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Das Atmen der Bestie
  • Текст добавлен: 24 сентября 2016, 06:01

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Автор книги: Graham Masterton


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Bryan fiel uns in die Arme. Anstatt ihn zurückzuzwingen, mussten wir ihn ziehen und hoben ihn wie einen Mehlsack auf das Bett zurück. Dr. Jarvis hielt Bryans Hinterschädel, um jede Verletzung zu vermeiden. So legten wir ihn vorsichtig nieder, die Arme an den Körper gelegt, und banden ihn mit den elastischen Gurten fest. Anschließend standen wir da, schauten uns über den lang gestreckten Körper an und grinsten in unterdrückter Furcht.

Dr. Jarvis überprüfte Bryans Herzschlag und seine Lebenszeichen – sie waren immer noch unverändert. 24 Schläge in der Minute, weiterhin kräftig. Atmung langsam, aber regelmäßig. Ich atmete tief durch und wischte mir mit dem Handrücken über die Stirn. Ich schwitzte und zitterte, ich vermochte kaum zu sprechen.

Dr. Jarvis krächzte: »Das übertrifft alles. Dieser Mann muss tot sein. Jeder Lehrsatz der Medizin bestätigt, dass er tot ist. Aber er lebt und atmet und er läuft sogar herum.«

In diesem Augenblick trat Dr. Weston ein. Sie schaute auf Bryan Corder und sagte: »Vielleicht ist es ein Wunder.«

»Ja, vielleicht ist es eines«, entgegnete Dr. Jarvis. »Aber vielleicht ist es auch ein verdammt übler Trick Schwarzer Magie.«

»Schwarze Magie, Dr. Jarvis?«, sagte Dr. Weston. »Ich hätte nicht geglaubt, dass ihr Weiße an so etwas glaubt.«

»Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, brummte er. »Die ganze Sache ist total irre.«

»Irre oder nicht, ich muss meine Untersuchung fortführen«, sagte sie. »Danke, dass Sie ihn so gut festgemacht haben. Und Ihnen auch vielen Dank, Mr. Hyatt.«

Ich hustete: »Ich kann nicht sagen, dass es mir ein Vergnügen war.«

Wir verließen Dr. Weston und ihre Assistenten, damit sie ihre Gehirntests an Bryans entfleischtem Schädel machen konnten, und gingen in den Flur. Dr. Jarvis stand lange an einem der Fenster und starrte über den Parkplatz des Krankenhauses. Dann griff er in die Tasche seines weißen Arztkittels und zog eine Schachtel Zigaretten heraus.

Ich stand etwas abseits, beobachtete ihn und schwieg. Ich nahm an, dass er jetzt lieber allein sein wollte. Er wurde plötzlich mit etwas konfrontiert, das seine grundlegenden Überzeugungen über die Medizin völlig umkrempelte, und jetzt versuchte er den bizarren Schrecken zu begreifen, der sich nur mit abergläubischen Auffassungen erklären ließ.

Er zündete sich eine Zigarette an. »Sie hatten recht mit den Vögeln.«

»Sind sie immer noch da?«

»Tausende davon, überall auf dem Dach.«

Ich trat zum Fenster und schaute hinaus. Da saßen sie, aufrecht, ihre Federn fächelten wild im Wind des Pazifiks.

»Sie sind wie so eine Art verfluchtes Omen«, meinte er. »Was ist los mit ihnen? Sie zwitschernja nicht einmal.«

»Sie sehen aus, als ob sie auf etwas warten. Ich hoffe nur, dass es nichts Unheilvolleres als ein Paket Vogelfutter ist.«

»Wir sollten uns Machin noch mal anschauen. Ich könnte jetzt etwas Entspannung gebrauchen«, schlug Dr. Jarvis vor.

»Sie nennen das, was Dan passiert ist, entspannend?«

Er zog noch einmal tief an seiner Zigarette und drückte sie dann zwischen Finger und Daumen aus. »Nach dem, was hier gerade eben passiert ist, wäre sogar eine Beerdigung eine Entspannung.«

Wir gingen den Flur entlang bis zu Dans Zimmer. Dr. Jarvis schaute durch das kleine runde Fenster in der Tür und öffnete sie dann.

Dan lag immer noch bewusstlos da. Eine Schwester saß neben seinem Bett – sein Puls, seine Atmung und sein Blutdruck wurden genau überwacht. Dr. Jarvis ging hinüber und untersuchte ihn, hob seine Augenlider, um zu sehen, ob irgendeine Reaktion erfolgte. Dans Gesicht war unnatürlich weiß und er atmete noch immer in diesem tiefen, traumlosen Rhythmus, der auch das Atmen in Seymour Wallis’ Haus charakterisiert hatte.

Während Dr. Jarvis Dans Körpertemperatur überprüfte, sagte ich: »Angenommen …«

»Angenommen, was?«, meinte er zerstreut.

Ich trat näher an Dans Bett heran. Der junge Mann aus Mittelamerika war so ruhig und bleich, dass er wie tot wirkte, abgesehen von diesem hohlen, regelmäßigen Atmen.

»Angenommen, Bryan hat versucht hierherzukommen, um Dan zu besuchen.«

Dr. Jarvis schaute auf: »Warum sollte er das beabsichtigen?«

»Na ja, jeder von ihnen ist Träger der Geräusche, die in Seymour Wallis’ Haus gespukt haben. Vielleicht haben die beiden genügend Gemeinsames, dass sie sich zusammentun möchten. Wissen Sie, dieses ganze indianische Zeug, von dem Jane gesprochen hat, über das Zurückkommen auf dem Pfad der vielen Teile, vielleicht bedeutet das eine Art Wiedergeburt über mehrere verteilt.«

»Ich verstehe nicht.«

»Es ist ganz einfach. Wenn diese Kraft oder dieser Einfluss oder was immer in Seymour Wallis’ Haus herumspukt, völlig auseinandergerissen war, ja, also das Atmen an einem Ort und der Herzschlag an einem anderen, dann versuchen sie vielleicht, wieder zusammenzukommen.«

»John, Sie drehen durch.«

»Sie haben Bryan ohne Kopfhaut herumgehen sehen, und Sie wollen mir sagen, dass ich spinne?«

Dr. Jarvis notierte Dans Temperatur auf seinem Block, dann richtete er sich gerade auf. »Es gibt keinen Grund, nach widersinnigen Antworten zu suchen. Was immer auch vor sich geht, es muss eine einleuchtende Erklärung dafür geben.«

»Und wie soll die aussehen? Ein Mann wird verrückt und ein anderer verliert die Haut auf seinem Kopf, und wir sollen dafür eine logische Erklärung finden? James, hier geht etwas nach einem Plan und mit einer Absicht vor. Jemand will, dass das alles passiert. Es steckt eine Absicht dahinter.«

»Dafür gibt es keinen Beweis. Außerdem wäre es mir lieber, wenn du mich Jim nennst.«

Ich seufzte: »In Ordnung, wenn du es nüchtern, logisch und medizinisch sehen willst, dann mache ich dir keinen Vorwurf. Aber ich habe das Gefühl, jetzt mit Jane und Seymour Wallis reden zu müssen. Jane hat eine Theorie, die man sich mal genau anhören sollte, und ich wette zwei Flaschen Whisky darauf, dass Seymour Wallis mehr weiß, als er uns gesagt hat.«

»Ich mag keinen Whisky.«

»Das ist ja okay.«

Ich nahm mir ein Taxi und fuhr direkt zum Buchladen. Es war inzwischen zwölf Uhr. Als wir von dem Krankenhaus fortfuhren, konnte ich mir einen Blick zurück auf die Vögel nicht verkneifen. Aus der Entfernung wirkten sie wie eine graue, schuppige Verkrustung, als ob das Gebäude selbst an einer ungesunden Hauterkrankung leiden würde. Ich fragte den Taxifahrer, ob er wüsste, was für eine Vogelgattung das sei, aber er wusste nicht einmal etwas mit dem Begriff ›Gattung‹ anzufangen.

Überraschenderweise war Jane nicht da, als ich den dunkelrot gestrichenen Laden auf der Brannan Street betrat. Ihr junger, bärtiger Kollege erklärte: »Ich weiß auch nicht, Mann. Sie sprang einfach auf und ging, vor ungefähr einer halben Stunde. Sie hat noch nicht mal Tschüss gesagt.«

»Wissen Sie nicht, wohin sie gegangen ist? Ich war zum Mittagessen mit ihr verabredet.«

»Sie hat kein Wort gesagt, Mann. Aber sie ist da lang gelaufen.« Er deutete auf den Embarcadero, die Küstenstraße.

Ich ging wieder hinaus. Ein Muster aus Sonnenstrahlen fiel auf den Bürgersteig und ich wurde von der Menge hin und her geschubst, die zu ihrem Mittagessen eilte. Ich schaute mich um, konnte Jane jedoch nirgendwo entdecken. Selbst wenn ich den Embarcadero entlanglief, würde ich sie wahrscheinlich verfehlen. Also ging ich zum Buchladen zurück und sagte dem Jungen, dass Jane mich zu Hause anrufen solle. Dann winkte ich mir wieder ein Taxi herbei und bat den Fahrer, mich zur Pilarcitos Street zu fahren.

Ich war etwas verstimmt, aber auch besorgt. So wie die Dinge in den letzten Tagen gelaufen waren, durch die Dan Machin und Bryan Corder im Krankenhaus lagen, wollte ich besser zu niemandem den Kontakt verlieren. Ich vermochte das unbestimmte Gefühl nicht loszuwerden, dass alles, was geschah, nach einem Plan ablief – als hätte Dan nach 1551 Pilarcitos gehen müssen,und auch, als sei Bryan wohlüberlegt dorthin geführt worden. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn mir etwas ähnlich Schreckliches zugestoßen wäre.

Das Taxi stoppte vor dem Haus und ich bezahlte den Fahrer. Im Sonnenlicht sah das Gebäude schäbig und so grau wie die Vögel auf dem Krankenhausdach aus. Ich öffnete das schmiedeeiserne Törchen und stieg die Stufen hoch. Der Türklopfer grinste mich wölfisch an, aber heute, im hellen Mittagslicht, spielte er mir keinen bösen Streich. Er bestand aus schwerer Bronze, mehr nicht.

Ich klopfte dreimal ziemlich laut. Dann wartete ich und pfiff Moon River.Ich hasste den Song, aber jetzt ging er mir nicht mehr aus dem Kopf.

Ich klopfte noch einmal, aber auch jetzt antwortete niemand. Vielleicht war Seymour Wallis spazieren gegangen. Ich wartete einige Minuten, knallte den Klopfer ein letztes Mal auf die Tür und drehte mich um, um zu gehen.

Doch als ich gerade die Stufen hinuntergehen wollte, hörte ich ein quietschendes Geräusch. Ich schaute zurück: Die Haustür hatte sich ein klein wenig geöffnet. Mein letztes Klopfen musste sie aufgedrückt haben. Sie war offensichtlich weder verschlossen noch hatte man die Kette vorgelegt. Wenn man bedachte, wie viele Riegel, Ketten und Sicherheitsschlösser Wallis an dieser Tür angebracht hatte, dann entsprach es absolut nicht seiner Art, sie völlig unverschlossen zu lassen.

Ich starrte auf die Tür und fragte mich: Was stimmt hier nicht?Aus irgendeinem Grund, den ich nicht erklären kann, lief mir ein Schauder über den Rücken und ich spürte Angst in mir aufsteigen. Aber noch schlimmer war, dass ich genau wusste, dass ich die Tür nicht einfach offen stehen lassen und fortgehen konnte. Ich musste in dieses Haus gehen – das alte Haus, das atmete und in dem Herzschläge zu hören waren – und feststellen, was da vor sich ging.

Langsam stieg ich die Stufen wieder hinauf. Fast eine Minute stand ich vor der halb offenen Tür und versuchte, in dem Stück Dunkelheit, das ich sehen konnte, Schatten und Formen zu erkennen. Der Türklopfer blickte jetzt an mir vorbei, die Straße hinauf, aber sein Lächeln war genauso hochmütig und feindselig wie bisher.

Ich schaute auf den Klopfer und sagte: »Okay, Klugscheißer. Welche scheußlichen Fallen hast du dir diesmal wieder einfallen lassen?«

Der Türklopfer grinste und erwiderte nichts. Ich hatte das auch nicht wirklich erwartet – ich glaube, ich wäre wahnsinnig geworden, hätte er sich gerührt. Doch irgendwie war es schon eine unheimliche Situation, zu erkennen, ob ein Spuk ein Spuk istund nicht nur ein ordinärer Türklopfer oder ein Schatten oder ein Hutständer …

Ich streckte die Arme aus und stieß die Tür etwas weiter auf, wie ein Mann, der sich über eine abgrundtiefe Grube beugt. Sie erzitterte und knarrte etwas stärker. Drinnen in der Diele hingen Staub und Dunkelheit, auch der modrige Geruch war immer noch stark zu riechen.

Ich schluckte tief, trat ein und rief: »Mr. Wallis? Seymour Wallis?«

Es kam keine Antwort. Sobald ich die Diele betreten hatte, wurden die Geräusche von der Straße dumpfer und schwächer. Ich stand da und hörte nur noch mein eigenes heftiges Atmen.

»Mr. Wallis?«,rief ich noch einmal.

Ich ging zur Treppe. Die Bärenfrau stand noch immer mit geschlossenen Augen auf dem Pfosten des Treppengeländers. Ich blinzelte hoch in die Dunkelheit des ersten Stockes, konnte aber absolut nichts erkennen. Um ganz ehrlich zu sein, ich war auch absolut nicht geneigt hinaufzugehen. Ich beschloss, einen Blick in Seymour Wallis’ Büro zu werfen, und sollte er nicht zu Hause sein, dann würde ich schleunigst von hier verschwinden.

So leise wie möglich ging ich auf Zehenspitzen über den verschlissenen Teppich zu der Tür unter dem verstaubten Hirschkopf. Das Büro war verschlossen, aber der Schlüssel steckte im Schloss. Langsam drehte ich ihn um und hörte das laute Schnappen des Schließmechanismus in der undurchdringbaren Stille der toten Luft, die das Haus scheinbar seit all den Jahren, in denen es hier stand, ausfüllte.

Ich legte meine Hand um den Messingknopf der Tür und drehte ihn. Die Bürotür öffnete sich. Drinnen war es finster, denn die Vorhänge waren noch vorgezogen. Ich griff neben den Türrahmen, um den Lichtschalter zu finden. Meine Finger tasteten über die kühle Tapete und ich drückte den Lichtschalter nach unten, aber es passierte nichts. Die Birne musste durchgebrannt sein.

Nervös drückte ich die Tür weiter auf und trat ein. Ich schaute fast panisch hinter die Tür, um mich zu vergewissern, dass sich dort nichts und niemand versteckte – ein kurzer Schock durchzuckte mich, als ich den Bademantel von Seymour Wallis dort hängen sah. Dann strengte ich meine Augen an und starrte auf die dunklen Umrisse von Seymour Wallis’ Schreibtisch und Stuhl.

Eine Weile konnte ich nicht erkennen, ob dort irgendetwas war oder nicht. Während sich meine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnten, bildete sich ein Umriss. »Oh Gott.« Die Worte klangen wie ein Röcheln.

Ein riesiger, aufgedunsener Mann saß auf Seymour Wallis’ Stuhl. Sein Kopf war ganz schwarz und aufgebläht, seine Arme und Beine waren zum doppelten Umfang angeschwollen. Sein Gesicht war so dick, dass die Augen nur noch schmale Schlitze bildeten, und seine Finger quollen wie fette, purpurne Schnecken aus den Hemdsärmeln.

Ich hätte ihn niemals erkannt, doch seine Kleidung verriet ihn. Ich zog die Vorhänge ein Stück beiseite. Es war Seymour Wallis. Eine aufgeblähte, angeschwollene, groteske Karikatur von Seymour Wallis.

Ich konnte die Worte kaum aussprechen: »Mr. W-Wallis?«

Die Kreatur rührte sich nicht.

»Mr. Wallis, leben Sie?«

Das Telefon stand auf seinem Schreibtisch. Ich musste sofort Dr. Jarvis anrufen und vielleicht auch Lieutenant Stroud, aber das bedeutete, dass ich an diesem aufgeblähten Körper vorbeimusste. Ich ging vorsichtig auf ihn zu und schaute und schaute, um mir darüber klar zu werden, ob er tatsächlich tot sei. Ich vermutete, dass es so war. Er bewegte sich nicht und es sah aus, als ob jede Vene und Arterie seines Körpers ein Bluterguss sei.

»Mr. Wallis?«

Ich trat ganz nahe heran und ging etwas in die Knie, um ihm direkt in das bläuliche, aufgeblähte Gesicht sehen zu können. Er schien nicht zu atmen. Ich schluckte wieder, um mein Herz zurück in die Brust zu drücken, wohin es gehörte, und beugte mich langsam und nervös vor, um den Telefonhörer abzunehmen.

Ich wählte die Nummer des Elmwood Foundation Hospitals. Es schien Jahrhunderte zu dauern, bevor sich die Telefonistin meldete: »Elmwood-Krankenhaus. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Rufen Sie Dr. Jarvis ans Telefon«, flüsterte ich. »Es ist ein Notfall.«

»Sprechen Sie bitte etwas lauter. Ich kann Sie nicht verstehen.«

»Dr. Jarvis!«, sagte ich heiser. »Sagen Sie ihm, dass es dringend ist!«

»Einen Moment bitte.«

Sie schaltete mich in die Warteschleife, um Dr. Jarvis zu informieren, und eine schmalzige Musik ertönte. Ich blickte besorgt auf Seymour Wallis’ blutunterlaufenes Gesicht und hoffte und betete, dass er nicht plötzlich aufsprang und nach mir griff.

Die Musik verstummte und die Telefonistin sagte: »Es tut mir leid, aber Dr. Jarvis ist gerade beim Mittagessen, und wir wissen nicht, wo er ist. Möchten Sie mit einem anderen Arzt sprechen?«

»Nein, danke. Dann komme ich selbst ins Krankenhaus.«

»Dann benutzen Sie bitte den Südeingang. Momentan sind die Leute vom Gesundheitsamt im Haus, um einige Vögel zu verjagen.«

»Sind die Vögel noch immer da?«

»Oh ja. Sie sitzen überall.«

Ich legte den Hörer auf und ging vorsichtig rückwärts fort von Seymour Wallis. Ich war erst zwei oder drei Schritte auf die Tür zugegangen, als sein Drehstuhl plötzlich herumschwenkte und sein mächtiger Körper seitlich auf den Teppich fiel, aufs Gesicht, und so liegen blieb. Der Schock war so heftig, dass ich wie gelähmt dastand, unfähig wegzulaufen, unfähig zu denken. Aber dann wurde mir klar, dass er entweder tot oder hilflos war, und ich ging hin und kniete mich neben ihn.

»Mr. Wallis?« Ich muss zugeben, dass ich keine Hoffnung auf eine Antwort hatte.

Er blieb regungslos liegen, angeschwollen wie ein Mensch, der wochenlang im Meer herumgetrieben war.

Ich stand wieder auf. Auf seinem Schreibtisch lag ein einfaches Stenoheft, in das er offensichtlich Eintragungen gemacht hatte. Ich nahm es und blätterte einige Seiten zurück. Die Schrift war ziemlich unsicher, wie von einem Kind, das verbissen das Schreiben lernt. Es sah so aus, als hätte Seymour Wallis darum gerungen, seine Notizen zu vervollständigen, bevor die Schwellung ihm das Schreiben unmöglich machte.

Ich hielt das Heft etwas seitlich, damit das Licht von draußen auf die Seiten fallen konnte. Da stand: »Ich weiß jetzt, dass alle diese unseligen Ereignisse in Fremont nur der Beginn eines viel schrecklicheren Geschehens waren. Was wir entdeckten, war nicht das Wesen selbst, sondern ein Talisman, der das Wesen zu neuem Leben anregte. Vielleicht war das Datum für seine Rückkehr schon immer vorherbestimmt. Möglicherweise waren all diese grausigen Ereignisse noch Zufälle, aber über eines bin ich mir ganz sicher: Von dem Tage an, an dem ich den Talisman in Fremont entdeckte, hatte ich gar keine andere Wahl, als das Haus Nummer 1551 zu kaufen. Die uralten Einflüsse waren viel zu stark für jemanden, der so schwach wie ich war und ohne Kenntnis über diese Macht, um Widerstand zu leisten.«

So endete es. Ich verstand es überhaupt nicht. Vielleicht dachte Seymour Wallis, dass sein Unglück bei dem Fremont-Auftrag ihn endgültig eingeholt hätte – nach seinem Zustand zu urteilen, konnte ich ihm gar nicht unrecht geben. Aber in diesem Augenblick hatte ich nur noch den einen Gedanken, raus aus diesem Haus zu kommen und mit Dr. Jarvis zu sprechen. Ich war nun endgültig davon überzeugt, dass in diesem Haus ein feindseliges, brütendes Übel hockte. Wenn bereits drei Leute so qualvoll hatten leiden müssen, weil sie versucht hatten, diesem Übel auf die Spur zu kommen, dann war mir klar, dass ich leicht das vierte Opfer werden könnte.

Ich ging durch die Diele und warf noch schnell einen Blick die Treppe hinauf, für den Fall, dass dort oben etwas Entsetzliches stehen würde, und schlich mich an dem Türklopfer vorbei zum Ausgang. Als ich mich umdrehte, um die Tür zu schließen, sah ich jedoch etwas, was mich fast mehr traf und ängstigte als alles, was vorher passiert war.

Auf dem Treppenpfosten fehlte die Figur. Die Bärenfrau war fort.

Vor dem Krankenhaus versuchten die Männer des Gesundheitsamtes, die grauen Vögel mit lauten Gewehrschüssen zu vertreiben. Ich kannte einen von ihnen, Innocenti, und ging zu ihm, um zu fragen, ob sie Erfolg hätten.

Innocenti deutete angeekelt auf die immer noch reihenweise dahockenden, stummen Vögel, die sich an den Gewehrsalven überhaupt nicht störten.

»Solche Vögel habe ich noch nie gesehen. Sie sitzen einfach da. Auch wenn wir rufen, bleiben sie sitzen. Wenn wir schreien, bleiben sie sitzen. Wir haben Henriques mit einer Holzklapper aufs Dach geschickt, und was tun sie? Sie bleiben sitzen. Vielleicht sind sie schwerhörig. Vielleicht ist es ihnen egal. Sie hocken da und sie scheißen noch nicht einmal.«

»Habt ihr herausgefunden, was es für Vögel sind?«

Innocenti zuckte die Achseln. »Tauben, Raben, Enten, wer kennt sich denn mit Vögeln aus? Ich bin kein Ornithologe.«

»Vielleicht haben sie eine besondere Eigenart?«

»Aber sicher: Sie sind so stinkfaul, dass sie nicht einmal fortfliegen.«

»Nein, aber vielleicht sind sie eine besondere Vogelgattung.«

Innocenti blieb unbeeindruckt. »Hören Sie, Mr. Hyatt, von mir aus können sie sein, was sie wollen, verdammt. Ich weiß nur, dass ich sie irgendwie vom Dach kriegen muss, denn solange ich sie hier nicht herunterhabe, muss ich hierbleiben und versäume deshalb das Abendessen. Wissen Sie, was es heute zu Abend gibt?«

Ich winkte ihm freundlich zu und ging zum Eingang des Krankenhauses hinüber.

»Osso bucco!«,brüllte er mir nach. »Das gibt es heute Abend!«

Ich betrat das Krankenhaus und ging durch das mit italienischen Hölzern ausgelegte Foyer direkt auf die Aufzüge zu. Die stilvolle Metalluhr an der Wand zeigte 19 Uhr an. Es war inzwischen vier Stunden her, seitdem ich Dr. Jarvis aus einer Telefonzelle angerufen und endlich erreicht hatte. Vier Stunden, seitdem der Krankenwagen eingetroffen war und man Seymour Wallis’ entstellten Körper auf einer Bahre aus dem Haus getragen hatte – abgedeckt von einem grünen Tuch, damit kein Passant diesen für einen normalen Menschen viel zu großen Körper sah. Vier Stunden, seitdem Dr. Jarvis und Dr. Crane mit der Leichenöffnung begonnen hatten.

Ich fuhr rauf bis zum fünften Stock und lief dann durch den Flur zu James Jarvis’ Büro. Ich ging hinein, nahm die Ginflasche aus seinem Schreibtisch und ein Tonicwasser aus dem Kühlschrank. Dann setzte ich mich, lehnte mich zurück und trank etwas von dem starken, erfrischenden Getränk, und beim heiligen Antonius und der heiligen Theresa, ich brauchte das.

Den ganzen Nachmittag hatte ich versucht, Jane zu finden. Ich hatte jeden gemeinsamen Freund oder Bekannten angerufen, der mir eingefallen war, bis ich schließlich kein Kleingeld und keine Energie mehr besaß. Währenddessen hatte ich mich bei McDonald’s mit einem Cheeseburger und einer Tasse schwarzem Kaffee gestärkt und dann aufgemacht in Richtung Elmwood. Ich fühlte mich hilflos, verloren, frustriert und verängstigt.

Ich füllte gerade mein Glas mit einem zweiten Gin Tonic, als Dr. Jarvis eintrat und seinen Mantel über den Stuhl warf.

»Hi«, sagte er, etwas kurz angebunden.

Ich hob mein Glas. »Ich habe mich hier häuslich niedergelassen. Ich hoffe, du bist nicht böse.«

»Ach, wieso denn? Mach mir auch einen fertig, wenn du schon dabei bist.«

Ich ließ zwei Eiswürfel in ein weiteres Glas fallen und fragte: »Seid ihr mit Wallis’ Obduktion fertig?«

Er nahm schwerfällig Platz und rieb sich über das Gesicht. »Ja, sind wir. Wir haben die Leichenöffnung abgeschlossen.«

»Und?«

Er sah mich durch seine gespreizten Finger an. Seine Augen waren rot vor Müdigkeit und Konzentration. »Willst du es wirklich wissen? Willst du wirklich in die Sache hineingezogen werden? Du brauchst es nicht, das weißt du. Du bist ja nur Beamter beim Gesundheitsamt.«

»Sicher, es ist wohl so, aber ich stecke doch schon mittendrin. Nun erzähl schon, Jim. Dan Machin und Bryan Corder waren meine Freunde. Und jetzt Seymour Wallis. Ich fühle mich verantwortlich.«

Dr. Jarvis nahm sein Päckchen Zigaretten aus der Tasche. Zitternd zündete er sich eine an und schob die Schachtel zu mir herüber. Ich ließ sie dort liegen. Bevor ich mich entspannte, wollte ich wissen, was vor sich ging.

Er seufzte und schaute hoch zur Zimmerdecke, als befände sich dort oben ein Teleprompter, auf dem der Text steht, den er sagen musste. »Wir haben jede Möglichkeit in Erwägung gezogen. Ich meine, jede. Aber die körperliche Ausdehnung wurde durch einen Faktor hervorgerufen, allein einen Faktor, und was wir auch immer als Erklärungsversuch ansetzten, wir kamen immer zu demselben Schluss.«

Ich nippte an meinem Gin Tonic. Ich unterbrach ihn nicht. Er würde es mir jetzt sagen, was auch immer.

»Ich schätze, dass die Todesursache offiziell Blutkrankheit lauten wird. Das ist wohl eher eine fromme Lüge, andererseits aber auch die volle Wahrheit. Seymour Wallis littan einer schweren Blutkrankheit. Er hatte keinen Mangel an roten Blutkörperchen und es gab auch keine Anzeichen für irgendeine Krankheit oder Anämie. Es ist ganz einfach Tatsache, dass er zu viel davon hatte.«

» Zu vieldavon?«

Er nickte. »Ein normaler Mensch hat etwa sechs Liter Blut, die durch seinen Kreislauf zirkulieren. Wir haben das Blut aus Seymour Wallis’ Körper geleert und es nachgemessen. Seine Arterien und Venen sowie Kapillaren waren so angeschwollen, weil er 15 Liter Blut darin hatte.«

Ich konnte es kaum glauben . »15 Liter?«

Dr. Jarvis blies den Zigarettenrauch aus. »Ich weiß, dass es verrückt klingt, aber so ist es nun mal. Glaube mir, wenn ich könnte, würde ich diese ganze Sache unter den Teppich kehren und das überschüssige Blut einfach in den Ausguss schütten.«

Er saß eine Weile still da und starrte auf seinen unordentlichen Schreibtisch. Ich vermutete, dass ihm bei all den Schwierigkeiten mit Seymour Wallis und dessen vermaledeitem Haus keine Zeit mehr für den Papierkram geblieben war.

»War die Polizei schon hier?«, fragte ich.

»Man hat sie informiert.«

»Und was sagt sie dazu?«

»Sie wartet auf das Ergebnis der Leichenöffnung. Das Problem ist nur, dass ich nicht weiß, was ich den Beamten erzählen soll.«

Ich trank mein Glas aus. »Wieso? Erzähl ihnen einfach, dass er eines natürlichen Todes gestorben sei.«

Dr. Jarvis brummte grimmig: »Natürlicher Tod? Mit 15 Litern Blut in sich? Und außerdem ist da ja noch was.«

»Noch was?«

Er schaute mich nicht an, aber ich merkte, wie verwirrt und besorgt er war. »Wir haben das Blut natürlich analysiert, es in die Zentrifuge gesteckt. Dr. Crane ist einer der besten Pathologen. Zumindest wird er danach bezahlt. Er sagt, und das ohne den geringsten Zweifel, dass das Blut, das wir in Seymour Wallis’ Körper fanden, kein menschliches Blut ist.«

Wir schwiegen. Dr. Jarvis zündete sich die nächste Zigarette an der ersten an.

»Es besteht absolut kein Zweifel, dass die gesamten 15 Liter von einer Hundespezies stammen. Was auch immer Seymour Wallis zugestoßen ist, das Blut, mit dem er starb, war nicht sein eigenes.«


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