mein Handgelenk los, seufzte und rückte seinen Hut zurecht. »Bitte verzeihen Sie mir«, sagte er ausdruckslos. »Ich glaube, dass mir meine Nerven einen kleinen Streich gespielt haben.«

»Schon gut«, sagte ich. »Hören Sie zu, sollte ich nach Feierabend noch Zeit finden, komme ich vorbei. Heute Abend muss ich noch zu einer Besprechung, aber danach versuche ich es.«

»Sehr schön«, sagte er, ohne mich anzusehen. Er wollte nicht die Kontrolle über seine Gefühle verlieren und strengte sich sehr an, sich zusammenzureißen.

Dann sagte er: »Es könnte der Park sein, wissen Sie. Es könnte etwas mit dem Park zu tun haben.«

»Mit dem Park?«, fragte ich verblüfft.

Er runzelte die Stirn, als ob ich irgendetwas völlig Belangloses gesagt hätte. »Danke, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben, junger Mann.«

Dann ging er den langen polierten Flur entlang. Ich stand im Türrahmen und schaute ihm nach. Überraschend begann ich in der klimatisierten Luft zu frösteln.

Wie üblich wurde die abendliche Sitzung von Ben Pultik beherrscht, dem Leiter der Abteilung für Müll. Pultik war ein kleiner, breitschultriger Mann, der aussah wie ein schmaler Garderobenschrank, über den ein gemustertes Jackett gestülpt wurde. Er arbeitete schon seit einer Ewigkeit in der Müll-Abteilung und betrachtete sein Ressort als eine der wichtigsten Aufgaben der Menschheit, was es, wenn man so will, ja auch war – doch nicht in dem Sinne, wie er es sah.

Wir saßen um den Konferenztisch, rauchten viel zu viel und tranken wässrigen Kaffee aus Plastikbechern, während sich der Himmel draußen vor den Fenstern purpurn und mattgold färbte und die Türme und Dächer von San Francisco wie Sand glitzernd in der Pazifiknacht verschwanden.

Pultik beschwerte sich, dass die Besitzer ausländischer Restaurants die Küchenabfälle nicht fachgerecht in schwarzen Plastikmüllsäcken sammelten, und seine Mannschaft deshalb ihre Overalls ständig mit exotischen Essensresten beschmutzte.

»Einige meiner Männer haben einen jüdischen Glauben«, sagte er und zündete seinen Zigarettenstummel wieder an. »Und das Letzte, was die sich wünschen, ist, sich von oben bis unten mit Essen einzusauen, das nicht koscher zubereitet worden ist!«

Morton Meredith, der Chef der Abteilung, saß mit verkrampftem Lächeln in seinem Sessel am Kopf des Tisches und versteckte hinter seiner Hand ein Gähnen. Der einzige Grund, warum wir diese Sitzungen abhielten, war der, dass man im Rathaus darauf bestand; die Angestellten sollten sich untereinander Anregungen geben – doch der Gedanke, von Ben Pultik stimuliert zu werden, war wie die Idee, bei McDonald’s Muscheln à la farcieszu bestellen. Die stehen dort nämlich gar nicht auf der Karte.

Kurz vor neun Uhr, nach einem ermüdenden Bericht der Schädlingsbekämpfer, verließen wir das Gebäude und traten hinaus in die warme Abendluft. Dan Machin, jung und dürr wie eine Bohnenstange, der beim Forschungslabor des Gesundheitsamtes beschäftigt war, kam über den Platz auf mich zugelaufen und schlug mir auf den Rücken.

»Wie wär’s mit einem Drink? Bei diesen Sitzungen trocknet einem ja die Kehle aus.«

»Klar«, antwortete ich. »Ich habe Zeit genug zum Totschlagen.«

»Zeit und Fliegen.«

Warum ich Dan Machin mochte, weiß ich eigentlich nicht genau. Er war drei oder vier Jahre jünger als ich, seine Haare stoppelig-kurz geschnitten wie der Weizen in Kansas, und er trug eine große, altmodische Brille, die immerzu von seiner Stupsnase rutschen wollte. Seine Jacken – mit Lederaufnähern an den Ellbogen – waren immer zu groß, seine Schuhe ständig ausgelatscht; doch er hatte einen leisen Humor, der mir gefiel. Obwohl Dans Gesicht ziemlich blass war, weil er zu viele Stunden im Büro verbrachte, bewegte er sich gut beim Tennis.

Vielleicht erinnerte mich Dan Machin an die Zeit meiner wohlbehüteten Jugend in einem Vorort von Westchester, wo an allen Häusern Kutscherlampen leuchteten und alle Hausfrauen die Haare blond und mit glänzendem Spray fixiert trugen. Sie fuhren ihre Kinder in großen Buicks herum und im Herbst wurde durch den Geruch von brennendem Laub das Halloweenfest angekündigt. Seither hatte ich einiges wirklich Übles durchgemacht, unter anderem eine schmutzige Scheidung und eine leidenschaftliche, aber hoffnungslose Affäre. Jedenfalls war es nett zu wissen, dass ein solch heiles Amerika noch existierte.

Wir überquerten die Straße und gingen durch die enge Nebenstraße der Gold Street zu Dans Lieblingsbar, das Assay Office. Es bestand aus einem sehr hohen Raum mit einer altmodischen Terrasse; die Holzmöbel waren mit Messingbändern verziert und zeugten noch von einem längst vergangenen San Francisco. Wir fanden einen Platz an der Wand und Dan bestellte uns zwei Coors.

»Ich hatte eigentlich vor, heute Abend nach Pilarcitos zu fahren«, erzählte ich ihm und zündete mir eine Zigarette an.

»Aus Vergnügen oder beruflich?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Weder das eine noch das andere.«

»Das klingt geheimnisvoll.«

»Ist es auch. Heute kam ein alter Mann zu mir ins Büro und erzählte, dass er ein Haus besitzt, das atmet.«

»Atmet?«

»Genau das. Um genauer zu sein: Es hechle wie Lassie. Er wollte wissen, ob ich etwas dagegen tun kann.«

Das Bier kam und Dan trank einen großen Schluck, wobei ein weißer, schaumiger Schnurrbart zurückblieb, der ihm ganz gut stand.

»Es ist keine Fallströmung im Kamin«, erzählte ich ihm. »Es ist auch kein Tier, das in den Wänden gefangen ist. Es ist wirklich ein echter Fall unerklärlichen Atmens.«

Das sollte eigentlich ein Witz sein, aber Dan schien es ernst zu nehmen: »Sagte er sonst noch etwas? Hat er gesagt, wann es passiert? Zu welcher Tageszeit?«

Ich stellte mein Glas ab. »Er meinte, dass es immer da sei. Er lebt erst seit einigen Monaten in dem Haus, und seither ist es immer zu hören. Er hat wirklich Angst. Ich vermute, der alte Kauz glaubt, dass es eine Art Geist ist.«

»Tja, das könnte sein«, murmelte Dan.

»Oh, sicher – und Ben Pultik ist den Müll leid.«

»Nein, ich meine es ernst«, beteuerte Dan. »Mir sind schon solche Fälle zu Ohren gekommen, bei denen Leute Stimmen und so etwas gehört haben. Unter bestimmten Bedingungen können Geräusche, die irgendwann in einem alten Raum verursacht worden sind, nochmals vernommen werden. Ab und zu haben Leute berichtet, dass sie Unterhaltungen gehört hätten, die vor Jahrhunderten stattgefunden haben müssen.«

»Woher weißt du das alles?«

Dan zupfte sich an seiner kleinen Nase, als wolle er sie verlängern, und ich könnte schwören, dass er tatsächlich leicht errötete. »Um ehrlich zu sein«, erwiderte er verlegen, »bin ich schon immer sehr an Geistererscheinungen interessiert gewesen. Das zieht sich durch unsere Familie.«

»So ein hartgesottener Wissenschaftler wie du?«

»Na, hör mal, sie sind nicht alle so idiotisch, wie man immer meint, diese ganzen Geisterweltgeschichten. Es gibt da völlig verblüffende Fälle. So erzählte meine Tante immer, dass sich der Geist von Buffalo Bill jede Nacht auf ihre Bettkante gesetzt hat, um ihr Geschichten aus dem alten Westen zu erzählen.«

»Buffalo Bill?«

Dan legte sein Gesicht in selbstkritische Falten. »Das hat sie behauptet. Vielleicht hätte ich ihr das nicht glauben sollen.«

Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück. In der Bar herrschte ein angenehmes Stimmengewirr. Gerade brachte man gebratene Hähnchen und Rippchen herein, was mich daran erinnerte, dass ich schon seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte.

»Meinst du, ich sollte mir das mal ansehen?«, fragte ich Dan, während mir ein Mädchen in einem T-Shirt auffiel, über deren Busen ›Oldsmobile Rocket‹ gedruckt stand.

»Na ja, sagen wir mal: Ich würde gehen.Hmm, vielleicht sollten wir zusammen hingehen. Ich würde gern ein Haus hören, das atmet.«

»Du würdest also gehen? Okay, wenn du das Taxigeld mit mir teilst, dann fahren wir hin. Aber glaube nicht, dass ich für den Burschen garantieren kann. Er ist sehr alt und vielleicht leidet er nur an Halluzinationen.«

»Eine Halluzination ist eine Täuschung.«

»Allmählich fange ich an zu glauben, dass das Mädchen dort in dem T-Shirt eine Sinnestäuschung ist.«

Dan drehte sich um und sein Blick traf den des Mädchens. Er lief dunkelrot an.

»Mensch, so was tust du ständig«, beklagte er sich irritiert. »Die müssen doch glauben, dass ich der reinste Sex-Maniac bin.«

Wir tranken unser Bier aus und nahmen ein Taxi zur Pilarcitos Street hinauf. Es war eine dieser kurzen, verschlungenen Straßen, in denen man sein Auto parkt, wenn man ein japanisches Restaurant auf der Hauptstraße besuchen will, und das man dann nachher, weil man zu viel Tempura und Sake intus hat, nie mehr wiederfindet. Die Häuser waren alt und still, mit Türmchen, Giebeln und schattigen Eingängen, und in Anbetracht, dass die Mission Street nur einige Hundert Meter entfernt verlief, schienen sie seltsam vor sich hin zu brüten und nicht mit der Gegenwart verbunden.

Dan und ich standen im warmen Abendwind vor der Nummer 1551 und sahen zu dem gotischen Turm und dem mit Holz verkleideten Balkon auf, an denen die graue Farbe absprang wie Schuppen von einem toten Fisch.

»Du glaubst also nicht, dass ein solches Haus atmen kann?«, fragte er mich und rümpfte die Nase.

»Ich glaube nicht, dass irgendeinHaus atmen kann. Aber es riecht, als ob die Rohrleitungen mal überprüft werden müssen.«

»Um Gottes willen«, klagte Dan. »Keine Fachgespräche mehr nach Dienstschluss. Glaubst du, dass ich zu Cocktailpartys gehe und dabei die Haare meiner Gastgeber nach Läusen absuche?«

»Bei dir würde mich das nicht wundern.«

Ein rostiges schmiedeeisernes Tor und fünf Stufen führten zum überdachten Vorbau. Ich drückte das Tor auf, das aufstöhnte wie ein sterbender Hund. Dann gingen wir die Stufen hinauf und suchten im Dunkeln nach einer Klingel. Alle Fenster der unteren Etage, die zur Straße zeigten, waren dunkel und geschlossen, sodass uns Pfeifen oder Rufen aussichtslos schienen. Unten am Hügel raste ein Polizeiwagen mit heulender Sirene vorbei und ein Mädchen, das mit zwei jungen Männern die Straße entlangstolzierte, kicherte laut. All dies geschah innerhalb unserer Sicht-und Hörweite und doch herrschte hier am Eingang zu Nummer 1551 nichts als dunkles Schweigen und ein Gefühl, als wirbelten vergessene Jahre an uns vorüber, die aus dem Briefkasten und unter der verzierten Vordertür herausrannen wie der Sand aus Säcken.

»Hier ist ein Klopfer«, sagte Dan. »Vielleicht sollte ich ein paarmal klopfen.«

Ich schielte in die Finsternis. »Solange du dabei nicht ›Nimmermehr‹ zitierst.«

»Jesus«, sagte Dan. »Sogar der Türklopfer ist gruselig.«

Ich trat etwas näher heran und schaute ihn an. Es war ein gewaltiger, antiker Klopfer, der vom Alter und Wetter ganz schwarz geworden war. Er hatte die Form einer seltsamen, knurrenden Kreatur, etwas zwischen Wolf und Dämon – nicht gerade einladend, fand ich. Jemand, der so etwas freiwillig an seine Vordertür hing, musste etwas seltsam sein, es sei denn, er hatte an Albträumen Spaß. Unten auf dem Türklopfer stand ein einzelnes Wort eingraviert: Rückkehr.

Weil Dan noch zögerte, benutzte ich den Klopfer drei-oder viermal. Der Klang hallte leise drinnen im Haus wider und wir warteten geduldig vor der Tür, dass Seymour Wallis reagierte.

»Was, glaubst du, ist das? Das Ding da auf dem Klopfer?«, fragte Dan.

»Keine Ahnung. So eine Art Wasserspeier, vermute ich.«

»Für mich sieht es mehr nach einem verfluchten Werwolf aus.«

Ich griff in meine Jackentasche und holte eine Zigarette heraus. »Du hast zu viele alte Horrorfilme gesehen.«

Gerade wollte ich noch einmal klopfen, als ich drinnen schlurfende Schritte sich nähern hörte. Mehrere Riegel wurden oben und unten von der Tür fortgeschoben und dann öffnete sie sich knarrend einen Spalt, bis sie von einer Sicherheitskette gestoppt wurde. Ich sah Seymour Wallis’ blasses Gesicht vorsichtig durch den Spalt spähen, als ob er Verbrecher erwartete – oder die Zeugen Jehovas.

»Mr. Wallis?«, fragte ich. »Wir kommen, um das Atmen zu hören.«

»Oh, Sie sind es.« Offensichtlich war er erleichtert. »Bitte warten Sie einen kleinen Augenblick, ich mache sofort auf.«

Er schob die Kette fort und die Tür knarrte noch ein Stück weiter auf. Seymour Wallis trug einen kastanienbraunen Bademantel und Pantoffeln, aus denen seine dünnen, nackten, behaarten Beine ragten.

»Ich hoffe, dass wir Sie nicht gerade von der Abendtoilette abhalten«, sagte Dan.

»Nein, nein. Kommen Sie herein. Ich habe mich nur gerade fertig gemacht, um ein Bad zu nehmen.«

»Ihr Klopfer gefällt mir«, sagte ich, »obwohl er etwas unheimlich ist, nicht wahr?«

Seymour Wallis widmete mir ein kurzes Lächeln. »Vermutlich – aber er hing bereits an der Tür, als ich einzog. Ich weiß nicht, was er darstellen soll. Meine Schwester glaubt, es könnte der Teufel sein, aber ich bin da nicht so sicher. Und weshalb ›Rückkehr‹ darunter steht, werde ich wohl niemals erfahren.«

Wir standen in einer hohen, muffigen Diele, ausgelegt mit schäbigem braunem Teppichboden. Überall an den Wänden hingen gelblich verblasste Drucke, Zeichnungen und gerahmte Briefe. Einige der Rahmen waren leer und manche zerbrochen, aber die meisten enthielten erdfarbene Ansichten vom Mount Taylor und Cabezon Peak, andere stockfleckige Landkarten und unleserliche, handgeschriebene Zeugnisse.

Das Geländer der Wendeltreppe neben uns war aus dunklem Mahagoni gedrechselt und obendrauf sahen wir eine Bronzefigur – ein Bär, der aufgerichtet stand und anstelle der Schnauze mit einem Frauengesicht versehen worden war. Die Stufen, massiv, aber schmal, wuchsen hinauf in die Dunkelheit der ersten Etage wie eine Rolltreppe in die schwarze Stille der Nacht.

»Wir gehen besser hier entlang«, meinte Seymour Wallis und führte uns durch die Diele zu einer Tür. Über ihr hing ein schäbiger Hirschkopf mit verstaubtem Geweih und nur noch einem Auge.

Dan sagte: »Nach Ihnen«, und ich war mir nicht sicher, ob er sich über das Haus lustig machte. Es konnte jedenfalls nicht noch unheimlicher werden.

Wir betraten ein kleines, stickiges Büro. Rundherum standen leere Regale, auf denen früher einmal Bücher aufgereiht gewesen sein mussten, denn die bräunlich gemusterte Tapete hinter ihnen zeigte noch die Schatten, wo sie einst gestanden hatten. In der Ecke, unter einem melancholischen Bild des frühen San Francisco, standen ein Schreibtisch mit fleckiger lederbezogener Platte und ein Holzstuhl, an dessen Rückenlehne zwei Stäbe fehlten. Seymour Wallis hatte die Fensterläden unten gelassen und die Luft des Zimmers war stickig und säuerlich. Es roch nach Katzen, Lavendelkissen und Insektenmittel.

»Hier höre ich die Geräusche stärker als in jedem anderen Raum«, erklärte Wallis. »Meistens in der Nacht, wenn ich hier sitze und Briefe schreibe oder meine Bilanzen überprüfe. Zuerst hört man nichts. Doch dann spitze ich die Ohren und bin sicher, es zu hören. Sanftes Atmen, als habe jemand den Raum betreten und stehe eine Weile etwas von mir entfernt da und beobachte mich. Ich versuche, na ja, ich habe versucht, mich nicht umzudrehen. Aber ich muss zugeben, dass ich es doch immer tue. Und natürlich ist niemand da.«

Dan ging über den abgetretenen Läufer. Die Bodenbretter knackten unter seinen Füßen. Er nahm einen Sternenkalender von Seymour Wallis’ Schreibtisch und sah ihn einige Augenblicke prüfend durch.

»Glauben Sie an das Übernatürliche, Mr. Wallis?«

»Das hängt davon ab, was Sie unter Übernatürlich verstehen.«

»Tja, Geister.«

Wallis schaute erst mich und dann wieder Dan an. Ich glaubte, er fürchtete, wir wollten ihn zum Narren halten. In seinem dunkelbraunen Bademantel sah er aus wie einer von diesen älteren Herren, die darauf bestehen, am Weihnachtstag ein kurzes Bad im Meer zu nehmen.

»Ich habe meinem Kollegen hier schon erzählt, dass es Häuser gibt, die als Empfänger für Töne und Unterhaltungen aus der Vergangenheit dienen. Falls in ihrem Inneren etwas besonders Erregendes passiert, dann speichern sie die Geräusche im Gefüge der Mauern ab wie ein Aufnahmegerät und wiederholen sie später, wieder und immer wieder. Erst letztes Jahr gab es da einen Fall in Massachusetts: Ein junges Paar behauptete, es höre bei Nacht immer wieder einen Mann und eine Frau in ihrem Wohnzimmer streiten, aber sobald sie nach unten gingen, sei niemand da. Sie konnten tatsächlich Namen verstehen, und als sie im örtlichen Kirchenregister nachsahen, stellten sie fest, dass die Leute, die sie ständig hörten, 1860 in ihrem Haus gewohnt hatten.«

Seymour Wallis rieb sich sein stacheliges Kinn. »Sie wollen mir sagen, dass dieses Atmen, das ich höre, von einem Geist ist?«

»Nicht gerade ein Geist«, sagte Dan. »Es ist nur ein Echo aus der Vergangenheit. Es mag wohl beängstigend sein, ist aber nicht gefährlicher als die Töne, die aus dem Fernseher kommen. Es sind nur Geräusche, mehr nicht.«

Wallis setzte sich langsam auf den alten Stuhl und sah uns sehr ernst an. »Kann ich es dazu bringen, mich allein zu lassen?«, fragte er. »Ich meine, können Sie es vielleicht austreiben?«

»Ich befürchte, nein«, antwortete Dan. »Dazu müsste man das Haus abreißen. Was Sie hören, ist mit der Struktur des Hauses selbst verbunden.«

Ich hüstelte und sagte höflich: »Ich fürchte, da gibt es einen Ratsbeschluss gegen den Abriss dieser alten Häuser. Sie gehören zu Unterabschnitt 8.«

Seymour Wallis sah sehr müde aus. »Wissen Sie«, sagte er, »seit Jahren schon wollte ich eines dieser Häuser besitzen. Ich ging immer wieder hier vorbei und bewunderte ihr Alter, ihren Charakter und ihren Stil. Schließlich gelang es mir, eines zu ergattern. Dieses Haus bedeutet mir unsagbar viel. Es stellt für mich alles dar, was ich in meinem Leben versucht habe, um die alten Normen gegen die leichte, falsche, betrügerische, moderne Welt zu bewahren. Schauen Sie sich um! Hier gibt es kein Stück Formica, kein Gramm Plastik oder eine Spur von Glaswolle. Der Fries um die Decke ist aus echtem Gips, diese Bodenbretter stammen von einem alten Segelschiff. Schauen Sie, wie breit sie sind. Dann sehen Sie sich die Türen an. Sie sind solide und hängen richtig. Die Scharniere sind aus Messing.«

Er hob den Kopf, und als er sprach, klang seine Stimme sehr gerührt.

»Dieses Haus gehört mir. Und wenn ein Geist oder ein Geräusch in ihm ist, dann will ich es heraushaben. Ich bin der Herr hier. Bei Gott, ich werde es mit jeder übernatürlichen Kraft aufnehmen, denn es ist mein gutes Recht.«

»Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich Ihnen nicht glaube«, sagte ich, »denn ich bin sicher, dass Sie das, was Sie uns erzählt haben, wirklich gehört haben. Aber glauben Sie nicht, dass Sie vielleicht einfach überarbeitet sind? Vielleicht sind Sie nur müde.«

Seymour Wallis nickte. »Ich bin müde, das stimmt. Aber ich bin nicht so müde, dass ich nicht um das kämpfen würde, was mir gehört.«

Dan sah sich im Raum um. »Vielleicht könnten Sie mit diesem Atmen eine Einigung treffen. Irgendeinen Kompromiss schließen.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Also, ich weiß nicht, ob ich es selbst verstehe. Aber es gibt viele Spiritisten, die zu glauben scheinen, dass man mit den Geistern einen Pakt schließen kann, damit sie einen in Ruhe lassen. Ich meine, der Grund, warum es an einem Ort spukt, könnte einfach darin liegen, dass der Geist nicht frei ist, dahin zu gehen, wohin Geister eben verschwinden. Vielleicht versucht dieser atmende Geist, Sie dazu zu bringen, ihm bei etwas zu helfen. Ich weiß nicht. Es ist nur so ein Gedanke. Vielleicht sollten Sie einen Versuch unternehmen und mit ihm reden.«


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