Текст книги "Das Atmen der Bestie"
Автор книги: Graham Masterton
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Триллеры
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Ich hob eine Augenbraue.
»Was schlagen Sie denn vor, was ich sagen soll?«, fragte Wallis vorsichtig.
»Seien Sie einfach geradeheraus. Fragen Sie, was er will.«
»Oh, jetzt hör aber auf, Dan«, fuhr ich dazwischen. »Das ist lächerlich.«
»Nein, das ist es nicht. Wenn Mr. Wallis das Atmen hören kann, dann kann das, was immer da atmet, ihn vielleicht auch hören.«
»Wir wissen überhaupt noch nicht, ob das Atmen wirklichexistiert.«
»Aber angenommen, es atmet etwas.«
Wallis erhob sich. »Ich vermute, dass ich Sie nur überzeugen kann, wenn Sie es selber hören. Warum trinken wir nicht ein Glas Scotch? Dann setzen wir uns eine halbe Stunde hierhin, falls Sie die Zeit haben, und lauschen.«
»Ja, das würde ich gern«, sagte Dan.
Wallis schlurfte aus dem Zimmer und kam nach einem kurzen Augenblick mit zwei Holzstühlen zurück. Wir setzten uns, steif und unbequem, während er wieder davonschlurfte, um die Flasche zu holen.
Ich beschnüffelte die stickige Luft. Es war heiß und muffig in dieser kleinen Bibliothek und ich wünschte mich jetzt zurück in mein Büro, ein kaltes Bier trinkend.
Dan rieb sich kribbelig die Hände. »Das wird noch ganz aufregend.«
»Glaubst du, dass wir es hören werden?«
»Sicher werden wir es hören. Ich sagte dir doch: Ich glaube an solche Sachen. Einmal schon hätte ich fast einen Geist gesehen.«
»Du hast ihn fastgesehen? Was soll denn das heißen?«
»Ich wohnte mal in einem alten Hotel in Denver und ging eines Nachts gerade in mein Zimmer zurück, als ich sah, wie das Zimmermädchen dort herauskam. Ich steckte meinen Schlüssel ins Schloss und es fragte mich: »Sind Sie sicher, dass Sie ins richtige Zimmer wollen, Sir? Da drinnen nimmt ein Gentleman gerade ein Bad.« Nun, ich überprüfte meine Schlüsselnummer und es war das richtige Zimmer, also ging ich hinein. Das Mädchen kam mit, um nachzusehen, und als ich ins Badezimmer kam, war da niemand, der ein Bad nahm, kein Wasser in der Wanne, nichts. Hotels werden gerne von Geistern heimgesucht.«
»Bestimmt, und das Gesundheitsamt gerne von Märchenerzählern.«
In diesem Moment betrat Wallis den Raum mit einem angelaufenen Silbertablett, auf dem eine Whiskykaraffe und drei Gläser standen. Er setzte es auf den Tisch und schenkte uns die Gläser großzügig voll. Danach nahm er auf seinem Stuhl Platz und nippte an dem Scotch, als prüfe er ihn, ob er vergiftet sei. Draußen in der Halle schlug eine Uhr, die ich vorher nicht gesehen hatte, zehnmal an: Bommm …
Bommm … Bommm … Bommm …
»Haben Sie etwas Eis, Mr. Wallis?«, fragte Dan.
Wallis schaute ihn verwirrt an, schüttelte dann den Kopf, »Tut mir leid. Der Eisschrank ist kaputt. Ich wollte ihn schon längst reparieren lassen, aber meistens esse ich auswärts, deshalb war es eigentlich noch nicht nötig.«
Dan hob sein Glas. »Also, dann auf das Atmen, wer immer es verursacht.«
Ich trank den warmen puren Scotch und verzog das Gesicht.
Wir warteten schweigend fast zehn Minuten. Es ist erstaunlich, wie viele Geräusche man macht, wenn man Whisky in völliger Stille trinkt. Nach einer Weile konnte ich das Ticken der Uhr draußen in der Vorhalle hören, sogar noch das entfernte Murmeln des Verkehrs auf der Mission Street. Und da war noch das Rauschen meines eigenen Blutes, das durch meine Gehörgänge zirkulierte.
Wallis unterdrückte ein Husten: »Noch etwas Whisky?«
Dan hielt sein Glas hin, aber ich sagte: »Falls ich noch mehr trinke, dann höre ich Glocken, aber kein Atmen.«
Wir lehnten uns wieder zurück und das Holz der Stuhllehnen knackte unangenehm.
Dan fragte: »Wissen Sie etwas über die Geschichte des Hauses, Mr. Wallis? Irgendetwas, was helfen könnte, diesem geheimnisvollen Atmer auf die Spur zu kommen?«
Seymour Wallis rückte nervös einige Sachen auf seinem Schreibtisch zurecht – Stifte, Brieföffner, Terminkalender – und schaute Dan mit demselben mutlosen Gesicht an, das er auch gemacht hatte, als er in mein Büro getreten war.
»Ich habe die Grundbucheinträge durchgesehen – sie reichen zurück bis ins Jahr 1885, als man das Haus gebaut hat. Der erste Besitzer war ein Samenhändler, danach hat es ein Schiffskapitän gekauft. Aber hier geschah nichts Ungewöhnliches. Kein Mord oder so etwas.«
Dan trank noch etwas Whisky. »Vielleicht hält sich der Atmer hier auf, weil er in diesem Haus glücklich war. Das passiert manchmal. Ein Geist spukt in einem Haus und versucht, sein altes Glück zu wiederholen.«
»Ein glücklicher Atmer?«, fragte ich skeptisch.
»Genau«, verteidigte sich Dan. »So etwas hat es schon gegeben.«
Wir schwiegen wieder. Dan und ich saßen ganz ruhig da, aber Seymour Wallis zappelte ein wenig und kratzte sich voller Unruhe. Die Uhr schlug die halbe Stunde und wir warteten weiter und hörten immer noch nichts. Das Schweigen des Hauses umgab uns und wurde durch keinen Laut gestört – in diesem Gebäude lebten seit mehr als hundert Jahren Menschen, doch nun stand es bewegungslos und still, kein Fensterladen rührte sich.
Ich stellte mein Whiskyglas auf eine Ecke von Seymour Wallis’ Schreibtisch. Er sah kurz auf und ich lächelte, aber er schaute zur Seite und biss sich auf die Lippen. Wahrscheinlich machte er sich Sorgen, dass es heute Abend nicht atmete und wir glauben würden, dass er entweder ein Lügner oder völlig verrückt sei.
Jetzt machte Dan: »Psssscht.«
Ich erstarrte und lauschte. »Ich höre nichts.«
Wallis hob seine Hand. »Es ist zuerst immer sehr leise, doch es wird dann lauter. Hören Sie.«
Ich spitzte meine Ohren. Man vernahm immer noch das Ticken der Uhr in der Halle, immer noch das Geräusch des Verkehrs. Aber da war noch etwas anderes, ja, so leise, dass wir angestrengt die Stirn krausten, als wir versuchten, es zu hören.
Zuerst klang es wie ein leises Flüstern, als wehe der Wind ein Stück Seide durch den Raum. Aber nach und nach wurde es lauter. Ich konnte nur noch Dan anschauen, um festzustellen, ob er auch hörte, was ich hörte, um sicher zu sein, dass es keine Selbsttäuschung war oder durch einen Luftzug verursachte Geräusche.
Es atmete. Langsames, tiefes Atmen, wie das Atmen eines Schlafenden. Es atmete ein und aus, ein und aus, als würden die Lungen endlos gefüllt und geleert – das Atmen von jemandem, der schlief und schlief und niemals den Morgen erleben sollte.
Jetzt verstand ich, warum Seymour Wallis Angst hatte. Dieses Geräusch, dieses Atmen, konnte einem eine eisige Gänsehaut verursachen. Es war das Atmen von jemandem, der niemals wieder aufwacht. Es hatte mehr mit dem Tod als mit dem Leben zu tun, und es ging immer weiter, lauter und lauter, bis wir unsere Ohren nicht mehr spitzen mussten, sondern einfach nur dasaßen und uns gegenseitig in Schrecken und Angst ansahen.
Es ließ sich unmöglich bestimmen, woher das Atmen kam. Es kam von überall. Ich sah mir sogar die Wände an, um ganz sicher zu sein, dass sie sich nicht bei jedem Atemzug bewegten. Wallis hatte recht. Das Haus atmete und es war nicht tot, wie wir zuerst geglaubt hatten, nein, es schlief.
Ich flüsterte: »Dan, Dan!«
»Was ist los?«
»Sprich zu ihm, Dan, wie du es vorhin gesagt hast. Frage, was es will!«
Dan leckte über seine Lippen. Überall um uns herum atmete es weiter, langsam und schwer. Einige Male glaubte ich, dass es aufhört, dann jedoch kam wieder ein tiefer Atemzug und noch einer, als ob es so schon mehr als hundert Jahre geatmet hätte und vermutlich immer so weiteratmen wird.
Dan hustete. »Ich kann nicht.« Seine Stimme klang rau. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Wallis selbst saß nur da, verkrampft und ruhig, zum ersten Mal an diesem Abend, seinen Whisky noch unberührt in der Hand.
Langsam, vorsichtig stand ich auf. Das Atmen veränderte sich nicht. Es war jetzt so laut, als läge ich dicht neben jemandem im Bett, der mir in der Dunkelheit sein Gesicht zugewandt hatte.
»Wer ist da?«, fragte ich.
Es kam keine Antwort. Das Atmen ging weiter.
»Wer ist da?«, fragte ich, jetzt viel lauter. »Was willst du? Sage uns, was du willst, und wir werden dir helfen!«
Das Atmen ging weiter, obwohl ich irgendwie meinte, dass es schroffer wurde. Es war jetzt auch schneller.
»Mach es nicht, um Himmels willen!«, bat Dan.
Ich ignorierte ihn und ging in die Mitte des Raumes. Laut rief ich: »Wer immer hier auch atmet, höre mir zu! Wir möchten dir helfen! Sage uns, was wir für dich tun können, und wir werden dir helfen! Gib uns ein Zeichen! Zeige uns, dass du uns bemerkst!«
Seymour Wallis sagte: »Bitte, ich glaube, das ist gefährlich. Lassen Sie uns einfach nur zuhören … Lassen wir es in Frieden.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wie können wir das? Dan glaubt an Geister und Sie sagen, dass es Ihnen Angst macht. Also, auch ich höre es, und wenn ich es hören kann, dann muss da irgendetwas sein, denn ich glaube nicht an Geister und bin auch nicht sonderlich verängstigt.«
Das Atmen wurde immer schneller. Es war immer noch das Atmen eines Schlafenden, aber eines Schlafenden, der träumt, oder eines Schlafenden, den Albträume quälen.
Wallis stand auf, sein Gesicht war verzerrt und blass. »Mein Gott, so laut ist es noch nie gewesen. Bitte, sagen Sie nichts mehr. Lassen Sie es in Ruhe, dann geht es wieder fort.«
»Wer auch immer hier atmet!«, rief ich heiser. »Wer immer auch da ist! Hör zu! Wir können dir helfen! Wir können dir helfen, dieses Haus zu verlassen!«
Das Atmen raste jetzt nahezu, keuchte, winselte. Seymour Wallis hielt sich vor Grausen die Ohren zu und Dan saß erstarrt auf seinem Stuhl, das Gesicht völlig blutleer. Bisher hatte ich keine Angst gehabt – aber das hier war Wahnsinn. Das war einfach eine Schauerfantasie.
Das Atmen steigerte sich mehr und mehr, als arbeite es sich auf einen Höhepunkt zu, den Gipfel einer grotesken Anstrengung. Jetzt war es das keuchende Atmen eines Läufers, der zu weit und zu schnell läuft, das Atmen eines Tieres in Panik. Und dann krachte es plötzlich, dass ich die Augen zukniff, und Dan Machin wurde runter von seinem Stuhl gerissen und durch den halben Raum geschleudert. Seymour Wallis kreischte wie eine Frau und fiel auf die Knie. Ich hörte irgendwo im Haus Glas klirren und Gegenstände prasselten und krachten zu Boden. Dann war es still.
Ich öffnete die Augen. Wallis hockte auf dem Boden, erschüttert, aber unverletzt. Doch um Dan machte ich mir Sorgen; er lag auf dem Rücken und bewegte sich nicht, sein Gesicht war unheimlich bleich.
Ich hob den Stuhl auf, kniete neben ihm nieder und tätschelte seine Wange. »Dan? Bist du in Ordnung? Dan!«
»Vielleicht rufe ich besser einen Krankenwagen«, bot Wallis an.
Mit einem Daumen schob ich eines von Dans Augenlidern in die Höhe. Der Augapfel zuckte, also lebte er noch, aber er musste eine sehr starke Gehirnerschütterung oder einen Schock erlitten haben – solche Sachen hatte ich in der Army aufgeschnappt.
Während Wallis im Krankenhaus anrief, deckte ich Dan mit meiner Jacke zu und schaltete das alte Heizöfchen ein, um ihn warm zu halten. Dan bewegte sich nicht, er zitterte nicht einmal. Er lag einfach flach auf dem Rücken, bleich und still, doch als ich dicht an seinem Mund horchte, konnte ich schwach sein Atmen hören. Ich schlug mehrmals auf seine Wangen, doch er rührte sich nicht.
»Sie werden gleich hier sein.« Wallis legte den Hörer wieder auf.
Ich hob den Kopf. Einen Augenblick lang glaubte ich, ich hörte das Atmen wieder, dieses leise, rasselnde Atmen. Aber es war Dan, er kämpfte ums Überleben. Das Haus selbst schien wieder in seinen alten, mysteriösen Schlaf zurückgekehrt zu sein.
Wallis kniete sich langsam und mühsam neben mich. »Haben Sie irgendeine Vermutung, was das war? Dieses Geräusch? Diese starke Kraft? Ich konnte es nicht glauben. So was ist bisher noch nie passiert.«
»Ich weiß nicht. Vielleicht wurde irgendein Druck freigesetzt – vielleicht gibt es hier so etwas wie einen Luftdruck, der ab und zu abgelassen werden muss. Verdammt, ich weiß nicht, was es gewesen ist.«
»Glauben Sie immer noch, dass es ein Geist ist?«
Ich sah ihn an. »Sie?«
Wallis überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. »Wenn es ein Geist ist, dann muss es ein verdammt mächtiger sein. Ich habe noch nie gehört, dass ein Geist Leute flachlegen kann.«
Er sah auf Dans bleiches Gesicht und biss sich auf die Lippen: »Glauben Sie, dass er wieder gesund wird?«
Was sollte ich antworten? Ich konnte nur in der staubigen Bibliothek knien, hilflos die Achseln heben und auf den Krankenwagen warten.
Als ich Dan am folgenden Morgen besuchte, saß er aufrecht in seinem Bett. Er hatte ein grün angestrichenes Privatzimmer erhalten, mit Aussicht auf die Bucht, und die Schwestern hatten Blumen ins Zimmer gestellt. Er war wohl immer noch blass und die Ärzte hielten ihn unter Beobachtung, aber er war wieder ganz fröhlich. Ich gab ihm die neue Ausgabe des Playboyund die Morgenausgabe des Examinerund zog mir einen der Besucherstühle ans Bett.
Er klappte den Playboyin der Mitte auf und warf einen schnellen, kritischen Blick auf eine Brünette mit riesigen Brüsten. »Genau das kann ich jetzt brauchen«, sagte er trocken. »Einen kurzen Adrenalin-Schock.«
»Ich dachte mir, das wirkt besser als Benzedrin. Und, wie geht es dir?«
Er ließ das Magazin sinken. »Ich bin mir nicht sicher. So allgemein fühle ich mich eigentlich okay. Nicht schlimmer, als hätte mir jemand mit einem Baseball-Schläger eins auf den Kopf gegeben …«
Er verstummte und sah mich an. Sogar hinter seiner Clark-Kent-Brille wirkten seine Augen ungewöhnlich winzig. Vielleicht lag das an den Medikamenten, die sie ihm verabreicht hatten. Vielleicht hatte er auch eine leichte Gehirnerschütterung. Jedenfalls sah er nicht mehr wie der Dan Machin aus, den ich gestern Abend zu einem Drink getroffen hatte. Er wirkte irgendwie leblos,als ob sein Mund zwar etwas sagen würde, doch er selbst an etwas völlig anderes dachte.
»Du wirkst verändert«, sagte ich. »Meinst du das vielleicht?«
»Ich fühle mich nicht wie ich selbst …Ich weiß nicht, was es ist, aber mir geht es irgendwie merkwürdig.«
»Hast du irgendetwas Seltsames während dieser Explosion bemerkt?«
Er zuckte die Achseln. »Ich erinnere mich gar nicht daran. Ich erinnere mich nur an das Atmen und wie es immer stärker wurde, aber was danach passiert ist, weiß ich nicht mehr. Ich habe das Gefühl, dass ich angegriffen wurde.«
» Angegriffen?Wovon?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Dan. »Es ist wirklich schwer zu erklären. Wenn ich es dir beschreiben könnte, würde ich es tun. Aber ich kann nicht.«
»Glaubst du immer noch, dass es ein Geist oder Gespenst war?«
Er strich sich mit der Hand durch die kurzen Haare. »Ich bin nicht so sicher. Es könnte so etwas wie ein Poltergeist gewesen sein, weißt du, diese Geister, die Gegenstände verrücken. Es kann aber auch ein Erdbeben gewesen sein. Vielleicht verläuft genau unter dem Haus eine Spalte.«
»Plötzlich suchst du wieder nach einer normalen Erklärung. Ich habe auch schon daran gedacht, aber die Zeitungen berichten nichts über ein Beben. Im Büro habe ich heute auch herumgefragt, aber niemand hat etwas bemerkt.«
Dan nahm sich ein Glas Wasser. »Tja, ich habe auch keine Ahnung. Vielleicht war es ein Geist. Aber ich habe immer geglaubt, dass Geister eigentlich völlig harmlos sind … Weißt du, sie gehen umher, tragen den Kopf unterm Arm, rasseln mit ihren Ketten, mehr aber auch nicht.«
Ich ging zum Fenster und sah hinab auf die Autos, die über die Golden Gate Bridge fuhren. Der Nebel war in die Höhe gestiegen, doch ein letzter Schleier schmiegte sich noch um die Pfeiler der Brücke und gab dem Bild etwas Verschmiertes, wie bei einem Aquarell.
»Heute Abend werde ich nochmals ins Haus gehen«, sagte ich. »Ich möchte mir alles wirklich genau anschauen und herausbekommen, was da passiert. Bryan Corder von der Technischen Abteilung wird mitkommen. Ich habe heute Morgen mit ihm gesprochen und er vermutet, dass eine Fallströmung dahintersteckt.«
Als ich mich umdrehte, schien Dan gar nicht zugehört zu haben. Er saß aufrecht im Bett und starrte geistesabwesend durch das Zimmer; sein Unterkiefer war heruntergefallen.
»Dan? … Hast du mir zugehört?«
Er blinzelte mich an.
»Dan?«
Ich ging schnell zum Bett hinüber und nahm seinen Arm.
»Dan, ist alles in Ordnung? Du siehst wirklich krank aus.«
Er leckte über seine Lippen, als seien sie sehr trocken.
»Klar«, sagte er unsicher. »Ich bin okay. Ich glaube, ich brauche nur etwas Ruhe, das ist alles. Seit ich aus der Betäubung erwacht bin, habe ich nicht besonders geschlafen. Ich hatte ständig Träume.«
»Warum bittest du die Krankenschwester nicht um eine Schlaftablette?«
»Ich weiß nicht. Es waren ja nur diese Träume.«
Ich setzte mich wieder und sah ihn aufmerksam an. »Was denn für Träume? Albträume?«
Dan nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. »Nein, nein, keine Albträume. Ich meine, sie waren etwas unheimlich, doch sie haben mir keine Angst verursacht. Ich habe von dem Türklopfer geträumt, du weißt doch, dem am Haus des alten Wallis. Aber er war weit mehr als ein Türklopfer. Ich habe geträumt, dass er zwar an der Tür hing, aber trotzdem mit mir sprach. Anstatt aus Metall war er aus echtem Haar und Fleisch, und er hat zu mir gesprochen … wollte mir etwas mit dieser ruhigen, flüsternden Stimme erklären.«
»Was hat er gesagt? Dass man im Wald kein Feuer anzünden soll?«
Dan schien gar nicht zu bemerken, dass ich das als Scherz gemeint hatte, denn er schüttelte ernst den Kopf.
»Er sagte, ich solle irgendwo hingehen und dort etwas suchen, aber ich habe nicht verstanden, was es ist. Er erklärte es wieder und wieder, aber ich verstand es einfach nicht. Es hatte etwas mit dem Bären auf dem Geländer von Mr. Wallis’ Wendeltreppe zu tun, du erinnerst dich sicher, die kleine Bärenfigur mit dem Gesicht einer Frau. Aber ich begriff den Zusammenhang nicht.«
Ich betrachtete Dans blasses Gesicht eine Weile nachdenklich, bis ich lächelte und freundschaftlich seine Hand drückte. »Weißt du, woran du leidest, Dan, mein alter Freund? Post-Geist-Delirium. Das ist eine Art übersinnliche postnatale Depression. Du musst dich jetzt einige Tage ausruhen, dann wirst du dich überhaupt nicht mehr daran erinnern, was dich eigentlich so bedrückt hat.«
Dan zog eine Grimasse. Er schien mir nicht recht zu glauben.
»Hör zu«, sagte ich, »wir werden heute Abend das Haus durchsuchen und was dich auch immer umgeworfen hat, wir werden es finden. Und nicht nur das – wir werden es auch lebend mitbringen, damit du es in deinem Labor in einem Einmachglas aufbewahren kannst.«
Dan versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht wirklich. »Okay«, erwiderte er leise. »Tu, was du willst.«
Ich saß noch einige Minuten bei ihm, aber Dan schien keine Lust auf ein weiteres Gespräch zu haben. Also drückte ich ihm noch einmal freundschaftlich die Hand.
»Ich schaue morgen noch mal vorbei. Etwa um dieselbe Zeit.«
Dan nickte, ohne aufzusehen.
Ich ließ ihn alleine und trat auf den Krankenhausflur.
Ein Arzt wollte gerade in Dans Zimmer. Als er mich beim Öffnen der Tür streifte, fragte ich: »Herr Doktor?«
Der Arzt schaute mich ungeduldig an. Er war ein kleiner Mann mit sandfarbenem Haar, spitzer Nase und unter seinen Augen hingen rotblaue Tränensäcke wie die Rüschen eines altmodischen Theatervorhangs. Ein Namensschild auf dem Jackenaufschlag wies ihn als Doktor James T. Jarvisaus.
Ich nickte in Richtung von Dans Zimmer. »Ich möchte mich nicht aufdrängen. Ich bin nur ein Freund von Mr. Machin, kein Verwandter oder so. Aber ich möchte gerne wissen, ob er okay ist. Ich meine, er erscheint mir heute ziemlich eigenartig.«
»Was meinen Sie mit eigenartig?«
»Na, sie kennen das sicher. Er ist nicht ganz er selbst.«
Doktor Jarvis schüttelte den Kopf. »Das ist nicht ungewöhnlich nach einer heftigen Gehirnerschütterung. Geben Sie ihm ein paar Tage zum Auskurieren.«
»War das wirklich nur eine Gehirnerschütterung?«
Der Doktor sah sich den Krankenbericht auf dem Klemmbrett an. »Ja, mehr nicht. Abgesehen von dem Asthma.«
»Asthma? Wieso Asthma? Er hat kein Asthma.«
Der Arzt sah mich kalt an. »Wollen Sie mir meinen Job beibringen?«
»Natürlich nicht. Aber ich spiele mit Dan Tennis. Er leidet nicht an Asthma. Er hat auch nie welches gehabt, soweit ich weiß.«
Der Arzt legte seine Hand auf den Türgriff zu Dans Zimmer. »Nun ja, das ist halt Ihre Sicht, Mr. …«
»Und wie ist IhreSicht?«, fragte ich.
Der Doktor grinste. »Tut mir leid, aber das ist vertraulich zwischen mir und meinem Patienten. Wenn er allerdings kein Asthma hat, dann leidet er mit Sicherheit an einer Erkrankung der Luftwege. Durch die Gehirnerschütterung hat sie sich verschlimmert; er musste vergangene Nacht drei oder vier Stunden unter einer Sauerstoffmaske liegen. Ich glaube nicht, dass ich schon einmal einen solch schweren Fall wie diesen erlebt habe.«
Eine hübsche brünette Krankenschwester kam in einer engen weißen Tracht den Gang entlang. Sie trug ein Tablett mit Injektionsspritzen und Arzneifläschchen.
»Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, Dr. Jarvis«, sagte sie. »Mrs. Walters brauchte wieder einen Wechsel.«
»Ist schon in Ordnung«, antwortete Dr. Jarvis. »Ich führe hier gerade ein fachliches Gespräch mit Mr. Machins gebildetem Freund. Ich lerne sehr viel dabei und es tut mir fast leid, aber jetzt muss ich gehen.«
Er öffnete die Tür zu Dans Zimmer etwas weiter, aber ich hielt seinen Arm fest und sagte: »Bitte, nur noch eine Sache.«
Er blieb stehen und schaute auf meine Hand, als ob gerade etwas Schmutziges seinen Ärmel berührt habe.
»Hören Sie.« Er schien sauer zu werden. »Ich weiß ja nicht, welche angeborene Sachkenntnis Sie auf dem Gebiet der diagnostischen Medizin haben, aber ich muss jetzt die Behandlung Ihres Freundes fortsetzen. Also, entschuldigen Sie mich.«
»Es geht nur um das Atmen. Es könnte wichtig sein.«
»Natürlich ist es wichtig«, erwiderte Dr. Jarvis sarkastisch. »Wenn unsere Patienten nicht mehr atmen, werden wir ernsthafte Schwierigkeiten bekommen.«
»Würden Sie mir bitte zuhören?«, grollte ich. »Vergangene Nacht waren Dan und ich in etwas verwickelt, das mit Atmen zu tun hatte. Ich muss wissen, warum Sie glauben, dass er einen Asthma-Anfall gehabt hat.«
»Verdammt, wovon reden Sie eigentlich? Etwas, das mit Atmen zu tun hatte? Meinen Sie, dass Sie Drogen geschnüffelt haben, oder so etwas?«
»Ich kann es nicht erklären. Es waren keine Drogen. Aber es könnte wirklich sehr wichtig sein.«
Dr. Jarvis schloss die Tür wieder und seufzte mit übertriebener Verzweiflung. »Gut. Wenn Sie es wirklich wissen müssen, Mr. Machin keuchte und schnappte nach Luft. Ungefähr alle 90 Minuten begann er heftig zu atmen und das steigerte sich bis zu einem hechelnden Röcheln. Das war alles. Es war ernst und es war ungewöhnlich, aber es gab keinen Anhaltspunkt dafür, dass es keine regulären Asthma-Attacken waren.«
»Aber ich habe es Ihnen doch gerade gesagt. Er hat kein Asthma.«
Dr. Jarvis senkte den Kopf und sagte ruhig: »Würden Sie jetzt hier verschwinden. Die Besuchszeit ist zu Ende und das Letzte, was ich brauche, sind altkluge Ratschläge. In Ordnung?«
Ich wollte noch etwas erwidern, doch dann riss ich mich zusammen. Wahrscheinlich wäre ich selbst genauso verdrießlich gewesen, wenn jemand in mein Büro gekommen wäre, um mir klarzumachen, wie man Wanzen ausrottet. Ich hob die Hände mit einer versöhnlichen Geste. »Okay. Ich verstehe. Tut mir leid.«
Die Schwester öffnete die Tür und trat ins Zimmer, während ich mich umdrehte, um zu gehen.
»Ich wollte wirklich nicht unhöflich sein«, entschuldigte sich Dr. Jarvis. »Aber ich weiß, was ich tue. Sie können um fünf Uhr wiederkommen, wenn Sie wollen. Bis dahin werden wir etwas mehr wissen.«
In dieser Sekunde hörten wir einen schrillen Entsetzensschrei aus Dans Zimmer. Dr. Jarvis sah mich an und ich ihn, und dann stießen wir beide die Tür weit auf und liefen ins Zimmer. Was ich jetzt sah, konnte ich nicht glauben. Es geschah vor meinen Augen, aber ich konnte es nicht glauben.
Die Schwester stand erstarrt vor Schreck neben Dan Machins Bett. Dan selbst saß aufrecht im Bett, in einem blau gestreiften Krankenhausschlafanzug, dies war so weit völlig normal und gewöhnlich. Doch Dans Augen … grauenvoll. Seine Brille lag auf dem Boden. Seine Augen waren blutunterlaufen – es waren die Augen eines bösen Hundes, die in der Nacht von einer Taschenlampe erfasst werden, oder vielleicht sehen so die Augen eines Dämons aus.
Er atmete ein und aus, ein und aus, mit den tiefen, stöhnenden Atemzügen, die wir in Seymour Wallis’ Haus in der vergangenen Nacht gehört hatten, dieses schwere endlose Atmen eines Schläfers, der nie mehr erwachen kann. Dan atmete wie das Haus selbst, wie alles, das uns in den düsteren, alten Räumen Angst eingeflößt hatte. Und es schien, als ob das Krankenzimmer mit jedem Atemzug kälter wurde.
»Mein Gott! Was ist das?«, keuchte Dr. Jarvis.